Sonntag, 15. Mai 2016

Kulturgeschichten 0233

Glaubenskrieg

Viele Jahrhunderte wurden in Europa Glaubenskriege geführt und weit sind wir davon auch jetzt nicht, wenn entfesselte Pegiden und rechstradikale Islamhasser des AfD gegen Muslime hetzen, um den Frieden im Land zu ihrem Vorteil zu gefährden. Sie wollen mit ihren Vordenkern von Rechtsaußen festgestellt haben, der Islam verblöde und sei in einen modernen Staat nicht integrierbar.

Was für das Christentum vor 650 Jahren galt, hat keiner von ihnen beantwortet, auch nicht warum der zufällige regionale Aberglauben mehr sein sollte als eine alte Gewohnheit, die gepflegt wird wie in Bayern der Schuplattler oder in Friesland das Platt. Auch weiß vermutlich keiner der dummen Hetzer, dass die erste medizinische Fakultät Europas in Neapel ein Kind Friedrichs II. ist, des Staufers aus Sizilien, der sie mit dem Wissen im regen Austausch mit arabischen Ärzten errichtete, die in Sizilien wie die Griechen selbstverständlich neben den übrigen dort lebten, seien sie nun Schwaben oder Normannen.

Unsere Zahlen mit denen der starrsinnige Ökonom Thilo Sarrazin so gerne schön rechnete, als er noch Finanzsenator zu Berlin war, sind arabischen Ursprungs, aber natürlich folgt daraus, dass den Arabern das logische Denken schon genetisch nicht liege. Manchmal frage ich mich, ob manche Deutsche in den Bereichen Toleranz und Humanität einen schweren Gendefekt haben, der schon aus dem Erbgut stammt, von Generation zu Generation wieder neue schaurige Blüten der Dummheit ab, so nachweislich dumm er ist.

Dies sage ich, auch wenn sicher kein Multikulti-Fan und Kenner wie Freund der abendländischen Kultur und Freiheit eher, die sich heute bewusst von fundamentalistischen Dogmatikern abgrenzt, weil ihr Denken aus einer anderen Zeit stammt. Der Aberglaube stirbt langsam aus, zeigt auch in unseren Traditionen nur noch letzte Zuckungen, weil die Dummheit eben schwer auszurotten ist, doch der Sache nach, hat es sich erledigt, ist der Absolutheitsanspruch absurd geworden, hält nur noch die Tradition die Menschen in mehr oder weniger starken Fesseln.

Was die Welt derzeit erlebt sind letzte Gefechte sich aufbäumender Machtzentren, die ihrer Wirkung am Markt beraubt werden. Es dauert ein bis zwei Generationen, bis das kritische Denken fruchtet, beginnend oft in den Eliten, wandert es langsam weiter, spätestens, wenn sich die Menschen zu fragen beginnen, warum die Verhältnisse sind, wie sie sind. Das fragt sich jeder, der denken selbständig und kritisch lernt, statt eine Ordnung eingetrichtert zu bekommen, mehr hinterfragt. Wer es verbreiten will, muss Frauen und also künftige Mütter bilden und zum philosophischen Denken führen.

Wer sich von hier aus über den Orient erhebt, scheint sich seiner Geschichte nicht bewusst zu sein, wie kaiserliche Österreicher im Krieg gegen die Hussiten, diesen Köpfe und Hände abschnitten, auf der Karlsbrücke aufspießten und ans Tor zur Abschreckung für Jahrzehnte nagelten, bis sie abgefault vom Wind zerstreut wurden. Wie die Schweden den Gegnern einen Trunk aus dampfender Jauche mit Fäkalien per Schlauch und Trichter einflößten, um sie zu diskriminieren, wie Krankheiten zu verbreiten, effektiv zu quälen, amerikanische Kreuzritter auf ihrem Inselzipfel Kubas oder in Bagdad auf Araber pinkelten und sie ähnlich sexuell diskriminierten, um sie zu brechen, von den Spielen der Nazis und Russen in jeweils besetzten Gebieten im 2. Weltkrieg ganz zu schweigen, auch die Serben haben noch eine bunte Liste der Spielarten der Vergewaltigung an muslimischen Frauen noch in den 90ern des gerade vergangenen Jahrhunderts - gute orthodoxe Christen, die sich über muslimische Untermenschen erheben, um sie zu diskriminieren, ausprobierten, wie tief ein Gewehrlauf zwischen die Beine einer Frau geschoben werden kann, nachdem sie missbraucht wurde.

Besser ist scheinbar keiner, wenn es um den Aberglauben geht, manche sind schon etwas weiter und gelassener, aber Fundis gibt es überall, genau wie die Mehrheit eigentlich einfach nur gut leben will, statt sich für diesen Unsinn den Schädel einzuschlagen. Manchmal ging es nur am Rande um den Aberglauben, der bloß ein guter Aufhänger war, gegen die allgemeine Diskriminierung vorzugehen. So etwa im Bauernkrieg, in dem der plötzlich wieder einige Adel gegen aufständische Bauern mit aller Gewalt vorging.

Dabei wurde am 15. April  1525 nach der Schlacht bei Frankenhausen, die in einer völligen Niederlage des von ihrem Anführer zusammengerufenen Bauernhaufens endet, Thomas Müntzer, der eben Anführer und Reformator, gefangen genommen und nur eine Woche später am 27. Mai in Mühlhausen enthauptet. Zuvor wurde er noch auf Burg Heldrungen auf Befehl Georgs von Mansfeld in Gegenwart von Herzog Georg dem Bärtigen gefoltert. Er schrieb in Heldrungen seinen Abschieddbrief an die Bauern, in dem er diese dazu auffordert, alles weitere Blutvergießen einzustellen. Nach seiner Enthauptung vor den Toren Mühlhausens wurde sein Leib aufgespießt und sein Kopf zur Abschreckung auf einen Pfahl gesteckt.

Es sollte noch 124 Jahre voll blutiger Gemetzel dauern, bis sich die Religionen endlich im Frieden von Münster und Osnabrück auf einen friedlichen Umgang miteinander einigten. Dazwischen lag noch von 1618 bis 1648 der dreißigjährige Krieg, der Deutschland weitgehend verwüstete und bei dem Kriegsheere und Seuchen gemeinsam durch das gebeutelte Land zogen und der Achtzigjährige Krieg um die Befreiung der Niederlande von Spanischer Herrschaft.

Am 15. Mai 1648 schließlich beendete die feierliche Beschwörung des Friedens von Münster als Teil des Westfälischen Friedens nicht nur den Dreißigjährigen Krieg im ganzen Land sondern vor allem den Achtzigjährigen um die Niederlande, die sich in einen protestantischen freien Teil, die heutigen Niederlande, und einen katholischen spanischen Teil, das heutige Belgien etwa, teilen. Damit war die Unabhängigkeit der Niederlande endlich besiegelt worden.

Unterzeichnet war der Vertrag zwischen Spanien und den Niederlanden bereits am 30. Januar 1648 worden, viereinhalb Monate vor der Beschwörung in Münster. Diese fand im historischen Rathaus der Stadt statt. Mit der Anerkennung der Niederlande als souveräner Staat, scheiden diese aus dem Heiligen Römischen Reich aus.

Nicht ohne eine gewisse Komik dabei ist, dass die Hauptstadt Europas heute in den ehemals spanischen Niederlanden in Brüssel liegt, was auch als Hauptstadt, des im inneren tief zwischen Flamen und französischsprachigen Wallonen gespaltenen Belgiens noch dient. Dieses Problem wird versucht, mit Dezentralisierung zu lösen, mit bescheidenen Erfolgen, wie auch in Europa immer wieder nationale und regionale Kräfte gegen die zentrale Brüsseler Verwaltung aufmucken. Gerne halten alle die Hand für Brüsseler Gelder auf, wenig aber nur sind sie bereit, selbst etwas dafür zu tun, oder gar Privilegien für eine effektivere Verwaltung aufzugeben.

Es kämpfen die überall Lobbyisten gegen die Versuche europäisch einheitlicher Regelungen, wo sie sich durch sie gefährdet sehen und oft braucht es das Eingreifen neutraler Richter, um einen gemeinsamen Weg wieder zu finden. Manche Europäer fühlen sich, von den Einzelinteressen vertretenden Lobbyisten dazu aufgewiegelt, gegen Europa  zu hetzen, von dem sie fast nur profitieren, das den Verbrauchern und Menschen in Europa mehr Rechte gewährt und ihre Freiheit auf dem ganzen Kontinent sichert. Wie naiv und schädlich das ist, kann am starken Zuwachs der Stimmen für rechtsradikale und europafeindliche Parteien bei Wahlen beobachtet werden, deren Abgeordnete ihre Politik der Destruktion aktiv weiter betreiben.

Der Frieden von Münster und die Niederlage des Bauernkämpfers Thomas Müntzer und seine folgende grausame Folterung und Hinrichtung sollte uns daran erinnern, wie gut Europa seinen Mitgliedern tut. Für Umverteilung des Reichtums sorgt, soziale und infrastrukturelle Projekte in allen Ländern finanziert, die kaum eine Gemeinde sich in Zeiten der neuen Sparsamkeit noch leisten könnte. Europa garantiert den Bürgern allen ihre Grundrechte und Freiheiten, sorgt für Freizügigkeit und den Schutz der Arbeitnehmer wie die Bedingungen eines Lebens auf einem offenen Kontinent ohne Grenzen, der friedlich miteinander lebt.

Diesen Schatz nach Jahrhunderten von Kriegen und Verwüstungen die Europa an den Abgrund des Elends brachten, können wir gar nicht hoch genug schätzen - schauen wir auf den Balkan, sehen wir, wie schnell die Menschen auch mitten in Europa wieder voller Hass und Brutalität aufeinander losgehen, gemordet und vergewaltigt wird. Wenn die Türkei nach Europa will, ist das wunderbar und zu begrüßen, weil es den Kontinent der Freiheit, der Freizügigkeit und der Herrschaft der Menschenrechte weiter ausdehnt. Das gleiche würde für Russland gelten.

Wer nach Europa will, muss sich dafür anpassen und sich an die europäischen Spielregeln halten. Das wird die Türkei unter ihrem gerade Sultan noch länger ausbremsen. Europa ist ein postnationales Gebilde, in dem die nationalen Eigenheiten nur noch kulturelle Bedeutung haben. Das macht manchen Angst, weil sie ihre und die Kultur nicht wertschätzen, pflegten sie diese besser und bemühten sie sich mehr, dieser einen Platz im einheitlichen Europa zu gewähren, würden sie merken, wieviel mehr Chance als Gefahr in Europa liegt, wenn wir es gemeinsam als vielfältigen Kulturraum gestalten.

Dabei gibt es immer wieder Probleme auch finanzieller Art, gerade bei denen, die lange Altlasten mit falschen Krediten schon mitschleppten, aber Probleme sind nur dazu da, gelöst zu werden. Wer einen offenen Raum will, in dem jeder überall leben und arbeiten kann, der Verkehr grenzenlos und der Warenverkehr frei ist, diesen riesigen reichen Markt nutzen will, wird sich um der Einheit willen, auch von manchen Gewohnheiten verabschieden müssen - wenn es absurd wird, wie bei den Vorschriften, die beinahe die großartige französische Käsevielfalt auch aus Rohmilch beseitigten, gibt es einen Aufschrei und einige Proteste, dann korrigiert der Tanker seinen Kurs und es geht gemeinsam weiter, es ist kein Grund, gegen Europa zu sein, sondern sich daran zu freuen, wie flexibel es auch sein kann.

Es sind immer noch die Probleme lächerlich, verglichen mit den Chancen, die Europa uns allen bietet, nutzen wir sie in Erinnerung der religiösen Kriege, an die am heutigen Pfingstsonntag gedacht wurde. Und überhaupt Pfingsten ist auch so ein seltsames Fest, aus jüdisch-christlicher Tradition kommend, 49 Tage nach dem Ostersonntag, wird die Entsendung oder Ausgießung des Heiligen Geistes gefeiert, unter dem sich in Europa kaum einer noch konkret etwas vorstellen kann. Ob das je jemand konnte oder es einfach nur geglaubt wurde, weil eben so festgelegt, dass der Heilige Geist zum jüdischen Fest Schawuot gedacht wird, wie das Christentum immer und überall, wo es sich ausbreitete, vorherige heidnische Feste sehr flexibel integrierte - wie bei der Wintersonnenwende, die Weihnachten wurde.

Schawuot als jüdisches Fest feierte die Offenbarung der Tora an das Volk Israel und gehört so zu den Hauptfesten des Judentums, der ältesten Schriftreligion. Es ist genau nach vollendeten sieben Wochen nach dem Pessachfest, also am 50. Tag. Es war gleichzeitig ein Entedankfest, da es den Abschluss, der mit Pessach beginnenden Weizenernte bedeutet. Auch im Neuen Testament wird von dem Hokuspokus erzählt, den es mit dem Heiligen Geist auf sich hat, so wäre ein Brausen vom Himmel gekommen, ihre Zungen hätten wie Feuer gebrannt und als alle vom Heiligen Geist erfüllt wurden, begannen sie in fremden Sprachen zu sprechen. Käme heute einer mit solchen Geschichten an, ihm würde vermutlich dringend eine Therapie geraten, ohne damit sagen zu wollen, dass religiös sein, eine Krankheit ist, aber doch einfach mal staunend.

In Berlin ist Pfingsten eher der Karneval der Kulturen, an dem Kreuzberg tanzt und feiert und seine bunte multikulturell vielfältige Identität zelebriert - was mehr, können wir uns wünschen am Tag des Friedens von Münster und der Gefangennahme Thomas Müntzers?
jens tuengerthal 15.5.2016

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