Mittwoch, 24. September 2014

Sex in Berlin VIII

Die Stadt der Liebe war Paris zu lange schon, längst staubig geworden hinter polierten nur noch Fassaden, glänzt es als von Touristen gern besuchtes historisches Artefakt vor sich hin und hat die Liebe verloren, ist nur noch Museum seiner selbst, wie es in Deutschland im klein spießig romantischen Format Heidelberg ist mit seiner nur historisch noch aufregend berühmten Existenz in der sich mehr Japaner auf die Füße treten, als Liebespaare noch im Schlosspark oder auf der Alten Brücke küssen und die Verhängung der neunten Brücke zu Paris mit Vorhängeschlössern bis sie bricht hat auch eher historischen denn realen Hintergrund - die Romantik ist Geschichte, sie ist ein wenig verstaubt, auch wenn in Paris es in den 20ern noch Henry Miller und Anais Nin  so wild trieben wie Picasso malte und Herr Berggruen handelte oder nach dem Krieg die amerikanischen GIs die Hauptstadt der deutschen Romantik besetzten und darum mit seinen Ruinen am Neckar verschonte - es ist nur noch eine nette Anekdote wie einst der Werther und sein blauer Frack zur gelben Weste.

Ob wir darum sachlicher lieben, weiß ich nicht zu beurteilen aber die Leidenschaft wird relativ wohl temperiert genossen, um sich nicht zu verausgaben für wer weiß was noch kommt, denn wer weiß, wann wo das nächste Date wartet. Die Großstädter sind selten hingebungsvoll, sie lieben ein wenig, spielen mal Leidenschaft, knutschen ein wenig und dann ist auch gut. Wenn es hält, geht es darum zu funktionieren miteinander, woran viel schönes schon im Ansatz scheitert. Es fehlt die Romantik, die zu kitschig ist und vor allem nicht cool, Gefahr läuft sich zu blamieren oder noch viel schlimmer, sich fremd zu schämen, der Horror jedes hippen Großstädters im seicht wohltemperierten Rausch der Gefühle, der möglichst leidenschaftslos genossen wird, um zu zeigen, wie erfahren wir sind und vor allem aber, um uns nicht stören zu lassen, von zu tiefen Gefühlen, die uns ungefragt ergreifen könnten, wo wir uns ganz hingeben.

Es ist diese lauwarme Liebe, die ganz von sich überzeugt ist, auch wenn sie eigentlich eher nichts Richtiges ist und mehr Angst hat nicht cool genug zu sein, als Bedürfnis aus vollem Herzen zu lieben, die munter durch die Betten der Hauptstadt plätschert. Für Leidenschaft besichtigen wir die fremdländischen Artefakte, die noch Ehrenmorde kennen oder die Rocker in ihren Buden am Rande der Stadt, bis wir auch diese völlig verbieten, damit die ganze Stadt so lauwarm dahinfließt - nur nicht zuviel Leidenschaft, keine Ausbrüche - die Weltstädter sind cool, heulen nur in der Ecke und geben sich einen Moment betroffen, statt umeinander zu kämpfen, lassen sie sich lieber von den nächsten über die vorigen trösten.

Die Stadt ist groß, die Schönen begegnen uns in den Clubs und Bars zu nahezu jeder Zeit - manche eher am Morgen andere durch die Nacht mit den Hüften wackelnd, Brust raus, Nase hoch, Bauch rein - so flach wie die Bäuche der im Studio trainierten Damen mit den gelegentlich aufgeblasenen Brüsten sind oft die Geister auch ihrer Begleiter und sie verstehen sich gut untereinander.

Denke an die alten Filme mit Tom Waits, wo sie ihm noch die Plattensammlung auf die Straße hinterherwirft und sie wirklich aneinander leiden und überlege, wann ich zum letzten mal solche Szenen erlebt habe - erinnere mich an jene ach so eifersüchtige Liebste, die sich auch öffentlich peinlich benahm, mir auch nahezu die Plattensammlung vor die Füße geworfen hätte, wenn ich noch Schallplatten häte - und da fällt mir ein, bei welcher Ex die wohl alle noch rumstehen - ist ja auch egal eigentlich - habe ja gar keinen Schallplattenspieler mehr - es ist mir egal, was mit den einst geliebten Platten ist, was aus ihnen wird, sind halt irgendwo geblieben, aller Besitz fesselt nur und wir sind ja lieber frei und gelassen.

Nur was blieb von der Liebe in diesen wohltemperierten, cool mit Spermüll designten Leben?

Nichts, nahezu nichts, jedenfalls wenig mit Leidenschaft, denn was leidenschaftlich wird, ist ja gefährlich, davon halten wir Abstand und wechseln lieber schnell die wohltemperierten Lieben über die wir genüßlich plaudern und ungerührt von Liebeskummer erzählen wie von Zahnschmerzen oder Regelbeschwerden, die uns im Wesen weder tangieren noch erschüttern - der Gedanke von Romeo und Julia, der Inbegriff der romantischen Liebe, die füreinander in den Tod gingen, sich das Leben nahmen aus Verzweiflung wie noch ein Werther sind keine Helden der Moderne - sie sind irgendwie gestört, haben ein zu hohes narzisstisches Selbstbild oder wie immer wir nun die übermäßige Liebe normiert benamen.

Scheiße - will ich in die Nacht rufen, was ist aus der Liebe geworden in der Zeit und in dieser großen Stadt, wo krank ist, wer für sie sterben will, ein lächerlicher Clown und kein Held des Gefühls mehr. Wir lieben sachlich in Berlin, zweckbestimmt, und wie wir tagsüber unsere Tastaturen streicheln, so zum immer größeren Heer der kreativ textverartbeitenden Narren am Rechner gehörend, so streicheln wir des Nachts ein wenig die oder den Geliebten - sachlich wird die Pflicht erledigt und geübt gestöhnt, damit es auch alles richtig ist und so aussieht wie in den Pornos im Netz von denen wir lernten, wie es beim Sex auszusehen hat.

Wir coolen Großstädter, die wir die spießige Landbevölkerung verspotten, die noch in Musicals geht, um sich dort die mit immer gleichen Mustern widergekäute Musik vordudeln zu lassen und zu glauben, dieser Müll sei Kultur und dabei herzlich heulen, als ginge es um etwas - wir haben keine Leidenschaft mehr, es gibt nichts mehr wofür wir sterben würden oder unsere biologisch-dynamisch fitt gehaltenen Körper in Gefahr brächten zumeist - manche hier rauchen zumindest noch, der langsame Freitod wird hier noch etwas mehr gepflegt als anderswo aber auch mehr und mehr Light und sehr dezent vor der Tür.

Habe Rauchen nie vertragen, aber wer verträgt schon das Leben, wenn es echt wird, bisher sind noch alle daran gestorben irgendwann und wenigstens haben wir die diese leidenschaftslose Welt noch ein wenig in Glut aufgehen lassen noch ab und zu das Gefühl einer Ahnung, was es heißt für etwas sterben zu wollen - besonders am Morgen danach. Womit wir feststellen können in Berlin bleibt von den Zigaretten mehr in uns als wir die meisten Lieben je ranlassen. Wenn wir einmal die Nerven verlieren und ausrasten, nicht mehr cool sind, sondern dem anderen am liebsten eine reinschlügen oder uns umbrächten für unsere Dummheit - werden wir uns nichts davon anmerken lassen, wollen wir keine Anzeige riskieren oder gar Gefahr laufen in Therapie geschickt zu werden und es gibt für all solche sozialen Abweichungen wie Menschen, die zu sehr lieben, so dass sie Gefahr laufen sich umbringen zu wollen, heute Medikamente, die uns wieder wohltemperiert halten, damit wir systemimmanent funktionieren, kreditwürdig sind und unser persönliches AAA Level bekommen, als wären wir mit reichem Erbe versehene Beamte des Lebens.

Darum rauche ich, damit ich inmitten der Lieblosigkeit der halben lauwarmen Lieben noch ein wenig den Tod spüre und auf Leben und Tod die Leidenschaft lebe, die keiner im Leben wagt, weil sie nicht funktioniert. Klar wir sind im Sex auch mal etwas exzessiv, so wie es uns schlechte oder auch seltener gute Bücher beschreiben, ist ja alles ok, jeder nach seiner Fasson, nehmen uns von allen Seiten und vergessen es wieder danach, damit es spurlos bleibt wie der Sex, den wir abspülen mit der nächsten Dusche.

Nun werden nahezu alle Großstädter widersprechen, natürlich würde hier noch geliebt und das sei eben mein Pech, wenn ich das nicht erlebte und ich sage euch, ihr habt keine Ahnung, wovon ihr redet, was aber auch das weitere Gespräch müßig machte, wenn ich nicht glaube, dass sie mich verstehen könnten oder so lieben würden, dass sie dafür alles täten, warum sollte ich ihnen dann überhaupt von diesem abstrusen Bedürfnis der tödlichen Leidenschaft erzählen. Im Ergebnis halten sie mich für verrückt oder sich - da die Mehrheit sicher nicht die Neigung hat sich im Gegensatz zu einem kleinen efolglosen Dichter für verrückt zu erklären, bleibt die lauwarme Liebe herrschend und wir tun so, als sei unser Sex leidenschaftlich, dabei gleicht es eher der Orgasmusmaschinenpflichterfüllung - wie am Testbogen - zusammen gekommen, gut, erledigt.

Berlin ist geil und redet gern vom Sex, der nahezu überall präsent scheint. Aber real ist Berlin wie alle Metropolen eher cool als leidenschaftlich, da bleibt wenig nach der Erledigung des Sex Pflichtprogramms, was eher an eine Form des Fitnessstudios erinnert - es passiert noch mehr als in Paris, das so mit cool bleiben beschäftigt ist in alter französischer Form, aber es fehlt alles, was ich einmal Leidenschaft nannte, als ich noch in diesem spießigen Uni Städtchen Heidelberg studierte und überlegte, ob ich mich von der Schlossmauer oder lieber von der Brücke stürzen solle in meiner Verzweiflung über das mit der Liebe verlorene Leben und aller Hoffnung, die den trüben Neckar hinunter schwamm.

Sterben ist heute was im Krankenhaus am besten sauber erledigt wird und gerade frage ich mich, ob diejenigen, die es mit Drogen probieren, der Leidenschaft noch näher sind, aber weiß doch, es hat nichts damit zu tun - es ist ihr verrücktes und wildes Leben so unecht wie dasjenige, der ADS Kinder die ruhig gestellt wurden, weil sie zu begabt für die normalen Schulen sind und Anpassung nicht ihre größte Begabung ist, normal ist - es ist keine Leidenschaft, so wenig wie die angetrunkene derer, die manchmal auf der Mitte meines Platzes noch laut und peinlich werden, was zumindest nach Leidenschaft aussieht, auch wenn es sich dabei typischerweise nur um mit Alkohol frisierte Normalität handelt, die sie eine Rolle spielen lässt, als gäbe es noch Leidenschaft.

Was bleibt da zu tun, fragt sich der Teilnehmer der um sich greifenden Coolness, der befürchten müsste, im Falle echter Leidenschaft des Stalking verdächtig angezeigt zu werden?

Nichts vermutlich, wir leben einfach mit den Umständen machen alles eben so cool wie möglich und die gestorbene Leidenschaft betrauern wir auch nur formell, was haben wir uns auch früher für Dinge der Liebe verrückt gemacht und heute, wo die Sprache und die Worte Vorrang vor jeder Frau haben, zumindest meist, da lebt es sich gelassen so ohne die große Leidenschaft und vielleicht ist diese Gelasenheit in Kenntnis der Leidenschaft, die oft und immer wieder über das selbstgewählte Ende aus Leidenschaft nachdachte, der Schlüssel zum Glück - lauwarm baden in der Liebe kann sehr schön sein, aber irgendwie werde ich in dieser verfluchten Stadt das Gefühl nicht los, dass sich alle nur lauwarm lieben, weil sie nichts anderes mehr kennen und wagen schon gar nicht und ehrlich gesagt, es ödet mich immer mehr an und fast schon sehne ich mich nach den eifersüchtigen Verrückten, die mich beschimpften für nix oder meine Rechner dursuchten und ähnlich emotional unmögliche Dinge taten, die nur aus einem Ausbruch an Gefühl verständlich sind.

Es liebt keiner mehr mit voller Flamme, denn wir Jünger von Tinder und Finya, wir wissen ja, wenn die oder der es nicht ist, taucht bald der oder die nächste auf und irgendwie ist es ja auch egal, geht ja alles vorbei, nur die Sehnsucht bleibt.
jt 24.9.14

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