Montag, 2. Mai 2016

Kulturgeschichten 0210

Religionsrelativitätstheorie

Wenn genügend Abstand bei ausreichend hoher Geschwindigkeit von der Erde genommen wird, spielt die zufällige religiöse Überzeugung vom Zusammenhang der Welt keine Rolle mehr. Religion verhält  sich zum Verstand wie die Liebe zur Vernunft. Mit Abstand und genügender Geschwindigkeit sieht manches anders aus und wenn nicht, wird es wohl vernünftig sein, dem zu folgen, was gut tut.

Warum Religion 300 Jahre nach dem Zeitalter der Aufklärung noch immer eine Rolle für die Menschen spielt, ist mir rätselhaft. Vielleicht finden es viele toll, sich vor dem Angst zu machen, für das sich die Religionen eine Tröstung dann ausdenken, um ihre Abhängigen zu binden. Vermutlich finden Menschen auch Trost jenseits der Todesangst und eine Perspektive, weil sie gelernt haben, es sei nötig, dem einen Sinn zu geben, was ist, als sei Sein an sich nicht genug.

Warum der fanatische Islam mit seinen mittelalterlichen Denkstrukturen seine primitiven Propheten derzeit boomt, scheint manchen rätselhaft. Als sei es nicht schlicht die offensichtliche Antwort auf den Zusammenprall verschiedener Lebensformen, bei denen nur die eine am Weltmarkt erfolgreich ist und dafür bigott den Neid der anderen weckt, die zuvor schon lange als minderwertiger Teil der Welt vom europäischen Zentrum aus betrachtet wurden. Warum hier AfD und Pegida boomen, ist auch jedem vernünftigen Menschen ein Rätsel, dennoch gibt es Menschen, die auf komplexe Fragen gern einfache Antworten haben, nicht weil sie Lösungen wollten, sondern weil sie nicht mehr denken müssen. Das hat der Glaube auch seit Jahrtausenden geschafft.

Was ist die einfachste Antwort auf Unterdrückung?

Genau, Unterdrückung und so laufen neidische und zornig stolze Gesellschaften dem Gegenmodell weniger aus Überzeugung denn aus Trotz hinterher, insbesondere wo sich seit bald 1400 Jahren zeigt, wie erfolglos, ökonomisch betrachtet, ihr Religionslebensmodell war, das außer Raub nichts hervorbrachte. Zu Anfang kam der Prophet der Straßenräuber, der die Händler überfiel. Heute rauben die Araber ihren Boden aus und sind nur dadurch wohlhabend, weil westlich, nördliche Industrie den Rohstoff gut bezahlt. Ihre Religion vor ort hat sich vom mittelalterlichen Niveau nicht weiter entwickelt. Innovativ von Innen kommt seit langer Zeit aus der islamischen Welt nahezu nichts verglichen.

Natürlich gibt es hochintelligene Muslime, die auch in der westlichen Welt höchst erfolgreich sind, hängt Begabung nicht am zufällig aufgedrängten Aberglauben, sind die kruden Thesen eines Sarrazin einfach rassistischer Unsinn, der zu kurz gedacht ist. Dennoch ist die Entwicklung im Vergleich relativ auffällig anders. Insbesondere in muslimischen Ländern und an den Wurzeln des Islam, wo ein mittelalterliches Regime auf fettem Öl sitzend, macht, was ihm gefällt.

Was wäre die richtige Antwort auf den islamistischen Trotz und Religion überhaupt?

Ignorieren, weil Kinderkrankheiten das Immunsystem besser stärken und Vernunft schlecht direkt auf das Immunsystem zugreifen kann?

Gibt es eine taugliche Impfung gegen religiösen Wahn?

Bedenke ich, dass der Islam 650 Jahre jünger ist als das Christentum, aus einer bis heute zurückgebliebenen Region von Wüstenräubern und Händlern stammt, nur vorige Hochkulturen mit simplem System platt walzte, könnte ich beruhigt sein und mir sagen, das wird schon, bald haben auch die ihre Reformation. Es sind nur die Wehen einer Weltreligion vor ihrer Bedeutungslosigkeit. Wie das Christentum nur noch ein Marktfaktor aber keine Überzeugung mehr ist. Ein Machtfaktor ist und war es lange auch, arrangierte sich mit den jeweiligen Herren gut und diese wechselten die Religion je nach Dienstauftrag und Rolle. Heiraten, wenn politisch und diplomatisch sinnvoll, führten häufig zum Wechsel der Konfession.

Auch der Gatte der Queen, ein geborener Battenberg und da griechischer Prinz wechselte, um der Ehe mit der Königin willen, von der griechischen Orthodoxie zur anglikanischen Kirche, die manche längst verheiratete Pfaffen aus Reihen der Katholen gut integrierte und nannte sich lieber Mountbatten. Andere Fälle sind auch bekannt, Elisabeth I. etwa heiratete den sehr um sie werbenden Gatten ihrer verstorbenen Schwester der blutigen Maria auch deshalb nicht, weil Philipp II. von Spanien, der Sohn Karl V. erzkatholisch war. Sie war auch im übrigen relativ abgeneigt, sich zu verheiraten, weil dies bedeutet hätte, die Macht aufzugeben und sich ihrem Gatten unterzuordnen, was einer Königin nicht lag. Da verzichtete sie lieber auf Erben und übergab ihr Königreich an Jakob, den Sohn ihrer hingerichteten Kusine Maria Stuart und hatte es im übrigen unter Strafe gestellt in England auch nur über dieses Thema zu reden. Es war in dieser Zeit insbesondere, in der sich die Religion der Bevölkerung noch nach der des Herrschers zu richten hatte, noch durchaus üblich machtpolitisch zu wechseln oder sich zu verbünden. So unterstützte und finanzierte der konservativ katholische Kardinal Richelieu, von dem hatte ich es die Tage gerade, die Schweden im Dreißigjährigen Krieg gegen Österreich, weil der Kampf um die Macht in Europa gegen die Supermacht Habsburg nur so möglich schien. Dennoch wäre es undenkbar gewesen, dass der Vater des Auftraggebers von Richelieu, also Henry IV. als Hugenotte König von Frankreich geworden wäre.

So war ihm Paris eine Messe wert, was einer der bekanntesten der von ihm kolportierten Sprüche noch ist, obwohl der mit dem Hahn, den jeder Bauer Sonntags im Topf haben sollte eigentlich noch wichtiger ist, sein soziales Denken bezeichnete, seine Konversion zur Sekte seiner früheren Feinde in vielen Hugenottenkriegen, war für Heinrich von Navarra nur eine Formsache. Nicht umsonst erließ er bald danach das Toleranzedikt von Nantes, mit dem er seinen früheren Glaubensbrüdern die größtmögliche Freiheit zusicherte, bis sein Enkel Ludwig XIV. sie wieder verdrängte und damit Preußen zur nächsten Supermacht formte, die jenes Frankreich viel später schlug, das zuvor einige seiner Besten vertrieb.

Bis es dahin kam, hatte es etwa noch den Krieg der drei Heinriche gegeben, in dem sich der amtierende König Heinrich III., Heinrich von Navarra und Heinrich von Guise, der die Heilige Liga aufbaute, um Frankreich katholisch zu halten, um die Macht uund den rechten Glauben im Lande schlugen. Es war am Ende ein Kampf der Heiligen Liga,  die das Volk von Paris hinter sich brachte, gegen den eigenen König, Henry III., der Henry IV. als seinen Erben eingesetzt und den Guisen Herzog hatte ermorden lassen, gemeinsam mit dessen Bruder dem Kardinal von Lothringen, warum der Mob, der von der Heiligen Liga aufgehetzt wurde, den König aus Paris vertrieben und dieser mit seinem Schwager Henry Navarra schließlich wieder Paris belagerte, brachte ein fanatischer Dominikaner Mönch den um Toleranz für die Hugenotten ringenden Henry III. um. Auch Heinrich von Navarra wird 21 Jahre später von einem fanatischen Katholiken erstochen, da war er 56 und hatte seinen Glaubensbrüdern bereits 11 Jahre die Toleranz im Edikt von Nantes gesichert.

Im selben Jahr wie das Edikt von Nantes schloss Henry auch Frieden mit Spanien, die als gute Katholiken alles getan hatten, den Protestanten vom Thron Frankreichs zu verdrängen. König Philipp II. hatte den französischen Thron für sich beansprucht gehabt, nachdem Henry III. ermordet worden war, weil er mit Henrys Schwester Elisabeth aus dem Hause Valois verheiratet war und Frankreich seit 1589 von einem illegitimen Protestanten regiert wurde, auch wenn sein Schwager Henry III. diesen zum Erben eingesetzt hatte und der Erbanspruch Henrys ebenfalls aus einer Ehe mit einer Valois resultierte, wenn auch der jüngeren Schwester.

Am 2. Mai 1598 schließen Frankreich und Spanien und damit Henry IV. und Philipp II. den Frieden von Vervins und beenden damit Philipps Teilnahme am achten Hugenottenkrieg. Darin verzichtet Philipp II. für sein Reich auf sämtliche Ansprüche gegen Frankreich. Der Friedensschluß war beiderseitig von völliger militärischer und finanzieller Erschöpfung getragen. Philipp starb noch im selben Jahr, der vitale Henry zeugte noch zahlreiche Kinder quer durch Frankreich und verteilte seine Gene. Eigentlich war der Kriegsgrund schon 1793 nach Henrys endgültigem Übertritt zum Katholizismus weggefallen, der rechte Glaube war in Frankreich nicht mehr gefährdet und die Forderung nach Einführung der Inquisition auch in Frankreich genügte nicht, einen Krieg weiter zu führen, den sich eigentlich keiner mehr leisten konnte.

Dieser Friede gemeinsam mit dem im selben Jahr erlassenen Edikt von Nantes bezeugte die Konsolidierung der bis dahin unsicheren Herrschaft des vormaligen Protestanten Heinrich. Ob Paris oder der Frieden mit der fanatischen Heiligen Liga eine Messe wert war, wie Heinrich es sagte, brauchte sich nur fragen, wer König aller Franzosen sein wollte, die eben zu großen Teilen katholisch waren. Ob es Henry mehr um die Freiheit ging oder seinen Glauben, wäre der Frage wert. Die geistige Nähe zu seinem katholischen Berater Michel de Montaigne, der leider bereits 1592 verstarb, lässt vermuten, dass ihm der Humanismus näher war als der wahre Glauben und er seine mehrfachen Konversionen in seinem Leben eher pragmatisch und machtpolitisch sah. Henry begründete mit seinem Griff nach der Krone das Haus Bourbon als königlich, das dann bis zur französischen Revolution regierte und in Spanien bis heute repräsentiert. Vermutlich kam es Heinrich von Navarra, frei nach Lessing, weniger auf den wahren Glauben an, als darauf, worin sich dieser menschlich zeigt. Mit dem Toleranzedikt von Nantes hob er sehr vorausschauend auch den Alleinvertretungsanspruch einer einzigen Kirche auf, was mit der bisherigen katholischen Lehre eigentlich dogmatisch nicht zu vereinen war.

Der Anspruch auf die einzig wahre Lehre wurde relativiert, es ging um Politik als die Kunst des Machbaren und nicht um einen Heilsanspruch wie er spätestens seit den Kreuzzügen durch die Politik des gesamten Abendlandes wanderte und es dauert teilweise bis heute, diesen Unsinn abzulegen. Aus den USA kam schon im Golfkrieg, mehr noch aber im Kampf gegen Al Quaida der Kreuzzugsgedanke wieder im Umlauf, der nicht zu modernem europäischen Pragmatismus passte. Die Stärkung antiislamischer Gruppen, die das Abendland retten wollen, ist eigentlich eine Folge der stumpfsinnigen Politik der Ära Bush jr. - dass sie nun eine von Moskau finanzierte Form der psychologischen Kriegsführung gegen den amerikanischen Weltmachtanspruch ist, gibt dem ganzen eine ironische Note.

Es gab Zeiten, da musste ein König im heute laizistischen Frankreich noch die Religion wechseln, während heute zu viele Franzosen den Untergang ihrer Kultur im Schatten des Islam aus den nicht integrierten Vorstädten fürchten und sich wieder in Europa längst überholten nationalistischen Ideen zuwenden. Dies tun sie, auch wenn sie wissen könnten, dass auch Le Pens Truppe einer Moskauer Vorhut finanziell längst ist.

Gerade in Ostdeutschland, wo weniger Menschen für die Schuld des II. Weltkrieges sensibilisiert wurden, zeigt sich, wie an vielen Orten Europas, eine ähnliche Tendenz. Doch auch der Westen stand bei der letzten Wahl nicht mehr nach, den Populisten ohne Antworten Glauben zu schenken. Der Aufstieg des AfD ist kein Produkt von Merkels humanistischer Politik sondern der Dummheit ihrer Gegner wie der Unfähigkeit ihrer Regierung pragmatische Lösungen und Notwendigkeiten angemessen zu kommunizieren.

Henry wird von vielen Franzosen noch in der Erinnerung verehrt, weil er Frieden brachte, für Toleranz stand, das Leben zu lieben und zu genießen wusste. Er hat Jahre für seinen Glauben gelitten und gekämpft und dann doch den anderen angenommen, um als König mit pragmatischen Lösungen seine Glaubensbrüder noch besser schützen zu können, weil es weniger darauf ankommt, welche Religion die Wahre ist, es keine Wahrheit mehr geben kann, nach den Prinzipien der Toleranz, wenn wir sie zu Ende denken, sondern alle Recht haben und nur noch zählt, wie wir mit dem was ist, am glücklichsten werden. Vielleicht sollten wir unsere Politiker mehr danach beurteilen, was sie für ein friedliches Nebeneinander und ein gutes Leben tun, nach dem wir doch irgendwie alle streben, statt dem einzig wahren fanatischen Ideal zu folgen. Dann erledigt sich die 3. Kohorte Moskaus in Europa auch bald - zufriedene Menschen brauchen keinen Populismus und keine Fanatiker.

Das Prinzip religiöser Toleranz und weltanschaulicher Neutralität ist es, das Europa heute stark macht. Die rückständigen, islamisch geprägten Länder schauen neidvoll nach Europa und Amerika, auch wenn sie den Neid teils in Hass kleiden, als Antwort auf Jahrhunderte der Unterdrückung. Schauen wir uns an, wo  Menschen glücklich und frei leben, von wo sie dagegen fliehen, stellt sich die Frage, worum es im Leben geht. Die Wahrheit im Glauben oder den Pragmatismus mit möglichst vielen unter den besten Bedingungen zu leben, damit es einem selbst möglichst gut geht.

Warum sollte ein Mensch danach streben, ein Leben zu leben, mit dem es ihm selber schlechter geht, statt den bestmöglichen Weg zu suchen?

Der epikureische Gedanke, das Streben nach Glück hat auch die amerikanische Verfassung geprägt, als sie noch die freiste der Welt war. Vielleicht sollten wir sie dabei wieder mehr an ihren Pragmatismus erinnern, damit es möglichst vielen so gut wie möglich gehen kann.

Die islamischen Regionen der Welt werden kaum den Weg zum Glück finden, den wir ihnen aufdrängen im Sinne einer kommerziellen Strategie der wahren Lehre, entweder sie entdecken selbst, dass es Unsinn ist, sich für einen Aberglauben in die Luft zu sprengen, es das Leben nicht schöner macht, für den Glauben an ein erfundenes Paradies zu sterben, oder sie sprengen sich noch einige hundert Jahre gegenseitig in die Luft, bis keiner mehr übrig ist, der glaubt, sich umbringen sei das bessere Leben. Wer solche fanatischen Überzeugungen teilt, sollte gemeinsam mit Menschen leben dürfen, die seinen Glauben teilen. In Europa haben diese Menschen nichts verloren, außer sie entscheiden sich für unseren Pragmatismus und teilen unser Glücksstreben, egal  welchem Aberglauben sie gerade anhängen. Darum ist es gut momentan für pragmatische Lösungen offen zu sein, Härte gegen Fanatiker und Offenheit gegenüber den Übrigen.

Weil es auf Fanatismus hier wie dort keine einfachen Antworten gibt, immer Spinner bleiben, die allen Frieden stören wollen, vermutlich sind AfD, Front National und Pegida, was die Heilige Liga damals war, geht es nicht um den wahren Weg. Sehr einfühlsam auch schon von Heinrich Mann beschrieben in seinem Henry IV in dem er die Guisen, ohne es sagen zu müssen, Terroristen nennt. Wer nur in Frieden leben und dieses Leben genießen will, sollte sich auch um pragmatische und friedliche Lösungen bemühen, da alles weitere müßig ist. Wer den Stolz der Russen und Araber nicht berücksichtigt, trägt ebensowenig zu einer Lösung bei, wie es jene tun, die sich ins Glück bomben wollen und ist so fern vom Ziel eines glücklichen Lebens wie alle, die sich mit Gewalt durchsetzen wollen. Wem nun fraglich scheint auf welches richtige politische Pferd er setzen soll, könnte näher am Ziel sein, insofern keiner, der etwas verspricht, den goldenen Weg hat, sondern es um größtmöglichen Pragmatismus geht, mit dem es den Beteiligten, am besten geht. Es ist egal, ob Henry sein Haupt gen Rom oder Mekka verneigt, oder innerlich darüber lacht, wie ernst manche den verrückten Rabbi aus Nazareth nehmen, solange er auf dem Weg, den er geht, das bestmögliche für alle erreicht, wird es der Richtige sein, wer erst etwas für ein erdachtes Jenseits verspricht, ist hier egal und sollte keine weitere Berücksichtigung bei der Lösung gesellschaftlicher Fragen finden.
jens tuengerthal 2.5.2016

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