Donnerstag, 29. Dezember 2016

Gretasophie 005a

005a Kultur und Geschichte

Was haben Kultur und Geschichte miteinander zu tun, fragte ich mich vor diesem Kapitel, der ich leidenschaftlich gerne Kulturgeschichte lese, mit viel Freude Kulturgeschichten in Versen schrieb und damit irgendwas dazwischen schuf. Ist sie die Kultur in der Geschichte und damit selbst schöpferisch, kreativ tätig oder doch nur eine Art Untergruppe der ganzen Geschichtsschreibung?

Wird die Geschichte Teil unserer Kultur oder ist die Kulturgeschichte eine Welt für sich, die Kultur schöpft?

Die Kulturgeschichte befasst sich mit dem geistig-kulturellen Leben in Zeiträumen und Landschaften. Ihre Elemente sind dabei Familie, Sprache, Brauchtum, Religion, Kunst und Wissenschaft. Die Angabe genauer Zeitpunkte ist dabei weniger wichtig als in der politischen Geschichtsschreibung. Was mir mit meinem lückenhaften Wissen sehr gelegen kommt.

Der Begriff selbst stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurzelt im Glauben der Aufklärung an die ständig fortschreitende kulturelle Entwicklung der Menschheit. Die Romantik sah jedes unbewusste Schaffen als Teil der Kulturgeschichte und wollte in ihm den „Volksgeist erkennen, was über Geist und Romantik manches verrät.

Das 20. Jahrhundert führte zu einer eigenen Kulturphilosophie mit Vertretern wie Arnold J. Toynbee und Oswald Spengler, die ihre Erkenntnisse aus einer vergleichenden Kulturgeschichte der Völker entwickelten. Alfred Weber entwickelte die Kulturgeschichte mehr in Richtung der Geistesgeschichte zur Kultursoziologie.

Manche schreien wieder nach den überholten Ideen Sprenglers heute, um ihrer Angst vor dem Islam oder anderen Kulturen dahinter zu tarnen, dem Kampf der Kulturen das Wort zu reden, der so unkultiviert schon gedacht ist, wie nur etwas sein kann.

Kann es je kultiviert sein, sich für eine Trennung der Kulturen oder die Überlegenheit einer Kultur stark zu machen?

Gibt es eine Kultur der Intoleranz oder wäre das eine eigentlich unmögliche Verbindung, weil Kultur sich dadurch auszeichnet, dass sie kultiviert ist und also Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung pflegt?

Lange Zeit wurden noch Sklaven toleriert sogar in Teilen einer liberal verfassten Demokratie wie den USA. Dies, um die Einheit mit dem Süden zu halten, der behauptete, ökonomisch auf sie angewiesen zu sein. Dennoch führte dieser Streitpunkt über die Behandlung von Menschen zum Bürgerkrieg dort, der nicht durch den irgendwann Frieden beendet wurde.

Dieser Zeit wurde auch manches sehr erfolgreiche literarische Denkmal gesetzt, wie etwa vom Winde verweht, ohne hier etwas über dessen literarische Qualität sagen zu wollen, sei festgestellt, es gefiel dem breiten Publikum und begeisterte auch Kinder schon. Dieses Thema der Geschichte wurde auch mit inzwischen klassischen Verfilmungen Teil der Kulturgeschichte der USA.

Die Beschäftigung mit Sklaven kann Teil unserer Kultur sein und dies nicht nur im Kampf um ihre Befreiung von Spartakus über den Freiherren bis Martin Luther King sondern auch als normaler Gegenstand des Alltags, wie bei Epikur, der in seinem Verhältnis zur Frau sehr tolerant war, diese als erster der Philosophie an seiner Schule in seinem Garten selbstverständlich gleichberechtigt teilnehmen ließ. Der große Denker hielt Sklaven für normal und fand ihre Haltung habe nur menschlich zu sein.

Scheint uns heute absurd, entsprach aber dem damaligen Menschenbild. Auch die Römer mit ihrer Hochkultur fanden Sklaven ganz normal, warum wir uns fragen dürfen, ob das heutige Urteil auch eines über die Kultur sein kann oder sagen müssen, es ist das Denken nicht in allem vergleichbar, was aber die Frage aufwirft, ob es richtig sein kann, auch andere Kulturen mit dem europäischen Maßstab zu messen und da ist sich die große Mehrheit hier eigentlich einig, dass es nicht passt und dennoch tun wir es immer wieder.

Betrachten wir jedoch die Wortwahl zu vieler Menschen in Sachsen und auch im sonstigen Neufünfland, fällt auf, dass die Herabsetzung bestimmter Menschengruppen auf Sachniveau dort noch gang und gäbe ist, was sie  Asylantenpack oder Rapefugees schimpfen,  sollte ruhig wieder an der Grenze beschossen werden. Das kommt an im verwilderten Osten und zeugt von einer Sozialisierung in der zentrale Werte teilweise verkümmerten. So gesehen wirkt sich die DDR Biografie, aus der sie ja kannten, dass auf alles Flüchtige geschossen wird, bis heute asozial aus.

Es gibt auch Idioten im Westen, nur sind die Zahlenverhältnisse anders, das Selbstverständnis ist vollständig verschieden und kaum einer präsentiert seine asoziale Gesinnung dann noch lautstark als gerechte Forderung.

Wir ziehen nach den Menschenrechten, die jedem Menschen zustünden Grenzen, die jede Kultur zu beachten hätte, ohne uns selbst für früher andere Ansichten noch bestrafen zu wollen. Andererseits, sind alle, die es taten tot und jene, die es noch genauso sehen werden dafür geächtet oder bestraft, so sie sich Sklaven halten oder andere Menschen als minderwertig und unwürdig behandeln.

Wie Frauen in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern behandelt werden auch aus religiösen Gründen ist für uns untragbar. Die strengsten Kleidervorschrifen des Islam, Methoden wie die Klitorektomie oder die Steinigung untreuer Ehefrauen, lehnen wir als unmenschlich ab, auch wenn es den betrügenden Männern nach einigen Auslegungen der Scharia ähnlich gehen kann. Aber wie unterscheidet es sich von Hexenverbrennungen und ähnlichem hier vor nicht mal 600 Jahren, die der Koran jünger ist als das Christentum?

Denke alle Kulturen scheinen da ähnliche Zyklen der Menschenfeindlichkeit zu durchlaufen und lassen Gewalt gern an Schwächeren aus, was dann, um nicht so offensichtlich feige zu wirken, mit einer transzendenten Rechtfertigung gern erschwindelt wird. Die Beurteilung von Kulturen nach unseren hohen ethischen Maßstäben ist also nicht ganz so leicht und offensichtlich, wie es manchen scheint.

So scheint im Lichte des Grundgesetzes, der Europäischen Menschrechtscharta und den Vereinbarungen der Vereinten Nationen ein Verhalten nicht tragbar, was einzelne wegen ihres Geschlechts oder ihrer Überzeugung diskriminiert, auch wenn es gute Kunden sind. Was aber nur theoretisch gilt und praktisch keine Auswirkung hat:

Das Recht in Saudi Arabien gleicht dem des IS in vielem. Beide hängen einer fundamentalistischen Auslegung ihres Aberglaubens an, die mit unserem Verständnis von Frauenrechten im speziellen und Menschenrechten unvereinbar ist. Ähnliches gilt auch für Al Quaida, gegen die und die Taliban in Afghanistan immer noch Krieg geführt wird, während sie in Syrien auch schon als Partner gelten, weil es gerade besser so passt.

Sollen wir deren Kultur als Partner tolerieren, damit wir die noch schlimmeren nach aktueller Lesart beseitigen können?

Scheint es, auch keine einfache Antwort zu geben, sondern es ist irgendwie ziemlich kompliziert. Es fing so richtig kulturgeschichtlich oben an, mit der typischen Feuilleton Debatte um den Kampf der Kulturen, von dem die Rechten immer schwadronieren und vor dem sie die verweichlichte Republik der Gutmenschen warnen wollen, weil sie Angst vor Multikulti haben, was ihrer Ansicht nach nicht funktionieren kann.

Warum sich eine Kultur, die erfolgreich ist und ökonomisch an der Weltspitze steht, vor einer irgendwie noch mittelalterlich unterentwickelten Sekte fürchten und schützen muss, habe ich nie verstanden. Es zeugt für mich eher von Angst und mangelndem Selbstbewusstsein bei denen von Pegida und AfD, die ständig darüber schwadronieren.

Was tue ich, wenn ich von meiner Art zu leben überzeugt bin, gegenüber denen, die anderes gewohnt sind?

Werde ich sie vertreiben, weil alle hier so sein müssen wie ich und es sonst Krieg gibt, eben der Kulturen wie Huntington, der Vorgänger der ängstlichen Wutbürger, es ständig in tiefstem Schwarz an die Wand malte?

Beseitige ich die Angst, in dem ich den ängstlichen Wutbürgern ständig sage, sie seien doof, intolerant und passten nicht in die Zeit?

Eher weniger, würde ich vermuten, vergrößere nur das gegenseitige Unverständnis und provoziere den von ihnen prophezeiten Kampf der Kulturen als internen Bürgerkrieg, was auch in die falsche Richtung irgendwie geht.

Nachdem ich mich lange über die sagenhaft peinliche Intoleranz in diesem Land aufgeregt habe, die Pegiden als Idioten und echtes Ostprodukt erkannte und beschimpfte, merkte ich, dass sich dadurch nichts ändert, außer der Tiefe der Gräben zwischen beiden Lagern.

Vielleicht lag das Unverständnis auch daran, dass wir  eine verschiedene Sozialisation in Ost und West haben, unterschiedlich auf die gleiche Sache schauen und so begann ich zu überlegen, bevor ich mich im gewohnten Muster über die Idioten erhob, was uns verbinden könnte, wo es Gemeinsamkeiten gibt und für welche ihrer Argumente ich Verständnis haben könnte.

Reflexartig fiel mir der radikale Islam ein, den ich wie jeden extremen Aberglauben ablehne. Darin wäre ich mir mit den Rechten sogar inhaltlich relativ einig. Erstrebenswert fände ich es, den Muslimen die Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit als hehres Lebensziel darzustellen, ihnen das kantsche Denken im Geist der Toleranz als Vorbild vorzuleben, um damit die Werte unserer Kultur zu verteidigen, die nichts mit dem Christentum zu tun haben, sondern Produkt der Aufklärung und damit der der Opposition gegen den hiesigen Aberglauben sind.

Aber, wer den ollen Kant einmal las, oder auch über ihn las, will mich da nicht größer darstellen als ich in den bescheidenen Grenzen meines Verstandes nur bin, der wird feststellen, Bekehrung ist kein Mittel der Aufklärung, sondern im Gegenteil geht es ihm, um den Mut sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, um sittlich zu handeln - sapere aude, habe Mut, sei der Wahlspruch der Aufregung und genau darum geht es, den Mut haben, selbständig zu denken und dies kritisch zu tun, statt nur Schemen nach zu beten.

Wer Angst hat, verdrängt zu werden, den Kampf der Kulturen und seinen Untergang fürchtet, hat keinen Mut, sondern fürchtet sich, was eine genauso schlechte Basis für Aufklärung ist wie fanatischer Glaube.

Was wäre, wenn die Kirchen sich hier massenhaft um Konvertiten bemühten, denen im Gegenzug dann hier ein sicherer Asylanspruch zustünde und nicht nur eine Duldung bis der Fluchtgrund wieder wegfällt?

Wer sich also kulturell unserem Aberglauben annäherte, würde als leicht zu integrieren zunächst gelten, bis sich das Gegenteil erweist. Eine Art kultureller Beweislastumkehr fände vermutlich zwar laute Gegner auf allen Seiten, wäre aber zunächst wesentlich effektiver als alle verwaltungstechnischen Verfahren.

Oder wäre das nur ein neuer Kampf der Kulturen, in dem sich diejenigen die sich bedroht fühlen, mit gleichen primitiven Waffen wehrten?

Missionierung ist eine widerliche Anmaßung, die von kulturellen Überlegenheitsgefühlen zeugt, abzulehnen, sofern sie nicht völlig freiwillig erfolgt, in dem eben die Betreffenden zum neuen Glauben alleine fanden und dann auf diesem Weg begleitet würden.

Eine Einbürgerung oder ein sicherer Aufenthaltsstatus bei drohender Ausweisung wären wohl vielen Anreiz genug, zu konvertieren und den Aberglauben, anzunehmen, der eben hier am stärksten herrscht. So gesehen wäre dies zumindest in reinen Zahlen und rein oberflächlich der effektivste Weg zur kulturellen Integration, sofern mehr Aberglaube je mehr Frieden auf Erden brächte.

Was es hier aber zu verteidigen gilt, ist nicht der christliche Aberglaube oder die Traditionen von Weihnachtsbäumen bis zu Ostereiern, sondern das Wertgefüge der Aufklärung, die allerding ihrer Art nach nie eine Heilslehre sein kann. Sie ist unbequem, weil selber gedacht werden muss, sie hat keine Parolen, weder Lügenpresse, noch Gutmensch oder Faschos am Ende gar Ostdeutsche, genügte diesem Anspruch.

Wer über die Kultur des Abendlandes spricht und sie bewahren will, sollte wissen, um was es geht und nicht Kultur mit dem richtigen finnischen Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt verwechseln und nicht meinen unsere Wertegemeinschaft in Europa, die Basis unserer Kultur ist, könne durch die Rückbesinnung auf mittelalterliche hiesige Glaubensformen bewahrt werden.

Europa hat einen reichen Schatz mit seiner Aufklärung, deren radikaler Form um die weitgehend atheistischen Enzyklopädisten, wie den von ihr errungenen Menschen- und Bürgerrechten, für die es Revolutionen und blutige Weltkriege gab. Sie sind, was uns zusammenhält, nur gibt es die nicht als Ideologie zum nachbeten, sondern nur als anstrengende Aufforderung zum selber denken, die nicht endet, weil sich die Welt immer ändert, warum sie ein dauernder Prozess der Diskussion sind, in dem wir denken müssen, um frei zu bleiben. Freiheit ist einerseits ein Geschenk, andererseits eine lebenslange Aufgabe und nur, wo wir täglich den Mut haben, um sie zu kämpfen, wird sie den Mut haben, zu kommen, um zu bleiben.

Das Denken und der Mut dazu, dabei alle Grenzen zu überschreiten, ist die Freiheit, auf der unsere Kultur fußt, aus der die Menschenrechte wuchsen und die wir nur hier verteidigen können, in dem wir zum selbständigen Denken anregen, statt zu taufen. Vielleicht aber ist die Taufe ein Schritt, diese Menschen aus der größeren Abhängigkeit an mehr Freiheit zu gewöhnen, aus der sie dann kritisch zu denken, beginnen können.

Aberglaube kann kein Ziel einer offenen Gesellschaft sein, aber pragmatisch betrachtet, könnten so kreativ Intergrationshindernisse umgangen und ein konstruktiveres Miteinander gefunden werden, um darauf leicher das ‘HABE MUT!’ wie Kant es dachte, zu integrieren unsere Gesellschaft freier und offener zu machen.

Wer es als Brücke nutzt, um Menschen aus stärkeren Ketten des Aberglaubens zu befreien, könnte damit das Fundament für eine spätere Integration durch Befreiung aus der dann selbstverschuldeten Unmündigkeit legen.

Wichtig ist dieser Unsinn des auch christlichen Aberglaubens und die anmaßende Peinlichkeit der Mission, mit der sich ein besserer Status erhandelt werden könnte, nur deshalb, weil er Teil unserer Kultur ist, das Verständnis für freies und selbständiges Denken förderte.

Kulturgeschichte verstehen ist ein Teil jeder Integration und wenn eine Gemeinschaft sich auf gemeinsame Werte einigen will und mehr als den formalen Gesellschaftsvertrag als Bindung untereinander sucht, braucht es eine gemeinsame Kultur als Bindeglied. Die schufen für das Christentum noch Karl und Otto die jeweils Großen mit dem Schwert, nicht so fern von dem, was der IS heute auch tut.

Wer nicht versteht, warum die Menschenrechte in Abgrenzung von einer übermächtigen Kirche entstanden, sie sich nicht selbst auch als Schatz erringt, sondern übergestülpt bekommt wie ein unbestelltes Geschenk, wird sie eher weniger wertschätzen. In Sachsen und vielen ländlichen Regionen Neufünflands konnten wir dies beobachten, weil das Grundgesetz von ihnen nicht errungen wurde, sondern viele diese beste deutsche Verfassung aller Zeiten bis jetzt, als übergestülpt empfanden, weil sie auch manches in der DDR zu schätzen wussten. Dies ist ein Beispiel für Kants habe Mut im Rahmen der Beantwortung der Frage, was Aufklärung sei.

Auch darum blieb die SED-Nachfolgeorganisation, die sich heute sehr kulturaffin Die Linke nennt und doch eher mehrheitlich eine nur reaktionäre Organisation ist, stark. Sie nutzte den fehlenden Mut und unterstützte die enttäuschten Nörgler mit Anklagen und Forderungen gegen den Sozialstaat, die keine Regierung je realisieren könnte, warum auch Wagenknecht keiner ernst nimmt, der sich mit der tatsächlichen Umsetzbarkeit von Politik schon beschäftigte, sie nur als eine brandgefährliche Populistin wie ihren Gatten Oskar sieht.

Kultur kann nur in Freiheit und in Freiräumen entstehen. Wie es früher der Adel war, braucht die Kunst auch heute Mäzene - ob dies der Staat sein muss, könnte der Frage wert sein, vor allem in Anbetracht herrschender Vetternwirtschaft. Dafür spricht der Bildungsauftrag, dagegen spricht die Vergeudung von Geldern, die für effektive Verwaltung dringender gebraucht werden.

Aber eine Gemeinschaft funktioniert auch nur, wenn sich ihre Teile mit dem Ganzen identifizieren. Dazu braucht es Kultur als Brücke und Gegenstand der Identifikation. So ist die Kulturgeschichte immer auch zentraler Teil für den Zusammenhalt eines Staatswesens und damit, wenn auch von vielen nur für die schöne Verzierung gehalten, in Wirklichkeit der Mörtel zwischen den Steinen, der erst ein Bauwerk sicher macht, das vielleicht auch ohne die Verbindung der Steine irgendwie stände, aber verbindungslos bliebe und immer einzustürzen drohte ohne Fundament und Verbindung.

Sie ist auch Teil der großen Geschichte, die gern mit Fakten und großen Namen glänzt von denen, die wichtiges an zentraler Stelle entschieden. Es gibt in der Kulturgeschichte auch die Tendenz mehr Wert auf die Sozialgeschichte zu lesen, auch wenn dies logisch vermischt, aus durchsichtigem Interesse Dinge betont, damit sie sozialer und besser klingen, als sei Aufgabe der Kulturgeschichte die Geschichte umzuschreiben und nicht nur von ihr zu erzählen.

Diskutierte mit einer kulturgeschichtlichen Dozentin und Liebhaberin, was hier keine Rolle spielt nur beim später Blick auf die Sittengeschichte als Teil der Kulturgeschichte interessant sein könnte, über die Rolle großer Köpfe und Familien zum Verständnis der Geschichte und stritt mich mit ihr dazu genauso wie zu der Frage der Bedeutung der Religion, die sie aus meiner Sicht an falscher Stelle für entscheidend hält.

Sie meinte, die Sozialgeschichte der normalen Menschen, der Bauern und Handwerker, sei viel wichtiger und spannender als die zur genüge bekannte des Adels und der Politik. Hatte mit meiner dürftigen Bildung nur wenige Argumente gegen diese hochgebildete Frau, war mir aber ganz sicher, dass sie völlig falsch lag und Prioritäten setzte, die nicht zum Verständnis beitragen, sondern nur politisch gerade korrekt, das Maß der Verwirrung sozial kompatibel erhöhten.

Hatte mich über diese Frage schon einmal mit einem Kunsthistoriker überworfen, der die Person des Künstlers für überbewertet erklärte und stattdessen lieber das Werk an sich betrachtete und für sich sprechen ließ, was ich für bloßes politisch korrektes und gerade modisches Blabla hielt. Ein Werk stammt immer von einem Künstler und dieser spricht durch seine Werke immer.

In jedem meiner Texte, spiegelt sich auch mein Leben und wer eine Geschichte meiner Liebsten schreiben wollte irgendwann oder mich einer Biografie für würdig erachtete, was zugegeben ziemlich phantastischer Unsinn wohl wäre, brauchte nur in meinem Blog die Serie meiner Verse lesen und könnte sehr viel aus meinem Leben wieder entdecken, es teilweise exakt erzählt finden, allerdings selten oder nie so, wie es  geschah, sondern so, wie ich darüber denke mit meinen bescheidenen Mitteln. Viele verwechseln auch Dichtung und Wahrheit wie schon Goethe autobiografisch so treffend titelte, erstere bleibt immer Kunst und macht, was sie will und aus ästhetischen Gründen, die manchmal auch vom schlichten Marketing beeinflusst werden, letztere gibt es nicht und ist systemlogisch die Erfindung eines Lügners. Was die Wirklichkeit für wen ist, wäre wohl ein zu weites Feld für ein nur Essay.

Nun aber zurück zu dieser hochintelligenten, noch gebildeteren und wunderschönen Kulturwissenschaftlerin, mit der ich zu gerne mal ein Buch zusammen geschrieben hätte, müsste ich nicht fürchten, dass wir uns dabei irgendwann den Schädel einschlügen oder zumindest schreiend auseinanderliefen - ihre These von der Sozialgeschichte und der Wichtigkeit der kleinen Leute zum Verständnis einer Zeit, halt ich, um ehrlich zu sein, für politisch korrektes Gewäsch, was den Horizont in eben diesem Nebel verdunkelt, ohne etwas zur Aufklärung beizutragen.

Weiß, dass es seit den 80ern dazu eine angeregt geführte Diskussion in der Kulturgeschichte gibt, die ich aber von Anfang an eher für geistige Onanie hielt, mit der sich die Beteiligten mehr Aufmerksamkeit für ihre Publikationen im Wettstreit um Professuren erhofften, ohne irgend neues zum Diskurs beizutragen. Es wurden politische Formeln und Forschungsgegenstände der Soziologie auf die Kulturgeschichte übertragen, diese wurde dazu im egalitären Gewand geschminkt damit sie nett sozialdemokratisch aussah und ließ sich dafür immer tiefer über im Grunde völlig unwesentliches zum Verständnis des Laufes der Welt aus.

Sich ein Bild auch davon zu machen, wie die nicht privilegierten Menschen lebten, die keine Entscheidungen fällten, kann sicher helfen, historische Ereignisse besser einzuordnen. Ist ein kleiner Baustein, der ein Mosaik auch vervollständigt, aber damit nicht zur Bedeutung an sich wird.

Geschichte und Kulturgeschichte lebte von dem, was passierte und denen, die es bewegten. Das ist lange Zeit primär der Adel gewesen, dann kamen im Mittelalter und der Renaissance bürgerliche Bänker zu Macht, die Adel sich kaufen konnten, wie die Medici, die Fugger und die Rothschilds später. In Summa haben alle Lieschen Müller und Fritzchen Meyer auch viel in der Welt bewegt, sind eigentlich die Basis aller Macht, doch vollzogen sie im bekannten Rahmen ihr Tagwerk als abhängig Beschäftigte oder Eigentum des Grundherren bis ins 19. Jahrhundert weit hinein.

Habe mich mit der Kulturhistorikerin leider nie mehr zum streiten getroffen, was ich immer sehr bedauerte, weil ich trotz aller divergierenden Meinung, sehr viel von ihrem Wissen halte, vom übrigen hier zu schweigen, was sicher auch Grund genug wäre, aber kein Thema ist, höchstens zur Sittengeschichte als Teil der Kulturgeschichte passte aber auch insofern hier gerade nicht passt, wir sahen uns ja auch irgendwann nie wieder, weil beiden andere Leidenschaften zwischen die Kultur kamen und Priorität bekamen.

Hätte sie zu gern davon überzeugt, dass auch die Kulturgeschichte ihre Köpfe braucht, um sich zu orientieren, was sie vermutlich meinem Mangel an Orientierung zuschrieb, der auch an den Lücken meiner Bildung liegt, was sie als Profi wohl unschwer erkannt haben wird. Es ist das Gegenteil nämlich, die Sehnsucht nach Orientierung, die mich Netze mit den immer gleichen Köpfen spannen lässt, um die sich bestimmte Teile der Welt zu dieser Zeit drehten.

Die Geschichte mit der Kultursozialgeschichte mag ein verzeihlicher Unsinn zur Erringung einer begehrten Stelle sein, die ausreichend Aufmerksamkeit erheischt, vielleicht noch die Leser des sozialdemokratischen Vorwärts interessieren, wenn es diese denn wirklich gibt und solche nicht nur wie die Leser aller Vereinsblätter einzig wahrnehmen, was sie persönlich betrifft, leistet ansonsten aber keinen Beitrag zur Aufklärung, die aus der Unmündigkeit befreien soll, die aus Unwissen resultiert.

Geschichte wie Kulturgeschichte braucht ein grobes Netz, das sich in Details je nach Bedürfnis verfeinert. Wie wir den Rahmen finden, der zu uns passt, muss jeder für sich entscheiden und sich dabei nach dem richten, was Lust auf mehr macht und interessiert. Kulturgeschichte ist noch mehr als alle anderen eine Frage der Lust, die sich Brücken zum Rahmen sucht, der sie betrifft.

So kam ich von der Lektüre von Heinrich Manns Henry IV. zu diesem und dabei noch zu den französischen Häusern Valois zu dem von Bourbon, die heute noch in Spanien repräsentieren, nebenbei noch zu seinem Berater Michel de Montaigne und seiner englischen protestantischen Kollegin Elisabeth I., diese führt klar zu Philipp II. der natürlich an Karl V. denken lässt, den Kaiser in dessen Reich die Sonne nie unterging und der so viele Kriege ausfechten musste, der wiederum nach seinem Großvater Maximilian I. über Luther richtete, was zur Reformation bringt, dabei denke ich zugleich an das Spanien, das Karl V als I.  regierte, was mich zur Reconquista als Gegenbewegung zum sich aufbäumenden Protest gegen Ablass und Inquisition führt, diese in Spanien noch stärkte und von Karl geht es zu seinen Großeltern mütterlicherseits, die auch Schwiegereltern einst vom Vater von Elisabeth I. von England waren, dem berühmten Henry VIII. aus dem Hause Tudor, und die  Karl von Aragon und Isabella von Kastilien hießen und zufällig die gleichen waren, die den im Glauben fanatischen genuesischen Kaufmann Christoph Kolumbus die Reise nach Indien auf westlichem Wege finanzierten und damit landen wir in Amerika und sind fast schon wieder in der Gegenwart, wo Obama wie verzweifelt noch lauter Aktionen startet, von denen jeder weiß, Trump wird sie schnell zurücknehmen, was gegen jede demokratische Sitte auch für eine lame duck verstößt.

Wen dies surfen zwischen Welten und Zeiten nicht fasziniert, der wird andere Wege und Brücken finden und suchen, um sich zurechtzufinden, wo immer ein Mensch zum erstenmal auf die großen Zusammenhänge stößt, die ein faszinierendes Netz offenbaren, in dem Kultur sich entfalten kann.

Es mag schön sein, Forschungsmittel dafür zu bekommen, sich einige Jahre damit zu beschäftigen, wie es fränkischen und hessischen Bauern während der Bauernkriege in ihren Ehen sozial erging. Dann muss natürlich zur Rechtfertigung noch irgendetwas scheinbar wichtiges zu diesem irrelevanten Thema veröffentlicht werden, denn Schlachten entschieden immer andere, auch wenn jeder Tropfen seine Rolle irgendwo spielt, politisch wichtige Entscheidungen trafen die Bauern auch eher nie, so wenig wie die Handwerker im engen Verbund ihrer Zünfte. Sie zu würdigen und ihrer sozialen Rolle gerecht werden wollen, klingt nett, ist aber nichts als geistige Onanie junger Dozenten auf der Suche nach Bedeutung, wenn dafür die entscheidenden Dinge vernachlässigt werden und die Köpfe und Familien, die erst Zusammenhänge weltweit verstehen lassen, vergessen werden.

Auch in der Kulturgeschichte gilt, das Netz ist der Zahlenstrang im Kopf, auf dem Ereignisse sichtbar werden und hervorstechen, es bildet den Rahmen, in dem bestimmte Personen und Familien manch Großes bewegten, während alles übrige wie immer geschah, was auch beim  Blick auf die Sittengeschichte noch deutlicher wird. Es hat sich am Leben und an den Bedürfnissen der Menschen nicht wirklich viel geändert in den letzten Millionen Jahren, um so mehr an der Art, wie wir unser Zusammenleben organisieren. Es wird in der irgendwann Kulturgeschichte unserer Zeit und der Demokratie natürlich auch der Bürger als Stimmberechtigter eine größere Rolle spielen, vom Wutbürger bis zum besorgten Brüder, die wie damals die von Straßenkämpfen genervten an die Macht wählten.

Doch um einen Rahmen zu finden, sollten wir durch die Jahrhunderte zu fliegen lernen und nur die Leuchttürme als Orientierung kennen, um zu wissen, wo wir stehen und wer diese sind. Habe selbst seinerzeit in Hessen viel von diesem Unsinn gelernt, der dem Unterricht in Geschichte einen sozialdemokratischen Anstrich geben wollte. Wusste aber nichts von der Rolle der Medici, der Rolle der Katharina und der königlichen Vettern in der Bartholomäusnacht und hatte doch nichts davon, zu wissen, wieviel Quadratmeter durchschnittliche abhängige Bauern für die Eigenversorgung bewirtschafteten.

All dies ist Wissen für ein Lexikon des überflüssigen Wissens, in dem notiert würde, was niemand wissen muss, keinen weiteren Zweck erfüllt als Fakten zu liefern, die nichts an der Welt änderten.

Vielleicht ist meine Beschränkung auf bedeutende Ereignisse und Personen völlig asozial, adelsfixiert und elitär, aber sie gibt mir ein Netz jenseits von Beschäftigungstherapien für historische Soziologen, mit  dem ich von jedem Punkt aus arbeiten und mich zurecht finden kann. Da mögen andere begabter sein, warum ich nicht über das, was mich vielleicht aufgrund meiner bescheidenen Mittel so gähnend langweilt, scharf urteilen - sondern nur feststellen, dass ich lieber nach oben schaue in der Geschichte, um zu verstehen, statt im Schlamm zu wühlen, da es den Überblick erleichtert.
jens tuengerthal 29.12.2016

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