Donnerstag, 25. September 2014

Sex in Berlin IX

Wie unterscheidet sich der Sex im späten September von dem des Sommers fragt sich der Besucher beim Blick in die gerade leereren Cafés, in denen sich kaum einer mehr findet und die wenigen verbliebenen sitzen mit Abstand, haben Platz, die wieder dickeren Jacken auf den Stühlen neben sich auszubreiten.

Weniger sind die nach der Lust, neben denen vor der Lust zu sehen, die sich so gern mit meist enttäuschendem Ergebnis imitieren. So sind die "noch nicht" auf sich geworfen und es wäre doch zu vermuten, dass sie sich um so leichter finden würden, aber seltsam genug stürzen sich viele im Herbst noch konzentrierter in ihre Arbeit und das große Knutschen in den Cafés geht vorbei. Es scheint als hätten sich alle in ihre Räume zurückgezogen miteinander, die schon jemanden fanden im letzten Rest des Sommers und die noch übrigen haben sich anstatt in irgendwelche ihnen Wichtigkeit gebenden Projekte gestürzt.

Damit sind nun alle beschäftigt und der Sex im öffentlichen Raum nimmt auch den sinkenden Temperaturen entsprechend ab, regional sei ja schon mit erstem Bodenfrost zu rechnen, lasen wir noch gerade. Zeit es sich gemütlich zu machen, um das traute Heim zu genießen miteinander. So wohl auch die Liebenden um den Platz, die sich bei geschlossenen Fenstern quasi lautlos lieben zu vielleicht weniger fetzigen als ruhigeren Rhythmen, wie den Cello Sonaten des deutschen Meisters Bach, die eine harmonische Ordnung der inneren wie der äußeren Welt miteinander verbinden.

Der Sex zieht sich mehr zurück, wird weniger beliebig und austauschbar sondern erwählt im Inneren, um gemeinsam dies Heim zu teilen, sich eines zu bauen, bevor der Winter kommt und die einsam Liebenden nur fürchten, ewig für sich zu bleiben, warum manche sich aneinander binden, die sich mit mehr und längerem Licht im Sommer wohl noch übersehen hätten.

Der Beischlaf im Rhythmus der Jahreszeiten könnte der Titel einer Monographie wohl gut sein, aber von diesem Thema und den Besonderheiten des Herbstes allein soll hier nicht geschrieben werden, auch wenn es schon Anlass genug dazu gäbe, wie wir im Licht des fallenden Laubes mehr Freude an den natürlichen Körpern und ihrer Entwicklung haben, die sich runden und falten mit der Zeit, was schön genug wäre, sich aneinander zu freuen ohne enge Grenzen der sommerlichen Bikinipräsenz.

Doch gerade auch drinnen geblieben, nicht mehr vor oder in Cafés lungernd, um Ideen aus der Beobachtung ringend, sondern in der eigenen Bibliothek in warmen Wänden für sich, genießend, um in sich aus den Bildern der Lust des Sommers und der Erinnerung zu schöpfen oder zu zweit sich ganz nah während nebenbei der Samowar brodelt und die Lust inniger wird, als sei Innigkeit auch mit inwändig verbunden, scheint es, als ginge die Lust nun eigene, andere Wege als noch vor Wochen, als wir uns in den Cafés trafen, um einander zu genießen vor aller Augen, die uns nicht störten, weil wir es genossen, so unser Glück zu präsentieren mit jedem Kuss, wie sich die Jäger ihre Trophäen in den Flur hängen, aller Lächerlichkeit zum Trotz.

Unterscheidet sich die Lust, die Innen beginnt von der, die außen wächst, oder ist das letztlich egal, weil es weniger um den Ort als die Stimmung dabei geht?

Wo wir uns schon Innen verabreden, in unsere Räume laden, sich zu sehen, ist die Begegnung allein uns näher, es wird persönlicher - die Einladung zueinander ist verbindlicher und entsprechend begegnen wir uns anders dort. Vertrauter einerseits, weil es Teil unserer eigenen Welt ist, andererseits auch vorsichtiger, weil, was hier berührt schnell sehr nah ist und so scheint als wandle sich beim Blick aus den Clubs und Bars nach Innen auch die Art der Sexualität, die dort genossen wird.

Zwischen Büchern, inmitten meiner kleinen Bibliothek liebt es sich anders als im Park oder Café, es rührt die Behausung uns, wo wir uns hin zurückziehen und eben auch für uns sind und so wird die mit anderen im Herbst geteilte Behausung mehr zu einer Heimat uns, in der wir uns zwar vielleicht noch schneller, da unbeobachtet, der Lust hingeben können und sie doch zugleich viel näher an uns heran lassen, warum was schneller ginge, oft länger braucht als die Leidenschaft draußen im Meer der anderen zu finden.

Spannender ist jetzt der Weg durch die stilleren Straßen, nicht nur weil die Vögel langsam verschwinden gen Süden zu überwintern, vielmehr, weil die Fenster geschlosssen wieder aber dafür früher erleuchtet den warmen Schein des inneren Lebens nach außen tragen, die innere Welt auf den zweiten Blick sichtbar machen, die sich draußen nicht mehr mit nur einem Hauch von nichts verkleidet zeigt, sondern längst in Tweed gehüllt lieber, nur im geschützten Raum offenbart, was in ihr steckt.

Der große Berliner Fontane, denn das war er dann doch den größeren Teil seines Lebens, der ein Wanderer durch die Schönheiten der Mark war, reiste auch nach und durch Schottland und schrieb darüber so zärtlich liebevoll wie über seine Wanderungen durch die Berlin immer noch fast unverändert umgebende Mark auch ohne Kaiser heute in ihrer Mittte. Diese Berichte aus Schottland nannte er Jenseits des Tweed - damit haben wir vielleicht die Stimmung dieser inneren herbstlichen Lust wunderbarer beschrieben, als es je gelang. Verneige mich also vor dem großen Hugenotten Theodor Fontane, der mit feiner Ruhe und womöglich einem leicht ironischen Lächeln von Jenseits des Tweed schrieb und damit die Erotik des Herbstes bildlich machte.

Jener dick gewebte etwas grobe Stoff, ist, wo er zarte oder auch üppige Formen verhüllt eine raue Schale von wärmender Kraft und die Spannung der inneren herbstlichen Erotik, die uns den Rückzug zum Tee mehr lieben läßt als die sommerlichen Mojitos im gerade noch gefundenen Schatten, wird nirgendwo so sichtbar wie, wenn wir uns vorstellen zarte Strümpfe schauen unter rauhem Tweed hervor, zeigen vielleicht ein wenig Lust an der Spitze aber sind doch auch korrekt und sehr englisch verdeckend, was der Sommer lächelnd offenbarte und so die rauhe Schale über dem verborgenen Zauber.

Die Lust in den noch warmen Wohnungen, bei Licht zum Tee oder was auch immer, ist wie dieser Gegensatz von Twee auf zarten Strümpfen mit einem Hauch von Spitze, der die noch weit verborgernere Spitze zart andeutet und so auf ganz andere Art, eben innerlich herbstlich, tief blicken lässt und eine neue Sinnlichkeit im verborgenen sich entfalten lässt und die Schönheit unter dem Tweed würdigen lässt, die sich vom rauhen Zwirn abhebt.

Ob wir uns im Herbst auch entsprechend des Bildes zwischen Tweed und Spitze, also der Lust jenseits des Tweed, mit dem Gruß an Fontane immer noch, lieben, könnte der Schlüssel zum Verständnis des Aktes im Inneren sein, der nicht nur eine Tür zur Wohnung öffnet sondern nach der Lust schon gerne eine Decke teilt, was den nur Akt der Lust zu einer fast Ehe macht, mit der eben geteilten Decke danach, weil wir der Wärme bedürfen.

So geht die Lust jenseits des Tweed, die am liebsten wohl unter diesen wandert, auch tief in diesen und spiegelt schon im Vollzug mehr wieder, dass auch schon das Zusammenschlafen ein Akt ist, der sich ein Heim bauen will, um eines zu haben und sich einerseits von diesem lösen zu können, als der rauhen Schale und andererseits auch voller Lust an dem Zusammenspiel der herbstlichen Verkleidung mit dem je Wesen zu erfreuen. Es ist auf eine feine Fahrt noch viel schöner, sich im Herbst jenseits des Tweed zu wollen, als sich nur in der Sommerhitze zu haben und so wird die Sehnsucht nach Innen eben auch zu der, in der die Welt des Tweed mehr beheimatet ist als in der erschöpften Sommerhitze - vielleicht wird der Sex im Herbst darum belebender als der im Sommer erschöpft.
jt 25.9.1

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