Revolutionsgeist
Deutsche sind höchstens bis zur Mittagspause revolutionär, nie jedoch länger als bis zum Jahresurlaub dabei, außer es ist ein Revolutions-Camp mit Outdoor-Expirience, für das Erfahrung als nur deutsche Beschreibung nicht mehr genügt. Auch die Märzrevolution von 1848 schlief über den Sommer wieder ein und der Leipziger Versuch der Reanimation des revolutionären deutschen Geistes zeugte, davon, dass dieser auch unter russischer Führung nicht länger hielt als drei Tage - ob es dann die Nähe zu Frankreich war, die in Baden das Revolutionstheater noch einen Akt länger auf der Feste Rastatt aufführen ließ oder schlicht deren bessere Lage, könnte wohl gestritten werden, hätte einer der beiden Aufstände irgendetwas gebracht als noch mehr Repression unter Preußens Führung.
Bis 1918 dauerte es, dass sich die deutschen nach vier Jahren Krieg, völlig ausgebrannt zur Revolution erhoben, die von den Matrosen initiiert, sich bald wieder in eine neue Ordnung verflüchtigte. Nur die Bayern waren noch etwas allerdings ebenso wirkungslos aufständisch, es hat sich also in den nächsten bald hundert Jahren eigentlich nichts geändert. Der 9. November 1918 ist aus vielen Gründen kein guter Gedenktag im Land, um den Mut zu feiern, sich zur Republik zu machen, die Freiheit vom Adel zu nehmen. So übergehen wir ihn, auch wenn die einzige Revolution, die wirksam blieb 1989 dort auch ein wichtiges Gedenken hätte, als sich die Deutschland teilende Mauer öffnete. Aber auch nur über diesen Tag nachzudenken, die Revolution im Osten zu ehren, an dem von oben herab die Grenzöffnung aus Versehen eher diktiert wurde, zeigt die Wurzeln des revolutionären Geistes in Deutschland.
Mit Revolution und ihrem Gedenken haben es die Deutschen nicht so. Die revolutionären Mai-Garden in Berlin, die weitgehend harmlos wurden, werden von der Bevölkerung mehrheitlich als Schwachköpfe bezeichnet und Gewalttäter, weil Revolution Unordnung bringt und das will keiner in Deutschland verantworten, wo es uns doch so gut geht. Rechtsradikale Revolutionäre nennen ihrem Aufbruch lieber Spaziergang, auch wenn es um nichts als rassistische Propaganda geht und ihre Normalisierung, eine Revolution von Rechts, finanziert durch Russland. Doch haben die Strategen der rechten Gegner der Demokratie inzwischen bemerkt, wo sie als besorgte Bürger auftauchen, die nur ihre Heimat verteidigen, finden sie Zuspruch und Zustimmung, als Revolutionäre werden sie Staatsfeinde.
Die geschickt gestreute Befürchtung, Flüchtlinge könnten die deutsche Ordnung durcheinanderbringen, nicht nur kosten sondern vielleicht sogar im gleichen Haus arabisch kochen, haben genügt, den Unwillen von fast ⅓ der latent fremdenfeindlichen deutschen Bevölkerung zu wecken. Zumindest da ähneln wir den französischen Nachbarn, bei denen die Rechten ähnlich stark sind, breite ungebildete Schichten das Abendland gegen den Islam verteidigen wollen, von dem sie nicht mal wissen, was es einmal war.
Doch gleichen wir uns wirklich?
In Frankreich bricht die Wut kurz aus, wenn die Suppe überkocht, zuvor lange genug gegärt hat, dann gibt es Aufstände und einige brennende Autos oder Barrikaden und dann geht es den gewohnten Gang und die Bevölkerung verehrt die mutigen Revolutionäre, sein sie nun Bauern, die für eher feudale Privilegien der Alimentierung kämpfen, die eigentlich asozial sind, kritisch betrachtet, oder die Schaffner, die ihre bevorzugte Stellung verteidigen im unterfinanzierten aber relativ stabilen Sozialstaat, mit dem sich alle abgefunden haben inzwischen.
Seltener bricht die Wut bei den wirklich Benachteiligten aus, die in den Banlieues leben, keine Chance haben, nichts zu verlieren hätten und doch mit dem wenigen, dass sie haben relativ achtsam sind, wenn sie sich nicht als fanatische Religiöse gleich selbst in die Luft sprengen, was aber mehr Belgier taten als Franzosen und gemessen an der Zahl derer dort eine zu kleine Menge ist, sie statistisch überhaupt als wirksam berücksichtigen zu können. Ihnen fehlt aber scheinbar der revolutionäre Geist, den die Franzosen als edel betrachten, weil er Teil ihrer Geschichte ist, die sie mit Stolz betrachten und die am 5. Mai 1789 mit der Einberufung der Generalstände durch Ludwig XVI. ihren Anfang nahm, da der König Geld brauchte und daraus entwickelte sich schließlich jener Sturm auf die Bastille, den alle Franzosen kennen und Stolz Teil ihrer Geschichte nennen.
Bis dahin waren sie ein absolutistischer Einheitsstaat geworden nachdem ein Hugenotte, der katholisch wurde auf dem Thron, ich meine Henry IV., aber das wissen die geneigten Leserinnen vermutlich längst, den Aufstand der Hugenotten im Südwesten vor allem befriedet hatte, bis sie sein Enkel wiederum vertrieb, um keine Zweifel an seiner absoluten Gott gewollten Macht zuzulassen.
Vielleicht - das als kleiner Exkurs zwischendurch, weil der Gedanke gerade so nahe liegt - war die Begründung als gottgewollt genau das Problem. Es hatte die Abhängigkeit von der Institution geschaffen, die mit diesem erdachten höheren Wesen offiziell kommunizierte und so stritten sich alle freien Geister mit dieser autoritären Dogmenverwaltung in Rom. Die Merowinger noch hatten darauf verzichtet und ihre Herrschaft aus dem Geblütsrecht abgeleitet, die kein höheres Wesen brauchte, auch wenn sie nach ihrer Familiensaga von Maria Magdalena irgendwie abstammten und damit eigentlich doch eine göttliche Legitimatiion irgendwie hatte, wurde diese erst später erdachte Sage auch nur als Ausschmückung und Verzierung betrachtet, sie war nicht der Grund der Herrschaft, womit auch die Kirche sie nicht segnen musste, um legitim zu sein.
Das führte erst der erste Karolinger Pippin der Jüngere ein, der begründen wollte, warum seine Herrschaft legitim war und er den Merowingern ihre wegnehmen durfte. Dazu ließ er sich vom Papst segnen und nach sakralem, israelischen Vorbild zum König salben. Seit dieser Salbung enthalten alle fränkischen Königsurkunden die Formel dei gratia - von Gottes Gnade. Die Idee vom Gottesgnadentum hatte Augustinus von Hippo in seinem Gottesstaat mit dem gerechten König schon angelegt. Karl der Große führte diese durch seinen Vater leichtsinnig nach Rom verlagerte Begründung seiner Herrschaft fort und erweiterte dies mit der Erlangung der Kaiserwürde sogar noch. Der große Otto ließ die dei gratia Formel dann 936 ins Königssiegel einfügen. Auch der Krönungseid der deutschen Könige beginnt mir der Formel, “Wir durch Gunst der göttlichen Gnade König der Römer …” - diese christliche Begründung der Herrschaft findet im Neuen Testament ihre Begründung, dort schreibt Paulus im Brief an die Römer, Röm 13, 1-7, dass jede staatliche Gewalt von Gott verliehen sei und Widerstand gegen diese Gewalt, Widerstand gegen Gott sei.
Aus dem Gottesgnadentum resultierten auch die stärksten Konflikte zwischen den römischen Sektenbeauftragten genannt Papst und den salischen und staufischen Kaisern. Heinrich IV. der einst nach Canossa kroch, um wieder in Gnade in den Schoss der Kirche aufgenommen zu werden, konnte davon ebenso ein Lied singen wie der Staufer Friedrich II., der nicht nur seiner kritischen Intelligenz wegen stupor mundi, das Staunen der Welt, genannt wurde. Es ging immer darum, ob der Kaiser einen eigenen Herrschaftsanspruch hatte oder dieser immer nur ein vom Papst abgeleiteter war, sich die Gottesgnade nur aus der Segnung durch den Papst ergab und dieser seinen Segen auch nach Belieben entziehen konnte, wenn es nicht so lief, wie er es sich vorstellte. Was Friedrich II. erfahren durfte, als er gerade zur Versöhnung zum Kreuzzug für den Papst aufbrechen wollte, der ihn wegen jahrelanger Verzögerung dieses Versprechens längst mal wieder aus der Sekte geworfen hatte, dieser ihm keine Gnade und er ironischerweise exkommuniziert den einzig erfolgreichen Kreuzzug durch Verhandlungen zum Ziel führte und so, als aus der Kirche ausgestoßener, zum König von Jerusalem gekürt wurde. Sie einigten sich dann später doch noch, um sich gleich mit den Erben wieder über Sizilien zu überwerfen, aber das wäre eine andere Geschichte. Spannend nur, dass der erfolgreichste Beweis des Gottesgnadentums, der Kreuzzug gen Jerusalem, nur ein einziges mal alle Ziele erreichte, als der zuständige König vorher aus der Kirche geworfen worden war, also eigentlich ohne Gottes Gnade unterwegs war.
Mit dem Gottesgnadentum blieb es in Frankreich so bis zur Revolution und im Heiligen Römischen Reich, das Deutschland zu großen Teilen war, waren die Kaiser auch stets von Gottes Gnaden, woran auch die Reformation nichts änderte. Luther, einmal nach dem Reichstag zu Worms für vorgelfrei erklärt, von seinem Kurfürst durch Entführung gerettet und auf der Wartburg versteckt, kannte keine Solidarität mit den aufständischen Bauern, die meist Protestanten waren, im Gegenteil, er begründete sogar jede Gewalt mit dem obigen Römerbrief.
Am 5. Mai 1525 distanzierte sich Martin Luther in seiner Schrift “Wider die Mordischen und Reuberischen Rotten der Bawren” ausdrücklich von deren Gewaltanwendung nach Weinsberger Bluttat. Wörtlich heißt es: „man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“.
Schon vorher hatte die Fürsten, bei denen Luthers Wort etwas galt, ihre Aktivitäten verstärkt. Zum Zeitpunkt der Publikation des Werkes war die Niederlage der Bauern bereits absehbar, er weckte schlafende Hunde und bestärkte nur den längst eingeschlagenen Weg, zeigte sich als Adelsbüttel ohne jede Solidarität.
Die Weinsberger Bluttat war die Tötung der Grafen Ludwig von Helfenstein und seiner Begleiter vor den Toren der Stadt Weinsberg durch Bauern im Deutschen Bauernkrieg am 16. April 1525, einem Ostersonntag.
Während in Paris 1789 der Dritte Stand in den am 5. Mai 1789 einberufenen Generalstände mit dem Grafen Mirabeau einen Sprecher aus den Reihen des Adels, auch wenn dieser von seinem Vater schon lange verfolgt wurde und wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt worden war, zählte er doch nicht zum Dritten Stand wurde aber mit dessen Stimmen zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt, die sich am 17. Juni aus den Generalständen heraus gründete, stellte sich in Deutschland 260 Jahre früher sogar der Reformator Luther gegen die aufständischen Bauern auf Seiten des Adels.
Die französische Nationalversammlung hatte das Ziel eine Verfassung für Frankreich zu erlassen und aus Geldnot, die auch zur Einberufung der Generalstände geführt hatte, musste Ludwig XVI. dem zustimmen, was dann im weiteren zur Revolution und dem Sturm auf die Bastille führte, mit der das alte Regime in Frankreich beseitigt wurde, was die Franzosen noch immer mit Stolz feiern als Gründungstag ihrer Republik, die sie selbst erkämpften, während Deutschland dem Reformator gedenkt, der sich sofort auf die Seiten des Adels schlug, auch wenn die Weinsberger Vorgänge sogar unter den Bauern umstritten waren.
Ob dies den Geist beider Völker prägte, wäre wohl der Frage wert, zumindest erklärt es den unterschiedlichen Umgang mit Aufständen, Demonstranten und Streiks. Frankreich feiert sie als Helden des Wiederstandes während in Deutschland eher hinterfragt wird, warum sie nicht ordentlich arbeiten und sich anmaßen, die Ruhe zu stören.
Der Westen bekam die Freiheit nach dem Krieg von den Alliierten oktruiert, beaufsichtigt eingeführt, bis genug Selbständigkeit zugetraut wurde. Der Osten musste sie sich 1989 erkämpfen und bekam dann die Verfassung des diktierten Grundgesetzes. Dies ist die freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte, aber sie wurde nie erkämpft, um sie hat das Volk nicht gerungen, zumindest nicht gefühlt. Sie hat sie nach dem erlittenen Krieg, den sie selbst verursachten unter dem Führer, den sie wählten, geschenkt bekommen. Das ist eine grundsätzlich andere Haltung zur Freiheit als beim Nachbarn im Westen, der sich einst die Freiheit erstritt und auch im II. Weltkrieg sich gegen das Hitlerregime, mit dem auch manche kollaborierten, wieder gefühlt erkämpft, während es in Deutschland Jahrzehnte dauerte dem Widerstand gegen Hitler hier Anerkennung zu geben.
Vielleicht sind die Auswüchse von Pegida und die naiven Wähler des AfD darum kritischer zu sehen, als die entsprechenden Bewegungen in anderen europäischen Ländern, weil die Deutschen sich nie ihre Freiheit erkämpften, wenn sie jetzt, wie in Dresden und Leipzig auf die Straße gehen, tun sie das aus Sorge um ihren Wohlstand und ihre Ruhe, was auch das populistische Wahlprogramm des AfD gut wiederspiegelt. Es geht nicht um Perspektiven und die Zukunft, werden keine Lösungen gesucht, sondern es wird polarisiert und Angst verbreitet. Das macht der Front National in Frankreich ähnlich und auch die FPÖ spielt auf dem gleichen Instrument, doch darauf achten, dass Deutschland einen Reformator ehrt, der dazu aufrief, die Bauern wie tollwütige Hunde zu behandeln und umzubringen, weil sie ihre Rechte einforderten und mit dem Adel, der Gott gewollt für Luther war, umging, wie dieser schon lange ohne Aufschrei mit dem Volk, könnte helfen ein Bewusstsein für die Strukturen der Macht im Land zu bekommen und den Umgang des Volkes mit ihr.
Deutschland fürchtet sich mehr um seine Sicherheit und Ruhe als um seine Freiheit und hat in der Geschichte noch nicht bewiesen, dass es selbst für die Freiheit aufsteht. Ob es bei der Wiedervereinigung mehr um Bananen oder den Geist der Freiheit ging, fragte sich mancher schon. Im Gegenteil, eine Volksbewegung rechter Rassisten hatte lange Zeit viel Zulauf, weil sie mit der Angst spielte, der Deutschen Angst zu kurz zu kommen oder nicht genug zu haben. Darauf mehr zu achten, um die Freiheit wieder zu einem Wert im Land zu machen, ist wichtiger als alle Verträge mit der fragwürdigen Türkei. Ob es dies Land dabei schafft auf dem schmalen Grat zwischen Oberlehrer und Vorbild die richtige Seite zu wählen, scheint aus vielen Gründen fraglich, bleiben wir achtsam, es ist nötig und Luther, der auch ein übler Antisemit war, ist kein Vorbild für das heutige Deutschland. Die Reformation brachte im Ergebnis nur Glaubensfreiheit für einige, das große Potential der Freiheit, das in ihr lag, hat sie bis heute im Bewusstsein vieler Deutscher nicht entfaltet und so gesehen ist dies Land weit entfernt davon aufgeklärt zu sein, wie Kant es definierte, es gibt viel zu tun in deutschen Landen.
jens tuengerthal 5.5.2016
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