Samstag, 7. Mai 2016

Kulturgeschichten 0215

Griechenliebe

Ob jeder Grieche eine Griechin sucht im Grunde seines Herzens und nur mit ihr glücklich sein kann, wie es Friedrich Dürrenmatt in seiner Prosakomödie von 1955 schrieb, in der sich der Buchhalter Arnolph Archilochos in die schöne Griechin Chloé Saloniki verliebt und erst in der Kirche direkt vor der Hochzeit erfährt, dass sie eine stadtbekannte Hure war, wie er flieht und doch in Liebe zurückkehrt, weiß ich nicht. Kann mich an viele schöne Kinder auch deutsch-griechischer Ehen erinnern und doch weiß ich natürlich nicht, ob sie mit Liebe und Lust gezeugt wurden, Ziel der Suche waren oder nur Produkt der manchmal dennoch Natur.

Es gibt zumindest eine große Liebe und Solidarität vieler Europäer mit Griechenland und der griechischen Sache. Derzeit sind es eher die Linken, die, komme was wolle, zur linken griechischen Regierung halten und die bösen Banken anklagen, die Griechenland mit Zins und Zinseszins erwürgten. Mutti Merkel war in der Finanzkrise gemeinsam mit Wolfgang Schäuble lange die meistgehasste Person Griechenlands und wurde von links von Innen, von Osten wie von Westen für ihre schwäbische Sparsamkeit angefeindet. Dafür wurde sie zugleich noch solange von der rechten Seite verehrt, die eher zu Sparsamkeit, denn zu Solidarität neigt, was sich in der Flüchtlingsfrage schnell wieder in einen von Angst getriebenen unkontrolierten Hass verwandelte, woran sichtbar wird, wie wechselhaft politische Zu- oder Abneigung ist, weil sich am Kurs der Kanzlerin im Ganzen nahezu nichts änderte, sie weiter tat, was sie für nötig und angemessen hielt.

Gerade pokern die Griechen weiter um ihre Schulden, die sie faktisch nicht bewältigen können. Es geht um Macht und Autorität in Europa und ein wenig wohl auch ums Prinzip. Schäuble weigert sich und der wohl erschöpfte aber ansonsten nicht greifbare Koalitionspartner des eisernen Finanzministers, Wirtschaftsballon Gabriel gibt sich nun als Panhellene aus Vernunftgründen, was angesicht der Lage der SPD wenig überzeugt, denn wo wollen sie damit Mehrheiten gewinnen, wem gegenüber glaubwürdig wirken im Land?

Wann fing diese Liebe an zu den Griechen, ihrer Kultur, ihrer Geschichte und was blieb davon in der Gegenwart?

Die wieder Verehrung der griechischen Kultur begann in der Renaissance, jener wunderbar lichten Epoche, die sich vom Dunkel des religiösen Mittelalters abhob, sich wieder auf die Antike und ihre Denker berief, lernte Gott infrage zu stellen und nichts sehnlicher suchte als antike Texte, nach den wurzeln der griechischen Philosophie suchte, wie bei der Wiederentdeckung des Epikuräers Lukrez oder im Neoplatonismus.

So tauchte Griechenland und die Ästhetik seiner Formen ab da wieder in der Kunst auf, und dann kam es immer wieder in Wellen zu jener Besinnung Europas auf seine griechische Wurzeln und die Erklärung der Liebe, die auch gegen alle Vernunft solidarisch sein ließ.

Schon vor der Einnahme Konstantinopels war Griechenland Teil des osmanischen Reiches geworden seit Jahrhunderten, als sich die europäischen Großmächte wieder Gedanken über einen griechischen Nationalstaat zu machen begannen, um den Türken die Wurzeln der eignen Kultur nicht ganz zu überlassen, doch noch war die Hilfe, wie gerade auch wieder, eher halbherzig und so wenig zielführend wie die nur mühsame und geringfügige Unterstützung beim Ansturm der Türken gen Konstantinopel. Es zogen die Katholiken und anderen nicht freiwillig für die  Orthodoxen gegen die Muslime in den Krieg. So wurde verhandelt und angebandelt, wieder verworfen und halbe Kompromisse für die griechische Freiheitsbewegung gesucht, die keinen Streit mit den Türken provozierte, aber auch keine ganze Lösung boten.

Am 7. Mai 1832 schließlich einigten sich Großbritannien, Frankreich und Russland, das mit dem Londoner Protokoll von 1830 im Februar neu geschaffene Griechenland, als unabhängiges Königreich zu gründen. König sollte Otto von Wittelsbach unter der Bedingung werden, dass es zu keiner Vereinigung mit dem Königreich Bayern kommen darf. Das osmanische Reich wurde für seinen Gebietsverlust finanziell entschädigt.

Die Londoner Protokolle zu Griechenland beschäftigten sich mit der Gründung eines hellenischen Staates. Im ersten von 1829 wurden dessen Grenzen festgelegt. Die Vereinbarungen wurden 1830 und 1832 nach Abstimmung mit dem osmanischen Reich noch modifiziert.

Die Großmächte hatten sich nach dem Ausbruch der Griechischen Revolution mit der Situation auf dem südlichen Balkan beschäftigen müssen. Der griechische Unabhängigkeitskrieg war der Kampf der Griechen gegen die Herrschaft der Osmanen und für eine unabhängige griechische Republik, ihm fielen auf griechischer Seite etwa 25.000 Soldaten zum Opfer, während es auf türkischer 40.000 waren. An zivilen Opfern wurde über 107.000 gezählt. Er dauerte von 1821 bis 1829 und ihn führten Griechenland, verbündet mit Großbritannien, Frankreich und Russland gegen das Osmanische Reich, das mit den Herrschaften aus Tripolis, Tunis und Algier im Bündnis stand.

Gegen Ende der Antike, also um 500, war Griechenland das einzige vollständig alphabetisierte Land Europas. Lesen und Schreiben wurde an öffentlichen Schulen durch das Auswendiglernen der Texte Homers gelernt. Seit der osmanischen Besetzung verfiel diese Kultur völlig und es entstand eine immer größere Schicht an Ungebildeten. Anders die unter venetianischer Vorherrschaft stehenden ionischen Inseln, die trotz geringerer Bodenschätze wirtschaftlich und kulturell aufblühten. Nach dem Fall Konstantinopels waren viele griechische Gelehrte nach Italien und Westeuropa geflohen und hatten so der Renaissance noch Auftrieb gegeben. Auch einer der größten Vertreter des folgenden Manierismus war ein in Spanien lebender Grieche, El Greco.

Die Griechen waren über 350 Jahre unter osmanischer Vorherrschaft und selbst nicht stark genug, die Unabhängigkeit militärisch zu erringen und so spielte sich der Konflikt hauptsächlich zwischen den Großmächten ab. Erst der russische Türkenkrieg von 1828 und die Vernichtung der türkisch-ägyptischen Flotte 1827 bildeten die Voraussetzung für den Frieden von Adrianopel 1829.

Die griechische Revolution von 1821 war bereits Jahre vorher im Freundschaftsbund vorgeplant worden. Die Revolution sollte an drei verschiednen Orten beginnen, um bei den Osmanen größtmögliche Verwirrung zu stiften. Erfolgreich war er nur auf der Peleponnes, da er in Konstantinopel von den Türken selbst sofort niedergeschlagen wurde und im Fürstentum Moldau die heimischen Rumänen als Antwort die Häuser der dort ansässigen Griechen angriffen. Auf der Peleponnes wurden türkische Städte eingenommen und alle Türken vertrieben, was die Türken im Gegenzug genauso machten. Besser wurde es darum von keiner Seite.

Zwischen 1821 und 1825 verharrten dann die Fronten relativ unverändert, was sich erst durch das Eingreifen fremder Mächte ab 1825 wieder änderte. Als der Sultan dem ägyptischen Herrscher Mehmet Ali die Peleponnes versprach, machte dieser sich sofort an die Eroberung, was wiederum den europäischen Großmächten nicht passte, die draufhin eingriffen. Nach der Versenkung der Flotte hatte der Sultan den europäischen Großmächten militärisch nichts mehr entgegenzusetzen. Der russische Einmarsch ins osmanische Reich im russisch-türkischen Krieg von 1828-1830 und die krachende Niederlage des Sultans, machten den Weg frei für das Londoner Protokoll und die Gründung eines unabhängigen griechischen Staats. Das Großbritannien dann Russland von der Besetzung Konstantinopels und damit der wichtige Meerenge abhielt, hatte eher strategische Gründe. Den auf den Weltmeeren handelnden Engländern war ein schwacher Sultan an der Meerenge lieber als ein zu starkes Russland. Ob London diese Zurückhaltung heute angesichts der Verhandlungen Europas mit Sultan Erdogan bedauert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Der deutsche Prinz aus dem Hause Wittelsbach als neuer griechischer König war für die Machtinteressen aller beteiligten Großmächte dann der akzeptabelste Kompromiss. Gekippt war die Stimmung in Europa zugunsten Griechenlands nach den bekannt gewordenen Kriegsgreuel der ägyptischen Truppen auf der Peleponnes. Dabei unterstützten die Philhellenen, zu denen auch Lord Byron zählte, die Griechen in ihrem Kampf um einen eigenen Staat auch literarisch. Die Philhellenen waren meist junge Männer aristokratischer Herkunft und mit klassischer Bildung, die sich als Vertreter und Bewahrer einer großen Zivilisation verstanden. Der bayerische König Ludwig I. hatte die Philhellenen mit großen Geldspenden unterstützt, was auch die Entscheidung für seinen Sohn Otto als griechischen König begründete. Auch die bis heute übliche Schreibweise von Bayern mit Y statt wie bisher Baiern, war Ausdruck des königlichen Philhellenismus und sollte ein Zeichen der Solidarität sein. Einer der Gegner der Bewegung war der mächtige Fürst Metternich, der österreichischer Kanzler war. Auch Goethe, Hölderlin, Victor Hugo, Wilhelm von Humboldt, Alexander Puschkin, Friedrich Schiller und Shelley gehörten zum großen Kreis der intellektuellen Philhellenen, die in der Tradition der Aufklärung standen.

Die genauen Gebietsfestlegungen wurden dann im nächsten Londoner Protokoll vom 30. August 1832 festgelegt. Danach wurde die Peleponnes und einige ihr nahe gelegene Inseln Teil des neuen griechischen Staates. Thessalien, Makedonien, Kreta und die meisten Inseln unterstanden weiterhin der Herrschaft des osmanischen Reiches.

Vielleicht braucht es wieder eine Philhellenische Bewegung in Europa, um sich der Wurzeln der eigenen Kultur zu erinnern, gerade in Anbetracht der Entwicklung in der Türkei, die derzeit wenig verlockendes in Hinsicht auf Demokratie und Menschenrechte verspricht, sondern sich trotz mit Flüchtlingen erpresster Visafreiheit eher in Richtung eines osmanischen Reiches unter Erdogan entwickelt, das den an europäische Menschenrechtsstandards gebundenen Griechen, die genug Probleme eigentlich haben, die Verantwortung zuschiebt.

Warum sollen die Ruinen Trojas ewig in einer totalitären Türkei  liegen?

Muss Konstantinopel ewig Istanbul sein, wenn es unter der Herrschaft des Islamisten seine Freiheit verliert und der anatolischen Provinz ähnlicher wird?

Vielleicht wäre es an dieser Stelle klug sich in Europa mehr mit Russland zu verständigen, als auf amerikanische Kurzsichtigkeit in Machtfragen zu setzen, die nicht immer der Freiheit dient. Sollte die Türkei einen offenen und toleranten Weg einschlagen, wäre sie in Europa zu begrüßen als ein Land unter vielen. Nicht um auf ehemals griechischen Boden, der die türkische Küste überhaupt erst zum Kulturland machte, zwanghaft Kirchen bauen zu müssen, doch mit der Freiheit, es zu können und für jede arabisch finanzierte Moschee in Europa eine Kirche im ehemals griechischen Gebiet der Türkei zu bauen, könnte das innere Gleichgewicht besser herstellen, als mancher Flüchtlingsdeal und würde vermutlich das Interesse des totalitären Sultans an einer Aufnahme in die EU schlagartig auf Null reduzieren und die wahren Interessen der AKP offenbaren, der nur noch die Kurden im Land entgegenstehen. Besser wäre es ohnehin, lieber atheistische philosophische Schulen in der Türkei zu eröffnen, den Weg zur Freiheit zu zeigen, statt eine Sekte mit der anderen zu bedrängen, nur die Freiheit es zu tun, sollte es geben.

Mehr Philhellenismus täte Europa gerade jetzt gut. Während Deutschland Milliardenüberschüsse an Steuern verteilt, wäre es klüger gestaltend über einen nötigen Schuldenerlass zu verhandeln, bevor es zum Konkurs kommt, der alle schwerer treffen würde, die heute noch hoffen die Griechen erziehen zu können. Wer nun einen Marshallplan für Griechenland verhandelt und sich dabei an die Spitze einer Bewegung stellt, die sich auf die Wurzeln unserer Kultur besinnt, kann noch gestalten und in die Zukunft wirken, wer hart bleibt, verhärtet nur die Fronten, statt zu gestalten. So gesehen käme Gabriels Vorschlag eigentlich zur rechten Zeit, leider kommt er nur mal wieder zu unabgestimmt vom Falschen und wird diesem keinen Gewinn bringen wohl. In Deutschland macht sich keiner Freunde, der ohne eine breitere philhellenische Bewegung sich für einen Erlass einsetzt, so vernünftig er ist und wie gut er unserer Wirtschaft auch täte, wenn er an einen durchdachten Plan gebunden wäre, denn ein Erlass an sich, schafft noch keine Werte.

Es gibt gute Gründe nun für Griechenland zu sein, sich der Wurzeln unserer Kultur zu erinnern, die wir brauchen, wenn wir die Zukunft auch geistig gestalten wollen, weil der alte Aberglaube keine Antworten für immer mehr Menschen gibt und Europa ist, was es ist, weil die Griechen in der Antike davon zu erzählen anfingen und über Republik und Demokratie nachdachten. Dieser Geist kam nach Mitteleuropa wieder in der Renaissance nachdem Europa die letzten Byzantiner allein und untergehen lassen hatte. Es gab ihn immer auch im lange griechisch besiedelten Sizilien mit seiner vielfältigen und reichen Kultur, die Kaiser wie Friedrich II. prägten. Nicht umsonst zog die Idee der Wiedergeburt der Antike von Italien aus seine Kreise durch Europa, das über Jahrhunderte im engen Dogmenkorsett der christlichen Sekte nur dahingedämmert hatte.

So besteht ein Zusammenhang vom Fortbestehen der Renaissance, von der ich gestern schrieb, und dem Philhellenismus, gestern wie heute und es täte Europa besser sich auf seine echten historischen Wurzeln zu besinnen, statt die nachträglich aufgesetzten, der christlichen Sekte reanimieren zu wollen. Die zeitgemäße Antwort auf eine Bedrohung durch religiösen und ideologischen Fanatismus ist nicht die Reanimation des Christentums in Europa, im Gegenteil, es braucht eine Rückkehr zu den griechischen Wurzeln des Abendlandes, die philosophisch damit oft atheistisch aber darum frei und stark waren. Europa sollte sich für Griechenland stark machen und dafür das Konstantinopel eine europäische Stadt ist, Sparta zur europäisch-griechischen Kultur gehört.

Alles andere ist Verhandlungssache und kann, wenn wir uns unserer Wurzeln bewusst sind, leicht erreicht werden. Die Türkei will nach Europa, soll sie sich doch darum bemühen und zeigen, dass sie dort hin passt. Europa steht zuerst auf griechischen geistigen Wurzeln und es ist unseren Verfassungen heute ein Epikur näher als ein Platon oder Aristoteles, welche die Sekte nur zu ihren Zwecken benutzte, weil sie dogmatisch genug waren. Die Kolonialisierung der griechischen Gebiete in der heutigen Türkei durch die arabische Sekte war so unrechtmäßig wie die Europas in Amerika, Afrika oder Asien und es ist Zeit, dass dies Geschichte wird und sich jemand traut, es so zu nennen. Die Vertreibung und Ermordung der Pontos-Griechen Anfang des Jahrhunderts durch Jungtürken, wie die Massaker an christlichen Armeniern dürfen so wenig vergessen werden, wie die der Deutschen an den Juden.

Verantwortlich die Zukunft gestalten, heißt, sich seiner Wurzeln bewusst zu sein und in ihrem Schatten zu wirken. Weiß immer noch nicht, ob jeder Grieche eine Griechin sucht oder manche Griechen und Griechinnen auch, wie sie vielfach nach der osmanischen Vertreibung mussten, mit anderen Europäern glücklich werden konnten, aber die Möglichkeit zu haben, in einem einheitlichen europäischen Kulturraum unabhängig vom jeweiligen zufälligen Aberglauben frei leben zu dürfen, sollte das Ziel sein. Europa braucht keine festen Grenzen sondern eine starke Kultur, die sich durch ihre Überlegenheit in Freiheit durchsetzt, weil alles, was andere diskriminiert, keinen Anspruch auf Bestand hat und das gerade Aufblühen des fundamentalistischen Islam vor seinem Verschwinden im Orkus der Geschichte ist nur die letzte Zuckung einer Totgeburt und keine furchterregende Perspektive. Weniger Angst vor dem Aberglauben und mehr Vertrauen in die Vernunft hilft. Gegen Dummheit und Verblendung helfen nur Aufklärung und Geduld. Noch nie trug Aberglauben je zur Aufklärung bei, die immer noch heißt, sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu befreien.
jens tuengerthal 7.5.2016

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