Dienstag, 27. Dezember 2016

Gretasophie 004c

004c Vom Liebeskummer

Die Liebe ist das schönste Glück, scheint es uns, wenn wir glücklich lieben. Zugleich ist sie aber auch das größte Unglück, wenn es nicht geht und einige der schönsten Liebesgeschichten, von Romeo und Julia bis zu Goethes Werther handeln vom Liebeskummer und der traurigen Liebe, die keine Erfüllung in der Realität fand, den Tod anstatt suchte.

Ist dies absurd oder liegen sich Liebe und Tod ihrer Natur nach nahe?

Die Franzosen nennen den Höhepunkt der Lust den kleinen Tod, petite mort, was sehr treffend, diesen Gipfel des Lebens beschreibt, nach dem erstmal alles wie Tod erschlafft und dahinsinkt. So beschreibt die Lust vielleicht auch indirekt die Todesnähe der Liebe, die eben alles ist.

Glücklich verliebt, liegt uns der Liebeskummer völlig fern, wollen wir ein Leben miteinander teilen, können uns nichts schöneres mehr vorstellen und fürchten höchstens, dass die Träume nicht in Erfüllung gehen könnten. Die Liebe kann so  groß sein, dass sie alles erfasst und das ganze Leben erfasst, ein Leben ohne scheint unvorstellbar.

Kann persönlich als leidenschaftlicher Liebender diese Wertherneigung gut verstehen, stand innerlich schon häufiger dem Gedanken nahe, das Leben könnte in der Trauer über die  verlorene Liebe nun auch enden, ich könnte ihm ein Ende setzen, weil alles verloren ging, was mir lebenswert schien, woran all meine Träume hingen, die schönsten Hoffnungen des Lebens untergingen.

Irgendwie ging es dann doch immer weiter, sei es, weil ich zu feige war, diesen letzten Schritt in der Konsequenz der großen Liebe auch zu gehen, oder das Unglück Ablenkung fand, die neuen Lebensmut gab. Verstehe und bewundere aber diejenigen, die für die große Liebe diesen Schritt in letzter Konsequenz gingen. Dies auch, wenn ich das Leben sehr liebe, es gerne noch so lange wie  möglich genießen will und nicht nach dem Freitod strebe, um das Elend zu beenden.

Diese auch Pflicht weiter zu machen, wächst mit zunehmenden Alter und besonders, wenn du Kinder hast, die dich brauchen, du nicht nur für dich alleine verantwortlich bist. Dennoch halte ich die Freiheit, sich das Leben nehmen zu können, im Nichts zu enden, weil wir nach dem Tod einfach nicht mehr sind, für den größten Ausdruck unserer Freiheit und möchte diesen niemand nehmen.

Habe mal lange mit einer eng befreundeten Psychiaterin und Neurologin darüber gestritten, ob der Wille, sich das Leben zu nehmen, gerade aus Liebeskummer, pathologisch oder die einzig gesunde Reaktion ist, weil sie echte, tiefe Liebe ausdrückt, alles andere nur  oberflächlich wäre.

Sie war als Ärztin der Überzeugung, es sei ihre Pflicht, suizidgefährdete Menschen retten zu müssen, es sei sogar eine Straftat durch Unterlassen, sie nicht davon abzubringen, wenn sie es denn wollten und versuchten. Überhaupt wollten sich die meisten Kandidaten des Freitod nicht wirklich töten, sondern schrien um Hilfe und dafür sei sie da.

Überhaupt sei  eine verlorene Liebe doch kein Grund, sich etwas anzutun. Lieben kommen und gehen, da hätten wir doch beide genug Erfahrung und könnten es nicht gut heißen, wenn einer für eine Laune der Liebe ein Leben wegwerfe.

Habe ihr da ganz entschieden widersprochen, um der Freiheit und der Würde des Einzelnen wie der Liebe wegen, was auf wenig Verständnis stieß, da wer sich töten wolle, einfach krank sei und Behandlung brauche, ob durch medikamentöse Unterstützung in der akuten Situation, etwa mit Happy-Pillen, oder eine langfristige Therapie, die wieder Lebensmust geben kann.

Verstehe ihre Sicht, gerade als Ärztin und achte sie dafür sehr, finde es liebenswert, dass sie es als ihre Aufgabe ansieht, Menschen in Not zu retten. Dass will ich nicht schlecht reden und ich bin auch überzeugt, dass sie ihre Arbeit sehr gut und aus voller Überzeugung macht und, weil sie bestimmt eine gute Ärztin ist, vielen Menschen schon geholfen hat, die in diesem Bereich gefährdet waren, eher Hilfe zum Leben brauchten, als Unterstützung im Freitod.

Habe selbst auch schon einige Freundinnen und Freunde von diesem Versuch durch Gespräche abgehalten, finde es gut so und würde es wieder tun, freue mich, dass sie noch leben. Doch wollte ich nie jemanden, der dazu aus freien Stücken entschlossen ist, vom Suizid abhalten wollen, möchte ich immer die Freiheit, die mit der Würde hier gleichzusetzen ist für mich, respektieren.

Es ist mir darum wichtiger, einem Menschen, die Freiheit zu geben, sich auch etwas anzutun, wenn es nötig aus freiem Entschluss scheint und sein Weg ist, zu respektieren. Was wäre ein Leben wert, in dem andere entscheiden, ob wir leben müssen oder nicht, wann es enden soll?

Auch Lukrez und Epikur waren klare Befürworter des Freitodes, wenn er frei gewählt wurde im Wissen, dass nichts mehr kommt und wir keinesfalls etwas besseres erwarten können als nichts und das Ende aller Leiden.  Den freiwilligen Märtyrertod, der das Himmelreich als Lohn für seine Tat erhofft, lehne ich dagegen in aller Entschiedenheit ab. Dieser ist nicht frei im Bewusstsein der Folgen, sondern hofft auf ein illusionäres Jenseits, das besser als die Gegenwart und damit unser einziges Sein wäre. Der Freitod ist dann keine Hoffnung auf ein Ende des Leidens wie ein Ende überhaupt, sondern die Illusion, es käme etwas besseres, was immer nur geglaubt bleibt.

Wer nichts besseres erwarten kann mehr oder an dem was ist, mehr leidet und sich nicht vorstellen kann, dass es besser wird, soll seiner Freiheit folgen und sein Ende nehmen können, weil genau das unsere Freiheit ist.

Der Tod geht mich nichts an, schrieb Lukrez, solange ich bin, ist er nicht da und wenn er da ist, bin ich nicht mehr, warum es müßig ist, sich mit diesem weiter zu beschäftigen. Mit dem Tod endet das Sein, wir sind nicht mehr, kehren nie mehr zurück, außer vielleicht im Aberglauben, es ist nicht wichtig, sich über diesen Gedanken zu machen, oder ihn gar zu fürchten.

Warum sollte ich Angst vor dem Tod haben, wenn nichts mehr ist, gibt es keinen Grund zur Sorge, dann ist kein Leid mehr sondern alles vorbei. Sich für das Nichts und das absolute Ende zu entscheiden, kann besser sein, als weiter zu leben, wenn es keine Perspektive mehr gibt, nach der das Leben noch schön aussehen könnte.

Wer es  in diesem Bewusstsein und sei es auch um einer verlorenen Liebe wegen tut, handelt als freier Mensch und ich werde mich hüten, um der Würde dieser Verzweifelten wegen, ihnen diese Freiheit nehmen zu wollen. So lebe ich immer in dem Bewusstsein, wenn ich nicht mehr mag, es keine gute Perspektive mehr gibt, mich keine Pflicht mehr halten kann, weil es meine Freiheit eben ist, jederzeit gehen zu können.

Dieses Bewusstsein gibt mir Kraft, Mut und Freiheit. Habe kein Bedürfnis, es zu tun, weil ich jederzeit die Freiheit habe, es zu tun, ohne noch auf irgendwas zu hoffen oder gar etwas danach zu erfinden, wie eine geaberglaubte Höllenstrafe je zu fürchten. Falls es nichts schönes mehr für mich gibt, ich nichts sehe, wofür es sich für mich zu leben lohnte, werde ich es tun und das ist dann gut so und es muss keiner dann um mich trauern, weil ich meiner Freiheit folgte, mein Leben als freier Mensch aus freiem Entschluss beendete, wie überhaupt Trauer völliger Unsinn in meinen Augen ist, etwas das lähmt und keine Perspektive hat.

Viele sagen, Trauer sei natürlich und normal, weil wir Überlebenden, einen Verlust erlitten, der andere von uns ging, uns alleine ließ und wir ihn nie wieder sehen. Viele trauern einerseits und reden andererseits vom Himmelreich in das dieser oder jener nun einginge, um dessen Ende sie nun trauern.

Dieses Weihnachten starb der Sänger George Michael, der unter anderem durch den Song ‘Last Christmas’, der um Weihnachten überall dudelt, weltberühmt wurde und in allen sozialen Netzwerken häufen sich wieder die Einträge mit dem sinnentleerten R.I.P. mit dem sie Ruhe in Frieden wünschen, was zur modernen Ablaßformel einer abergläubisch ungebildeten Welt wurde, die in naiven kollektiven Affekten reagiert, statt nachzudenken.

Kann gar nicht sagen, wie sehr mich solche hohlen Formeln anwidern und wie entwürdigend ich ihr immer gleiches auch schriftliches Aufsagen finde. Doch habe ich beschlossen, sie lieber zu ignorieren, um mich nicht weiter über die kollektive Dummheit der Welt zu erregen, zumal es den falschen Eindruck erwecken könnte, ich hielte mich für klüger als die Welt, was mir völlig fern liegt.

Im Gegenteil, ich habe keine Ahnung, wie auf den Tod richtig zu reagieren sei. Suche vielmehr nur nach Wegen, wie ich glücklich, mit dem was ist, leben kann und mich nicht von solchen Kleinigkeiten ablenken lasse, die mich in ein unfreies Kollektiv zwängen wollen, dass jeder meiner Überzeugungen widerspricht und der Natur des Menschen noch mehr.

Es gibt kein gutes Leben im falschen, sondern nur den Versuch sich an der Illusion zu erfreuen, es sei nicht so, wie es ist, um wenn die Realität doch vorkommt, über ihren Einbruch zu klagen. Verstehe nicht, warum ich an etwas leiden sollte, was einfach ist und ich nicht ändern kann, sondern versuche, mit dem was ist, so glücklich wie mir nur möglich zu  leben. Darum geht  mich der Tod nichts an. Er betrifft mich nicht wie Lukrez schrieb. Über die zu  jammern, die nicht mehr sind, ist Unsinn für mich, weil sie ja einfach nicht mehr sind. Darüber zu klagen, dass ihre Natur nicht mehr funktioniert hat, aus welchen möglichen Gründen auch immer, finde ich respektlos der Natur gegenüber, die zu  komplex ist, als dass ich sie mit meinem geringen Verstand je ganz begreifen könnte.

Auch bin ich wohl nicht eitel genug, über den Verlust zu  jammern, den ich erlitt, durch das natürliche Ende des anderen, das eben vorkommt. Freue mich lieber an dem was war, als darob zu leiden, was nicht mehr ist.

Klar habe ich schon Tränen auf Beerdigungen und bei der Art wie wir sie begehen verspürt, dieser Kult, den wir  darum machen, ist darauf angelegt, am Tod zu leiden, wer sich ihm hingebt und ihn mitmacht, leidet eben. Doch welchen Grund sollte es für mich geben, dies zu tun?

Manche meinen mit der Trauer, erweise ich dem Verstorbenen Respekt und zeige wie sehr er mir fehle. So sei die Fähigkeit zu trauern, wie die Psychologie behauptet, ein wichtiger Teil unserer Natur und es sei im Gegenteil völlig unnatürlich, dies nicht zu tun, offenbare einen Menschen ohne Empathie, der nicht um andere trauern könne.

Mag sein, dass neben den vielen Mängeln meines geringen Verstandes, diesem auch die Empathie völlig fehlt. Vielleicht ist es eine Behinderung, nicht wie alle um Verstorbene zu trauern, wie alle im Kollektiv es tun und sich dadurch kollektiv schlecht fühlen oder gemeinsam leiden. Dann wäre ein Verhalten krank, das mir gut tut und mich besser leben lässt, während das übliche Verhalten des Kollektivs, nur weil fast alle es tun, gut und gesund wäre, auch wenn viele Menschen genau daran ein Leben lang leiden müssen.

Könnte also eine solche geistige Behinderung, die sie für eine Mehrheit heute wohl ist, ein großes Glück sein, das mir erlaubt, besser zu  leben, als jene, die an Dingen leiden, die sie nicht ändern können und die zur Natur gehören?

Weiß nicht, was richtig ist und ob es gut sein kann, sich gegen die ganz große Mehrheit, ihre Gefühle und das Verhalten im Kollektiv zu stellen. Bin mir nur sicher, dass es glücklicher und freier macht, eher reflektiert, was hinter den Folgen dieses Leidens steckt. So sind große Teile des Aberglaubens genau auf die Angst vor dem Tod gerichtet, der durch das erfundene Himmelreich oder die phantasievolle Unsterblichkeit irreale Hoffnungen begründet und zugleich der Trauer als Lähmung das Wort redet.

Habe den Tod selbst einmal näher erlebt, als ich wollte und mir in dem Moment lieb war, als mich ein Auto umfuhr und der Schlag auf meinen Kopf, der vielleicht einiges sonst erklären könnte, dazu  führte, dass mein Herz aufhörte zu schlagen. Dann wurde ich doch noch reanimiert, überlebte mit nur relativ geringen Gehirnschäden, die kaum genügen meine sonstige Verrücktheit zu erklären, noch eine solche fehlende Empathie erklären könnten. Es hat nur der Tod jeden Schrecken verloren.

Später arbeitete ich noch viele Jahre in der Krebsbaracke um die Klinik mit hauptsächlich Tumorpatienten nach Benn zu benennen und in dieser Zeit starben sie reihenweise in meiner Gegenwart auch, weil gegen bestimmten Krebs die Medizin irgendwann kein Mittel mehr hat. Das hat mich nicht kalt gemacht aber dem Tod seine Dramatik ein wenig geraubt und auch die Zeit vorher auf dem Rettungswagen, bei der ich einige unschöne Arten zu sterben live kennenlernte, widerlegten nicht das Gefühl, dass der Tod mich nicht sehr berührte, nichts war, vor dem ich mich fürchten musste, sondern einfach Natur, wie Schnupfen, Geburt oder Zeugungsakt.

Darum ist für mich der Satz, der Tod geht mich nichts an, wichtiger und zentraler als das Bedürfnis nach Anpassung an die Mehrheit, die es sonst leichter macht im Leben, weil wir mit dem Strom schwimmen können und so erscheint mir die Ablehnung der Rituale und der mit ihnen verbundenen Haltung als besser für mich, um glücklich zu bleiben. Nach meinem Gefühl und aller wenigern Logik, die mein schmaler Horizont, der immer die Hälfte mindestens von allem wieder verdrängt, was er berücksichtigen möchte, scheint es glücklicher zu  machen, sich nicht um den Tod zu sorgen und sich damit völlig frei von aller Angst vor ihm zu machen.

Es macht etwas einsam und viele halten es eher für verrückt, finden es unverständlich und empathielos, sich so gegen die scheinbar ehrlichen Gefühle der Mehrheit zu stellen. Ein wenig frage ich mich jedoch, ob es nicht auch Fälle geben kann, in denen es gut ist, sich gegen die Überzeugung der übrigen zu stellen, unter denen bestimmt viele wesentlich klüger und reflektierter sind, als ich es mit meinen bescheidenen Mitteln und meiner geringen Bildung je sein kann.

Weiß nicht, ob es da richtig oder falsch wirklich geben kann oder wir immer nur nach dem suchen müssen, was uns gut tut. Hoffe ich verletze nun niemanden, was mir fern liegt, wenn ich die Gewohnheit einfach mal in Frage stelle, dass Trauern gut und natürlich sei, weil meine Natur eher etwas anderes erstrebt. Zumindest macht es mich glücklicher und scheint mir viel Respekt vor der menschlichen Freiheit zu haben, seiner Natur zu entsprechen, die eben immer nach Freiheit strebt.

Doch war dies ja nur ein gedanklicher kleiner Ausflug, der vom eigentlichen Thema, dem Liebeskummer, wegzuführen scheint. Zugegeben bin ich mal wieder relativ undiszipliniert einfach meinen Gedanken zum Thema gefolgt. Doch zumindest deren Kausalität scheint nicht so völlig abwegig. Vom Liebeskummer als Tod der Gefühle und Grund zum Freitod liegt die Auseinandersetzung mit diesem für mich nahe, der ich mich immer gern von den engen Grenzen meines Horizonts ablenken lasse, um die Illusion zu behalten, diese seien doch weiter als sie eigentlich sind, wenn sie stets nur um sich und die gleichen Fragen kreisen.

Es wird dabei nicht mehr und mehr als ich ohnehin nicht weiß, was schon wenig genug ist. Will nun auch nichts vorspiegeln, da ich wenig Hoffnung habe, dass mir solches überhaupt jemand abnehmen würde und erscheine so lieber als ehrlicher Narr, denn als ahnungsloser Aufschneider. Zumindest habe ich als Depp angesehen noch mehr Hoffnung positiv zu überraschen, während ich bei letzterem nur enttäuschen kann und so füge ich mich in meine geringe Natur und bin eben so wenig wie ich bin.

Auch wenn dieses Geständnis meiner mangelnden Disziplin nicht weiterführt und nur meine Eitelkeit beleuchtet, die sich gern mit sich beschäftigt, so ist es vielleicht zum Thema Liebeskummer, das dem Tod und der Eitelkeit sehr nahe steht, doch nicht so abwegig, insofern dieser uns dem Tod gefühlt nahe bringt, zumindest, wenn wir die Leidenschaft als echt ganz zulassen.

Das Gefühl, sich von der Welt verlassen zu fühlen und keine Hoffnung mehr zu sehen, hat als logische Konsequenz den Tod. Wer dies nicht fühlte und sich dem Werther noch nicht nahe fühlte, hat kaum richtig geliebt, würde ich sagen, romantisch verklärt, aber vielleicht ist das auch total weltfremder Blödsinn und etwas extrem. Andere erledigen ihren Liebeskummer ohne extreme Gefühle und wenn eines vorbei ist, kommt eben das nächste, sie leiden ein wenig, sind aber eher pragmatisch.

Habe mich immer wieder gefragt, ob ich solche Menschen eher bewundern sollte, die etwas einfach beenden, ohne gleich am Leben zu zweifeln oder diese einfach gefühlsarm sind und nicht merken, worauf es ankommt, die entscheidenden Dinge nicht mitbekommen. Wenn ich dem Tode nahe litt, sagten sie, das Leben geht weiter, tut jetzt weh, aber morgen ist es schon wieder besser.

Tatsächlich hatten diese natürlich immer Recht, weil es von alleine wieder besser wurde und irgendwann die nächste Liebe kam. Leicht fiel es mir diese Sicht zu verstehen oder sogar selbst zu vertreten, wenn ich selbst ging und nicht verlassen worden bin. Dagegen fühlte ich mich völlig von der Welt verlassen, wenn ich mit dem Herz voller Liebe, wie wir romantisch verklärt sagen, auch wenn es immer der Kopf nur war, überraschend verlassen wurde, was zum Glück relativ selten passierte und mich dennoch jedesmal wieder völlig aus der Bahn warf, als wüsste ich es nicht besser.

Habe im Liebeskummer gedanklich alles riskiert und aufgegeben und fühlte mich dem Werther mehr als nah. Zugleich konnte ich, wo ich verließ, immer leicht an die Vernunft der Verlassenen appellieren und die vorher große Liebe relativieren, was eigentlich die Frage nahe legte, was wirklich an der großen Liebe dran ist und ob die Todesnähe des Liebeskummers nicht vernünftigerweise mal relativiert werden sollte.

Theoretisch war mir das immer klar. Gelungen ist es mir nur, wo ich mich vorher emotional entfernt hatte, die Zügel in der Hand hielt und selber ging. Sonst folgte ich wie automatisch der Rolle des Werther und dramatisierte mein Unglück, bis ich nahezu allen Lebensmut über die unglückliche Liebe verlor und nur durch Ablenkung irgendwie doch überlebte.

So scheint mir der Liebeskummer deutlich stärker als all meine Vernunft, so gering sie im Vergleich zu wirklich klugen Leuten auch sein mag. Muss hier nicht um Vorrang mit irgendwem streiten, kann eben nicht über mein niedriges Niveau hinaus, aber an dem gemessen, versuche ich sonst schon mir die Welt vernünftig zu erklären und scheint mir alles relativ logisch, fiel diese Vernunft aber völlig aus, wo sie vom Liebeskummer angegriffen wurde.

So ist das Leiden an der Liebe stärker als die Verliebtheit, die mich zu weniger verrückten Dingen trieb, als es der Liebeskummer tat. Er ist, scheint mir, eine der stärksten Kräfte der Welt und das obwohl ich vernünftigerweise weder den Tod fürchte, noch es unvernünftig fände, ein Leben zu beenden, wenn es keine Hoffnung auf Besserung mehr gäbe.

Dennoch weiß ich ganz klar, es ist jeder Liebeskummer an der nächsten Liebe zu relativieren und keiner das Leben wert, wenn es noch Liebe irgendwann geben kann, die  nie endet,  bevor wir nicht enden. Aber Wissen und Liebeskummer scheinen auch in einem seltsamen Verhältnis weit jenseits aller Vernunft zu stehen. Auch wenn ich es besser weiß und keinen Grund habe, irgendwas zu relativieren, gebe ich dem Liebeskummer freiwillig alle Kraft über das Leben und bin der Überzeugung, dass nicht wirklich liebt, wer nicht schon bis zum Tod an ihr litt.

Das alles klingt zugegeben wenig vernünftig und ist keinesfalls ein weiser Ratschlag eines Vaters für seine pubertierende Tochter, der solches noch vielleicht bevorsteht, denke ich einerseits, andererseits weiß ich auch, dass ich aus dem Extrem der Gefühle viel  Kraft für mein Leben gewonnen habe, das Überleben, auch wenn es eigentlich unmöglich schien, eine viel stärkere Kraft wurde, als alle, die ich kannte.

So scheinen wir an die Grenzen manchmal auch emotional gehen zu müssen, um das Glück genießen zu können und über uns hinaus zu wachsen,  womit wir lernen, was ist, als größtes Glück zu würdigen, zumindest mir ging es so und die Gelassenheit, die aus dieser Erkenntnis wuchs, lässt mich die Extreme, die ich mit meinen Lieben auch an den Grenzen zum Tod immer wieder durchlitt, als nicht so unvernünftig mehr sehen.

Wem es gegeben ist, ganz zu lieben und dafür alles aufzugeben, der kann auch über sich hinaus wachsen und damit seine Welt bewegen. So will ich am Ende nicht sagen, dass Liebeskummer, der mich manchmal den Tod wünschen ließ, eine gute Sache ist, aber ich nehme es, wie es ist, als eine Eigenschaft, die zu mir gehört, der ich ganz liebe und versuche dies als Kraft zu sehen, mit der ich eben leben muss und die ich auch als eine Chance sehen kann, die nichts schlechtes ist, sondern eben ich und solange ich den Liebeskummer noch jedesmal überlebte, sage ich, dass ich froh bin, ganz zu fühlen, statt nur halb. Wenn ich es nicht überleben sollte, ist es auch egal, weil ich nicht mehr bin, aber noch scheinen mir die relativen Gründe zu bleiben stärker, weil ich weiß, wie sehr ich lieben kann.
jens tuengerthal 26.12.2016

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