Samstag, 20. September 2014

Sex in Berlin IV

Hat die Lust wohl einen Klang fragt sich der Besucher der Cafés und Clubs und was lässt die Gäste starten und aufblühen, um sich einander zu nähern, sich zu verführen?

So verschieden wie die Gäste der je Etablissements am Berg sind, so unterschiedlich scheint ihre Neigung zu sein, sich von bestimmter Musik anmachen zu lassen. Die Freunde harter und schneller elektronischer Musik fühlen sich von Oldies oft eher genervt, während die Liebhaber des harten Rock sich von Schlagern eher angeschmiert fühlen als unterhalten.

Selten wechseln die Wirte ihr Programm, das zu den je Gästen passt, zu schnell wandern diese in andere Lokalitäten ab, deren Sound zu ihrer Stimmung passt und so finden sich schon unter dem Klang ähnlich gesinnte zusammen. Wo dieser gar nicht gefällt und anderes dennoch bleiben lässt, haben wir noch eine Brücke, die dort Außenseiter versöhnlich verbindet.

Eigentlich stört die Musik beim Unterhalten und verhindert, dass kluge oder verführerische Worte so gehört werden, wie sie gemeint waren. Aber scheinbar ist diese Störung relativ unbedeutend, verglichen mit dem Gewinn an Lockerheit, den sie wohl beschert, in dem sie die Geister klanglich beflügelt. Zu dieser eher inneren Lockerheit kommt noch die aus der Bewegung in Hingabe an die Musik.

Fragte mich schon lange, ob Musik eher ein Weg zum Sex ist als eine Form davon und worauf es abzielt. Auf Nachfrage beteuern die meisten, es ginge nur um Unterhaltung und die Lockerheit, die der Tanz so ergebe. Tanz ermöglicht gelegentlich Berührung. Nicht immer und da ist auch das Eis oft so dünn, dass die Gefahr des Einbrechens höher als die Chance des Gewinns sein kann für den, der die hiesigen Spielregeln nicht genau beherrscht.

Grundsätzlich tanzen die Menschen unberührt voneinander und berühren sich nur zufällig infolge der eben Enge, was der zufälligen Bewegung einen eigenen Reiz geben kann, aber auch, in Anbetracht der üblichen Direktheit der durchschnittlichen Berlinerin, eine gewisse Gefahr in sich birgt, es sei denn, sie tritt ihm auf die Füße.

Es gibt auch in Berlin noch Gelegenheiten bei denen Paare eben paarweise tanzen oder noch nicht Paare sich dazu auffordern. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei der Tango, bei dem sich der Sex als irgendwie Anhängsel der Natur nach ergibt. So zumindest die Hoffnung vieler Teilnehmer, die allerdings wohl dieses eigentliche Ziel über der Sache vergessen und sich an diese so vollständig erschöpfen, dass selten noch im Anschluss an mehr zu denken ist. Aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel und die Tanzlokale, in denen noch auch konventionell getanzt wird, wie Klärchens Ballhaus etwa,  erfreuen sich in der Stadt großer Beliebtheit bei der Jugend, wie der reiferen Jugend und bei denen, die längst jenseits von gut und böse sind. Gelegentlich schwingt auch die große Menge zwischen noch und möchtegern Jugend und schon alt paarweise das Tanzbein aber scheinbar ist das Gehopse nach Musik ein Privileg mehr bestimmter Altersgruppen.

Ob dies daran liegt, dass bei den mittleren Jahrgängen häufiger der Sex schon Folgen hatte, die den nächtlichen Schlaf rauben oder des Morgens gern unterhalten werden wollen oder es einfach ein zyklischer Gang der Dinge im Leben ist und die Suche eben für diejenigen, die sich als Familie fanden weniger wichtig ist und sich das freie Tanzvergnügen doch als das entpuppt, was es seiner Natur nach ist, ein rhytmisches Vorspiel auf der Suche nach Partnern zur Begattung oder zumindest zum Genuss des Vergnügens, das mit diesem verbunden ist.

Interessant ist es auch die Schlangen vor den Clubs zu beobachten, die eher von der Jugend besucht werden und welche besonders von denen, die aus den Vororten in die Stadt fahren, um sich zu vergnügen und wie sich Damen und Herren dafür vorbereiten, wenn sie gegen 1h frühestens beginnen anzustehen - kämen sie früher, ständen sie nicht an, hätten drinnen Platz, wären aber uncool früh, denn nicht zu früh kommen, scheint ein wichtiges Kriterium beim Besuch der hiesigen Clubs zu sein auf der Suche nach Sex.

Manchmal verirren sich solche Gruppen von Damen oder Herren, die meist getrennt losziehen, vorab in eine der Bars am Platz, um etwas zum aufwärmen zu trinken, wie das Steigern des Alkoholpegels zur geplanten Lockerheit genannt wird. Es sind dort immer wieder ungewohne Erscheinungen, die mit zu hohen Schuhen über das unebene Pflaster stolpern, stärker geschminkt als alles, was sonst hier seinen Kinderwagen schiebt oder seinen Mops spazieren führt. Die Herren vielfach mit frisch rasiertem Nacken und ansehnlichen Tätowierungen gern auf den trainierten Oberarmen, ob dies nun am ausgeübten Handwerk liegt oder am Vertrag in der Fitnessbude, erschließt sich aus den Gesprächen nicht immer. Sie trinken schnell, reden über Telefone, Autos oder je nach Geschlecht über Typen oder Mädels.

Die Damen sind oft sehr körperbetont angezogen für diese Nächte, zeigen, soweit sie die Möglichkeit haben viel von dem, was ihre Schönheit ausmacht, zumindest aus ihrer Sicht ausmachen soll. Gelegentlich auch über die eigenen Möglichkeiten eigentlich hinaus, um die Lust zu wecken, was wohl bei den entsprechenden Partnern erfolgversprechend sein soll. Bei diesem kultischen Tanz umeinander zeigen insbesondere die ländlichen Damen gern viel von ihrer rückwärtigen Körperbemalung, die dauerhaft über dem Anus aufgetragen, Arschgeweih genannt wird und als Zierde gilt.

Bestaune diese Erscheinungen immer wie ein Zoobesucher, wenn sie wie wilde Tiere aus anderen Regionen hier im Kiez auftauchen, bereit für die Schlacht der Nacht, voll aufgetakelt und angemalt, wo männlich sauber rasiert und mit gespanntem Brustkorb, sich auf die Jagd nacheinander begeben und schriebe gern über das, was danach kommt, bei dem ich aber weder noch Teilnehmer bin, da ich mich für gewöhnlich nicht nach 1h vor einem Club anstelle, um zu laute oft elektronische Musik zu hören, noch kenne ich die Schlafzimmer in ländlicher Umgebung, sofern sie diese erreichen. Einigemale besuchte ich zufällig doch mal solche am Tag und fühlte mich aber selten vom Ort zu mehr inspiriert, warum es meist beim formellen Besuch blieb.

Aber das führt uns vom Thema ab - beobachten kann der Flaneur der Nacht, wie unterschiedliche Musik völlig unterschiedlich angezogene Menschen anzieht, bei denen der Zusammenhang von Lust und Musik auch je unterschiedlich sichtbar wird. Besondere Aufmerksamkeit des Beobachters, um das sexuelle Element in ihrem Beisammensein zu erspähen, brauchen die Besucher von klassischen Konzerten oder Kirchenmusiken, die aber quasi kontrapunktisch oft eine viel tiefer gehende Erotik in ihrem Verhalten zueinander zeigen als die Besucher gewöhnlicher U-Musik, da sie wohl je gegenseitig der Ansicht sind, sich mehr bieten zu müssen als die nur Lust, die sie aber genauso spüren, wie sie andere Hörer auch bemerken, schlagen sie oft interessante auch verbale Salti um zum doch immer Ziel zu gelangen.

Sie sind eigentlich für den Schreiberling und Flaneuer die am interessantesten zu beobachtenden Hörer, da ihre Reaktionen wie ihr Vorspiel so vielfältig ist wie die Musik, die sie hören - sie geben sich gern kutiviert, lieben aber auch in ihrer Lust die Grenzüberscheitungen als eben Kontrapunkt, der jedoch leider meist nur sehr teilweise vom Beobachter registriert wird - sie spielen damit und ziehen sich dann aus der Öffentlichkeit zurück. Insofern ich das Glück habe mit zwei Streicherinnen eines hier bekannten Orchesters den Hof zu teilen, kann ich zumindest berichten, dass auch die Musiker in diesem Bereich ein sehr hingebungsvolles und, so klingt es zumindest über den Hof, variantenreiches Sexualleben haben. Vor allem pflegen sie selten die Gewohnheit vieler hiesiger Paare, sich beim Sex mit Musik aus der Dose beschallen zu lassen, warum der Klang doch sehr unverfälscht und natürlich beim Nachbarn ankommt.

Es gibt dazu von Helge Schneider, der ja ein begnadeter Jazzer ist, dahingestellt, ob er auch komisch ist oder eher nicht, die schöne Aussage, Klassik sei sowieso die bessere Popmusik - dem kann ich entschieden nicht widersprechen. Aber diese Gruppe ist, im Gegensatz zum Volumen, die sie im Text einnimmt ein nur eher verschwindend kleiner Teil unter den hier auf der Suche nach Beschallung sich herumtreibenden. Die Mehrheit hört, was eben läuft und lässt sich davon mehr oder weniger vom eigentlichen Ziel ablenken eine Anhängerin dieser Rhythmen zur gemeinsamen Hingabe zu gewinnen oder dies umgekehrt zu schaffen.

Erstaunlich ist, wie klassisch die Muster von Ansprache und Anmache unter Musik häufig noch sind. So enthemmt sich die je Teilnehmer der Balzrituale umeinander bewegen, so wenig scheint bereits etwas klar und oft verhält sich die je Hingabe an die Musik umgekehrt proportional zur späteren tatsächlichen - dabei kann aber nicht verifiziert werden, ob diese eher an der vorherigen Verausgabung beim tanzen liegt oder eine typische Typfrage ist, also wer hingebungsvoll tanzt meist langweilig im Bett ist. Dabei wäre eine solche Statistik mit prüfbaren Aussagen wirklich interessant, um mal eine brauchbare Aussage über den Zusammenhang von Musik und Sex zu machen.

Mangels ausreichend präziser Untersuchungen des Zusammenhanges geben sich die allermeisten noch planlos dem Ganzen hin. Planlos nur insofern als sie keinen klaren Plan haben, wie was mit wem zusammenhängt. Bezüglich der Lage in die sie jeweils kommen wollen, haben sie aber alle wohl einen relativ genauen Plan. Folge ich dem, was in Gesprächen gehört werden konnte und setze es in Bezug zu dem, was die Erfahrung lehrte, verhalten sich Erfolg und Freude daran, dabei seltsam genug meist umgekehrt proportional zum Plan - weniger mathematisch ausgedrückt, wer sich nichts vornimmt, genießt meißt mehr, was tatsächlich passiert und tatsächlich passiert denjenigen immer mehr als denen, die etwas planten, was ja schon zumindest eine gewissermaßen belastbare Aussage ist, die dafür spricht, weiter planlos als nur Flaneur durch das Leben zu treiben, irgendwas pasiert ja immer und um so weniger wir erwarten, desto schöner wird es sein..

Aber wir werden philosophisch und noch dazu abgedroschen dabei - entfernen uns vom Thema, was aber mittlerweile für ein kleines Essay als kurze Geschichte auch relativ erschöpfend behandelt wurde - zumindest wird sich der Flaneur nun auf die beschriebenen Pfade begeben und irgendeine kultivierte Tanzgelegenheit aufsuchen um selbiges Bein zu schwingen, oder zumindest die getroffenen Aussagen in der Praxis als natürlich nur Beobachter zu verifizieren. Auch dabei wird mein Horizont wieder wie üblich beschränkt sein, warum eine weitere Vertiefung an dieser Stelle nicht nötig scheint - abschließend nur sei festgestellt, ob es dazu in Berlin einen anderen Zusammenhang zwischen Musik und Sex gibt als in anderen Städten, konnte allen Gedanken zum Trotz, nicht festgestellt werden - da es inzwischen sogar einen Ableger dieses gruseligen Oktoberfestes in der Hauptstadt gibt, findet sich ja auch für die Freunde der schlichten Blasmusik ein Revier. Wobei damit keine Aussage über die sexuellen Gewohnheiten der je Besucher getroffen werden sollte. Lassen wir es nun auf sich berühren, uns überraschen, welche Klänge uns wo in nächster Nachbarschaft nun beschallen werden.
jt 20.9.14

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