003b Wie werde ich glücklich
Auf die Frage, wie ich glücklich werde, gibt es eine ganz einfache Antwort, indem ich es bin.
Mehr ist es nicht und mehr wird es auch nie als eine Haltung zu den Dingen, die unser Glück ausmachen.
Also sollte es doch eigentlich ganz einfach sein, glücklich zu werden, in dem wir uns an dem freuen, was uns glücklich macht. Doch wäre es vermutlich nicht menschlich, wenn sich dem nicht wieder viele Dinge entgegenstellten.
Bauen wir uns Hindernisse zum Glück, um nicht glücklich zu sein?
So wir unser Glück an Dinge knüpfen, die wir nicht beeinflussen können, liegt es nicht mehr in unserer Hand, ob wir glücklich werden. Dann überlassen wir es denen, die darüber entscheiden können oder noch komplizierter, wir überlassen es dem Zufall, ob wir uns für glücklich halten oder nicht.
Eigentlich ist es völlig unsinnig, sein Glück an einen bloßen Zufall zu hängen oder auf diesen zu vertrauen. Dennoch spielen Millionen Menschen Glücksspiele oder Lotto, bei denen sie viel Geld für den möglichen Eintritt eines von aller Vernunft unabhängigen Ereignisses einsetzen. Das daran geknüpfte Glück hängt dabei nicht von ihrem Willen ab.
Wer sich der Möglichkeit beraubt, selbst über sein Glück zu entscheiden, hat damit sein Glück aus der Hand gegeben. Solche Menschen können nur trotzdem glücklich sein, weil sie das zufällige Glück ignorieren oder sich durch nichts unglücklich machen lassen.
Mit etwas Abstand in Ruhe betrachtet aber, wird deutlich, warum so wenige Menschen glücklich werden und dafür so viele an ihrem Unglück leiden, auf das sie keinen Einfluss mehr nehmen können. Sie haben keine Chance von sich aus glücklich zu werden, außer sie ändern ihre Haltung zum Leben und zu sich.
Wer durch den Zufall glücklich wird, sei es im Spiel oder im Leben, macht sich von diesem für seine Zufriedenheit abhängig. Sein Befinden ist damit nicht mehr von seiner Haltung zum Leben abhängig, sondern wird nur von Ereignissen außerhalb seines Einflussbereiches entschieden.
Dass es viele oder mancherorts auch fast alle Menschen so machen, führt nicht dazu, dass ein falsches Verhalten damit richtiger wird und wer mit dem Strom schwimmt, glücklicher ist. Leichter haben es sicher immer diejenigen, die sich gut anpassen können und sich unauffällig in der Masse treiben lassen.
Wer selbst denkt und sich ernsthaft fragt, was macht mich dauerhaft glücklich und wie werde ich es überhaupt, hat es schwerer als jene, die ihr Glücksempfinden an der Mehrheit ausrichten.
Welchen Grund könnte es geben, es sich bei der Frage nach dem Glück, schwerer zu machen als die meisten anderen?
Wer sich die Frage stellt, ist sich schon des relativen Charakters allen Glücks bewusst und wird damit den folgenden Fragen ohnehin nicht mehr entkommen. Wenn aber etwas ist, und sei es nur als Idee in unserem Bewusstsein, stellt sich nicht mehr die Frage, wie werde ich es los, sondern wie werde ich, mit dem was ist, glücklich.
Betrachte ich die Erfolgsquote des Zufalls und die Abhängigkeit seines Eintritts von Dingen außer mir, relativiert sich die Schwere der Fragen gemessen am möglichen Erfolg. Ob ein zufälliges Glück eintritt, ist zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit berechenbar, doch, egal wie ich mich nun verhalte, nicht beeinflussbar.
Dagegen ist die Haltung zum Leben eine Frage derselben und kein Zufall mehr. Unabhängig von dem, was ohne meinen Einfluss geschieht, kann ich so eine Position finden, die mich möglichst glücklich macht.
Was in meiner Hand liegt und mich unabhängig vom Zufall macht, verspricht Dauer und einen vernünftigen Weg zum Glück. So komme ich, gegen das Verhalten der Mehrheit und deren Meinung zu dem Schluss, dass wie glücklich ich bin, allein von meiner Haltung abhängt, was ich ja schon oben feststellte, dass Glück also machbar ist, wenn ich es will.
Wenn ich nun weiß, es kommt auf meine Haltung an, fragt sich, welche mich am ehesten glücklich macht, welche Dauer verspricht und welche das Glück am längsten noch hält. Über die letzten beiden Punkte will ich in eigenem Kapitel jeweils nachdenken, weil ich sie für ziemlich wichtig halte auf dem Weg zum Glück durch die Zeit.
Auf die Frage, was wen glücklich macht, habe ich keine Antwort für alle. Jeder kann sich selbst aussuchen, woran er sich freuen will und wie er seinen Alltag so gestaltet, sein Glück möglichst intensiv zu genießen.
Wichtig dabei scheint mir, das Leben als einen Prozess zu begreifen, der sich ständig ändert und der an sich erstmal, egal was ist, keinen bestimmten Wert und kein konkretes Ziel hat, sondern diesen von uns bekommt, je nachdem, wie wir es betrachten.
Wer Cluburlaub mit Party-Spaß und Unterhaltung bucht, wird mit einer stillen, abgelegenen, einfachen Pension, die nichts bietet als himmlische Ruhe, selten glücklich werden. Umgekehrt wird, wer seine Ruhe möchte, kaum einen solchen Spaß-Urlaub buchen wollen.
Wer in der Großstadt lebt, sich aber eigentlich mehr nach dem ruhigen Landleben sehnt, wird es schwerer haben mit dem glücklich zu sein, was um ihn ist.
Diejenigen, die klassische Konzerte lieben, werden sich seltener für Rockkonzerte begeistern, während umgekehrt alle, die es eher hart und wild mögen, sich in einem typischen klassischen Konzert langweilen werden.
Unsere jeweilige Leidenschaft für etwas, können wir noch mit unserer Haltung dazu gut beeinflussen - so mag ich beides jeweils zu seiner Zeit und am richtigen Ort, freue mich aber auch an gelegentlichen Überschneidungen, wenn etwa im Keller der Bar nebenan plötzlich eine Geige oder ein Cello erklingen, statt der sonst E-Gitarren und des immer Schlagzeugs.
Dieses Crossover gibt es auch im Bereich der Klassik, wenn etwa die Cellisten der Berliner Symphoniker, Songs von Rockgrößen spielen oder ein Opernstar einfach mal Schlager singt und viele mögen das gern, wenn sich sonst getrennte Bereiche ausnahmsweise mischen, wie sich etwa auch an der Ausgelassenheit bei der Last Night of the Proms in London jedes Jahr wieder zeigt, in denen die Besucher der Promenadenkonzerte und viele andere mehr oder weniger illustre Gäste eine Party feiern, die mit vielen Gebieten von Klassik bis Moderne spielt.
Auch ganz eigentlich Grässliches kann Kultcharakter entwickeln, wie etwa Florence Foster Jenkins, die wirklich nicht singen konnte, deren teuer produizierte Aufnahmen aber Kultcharakter inzwischen haben.
Es ist ziemlich bunt und vielfältig, was Menschen um die Welt so schön finden und sich schmecken lassen - wer noch nie tibetischen Yak-Tee getrunken hat, dem wird beim ersten Schluck dieses nach ranziger Butter schmeckenden Gesöffs speiübel werden, während es für viele Mönche und andere ein Hochgenuss und das beste Heilmittel ist.
Ist es leichter, glücklich zu sein, wenn wir an allem neugierig etwas finden können oder lieber in dem Rahmen bleiben, den wir für gut befunden haben?
Ist eine Abweichung ein Glück oder ein Unglück?
Manche lieben Überraschungen und brauchen das ständige emotionale auf und ab, um sich zu spüren. Andere haben lieber Sicherheit und Kontinuität, um glücklich zu sein. Insofern ist Glück wohl auch einfach Geschmackssache.
Jedoch können wir je nachdem, für was wir uns entscheiden, unterschiedlich viel Einfluss auf diesen Zustand nehmen und unser Leben danach selbst bestimmen, sind also frei, während alle, die auf Überraschungen setzen, immer von diesen abhängig sind und unberechenbar bleiben, ihr Glück ist dann zufällig.
Schaue ich mir diese Argumentation bis hierher an, könnte es scheinen, als mache nur die langweilige Berechenbarkeit glücklich während Spontaneität eher Gefahr liefe, unglücklich zu machen, weil sie unberechenbar ist.
Dabei sind es doch so oft gerade die spontanen Aktionen, die so schön sind und die dann überraschend zum Genuß werden, gerade da, wo wir es am wenigsten erwarten. Immer der gleiche Rhythmus erscheint dagegen den meisten eher ermüdend, auch wenn er die größte Garantie für eine Kontinuität des Glücks gäbe, dächten wir es konsequent.
Habe die ziemlich starke Vermutung, dass es, wie immer, nur um den goldenen Mittelweg geht, der sich irgendwo dazwischen befindet. Einen Plan haben und diesem folgen, gibt Sicherheit und kann insofern auch glücklich machen. Mit allen Plänen auch mal brechen können, um das Glück des Augenblicks zu genießen, ist ein Weg zu großem Glück in diesen oft gut erinnerten Ausnahmefällen.
Kommt es also auf die Ausnahme oder die Regel eher an bei der Suche nach Glück, wenn wir schon feststellten, dass Glück hauptsächlich eine Frage der Haltung ist?
Für mich wird es immer die Sicherheit im Plan sein, die eine Ausnahme auch zulässt, um sie zu genießen. Andere leben gern den permanenten Ausnahmezustand, frage mich dann immer, wie sie das genießen können und was für sie dauerhaftes Glück ist, aber vielleicht ist das auch einfach nie ein Kriterium für solche Menschen.
Spannender ist die Frage, wie Menschen ihre jeweiligen Wege zum Glück miteinander vereinen können. Wer immer etwas machen will und Überraschungen liebt, wird sich mit denen, die lieber in der Ruhe selbst bestimmen, was sie glücklich macht, auf Dauer nur schwer verstehen können. Den einen ist die Ruhe zu langweilig, dem anderen wiederum die Unruhe zu unruhig.
Vereinen müssen sich zwei Wege, wenn zwei meinen, sich zu lieben und ein Leben teilen wollen. Ob das geht und was dabei Glück ausmacht, ist eines der größten Rätsel bei der Suche nach dem Glück, wie überhaupt in der Liebe zugleich gesteuertes und zufälliges oder zumindest von uns unabhängiges Glück zusammenkommen, um für uns, wenn wir sie gefunden zu haben meinen, das schönste Glück zu sein.
Liebe ist ziemlich komplex, die natürliche und durch Hormone gesteuerte Anziehung mischt sich mit geistigen Wünschen, Träumen und Ansprüchen, die wir gern als Hoffnungen verklären. Wer sie schon mal glücklich verliebt hat, wird nichts mehr für höher halten. Dagegen weiß jeder, der richtigen Liebeskummer schon hatte, wie verflucht unglücklich und hässlich sie das Leben auch machen kann.
Mit Liebeskummer scheint alles grau und grässlich, während die Welt verliebt bei jedem Wetter himmelblau und zauberhaft uns vorkommt. Beides entspricht natürlich nicht der Realität sondern ist eine Vorspiegelung unseres jeweiligen Zustandes, der uns die Wirklichkeit eben so oder so wahrnehmen lässt.
Verliebt sein macht glücklich. Liebeskummer macht umgekehrt unglücklich. Dennoch hängt das Eintreten des einen oder anderen nicht nur in unserer Hand sondern eben auch vom Zufall und einem anderen ab, auf den wir nur bedingt Einfluss überhaupt je haben. So gesehen ist Liebe eigentlich nie geeignet auf Dauer glücklich zu machen, vor allem ist es nichts, auf das wir irgendwie sinnvoll dabei Einfluss nehmen könnten, weil es eben um ein irrationales Gefühl geht, was wir für das größte Glück des Lebens halten und unser von der Natur darauf getrimmter Körper uns dies auch gehörig noch vorspielt.
Um die Kontinuität in der Liebe zu gewährleisten, gibt es Institute wie die Ehe und die Kirchen, die Scheidung als Sünde bezeichnen. Doch wirkt jeder Zwang in der Liebe eigentlich kontraproduktiv, ist die erzwungene Liebe wertlos und der staatliche Rechtstitel eines Ehepaares eigentlich nur der Beweis dafür, dass die Liebe allein nicht stark genug war, ein Leben ohne Sicherheitsgurt miteinander zu teilen.
Liebe und Glück philosophisch und vernünftig zu betrachten, scheint mir ziemlich kompliziert und oft fern der Realität.
Mein Großvater sagte gerne, wenn es soweit ist, sitzt das Hirn im Hintern und hilft schieben. Dieser Spruch wurde zum geflügelten Wort in meiner Familie für alle völlig unvernünftigen Entscheidungen aus Liebe oder Trieb, wenn wir das denn wirklich unterscheiden können und wollen.
Wir handeln, wenn wir lieben, gern unvernünftig und tun vieles, was uns nicht gut tut, aber dennoch wunderbar erscheint. Manches bereuen wir, wenn die Liebe doch nicht hält, was sie verspricht, anderes wird, so es in seltenen Fällen hält, zur romantischen Sage einer Liebe. Vernünftig wird es dadurch nicht, aber solange es Teil des bestehenden Glücks ist, wird uns das egal sein.
Insofern wir mit denen, die wir lieben, viel Zeit verbringen, ist das Glück in der Liebe schon entscheidend für unser Glück oft und das obwohl es von so vielen dummen Zufällen und Launen abhängt, fern aller Vernunft steht, nur zu einem kleinen Teil Produkt unseres Verhaltens ist.
Ob das heute gut so ist, wäre der Frage wert. Montaigne war verheiratet, liebte seine Frau auch, aber schrieb in manchem auch über sie wie Sokrates über die seine, wenn auch mit mehr französischem Charme und überließ ihr weitgehend die Führung seiner Güter, die ihn nicht sonderlich interessierte. Doch er hatte Geliebte liebte die Frauen, die Lust und die Liebe mit Leidenschaft. In der Ehe fand er jedoch, auch da ganz Kind seiner Zeit der Renaissance, habe die Leidenschaft weniger zu suchen, so habe der eheliche Beischlaf eher eine Pflichtübung als ein Lustakt zu sein.
Auch wenn ich Montaigne sonst sehr schätze, könnte ich mir das schwer vorstellen - eine Ehe in der Sex und Lust nur Pflicht sind, scheint mir noch überflüssiger. Aber vielleicht ist dieser Gedanke dennoch relativ weise, weil er die Ehe und den ehelichen Beischlaf, der als Vollzug der Ehe ein Recht der Partner war, auch wenn dieses nicht mehr einklagbar ist, als das offenbart, was es ist, eine schlicht reizlose Pflichtübung ohne Leidenschaft schon aus ihrer Konstruktion heraus, was so gerne geleugnet wird, aber nur weiß, wer die Lust kennenlernte.
Diese Fehlkonstruktion kann heute die Liebe als Heiratsgrund manchmal eine zeitlang auffangen, doch auch das nur bedingt erfolgreich und selten auf Dauer, die verordnete und legitime Lust ist eben flüchtig, sie bleibt nur theoretisch. Warum sich noch mehr Frauen als Männer der Illusion hingeben die Ehe sei etwas wunderbares und ein Lebensziel, kann ich nur rätseln. Vermute aber es hängt mit einer ohnehin unbefriedigten oder unentdeckten Sexualität zusammen, die dann im Umkehrschluss mit der so gewonnenen Sicherheit aufgerechnet wird. Kurz gesagt, wenn sie schon Sex haben müssen, dann wollen sie zumindest Sicherheit dafür erkaufen. Warum Männer heiraten wollen, wird mir immer mehr ein Rätsel heute.
Dennoch und wider alle Vernunft, wollte auch ich immer wieder, wenn ich verliebt war, heiraten und das gerne auch ganz romantisch, weil ich eben ein Romantiker bin und auch auf die nur durchschnittlichen und ewig imitierten Muster der Liebe hereinfalle. Es war dann immer der Traum vom Glück für mich und ich habe mich diesem Traum folgend auch dreimal verlobt, obwohl oder vielleicht gerade weil manche nüchtern betrachteten Tatsachen eigentlich gegen den Erfolg dieses ewig erhofften Glücks sprachen.
Insofern kann ich meinem Grotepater genannten Großvater nur Recht geben, im richtigen Moment, dachte ich nicht mehr vernünftig kritisch sondern ließ mich vom Gefühl wie in anderen Fällen vom bloßen Trieb zu unsinnigen Dingen treiben. Dabei habe ich es immer ernst gemeint und genau so gewollt, dachte es wäre auch vernünftig der Liebe durch das Versprechen der Ehe Dauer oder so etwas wie Ewigkeit zu geben.
Weiß nicht, ob dieses eigentlich unvernünftige Verhalten Folge der Triebe ist, also das Hirn im Hintern sitzt und schieben hilft, weil ich einen dauerhaften Sexualpartner sichern will oder auf den schönsten Sex hoffte, mich fortpflanzen noch möchte, was ich bei Bewusstsein als Grund alles abwegig fände, oder erlernt aus der Familie ist, in deren Tradition ich auch stehe, weil Familie und ihre Gründung für mich von Kindheit an ein Wert war, den ich weitergeben wollte.
Dazu kommt noch diese etwas unklare Vermischung von Gefühl und Trieb in der Liebe. Wir neigen dazu die Liebe heilig zu sprechen und der Lust nur eine Nebenrolle zu geben, auch wenn es in der Bedeutung für ein glückliches Zusammensein durchaus auch umgekehrt sein könnte. Sie sind durchaus trennbar, was gut funktionieren kann, wie Millionen Männer beweisen, die Hure besuchen, dafür Unsummen bezahlen und anschließend mit schlechtem Gewissen heimlich nach Hause kommen und den braven Gatten geben. Es kann nur diese Dialektik sein, die Männer dazu treibt, zu hoffen bei Huren Erfüllung und Spaß zu finden, bei etwas, was eigentlich nur geteilt schön sein kann und nicht gekauft. Vernünftig bedacht, wüsste es jeder und ließe es besser, dennoch haben Huren und ihre Existenz vermutlich mehr Ehen gerettet als alle Paarberater.
Die Liebe als das große Glück im Leben ist zugleich das komplizierteste, weil wir uns meist völlig unvernünftig verhalten, es von zweien und von vielen Zufällen abhängt, so flüchtig ist wie hinfällig und dem wir durch die Formen nur einen Rahmen geben, der weniger mit dem Gefühl zu tun hat als unserer Angst vor der Freiheit. Es gibt gute Gründe der Liebe gegenüber misstrauisch zu sein, was das Glück angeht und Montaigne hat wie Lukrez und auch Epikur völlig Recht, wenn sie vor zu großer Leidenschaft warnen, auch wenn letztere nun gerade keine Stoiker waren, sondern das Streben nach Lust ja gerade gut hießen, wie Montaigne im übrigen auch, der so gern von sich sagte, wie sehr er es liebe den Menschen gegenüber, denen das Wort Lust so zuwider ist, es bis zum Überdruß zu widerholen.
Wo Liebe und Lust sich finden, ist es ein Glück und sollte genossen werden, denke ich, wo nicht, sollten wir uns fragen, warum wir es verlängern oder diesem durch Heirat noch Dauer geben wollen, außer die übrigen Komponenten, die uns glücklich machen, wiegen so schwer, dass wir die Lust darüber vergessen können - leider ist es in den meisten Fällen der Eheschließung umgekehrt und baut dabei auf immer Illusionen. Die Menschen heiraten aus lauter Verliebtheit, halten den Verlust an Lust für verschmerzbar, die werden schon kommen oder wiederkehren, bis sie merken, dass der Lustverlust eine natürliche Folge der Ehe ist, dann ist es entweder zu spät und Scheidung zu teuer, dann setzen sie eben scheinbar andere Prioritäten oder lassen sich heute wieder scheiden, ohne dabei vernünftig nachzudenken, ob da nicht ein Zusammenhang zwischen Lustverlust und formaler Verbindung bestehen könnte, der relativ logisch ist und wie sie diesen umgehen könnten durch fremde oder neue Lust.
Trotzdem werden viele Menschen weiter von Ehe und Familie träumen und sich das dauerhafte Glück erhoffen und je niedriger die Ansprüche dabei, desto höher sind die Chancen, spät aus dieser Illusion zu erwachen.
So hat es etwa bei meiner Großmutter bis über das 80. Lebensjahr gedauert, als mein Großvater schließlich mit 87 verstarb, fand sie leider die Briefe, die der Trottel nicht vernichtete und die er an seine Geliebte vor 30 Jahren geschrieben hatte, die noch dazu seine Sekretärin war und ihn also fast so häufig sah wie sie ihren geliebten Gatten. Damit brach das große Liebesglück das beide über 50 Jahre nach außen hin zelebriert hatten für sie zusammen und sie verfiel für eine Zeit in Depressionen, bis sie irgendwann die Demenz daraus wieder gnädig befreite.
War es ein Glück für sie noch die Wahrheit vor ihrem Tod in Sachen der Liebe erfahren zu haben?
Ich glaube nicht, besser hätte er die Briefe noch vernichtet, statt sie ihr zuzumuten. Glaube wirklich, dass die beiden sich sehr geliebt haben, auch wenn er eine Liaison mit seiner Sekretärin hatte. So etwas kommt in den besten Familien vor und hat schon manche Ehe gerettet.
Ihr Wissen hat sie nicht glücklicher gemacht als die Illusion mit der sie gelebt hatte bis über 80 und mit der sie auch noch das nächste dutzend Jahre, die ihr noch blieben gut überstanden hätte. Um so dementer sie wurde und dies Unglück wieder vergaß, desto mehr sprach sie wieder von ihrer glücklichen Ehe und ihrem wunderbaren Mann.
So leben wir wohl mit manchen Illusionen gerne, so lange wir uns glücklich fühlen und gerade in der Liebe fragt sich, was soll Illusion und was Wahrheit überhaupt sein.
Bin meinem Großvater genetisch sehr nah verwandt glaube ich. Wollte ich es böse sagen, hieße das, ich habe keine meiner Beziehungen nicht irgendwann mit einer anderen mal, wenn mich die Lust trieb, betrogen, formuliere ich es verständnisvoller und dem Leben näher, sagte ich, mancher Irrweg hat schon meinen Beziehungen mehr Dauer gegeben.
Damit habe ich meine jeweils Frauen nicht weniger geliebt, vielleicht war ich ihnen innerlich sogar treuer und verständnisvoller dadurch, als ich es ohne Geliebte je gewesen wäre. Karl Kraus hat einmal gesagt, wer seine Geliebte auch Geliebte nenne, müsse den Mut haben, seine Frau Ungeliebte zu nennen. Das halte ich für dummes Zeug. Es gibt verschiedene Ebenen der Anziehung und Liebe und nicht jede passt in jedem Moment in allem und dennoch ist es ganz natürlich und gut, auch seiner Natur zu folgen, es muss nur bei beiden, wenn sie ein Paar bleiben wollen, mit Würde und Achtung geschehen und der Rest sollte Schweigen sein.
Aber bevor ich nun weiter in der Liebe und den Formen der Beziehung als Weg zum Glück ausschweife, ein wirklich zu weites Feld und unendliches Kapitel, wie es ja auch die liebe Effie Briest erfahren musste, zu der ihr Vater immer diesen Spruch sagte und auch Toni Buddenbrook ist da ihre Wege weit gegangen, komme ich lieber endlich zum Schluss für heute. Auch die Liebe kann ein Glück sein, es ist meist ziemlich kompliziert, was wohl in unserer Natur liegt, warum glücklich ist, wer es gelassen zu genießen lernt, statt gegen seine Natur zu kämpfen, die doch immer ist, wie sie eben ist.
jens tuengerthal 20.12.2016
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