Sonntag, 8. Mai 2016

Kulturgeschichten 0216

Kapitulationsglück

Ist eine Niederlage ein Glück, wenn sie ein größeres Unglück beseitigt?

Wann wird der Untergang zur Befreiung?

Wie unterscheiden sich Niederlage und Befreiung für die Betroffenen?

Welche Gebiete Deutschlands wurden befreit, welche besetzt?

War, was daraus wurde, ein Glück und ein Fortschritt oder nur eine Niederlage?

Am 8.  Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Ratifizierung der bedingungslosen Kapitulation in im russischen Hauptquartier Berlin Karlshorst. Dort unterzeichnete sie für die Reichswehr Generalfeldmarschall Keitel, der seit 1938 Chef des Oberkommandos der Wehrmacht war und zu den Hauptbeschuldigten der Nürnberger Prozesse gehörte, dort zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Er hatte in der Reichswehr den Zugriff der SS auf die Bevölkerung in den besetzten Gebieten und die Brutalität des Vorgehens immer wieder gerechtfertigt.

Der Tag ist zugleich derjenige der Befreiung vom Nationalsozialismus. In dem damaligen sowjetischen Hauptquartier, in dem die endgültige und bedingungslose Kapitulation stattfand,  ist seit 1967 Deutsch-Russisches Museum in der DDR gewesen. Die Bundesrepublik  hat dieses nach dem Beitritt übernommen. Bereits einen Tag zuvor war in Reims,  dem Hauptquartier von General Eisenhower, dem Oberkommandeur der alliierten Truppen an der Westfront, am 7. Mai die bedingungslose Kapitulation von Generaloberst Jodl unterzeichnet worden. Dabei war vereinbart worden, spätestens 45 Stunden danach, die Ratifizierung der Kapitulation durch das Oberkommando der Wehrmacht sowie die Oberbefehlshaber von Heer, Luftwaffe und Marine zu gewährleisten. Dies sollte in Anwesenheit des Oberkommandierenden der Roten Armee Marschall Schukow und des Vertreters von General Eisenhower, Tedder, geschehen.

Daraufhin war das Feuer endgültig einzustellen. Die Zusammenkunft verzögerte sich etwas, so dass die Unterschriften erst kurz vor Mitternacht geleistet wurden, da war es durch die Zeitverschiebung in Moskau bereits der 9. Mai an dem seitdem dort dem Tag des Sieges gedacht wird, da das sowjetische Imperium und seine Satelliten eben um Moskau kreisten. Als Basis für die nun zu schaffende Ordnung galt die einen Monat später, am 5 Juni 1945 unterzeichnete Berliner Erklärung. Mit ihr übernahmen die Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte kraft Besatzungsrecht die oberste Regierungsgewalt im Deutschen Reich. Dies betraf sowohl die Entscheidungen der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht, wie der Regierungen und Verwaltungen der Länder, Städte und Gemeinden. Zur Ausübung der Regierungsgewalt bildeten sie gemeinsam den Alliierten Krontrollrat. Die Berliner Deklaration zur Übernahme der Hoheitsgewalt unterschrieben Dwight D. Eisenhower,  Georgi Schukow, Bernard Montgomery und Jean de Lattre de Tassigny.

Die Kapitulation und die Berliner Erklärung zusammen bilden die Grundlage für den Viermächte-Status, nach dem die Alliierten bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 für Deutschland als Ganzes verantwortlich blieben. Die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches stammt noch aus der Zeit der Konferenz von Casablanca im Jahre 1943. Genau ein Jahr nachdem der gleichnamige Film gedreht wurde, der den aktuellen Kampf illlustrierte und in eine Liebesgeschichte einband mit Humphrey Bogart, Ingrid Bergmann und anderen, aber das wäre schon wieder eine ganz andere Geschichte, auch wenn die politische Wirkung und Inszenierung von Filmen in Kriegszeiten ein wichtiges Thema ist. Östlicher gab es dafür den Panzerkreuzer Potemkin von Sergei Eisenstein, getrennte Welten eben, wenn letzterer auch rund 13 Jahre früher in Deutschland auf den Markt kam.

Die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation, die alle Waffenstillstandsverhandlungen und Teilkapitulationen ausschloss, bewies der misstrauischen Sowjetunion unter Diktator Stalin, dass die westlichen Alliierten an ihrer Seite blieben und den Krieg unter allen Umständen bis zu Ende führen wollten. Dies war wichtig, weil immer mehr ein Auseinanderbrechen der divergenten Koalition zwischen liberal freiheitlichen Staaten und der totalitär sozialistischen Diktatur in der UDSSR befürchtet wurde, es gab zu wenig Gemeinsamkeiten, wie sich an der späteren 2-Staaten-Lösung für Deutschland während des Kalten Krieges zeigte, von der sich das Land innerlich immer noch nicht ganz erholt hat. Es leben eben Menschen mit zwei verschiedenen Biografien plötzlich zusammen, was im Alltag manchmal schwiergier wird als gedacht.

Auf diesem Wege musste Deutschland oder das Deutsche Reich nicht als Ganzes abgeschafft oder annektiert werden, sondern wurde in gemeinsamer Verantwortung übernommen, ohne sich dessen finanzielle oder rechtlichen Verpflichtungen anzueignen. Es ging darum eine eventuelle Haftung auszuschließen, aber die lenkende Verantwortung für das bestehende Rechtssubjekt zu übernehmen.

Am 7. Mai 1945 um 12.45h hatte übrigens bereits Lutz von Schwerin-Krosigk über den Reichssender Flensburg zum ersten mal von deutscher Seite das Ende des Zweiten Weltkrieges verkündet. Am 8. Mai  1945 um 23.01h trat die bedingungslose Kapitulation dann für alle Fronten in Europa in Kraft. Der Weltkrieg war damit beendet. So gesehen ein Festtag für Europa nach fünf Jahren des Terrors.

Es gab danach nur noch einzelne Gefechte verstreuter Truppenteile, die entweder nicht von der bedingungslosen Kapitulation unterrichtet waren oder dem zum Trotz noch versuchten Teile der Bevölkerung vor der Roten Armee gen Westen in Sicherheit zu bringen, um nicht  in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu kommen, aus der nur wenige lebend zurückkehrten, wie mein Großvater, der nahezu ein Jahrzehnt am Bergwerksstandort wohl nur überlebte, weil er als Zahnarzt dort tätig sein durfte.

Eine Kapitulation Deutschlands oder des Deutschen Reiches hat nach ganz herrschender Meinung in der Rechtswissenschaft nicht stattgefunden. Die Regelungen waren ein Kriegsvertrag und eine völkerrechtliche Vereinbarung rein militärischen Inhalts. Ob das Deutsche Reich damit aufhörte zu existieren oder die BRD, die sich gelegentlich darauf berief, Rechtsnachfolger wurde, ist lange gestritten worden und ganz eindeutig ist da nie, etwas geregelt oder geklärt worden.

Völkerrechtlich war die Kapitulation rein militärisch und auch die spätere Berliner Deklaration war eine Erklärung des  militärischen Kommandos, kein politischer Akt, auch wenn er Auswirkungen auf die politische Lage hatte. Der fand nur mit der Auflösung Preußens, der Abtrennung Österreichs und der Gebiete östlich von Oder und Neiße statt. Diese sind auch völkerrechtlich völlig korrekt im 2+4 Vertrag zur sogenannten Deutschen Wiedervereinigung, die rechtlich nur ein Beitritt der sich damit auflösenden DDR war, geregelt worden. Insoweit sind nach Abschluss dieser Verträge und deren Vollzug mit der Auflösung des Alliiertenstatus über Deutschland und der Entlassung in die völkerrechtliche Autonomie, rechtlich keine Fragen mehr offen. Die BRD ist ein selbständiges Subjekt des Völkerrechts und teilweise in die Rechtsnachfolge der Verpflichtungen des Deutschen Reiches eingetreten, hat sich der auch finanziellen Verantwortung gestellt. Auch für das Beitrittgebiet von 1990 gilt das gleiche.

Zu dem Streit über den Fortbestand des Reiches gibt es verschiedene Theorien. Insofern die ganz herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft wie die Bundesrepublik mit ihren Organen davon ausgehen, dass die BRD Rechtsnachfolger wurde, ist es faktisch so. Dies lässt sich jedoch juristisch weder beweisen noch widerlegen, es könnte darüber gestritten werden, was jedoch müßig ist, insofern die BRD sich als Staat damit ihrer Verantwortung stellte und alles andere nur noch Verschwörungstheoretiker interessiert. Deren Theorien vom Nichtbestand der BRD und ähnlicher Unsinn führen sich selbst ad absurdum und haben sich spätestens mit dem 2+4 Vertrag für alle Zeiten faktisch erledigt. Die Argumentation ist rechtlich in sich unschlüssig, verkennt die völkerrechtliche Realität und muss daher nicht weiter verfolgt werden, gegen Dummheit hilft nur Aufklärung.

Aber jenseits der geistigen Beschränkung der Reichsbürger und ihrer Anhänger wie des zu großen Teilen rechtsradikalen Umfelds sind diese Fragen für die meisten Menschen völlig irrelevant. Sie nehmen die bedingungslose Kapitulation der Militärs als die des Landes im diktatorischen Militärstaat, der vollständig auf den Krieg ausgerichtet war. Völkerrechtlich erhielt die BRD mit dem 2+4 Vertrag ihre volle Souveränität, mehr gibt es dazu nicht zu sagen, als sich zu fragen, was wohl die planen, die sich an das Reich klammern, das aus guten Gründen unterging und für das die BRD die Verantwortung übernahm.

Sofern der Staat, in dem ich lebe und seine Organe, sich dafür verantwortlich erklären, die Gerichte es durch alle Instanzen bestätigen, die Verwaltung entsprechend arbeitet, ist es völlig egal, wenn eine kleine Gruppe meint, die Dinge anders sehen zu wollen, auch wenn wir nicht wissen, wer am Ende Recht hätte, weil es strittig bleibt und nie zu klären ist, genügt es, zu wissen, wie die Dinge sind und behandelt werden und was der rechtlichen Verantwortung eines Staates entsprechend gebührt. Sorge sich, wer sich unbedingt sorgen will, lieber, um das gute Ansehen eines Staates, in dem wieder Menschen verfolgt werden, statt darum, ob der Totenschein für den Vorgänger die rechte Form hat, es täte Deutschland und den Menschen hier vermutlich besser und zeigte, wie gut die Gründe der bedingungslosen Kapitulation und des vorigen Bombenterrors verstanden wurden.
jens tuengerthal 8.5.2016

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