Dienstag, 9. September 2014

Kalifenwahrheit

Der Kalif ist der Stellvertreter Gottes und nach islamischen Aberglauben Nachfolger des Gottgesandten, als den sie ihren Propheten verehren, den Anstifter der heutigen Gemetzel für viele, die sich für Rechtgläubige halten und gern ihren je Aberglauben den anderen mit dem Schwerte aufdrängen. Kein Wunder, wenn diese vakante Position unter den Suniten der Welt begehrt ist. Kalif vollten viele islamische Herrscher gern sein und uneinig über den richtigen waren sie sich innen so sehr, wie sie nach außen geschlossen wüteten.

Die osmanischen Sultane waren zum Teil zumindest Kalifen, verstanden sich damit als Herrscher über alle Muslime und hatten auch den Drang, ihr Reich soweit auszudehnen. Mit Atatürk wurde das osmanische Reich wie die Herrschaft der Sultane, deren einige Kalifen waren, beendet. Seitdem war die Türkei ein laizistischer zumindest und halbwegs demokratischer Staat mit einem Rechtsverständnis irgendwo zwischen Atatürks Ideal und orientalischer Sitte sich hindurch lavierend, aber am Ende doch immer durch ein starkes kemalistisch gesinntes Militär zuverlässiger Partner und ein Bollwerk gegen ein drohendes Kalifat, seine Eroberungszüge und ähnliche Schrecken mehr.

Nun wird die Türkei unter dem Regime Erdogan erstmals wieder zu einem islamisch orientierten Staat. Sorgsam baute der einst islamistische Premier seine Macht aus und besetzte die Ämter in Armee und Staat mit islamischen Männern seines Vertrauens, änderte langsam erst Kleinigkeiten, um den streng laizistischen Staat immer weiter in Richtung Islam zu öffnen. Der einst für seine Sanierung der Wasserversorgung von Istanbul berühmt gewordene Erdogan, die er noch als dortiger Bürgermeister vorantrieb, ist ein Freund von repräsentativen Großprojekten mit Hang zur Gigantomanie.

Daran haben er und sein Clan lange schon gut verdient und sich ein riesiges Netzwerk von Anhängern geschaffen, die teils konservativ gesinnt, den Traum vom islamischen Reich teilten und dabei noch gute Geschäfte machen wollten. Diese pragmatisch islamische Richtung, die einerseits eine aus westlicher Sicht üble, chauvinistische Gesinnung mit radikalen Sprüchen feierte, andererseits ökonomisch relativ erfolgreich agierte, viel Geld im Bausektor verdiente, immer reicher wurde, passt in diese Türkei zwischen Orient und Occident, die von beiden nahm, was ihr gerade passte und unter das einigende Band des Islam in moderat, konservativer Prägung subsumierte.

Diese Türkei ist nicht mehr die Türkei, die wir kannten, nicht mehr die Türkei Atatürks und nur noch bedingt ein europäischen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten entsprechender Staat. Sie hat nicht nur rein geografisch nur bedingt etwas mit Europa zu tun, sie ist auch inhaltlich weiter davon entfernt, als sie es je seit Atatürk war. So werden die Bindungen an die benachbarten Türkvölker immer stärker und Erdogan bricht mit dem früheren Partner Israel, sucht die Bindung zur Hamas wie den Muslimbrüdern in Ägypten und sorgte für das Überleben der ISIS, die ich weiter so nenne an Oh Isis und Osiris denkend, die mir näher sind als diese mittelalterlichen Terroristen des Heligen Krieges. Er kaufte ihr Öl, raffinierte es, verkaufte zurück, ließ die Krieger in türkischen Krankenhäusern pflegen, ließ die Terroristen groß das Fastenbrechen in Istanbul feiern, er, der in diesem Staat sonst gern alles und jeden unter Kontrolle hat, sucht sich einen brandgefährlichen und unberechenbaren Partner?

Oder ist  die Türkei mit dem NATO Gipfel von Wale und den riesigen Aufträgen an Italien und Frankreich wieder zurück in den Kreis des Westens und nicht länger misstrauisch beäugter Partner auch der arabischen Welt und wo können wir ihr noch trauen?

Das Band, mit dem sich die Muslime über dem Globus zumindest einig sind, ist der Prophet und der eine Gott, unter vielen gibt es noch den Traum von der Umma aller und in diesem Sinne sind die Bänder zu verstehen, die Erdogan zur ISIS knüpfte, zur HAMAS hält wie zur Muslimbruderschaft - es ist die Gemeinschaft des Aberglauben, die über allem steht und für die auch dem Koran gemäß so gern gelogen wie getötet werden kann, geht es doch um den Traum vom großen Weltreich, wie es die Sultane einst regierten.

Die Türkei steht seit Erdogan zwischen diesen alten religiösen Welten und den bekenntnisneutralen Staaten des Nordens, sie zieht es in beide Richtungen und es ist nicht klar, welcher Traum überwiegt, ein anerkannter, erfolgreicher Partner der westlichen Ökonomien zu werden oder die tiefe Sehnsucht nach der Rückkehr des osmanischen Reichs, der Umma unter der Herrschaft des Sultan und Kalifen Erdogan, der den alten Traum wiederaufleben lässt.

Europa ist aus guten Gründen misstrauisch gegenüber dieser Türkei am Rand des Orient, die sich immer mehr als regionale Großmacht etablieren will, die den wichtigen Kontakt zu Israel abbricht, um Partner wie die Hamas zu gewinnen, dort eine Autorität zu sein. Wo steht sie wirklich, wem können wir trauen in Zeiten, in denen die Türkei einen Befreiungsversuch der Amerikaner für teilweise inzwischen bereits geköpfte Geiseln durch bloße Verzögerung zunichte macht?

Wird die Türkei nun immer noch Brücke Europas in den Orient sein wie einst das osmanische Reich, oder wird sie weiter zum Partner von ISIS und Hamas, zur Plattform der Terroristen, die zugleich mit ihren Gegnern verhandelt und sich verbündet und wir wissen nicht wen mehr an wen verkauft?

Wir wissen es nicht, ich jedenfalls halte momentan beide Bewegungen für möglich und frage mich, was nun ein angemessener Kurs wäre - die klare Abgrenzung, die eine gemäßigte Türkei endgültig in die Arme der Radikalen treiben könnte oder die halbe Integration mit einem Staat von dem wir nicht wissen, wie eng er mit denen verbündet ist, die wir nun mit Waffenlieferungen an die Kurden als gefährliche Terroristen bekämpfen. Zwischen Kalifat des neuen Sultans am Bosporus und einer offenen Türkei als europäisches Tor zum Orient liegt nur eine hauchfeine Linie, sein wir vorsichtig, nicht in die falsche Richtung dort zu stürzen.

Wir leben hier mit vielen Türken, die längst Teil unserer Staates wurden und die Teil unserer Kultur wurden - wohin werden sich die vielen unter ihnen wenden, die Erdogan hier wählen, sich der früher Heimat in der Ferne verbunden fühlen und was wird eine Radikalisierung der Verhältnisse für sie bedeuten? Werden sie sich mehr hier einbinden, wenn die alte Heimat sich dem Orient zuwendet oder werden sie den Weg mitgehen und die Radikalisierung hierhertragen und wem wenden sich die jungen Türken und Moslems zu untern denen Radikale wie die Salafisten fischen und ISIS auch immer wieder neue Rekruten gewinnt? Müssen wir ihnen eine neue Perspektive bieten, um die offene Demokratie des Westens mitzugestalten, die ihnen oft sowenig nur zu bieten hat oder müssen wir uns besser vor denen schützen, die zu Gegnern im eigenen Staat werden?

Der Traum vom Kalifat als muslimisches Friedensreich ist alt und findet viele Anhänger, wenn wir hier nur Waffen liefern und punktuell in den Krieg ziehen, werden wir die schleichende Radikalisierung fördern. Auch darum braucht es nun dringend einen Plan der einen guten Weg zwischen Integration und Abgrenzung wählt, der verteidigt, was uns wertvoll ist, aber auch eine weitere Öffnung ermöglicht, um auch denen eine Heimat zu geben, die zwischen den Stühlen sitzen, keine Perspektive hier wie dort haben und somit die Gefahr vergrößern, dass der radikale Islam noch mächtiger wird und der gemäßigte keine Stimme mehr hat.
jt. 9.9.14

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen