Glaubensutopien
"Es ist ausgeschlossen, dass alle Verhältnisse gut sind, solange nicht alle Menschen gut sind, worauf wir ja wohl noch eine hübsche Reihe von Jahren werden warten müssen."
Dies und die folgenden aus Thomas Morus, Utopia
"Setzt Schranken gegen die Aufkäufe der reichen Besitzer und gegen die Freiheit gleichsam ihres Monopols!"
Wo findet sich mehr Gezänk als unter den Bettlern?"
"Gerade den besten Gesetzen der Vorfahren geben wir leichten Herzens den Abschied."
"Und gewiß ist es ganz natürlich, daß einem jeden seine eigenen Einfälle zusagen. So findet der Rabe ebenso wie der Affe am eigenen Jungen seinen Gefallen."
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, sagte einst der jüngst verstorbene große Sozialdemokrat Helmut Schmidt, was verständlich macht, warum er den meisten in seiner Partei trotz nachträglichem Lob immer fremd blieb, denn wer keine Visionen von einer besseren Gesellschaft hat, wird vermutlich kein Sozialdemokrat und was ist die Idee der Sozialdemokratie anderes als eine Vision, die Totgeburt Sozialismus mal hier beschwiegen, die kaum einer noch ernsthaft erstrebt - war der Sozialismus eine Utopie oder eine Vision?
Die Unterscheidung verwischt sich im Alltag eher, teilweise werden sie parallel gebraucht, wobei die Utopie eine bewusst fiktive Gesellschaftsordnung ist, während die Vision auch auf konkrete Ziele gerichtet sein kann, die realisiert werden sollen. Utopie kommt vom griechischen outopos, was nicht oder kein Ort heißt, während die Vision auch religiös oder nur konkret sozial sein kann. Der Sozialismus war, schauen wir uns die gewesenen Versuche der Realisierung an, immer nur eine Utopie, nicht wirklich realisierbar, auch wenn es kleine Gegenbeispiele gibt, wie etwa Klöster, Kibuzze und ähnliche Gemeinschaften, die auf Eigentum keinen Wert legen, was aber immer nur ein Teilbereich des vom Marxismus geprägten Weltbildes in seiner materialistischen Beschränkung war. Lange wichtig, aber inzwischen eher so erledigt, dass es wichtiger wäre, darüber nachzudenken, was alternativ realisierbar wäre und dabei menschlich ist, was dem Sozialismus in seinen staatlichen Varianten real eher nie gelang, auch wenn es an den Umständen lag.
Der erste, der eine Utopie als Gesellschaftsentwurf aufstellte, war Thomas Morus, der zwischendurch Lordkanzler von England, den es den Kopf kostete, dass er unter Heinrich VIII. seinem katholischen Glauben treu blieb, was ihn zwar später zum Heiligen und Märtyrer machte, ihm im Leben aber auch nicht mehr brachte, als die Hochachtung danach, für das ungewollt so verkürzte.
Am 16. Mai 1532 trat Thomas Morus vom Amt des Lordkanzlers zurück, um weiteren Konflikten mit Heinrich VIII. aus dem Weg zu gehen.
Geboren wurde er noch als Thomas More, Sohn des Anwalts und Richtes John More und seiner Frau Agnes. Thomas besuchte zunächst die Lateinschule und leistete ab seinem 12. Lebensjahr Pagendienste am Hof des Lordkanzlers und Erzbischofs John Morton von Canterbury, der ihn für zwei Jahre mit einem Stipendium nach Oxford schickte, damit er Latein und Griechisch dort studiere. Diese hohe Gelehrsamkeit war angesichts der sich im Norden erst langsam durchsetzenden Renaissance noch umstritten und wurde von Thomas Vater nicht gerne gesehen. Ab 1496 besuchte der da 17jährige Thomas die Rechtsschule Lincoln’s Inn, schloss sie 1501 mit dem Examen ab und begann Verse zu schreiben und zu lehren, woran sich wieder zeigt, die besten Juristen sind Dichter, wenn auch nicht alle guten Dichter solche waren, ist die Häufung doch erstaunlich.
Als erfolgreicher Rechtsanwalt und Unterhändler wurde er ab 1504 Parlamentsmitglied. Erstes Aufsehen erregte er mit seinem Widerspruch gegen die Steuererhöhung König Heinrichs VIII. - er überlegte, bevor er selbst heiratete, Mönch zu werden und lebte lange als Laie in der Londoner Kartäuserkomunität. Doch dann verheiratete John sich sogar zweimal, seine erste Frau starb nach sechs Jahren und ließ ihn mit drei Töchtern und einem Sohn alleine und die zweite brachte noch eine Tochter in die Ehe mit, bekam dann aber keine eigenen mehr. Seine zweite Frau stammte aus der Familie Middleton.
Ab 1510 wurde Morus für acht Jahre einer der beiden Unterscherriffs von London und lehrte am Lincoln’s Inn Recht. So wurde Heinrich VIII. auf ihn aufmerksam und schickte ihn auf diplomatische Missionen. Während die Karriere in königlichen Diensten begann schrieb er 1516 sein erstes und berühmtestes Buch Utopia. Ein Jahr darauf trat er ganz in den Dienst des Königs, wo er 1521 während der Londoner Mai Unruhen vermitteln durfte und im selben Jahr auch darum zum Ritter geschlagen und Parlamentssprecher wurde.
Als Gegner Luthers half er Heinrich eine Arbeit über diesen zu schreiben, die dem König noch den päpstlichen Titel Verteidiger des Glaubens einbrachte. Seine eigenen Schriften zum Thema wurden europaweit gelesen. Der Katholik Morus engagierte sich dabei sehr für die Bildung der Frauen und ließ seinen Töchtern die gleiche Ausbildung zukommen wie seinem Sohn. So galt seine älteste Tochter Margaret Roper als eine der gebildetsten Frauen ihrer Zeit überhaupt, korrespondierte auch mit Erasmus von Rotterdam und ihr späterer Ehemann wurde der erste und wichtigste Biograf des Vaters.
Für sein großzügiges Denken war er längst berühmt, so ernährte er während einer Hungersnot hunderte von Menschen aus eigener Tasche und entließ trotz mangelnder Arbeit keinen seiner Landarbeiter.
Als sich Heinrich VIII. schließlich von Katharina von Aragon scheiden lassen wollte, mit der er nur eine Tochter hatte, die spätere Bloody Mary und Vorgängerin der großen Elisabeth, der Papst dies aber nicht genehmigen wollte, musste der damalige Lordkanzler Thomas Wolsey, der Erzbischof von York war, zurücktreten. An seiner Stelle wurde nun Thomas Morus berufen. Dieser war jedoch nach seiner Kenntnis im Kirchenrecht davon überzeugt, dass über eine Anulierung nur der Papst entscheiden konnte, eine Scheidung war nicht vorgesehen.
Papst Clemens VII. als Renaissancepapst hätte dem sicher zugestimmt, gegen Zahlung von genug moralischem Ablass, jedoch war dieser seit dem Sacco di Roma wiederum in der Hand von Karl V, der selbst ein Neffe Katharinas war, König von Spanien und damit Nachfolger der Familie derer von Kastilien und Aragon und der wollte der Scheidung nicht zustimmen aus machttaktischen Gründen.
Nach der Ablehnung durch den Papst reichte es Heinrich, der endlich Anne Boleyn heiraten wollte, die Mutter von Elisabeth I., die ihn bis zur Hochzeit gerüchteweise nicht ranließ, auch wenn er sie später wieder aus wilden Gründen hinrichten ließ - er machte sich selbst zum Oberhaupt der Englischen Kirche und den Geistlichen wurde vorgeschrieben den sogenannten Suprematseid auf den König zu leisten und diesen damit als weltliches und geistliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche anzuerkennen.
Morus brauchte diesen Eid als Laie eigentlich nicht leisten, legte aber dennoch bald darauf sein Amt als Kanzler lieber nieder, statt einer aus katholischer Sicht sündigen Regierung weiter zu dienen. Einige Jahre später jedoch wurde er noch einmal aufgefordert auf eine verschärfte Variante dann den Eid zu leisten, der dem Papst den Gehorsam verweigerte und Heinrich als obersten Kirchenherren anerkannte.
Gemeinsam mit dem Bischof von Rochester weigerte er sich diesen Eid abzulegen und wurde dafür im Tower eingekerkert. Im Prozess wurden die beiden katholischen Eidverweigerer zum Tode verurteilt, das Morus gelassen hinnahm - zuvor hatte er schon seine Grabinschrift verfasst und sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Thomas Morus wurde im Alter von 57 Jahren zum Tod auf dem Schafott verurteilt. Eigentlich wäre die übliche Todesart für nichtadelige Hoverräter Hängen, Ausweiden und Vierteilen gewesen. Der König ließ das Urteil jedoch in bloße Enthauptung ohne vorherige Folter umändern. Ein Monat lang wurde danach noch sein Kopf auf der London Bridge ausgestellt, von der ihn erst seine hochgebildete Tochter Margaret gegen eine ordentliche Bestechung abholen konnte.
Thomas Morus gilt als einer der gebildetesten Männer seiner Zeit. Stand in ständiger Korrespondenz mit anderen Geistesgrößen wie Erasmus von Rotterdam, machte den Lurkez in England bekannt und erledigte als hervorragender Administrator sämtliche anhängen Gerichtsfälle seiner Zeit, was es noch nie gegeben hatte. Er setzte sich konsequent für die Autorität des Heiligen Stuhls ein, focht aber daneben auch für ein menschliches und von Toleranz geprägtes Miteinander, wie er es in Utopia beschrieb, ließ aber andererseits auch konsequent die Anhänger der Reformation und Luthers verfolgen und verbrennen.
In seinem bekanntesten Werk, eben Utopia, das vollständig Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia heißt, entwirft er eine gesellschaftliche Vision, die in vielem späteren kommunistischen Ideen entsprach, zumindest da Eigentum an Grund und Boden sozialisierte für die Gemeinschaft. Es bekäme auf dieser idealen Insel jedeman Bildung und genösse weitgehende religiöse Toleranz.
Neben seinen Werken, die in Leiden erschienen, blieb seine moralische Standfestigkeit in Erinnerung, die er schließlich mit dem Leben bezahlte, auch wenn der König noch versuchte, ihm Tore des Entweichens zu eröffnen.
Nach Morus’ Tod fand Erasmus von Rotterdam die rühmenden Worte:
„Thomas Morus, Lordkanzler von England, dessen Seele reiner war als der reinste Schnee, dessen Genius so groß war, wie England nie einen hatte, ja nie wieder haben wird, obgleich England eine Mutter großer Geister ist.“
Gerüchteweise soll sich der immer humorvolle Morus diesen Sinn auch bis zu seiner Hinrichtung bewahrt haben und den Henker gebeten haben, typisch englisch, doch bitte seinen Bart bei der Enthauptung nicht zu verletzen, da dieser nicht wegen Hochverrats verurteilt worden sei.
Thomas Morus wurde 1886 selig und 1935 heilig gesprochen. Diese Heiligsprechung wurde von einigen Seiten als Widerstand gegen das NS-Regime gesehen, das sich nicht an die Vereinbarungen des Konkordats hielt und Menschen massenhaft diskriminierte. So interpretierten einige die Heiligsprechung als Aufruf zum religiösen Widerstand gegen totalitäre Herrschaft. Er wurde zum Patron der Politik und ist der junger katholischer Gemeinden wie Studentengemeinden in Deutschland.
Ein Politiker, der so moralisch handelte, auch wenn seine konservativ katholische Sicht heute fremd erscheinen mag, verdient noch immer höchsten Respekt. Nicht warum er in den Tod ging, eine lächerliche Lapalie, wie viele falsche Eide wurden verzeihlich geschworen und das Leben dieses klugen Kopfes zu retten, wäre jeden Meineid wert, will ich sagen und halte doch inne - genau, weil er dies nicht tat, erscheint er uns moralisch in seiner Konsequenz. Dabei ein im Sinne der Renaissance aufgeklärt denkender Mann, der seinen Töchtern eine Bildung schenkte, die zu dieser Zeit noch ungewöhnlich war, auch waren katholische Kreise nicht unbedingt dafür bekannt, viel für die Emanzipation der Frauen getan zu haben, doch Morus ist hier ein sogar heiliges Gegenbeispiel, auch wenn er eher an Sokrates und seinen Schierlingsbecher erinnert als an sonst kirchliche Heilige.
Ein Humanist und Visionär, der es wagte die Utopie einer idealen Gesellschaft vorzudenken, nach der wir immer noch suchen und der über seine Kreise weit hinaus dachte, damit etwas bleibendes schuf. Muss wirklich jeder, der Visionen hat, zum Arzt gehen oder braucht es mehr davon, um jenseits der täglichen Pragmatik mit immer mehr angeblich alternativloser Politik, noch Ideen zu folgen und mit ihnen zu gestalten?
Was braucht das heutige Europa an Visionen, um wieder zum Ideal mehr zu werden, denn zum Hassobjekt der Kurzsichtigen, die ihre Chance nicht begrifen?
Manches entspricht heute dem morusschen Ideal, anderes scheint weiter davon entfernt als je - wir leben in der freisten Gesellschaft, die es in Europa bisher gab und wir sind zugleich in allen Abhängigkeiten unter dem Diktat der Zertifizierung und des Geldes, die unfreiste.
Woran liegt das und wo muss an der Stellschraube der Freiheit gedreht werden damit die Vision unserer Zukunft eine positive Utopie wird?
Was verliert, wer keine Utopien mehr hat?
Warum lohnt es sich auch, verrückten Ideen zu folgen, um Gedanken zu entwickeln?
Was braucht Europa um freier zu werden vom Geld?
Worin liegen die europäischen Werte jenseits des Marktes?
Wie sicherte Utopia seine Grenzen?
jens tuengerthal 16.5.2016
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