Es wird Herbst. Am ersten Montag im Herbst ist es regnerisch und der Himmel über Berlin ist grau, es wehen Blätter über die Wege, Schauer wechseln sich mit Böen ab, manchmal kommen sie auch zugleich. Zeit des Wechsels von der Rilke noch sagte, wer kann, baut nun sein Haus oder bleibt allein.
Viele scheinbar kümmern sich nun mehr um den Hausbau im trauten Heim der Etage zwischen anderen. Wie immer, wenn das Wetter wechselt, sind die Cafés leerer als sonst, bleiben die Suchenden für sich und die wenigen, die dort noch sind, sitzen oft für sich und schauen auf ihre Gläser, wo die Zeit des Sommers nur hin verschwunden ist so plötzlich.
Es ist feucht, auch in den Häusern kriecht der Geruch der Feuchtigkeit wieder durch die Keller nach oben. Die Menschen tragen ihre Jacken hochgeschlagen, laufen schnell, würdigen sich kaum eines Blickes in ihrem Bedürfnis, ins warme, trockene zu kommen und sind doch gerade jetzt viel sehnsüchtiger, als sie es sonst waren. Nach Nähe und Wärme in der Nacht, nach Berührung und Lust, die sie gegen die kriechend kühle Feuchtigkeit erhitzt und schon sind wir mitten in der auch sprachlich schönsten Dialektik der Lust, die uns als warmes Ziel in kühler Zeit gerade scheint.
Wie gerne küsste ich nun die Liebste, wer immer es auch sein könnte, rein fakultativ und theoretisch hier gesprochen, auch wenn dies beim Thema ein wenig absurd scheint. Eng umschlungen, sich wärmend, Körper an Körper mit möglichst wenig an, im feuchten Kuss als Kontrapunkt zur Nässe draußen. Von der Lust träumen im Trockenen und relativ warmen, wenn sich erstmals die Heizungen wieder einschalten und die Luft plötzlich sehr frisch ist, macht die feuchten Träume zu einer warmen Heizung im Inneren.
Liegt es am Wetter, dass wir uns wieder dicker verpacken, der Inhalt unsichtbarer wird, dass wir uns weniger begehren und nicht aufeinanderzugehen, sondern uns, jeder für sich fern bleiben, auch wenn das Bedürfnis eigentlich das genaue Gegenteil verhieße?
Die sich haben, könnten sich nun selig bei sich finden und das Haben genießen, was sie den nur einsam Sehnsüchtigen voraus haben, doch wie selten wissen sie es zu würdigen, wie oft missachten sie, was ihr eigentlich großer Schatz ist und hegen Sehnsüchte jenseits der Gewohnheit wie ihrer Normalität, die sie darum weder würdigen noch genießen können, dabei wäre eigentlich die Liebe ein solch schönes Wunder, das es jeden Tag zu genießen gälte.
Schon im Schreiben zeigt sich, dass in der kühleren Zeit die Verbindung von Gefühl und Lust scheinbar größer ist, als im noch Sommer, wo wir uns einfach der Lust hingeben, wie sie kommt und sie genauso leicht wieder verspielen, weil ja ewig Sommer zu sein scheint und sich eins ums andere in warmen Nächten findet. Allerdings führt dieser Ausflug in die Welt der Emotionen, die nicht notwendig mit der Lust verbunden sind, weg von dem, was die Lust im Herbst ausmacht und wie es sich um das dialektische Verhältnis der zunehmenden Feuchtigkeit draußen zu der drinnen verhält.
Die körperwarme, also wohltemperierte Feuchtigkeit unserer Lust bildet den sehnsüchtigen Gegenpol zu der kühl stürmischen Feuchtigkeit draußen. Vielleicht ist der Sturm der Leidenschaft, die uns noch im Sommer trieb bereits ein wenig verweht, sehnen wir uns mehr nach Wärme und Nähe als nach der schnellen Befriedigung beim heißen Ritt und hängen darum das mit der Nähe irgendwie immer verbundene Gefühl an die Lust, sehnen uns nach vertrauten Geliebten und danach zusammen aufzuwachen und einzuschlafen.
Es wird spannend dieses Verhältnis von innerer und äußerer Feuchtigkeit weiter über den langen Herbst bis in den Winter zu beobachten, wenn das Licht immer wenger wird. Das wenige Licht wohl auch ist es, was unsere Sehnsucht nach Innen wachsen lässt, als Abgrenzung zur dunklen Kälte draußen. So käme zur Frage der Feuchtigkeit noch die des weniger werdenden Lichtes und wie weit sich dieses auf die sexuelle Aktivität der Großstädter auswirkt - ob sich einfach in der Sonne leichter liebt oder unser Körper eigentlich autonom ist, wir immer könnten, wenn wir uns nicht unnötig von äußeren Bedingungen abhängig machten.
Die Erfahrung spricht dafür, dass wir auch im Winter die Lust genießen können und schauen wir uns die Verteilung der Geburtstage über das Jahr an, zeigt sich auch, es geht eigentlich immer und das liegt wohl nicht nur daran, dass die Zeugenden zufällig in anderen Breiten weilten. Es kommt letztlich nicht auf das Wetter an, sofern wir es je passend genießen können. Die traurigen, eher leeren Cafés um den Platz, an dem sonst eifrig geminnt und geflirtet wird, sind also weniger ein Zeichen für ein natürliches Abnehmen der möglichen sexuellen Aktivität der Natur nach, sondern nur der eben Ausdruck des Wechsels.
Immer wenn das Wetter wechselt, außer es wird ganz wunderbar warm, sind die Cafés erstmal leerer, bis sich alle an das Neue gewöhnt haben und auch von ihm nicht weiter aufhalten lassen und sich auch in der neuen Kleidung wieder wohl fühlen, schön im Herbst sind, statt noch nirgendwo ganz. Vielleicht könnte dies irgendwo sein, der Schlüssel zu Sehnsucht und Glück sein. Solange wir in der veränderten Umwelt nicht beheimatet sind, ist es wohl natürlich, sich zurückzuziehen, um sich zu positionieren, das veränderte Revier neu zu erkunden und dann wird die Lust im Herbst auf neue Art spannend, die sich durch Schichten erst die Wege zum Ziel sucht, einander mehr verkleidet begegnet und darum wohl längerer Annäherung bedarf, um sich zu entblößen im nicht mehr Sommer.
Ruhig zieht die Herbstnacht über den Berg, kein Stöhnen aus den eben nicht mehr offenen Fenstern zum Hof ist zu hören und nur der Wind bläst sich einen um die Ecken, manchmal pfeifend und dann und wann tropft es dazu im Takt und wenn wir uns daran gewöhnt haben, werden wir vermutlich auch wieder nacheinander suchen und uns von der Schönheit des Herbstes und was er unten drunter trägt überraschen lassen.
jt 23.9.14
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