Samstag, 24. Dezember 2016

Gretasophie 004a

004a Vom Verlieben

Wann beginnt die Liebe?

Wir sprechen vom Verlieben, wenn die Liebe noch neu ist und erst anfängt zu wachsen. Es soll ein Anfang sein, wird aber auch gerne nicht so ganz ernst genommen. Dann heißt es, du bist ja nur verliebt, wart erstmal ab, bis ihr euch richtig kennt. Manchmal verlieben wir uns auch in Sachen, die wir unbedingt haben wollen oder gerade bekommen haben.

Verliebt sein enthält alle Zustände, welche die Liebe ausmacht, von den Flugzeugen im Bauch, bis zur Sehnsucht auch mit dem völligen Ausblenden jeder Realität, einem Zustand, der alles wunderbar erscheinen lässt. Verliebte machen lauter unsinnige Sachen, finden alles wunderbar und erleben die Liebe, wie sie uns verzaubern kann, so intensiv wie später nie wieder.

Manchmal bestaunen wir ältere Paare, die noch ganz süß miteinander sind, sagen, die seien ja wie frisch verliebt, finden das eher verwunderlich aber auch schön, weil die zärtliche Liebe und Zuwendung von zwei Menschen einfach schön ist, außer wir haben gerade Liebeskummer, dann erscheint ohnehin die ganze Welt grau und andere Verliebte sind reine Folter für uns.

Wann und womit beginnt das Verlieben?

Habe schon genau darüber nachgedacht, aber keinen immer gültigen Maßstab dafür finden können. Es ist jedesmal anders, auch wenn es sich andererseits in ganz vielem sehr ähnelt. Beim ersten mal denken wir noch, wir würden nie wieder so etwas schönes erleben können in unserem Leben und hängen alles daran. Dann kreist jeder Gedanke um den Geliebten und es ist ein Zustand, als wären wir an einer euphorischen Psychose erkrankt, die zur eben völligen Ausblendung jeder Realität auch bei sonst vernünftigen Menschen führt.

Kann auch kein Muster erkennen, was das verliebt sein immer auslöst. Höchstens bestimmte Folgen in meinem Verhalten an denen ich merke, dass es mich erwischt hat. Kann nicht mal sagen, welche Eigenschaften besonders bei denen überwogen, wo es mich erwischte.

War es die Gelegenheit und taugte für diese jede Frau bei mir?

Glaube nicht, es gibt schon klare Auswahlkriterien, die bei Äußerlichkeiten anfangen, den Geruch beinhalten und beim Intellekt noch nicht enden. Aber auch da sind ganz gegensätzliche Fälle in meinem Leben schon aufgetaucht. Habe mich in Frauen verliebt, die sich nie verstehen würden, nichts miteinander zu tun haben wollten vermutlich, auch wenn die soziale Kompatibilität etwas ist, was mir schon wichtig  ist. Etwa, ob es in der Familie passt, ich mich gut unterhalten kann, wir uns über die erste Anziehung verstehen könnten.

Doch all das sind immer Überlegungen, die ich dazu und nebenbei anstelle, um meinem Kopf noch eine gewisse Herrschaft in der Sache zu geben. Dies alles hat nichts mit meinem dann Gefühl zu tun, was sich völlig selbständig zu entwickeln scheint, als führe es ein Eigenleben. So habe ich mich auch schon gegen alle Vernunft in Frauen verliebt, die meine Familie ablehnte, mit denen es nichts als Probleme gab, es eigentlich nirgendwo so richtig passte und dennoch an der Idee vom Traum festgehalten.

Wenn ich mich verliebe, scheint die Vernunft in bestimmten Bereichen wie ausgeschaltet, ich verhalte mich fast zwanghaft und könnte mich fragen, ob eine solche Reaktion noch gesund ist und dem Ziel eines dauerhaften Glücks nicht zuwiderläuft. Vor allem die völlige Ignorierung aller Kriterien der Vernunft bei der Wahl und dem Weg zueinander, die einen wider besseres Wissen immer wieder die gleichen Fehler machen lässt, auch wenn es uns eigentlich dabei bewusst ist, noch zu hoffen, diesmal sei alles anders, weil sie eben die Richtige wäre, mit der nichts falsch sein könnte.

Solange ich verliebt bin, denke ich aber über diesen Zustand und mein Verhalten nicht nach, sondern schwebe wie auf einer rosa Wolke durch die Tage, die sich nur um die eine drehen. Darum verwundert es nicht, dass auf das Verlieben oft ein Zustand großer Ernüchterung folgt, wenn die Vernunft wieder stärker als das nur Gefühl wird. Manche Beziehungen halten dem Stand und verwandeln sich dann in eine ruhige Liebe, die dem gelassenen Glück entspricht. In diesen Fällen sprechen wir dann von großer oder glücklicher Liebe.

Das Wort große Liebe verwenden auch Verliebte gern, um diese Liebe als die größte zu bezeichnen, die sie  je hatten, zumindest in der Reihe hervorzuheben, die uns im Leben eben so begegnet, dem eigentlich etwas entrückten Zustand der Verliebten eine reale Bodenhaftung zu geben.

Weiß nicht, ob es weise ist dieses Wort, schnell zu verwenden oder so etwas nicht eher von verliebter Verblendung zeugt, denn wie außer verliebt sollen wir jemanden für die große Liebe halten?

Was wäre ein vernünftigerer Maßstab um die großen von den kleinen Lieben zu unterscheiden und was bleibt im Leben davon?

Könnte das Wort große Liebe an eine bestimmte Länge der Beziehung knüpfen und es nicht vor Ablauf von mindestens einem Jahr verwenden. So etwas macht aber relativ abgebrüht und raubt der Verliebtheit allen Zauber. Wer verliebt ist, will den anderen dann logisch für die große Liebe halten und wenn nicht, scheint etwas beim Gefühl nicht zu stimmen.

Kein Verliebter, auch mit der größten Erfahrung nicht, will die aktuelle Liebe gegenüber den anderen Lieben relativieren. Dennoch vergleicht unsere Natur immer und automatisch, muss dies tun, um eine für uns gesunde Auswahl zu treffen. So funktioniert Evolution eben im kleinen. Daraus wird gerne der Gegensatz von Herz und Verstand konstruiert. Dazwischen liegt das schmale Drahtseil auf dem wir zwischen Glück und Resignation in der Liebe so oft balancieren.

Wann und womit das Verlieben beginnt, weiß ich nicht genau zu sagen. Kenne nur die Symptome und kann sagen, für jeden anderen Zustand würden wir diese pathologisch nennen, was den Wert der Verliebtheit als Glückszustand genauso relativiert wie die gesellschaftliche Beurteilung pathologischer Zustände.

Was ist schon krank, wenn sich Verliebte genau so verhalten?

Wie toll kann Verlieben überhaupt sein, wenn es uns verrückt macht?

In Goethes Werther kann und sollte jeder mal lesen, wohin die extreme Verliebtheit, in die wir uns hinein steigern, führt, noch dazu wo wir verzweifeln und aus diesem Unglück allen Lebensmut verlieren. Werther, der in manchem für Goethe stand, der darin auch eine eigene unglückliche Verliebtheit verarbeitete, gibt sich am Ende die Kugel, weil er nicht mehr kann, jede Hoffnung auf Erfüllung seiner Liebe verloren hat und wer dies absolute Gefühl der Liebe, neben der sich alles weitere Leben relativiert, nicht kennt, hat noch nicht wirklich geliebt, würde ich sagen, auch wenn die Reaktion von Werther übersteigert ist, um dem Briefroman ein dramatisches Theaterende noch zu geben.

Werther ist durchgedreht, würden wir heute sagen, hätte einen guten Therapeuten oder zumindest Pillen gebraucht, um sich nichts anzutun, denn wir sollen ja funktionieren und uns nichts antun, nur um einer einzigen Verliebtheit wegen, deren im Leben noch so viele kommen, wie sich mit Abstand leicht sagen lässt

Dieses Stück des Sturm und Drang hat eine ganze Epoche ausgelöst und später auch viele romantische Dichter und Denker inspiriert, die ihn nicht nur im Äußern nachahmten, sondern sich auch reihenweise umbrachten.  Die Mode taucht sogar später wieder bei dem unsympathischen Bendix Grünlich in den Buddenbrooks auft, die etwa 130 Jahre später geschrieben wurden. Der Aufschneider, der ähnlich gekleidet war, sich so gestelzt gab, als er Tonys Vater täuschte und um die Hand seiner Tochter anhielt, die nach anfänglichem Widerstand, da sie den Kerl ja nicht liebe und er widerlich wäre in seiner gestelzten Art und mit seinen goldgelben Favoris, dann doch nachgibt und heiratet, um der Ehre der Familie genüge zu tun, auf die sie so viel hält und sich ein wenig zumindest in ihre Rolle als Braut und Ehefrau verliebt, weil sie es liebt, sich einzurichten, ihre Aussteuer zusammenzustellen und anderes sekundäres, was die fehlende Verliebtheit in ihren künftigen Gatten zu kompensieren, der im Wertherkostüm auf Freiersfüßen beim reichen Kaufmann auftauchte, um mit der Aussteuer noch einmal seine Firma zu retten.

Tony geht eine Vernunftehe ein, die ja statistisch eigentlich länger hielten, was bei ihr nicht der Fall war, da Grünlich ein Betrüger blieb und ihr Vater sie dann wieder vor dem Untergang beschämt retten muss, da er dem richtigen Instinkt seiner Tochter nicht traute, die Kosten dieser Ehe leider abschreiben muss.

Wo ich gerade von Thomas Schwester Tony erzähle, kann ich auch ihre zweite Ehe noch beschreiben, die ebenfalls sehr schnell scheitert, obwohl die Verbindung mit dem Bierbrauer Permaneder aus München doch eher eine Liebesheirat war. Sicher wollte sie auch die Schande ihrer ersten gescheiterten Ehe von sich waschen, wie es eben der Moral der Zeit  im 19. Jahrhundert noch entsprach, doch sie war auch fasziniert von diesem Mann und seiner manchmal etwas rauen aber doch ehrlich liebevollen Art. Dass sie ihn dann, was sie kaum auszusprechen wagt, beim Sex mit einer Magd im Treppenhaus erwischt, entsetzt sie so sehr, dass sie sofort mit ihrer Tochter die Flucht aus München ergreift, wo sie nie wirklich heimisch wurde.

Sicher spielt da viel Konvention eine Rolle, die sie das eine wie das andere mal scheitern und unglücklich werden lässt, worauf sie sich lieber um die Ehe ihres Bruders mit ihrer Pensionatsfreundin Gerda, die aus Amsterdam eingeheiratet wird, kümmert, auch wenn diese als Künstlerin ihrer nüchtern hanseatischen Art immer etwas fremd bleibt. Verliebt hatte sich Tony vorher in den Sohn des Lotsenkommandeurs in Travemünde, bei dem sie den Sommer verbrachte und der die revolutionären Ideen der Göttinger Studenten als dort Medizinstudent ihr nahebrachte, die sich sonst eher naiv als Tochter aus gutem Hause wie die Königin der Stadt fühlte. Diese Verliebtheit und was von ihr geschildert wird, ist eine der emotional ergreifendsten Stellen des Familienromans, auch wenn Tony es in ihrer Art wieder munter weiter plätschern lässt, wie auch Thomas Manns Tante Elisabeth Mann, der die Tony naturgetreu nachgebildet wurde, nach kurzer Empörung die Rolle mit Humor nahm und sich von der Familie künftig eben Tony nennen ließ.

Eine andere Verliebtheit, die des Erben und späteren Senators Thomas Buddenbrook, dem Bruder Tonys wird so beendet, wie es sich für einen Kaufmannssohn aus guter Familie gehört und mit der musikalisch leidenschaftlichen Gerda findet er ja auch eine sehr gute Partie, egal wie verliebt oder nicht. Auch die später große Nähe seiner Frau zu dem Leutnant,  mit dem sie musiziert, gehört zu den zarten Andeutungen der Verliebtheit in den Buddenbrooks, die nicht nur eine Familie sondern eine ganze Stadt so treffend und scharf malten. Aber im großen und ganzen spielt Verliebtheit dort weniger eine Rolle als die soziale Rolle und die daraus resultiernden Pflichten hinter denen solche Gefühle zurückstehen müssen.

Eine geschiedene Ehe hinter sich zu haben oder nicht, führt heute noch in alten Familien zu zumindest empfunden verschieden starker Zuneigung, gelten diese doch als teilweise gescheitert, so erfolgreich sie auch sonst sind. In meiner Familie waren Scheidungen lange unbekannt, die Brüder meines Vaters waren bis über 60 alle mit derselben Frau verheiratet und folgten damit dem Vorbild der Großeltern. Später gab es dann eine Scheidung in dieser Generation, die aber wohl nur dazu führte, dass die beiden sich inzwischen besser verstehen als zuvor. Dagegen gab es in meiner Generation bereits mehrere Scheidungen. Von den 8 Enkeln meiner Großeltern sind nur noch 3 verheiratet und haben auch nur wenige Kinder bekommen und die aussterbende Familie so fortgesetzt.

Bin davon überzeugt, dass meine Eltern all ihre drei Kinder gleich lieben und nie eines bewusst bevorzugen wollten, sondern immer um Gerechtigkeit bemüht waren. Dennoch ist das Gefühl derjenigen, die nicht verheiratet oder geschieden sind, ein anderes als derer, die eine glückliche Familie haben und dieses Gefühl der Konkurrenz, die eigentlich keiner will, scheint in der Natur der Tradition zu liegen. Wie sich auch Tony ständig geißelte, weil sie doch keine gute Partie gemacht hatte, am Ende übrig blieb, trotz der guten Erziehung auch im Pensionat.

Eine Freundin von mir leidet jedes Jahr an Weihnachten ganz furchtbar, wenn sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester feiern muss, ohne einen Mann und noch dazu mit Kind alleinerziehend, während ihre Schwester glücklich verheiratet mit Kindern alles richtig gemacht hat und dies obwohl die Freundin selbständige Ärztin ist, ihr Leben mit Kind alleine vorbildlich meistert, viel mehr schafft als ihre Schwester, stolz auf sich sein könnte. Vermutlich sagen ihre Eltern nichts dergleichen, wie es auch meine nie täten, bei denen ich sogar bezweifle, dass sie sich erlaubten, so etwas auch nur zu denken, weil sie solch eine Benachteiligung nie wollten. Dennoch gibt es dieses starke Gefühl, weniger wert zu sein, was ich zum Glück nur als Idee kenne, bei ihr sehr ausgeprägt und wie sie mir erzählte, leidet sie auch an Kleinigkeiten schon und muss immer aufpassen, nicht in die Luft zu  gehen.

So haben manche Zustände wenig mit der Realität um uns, dafür umso mehr mit der in uns zu tun. Dies ähnelt insofern negativ dem Verliebtsein wieder, dessen Anfang ich nicht definieren konnte, während ich hier klar sehe, es geht um die eigene Rolle, in der wir uns nur bedingt wohlfühlen und darum so irrational und bescheuert reagieren, gerne alles anders hätten, aber alles dafür tun, dass sich nichts ändert.

Goethes Sehnsucht nach dem verweilenden Augenblick gehört zur Verliebtheit, die er auch in seinen Sesenheimer Liedern für die Pfarrerstochter Friederike Brion so wundervoll beschrieb und der er sich im Geiste völlig hingab, statt seinem Jurastudium in Straßburg, wie es der Vater wünschte, der ihn irgendwann zurück nach Frankfurt rufen ließ. Zum Abschied dichtete der junge Goethe für Friederike das wunderbare Gedicht Willkommen und Abschied, in dem er mit tränenden Augen Abschied nimmt und die Summe der großen Gefühle der Verliebtheit so wunderbar bedichtete. Mit Gefühl konnte er einfach. Darum hier die Verse aus diesem wunderbaren Liebesgedicht, dass für mich immer noch eines der schönsten deutschen Liebesgedichte überhaupt ist:

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!
Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht.
Schon stund im Nebelkleid die Eiche
Wie ein getürmter Riese da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah schläfrig aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr.
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch tausendfacher war mein Mut,
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.

Ich sah dich, und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.

Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund und sah zur Erden
Und sah dir nach mit nassem Blick.
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Goethe überstand diese Trennung und auch die spätere von derjenigen, die Vorbild der Lotte im Werther war. Indem er darüber schrieb, legte er die großen Gefühle ab und wie dramatisch diese waren, zeigt Werthers Tod am Ende. Zu dieser Zeit, nach seiner Promotion über die Besitzverhältnisse an einem Floh, war Goethe ganz nüchtern Assessor am Reichskammergericht zu Wetzlar, da gab es noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen.

Was es auslöst, dies seltsame Verlieben, weiß ich auch am Ende der literarischen Ausflüge hier nicht, was es bewirkt, merke ich, wenn es da ist. Obwohl eigentlich nicht mal das wirklich, weil ich in diesem Zustand eher halb bewusstlos immer war, warum von bemerken eigentlich erst hinterher gesprochen werden kann. Wenn ich aber nun nüchtern über die Verliebtheit schreibe, ist es nicht echt, weil diesen Zustand eben nur versteht, wer sich wie unter Drogen darin bewegt.

Denke, wer es verstehen will, muss sich darauf einlassen und es genießen wollen, wie bereit sein, darunter zu leiden, was in aller Regel irgendwann folgt, mögen die selbst behaupteten Ausnahmen mit ihrer Illusion weiter glücklich bleiben.

Literatur und Lyrik nähern sich der Verliebtheit besser als lange Ausführungen es hier können, darum empfehle ich dazu neben Werther und Goethes Sesenheimer Liedern noch Fontanes Effie Briest, Flauberts Madame Bovary, Tolstois Anna Karenina - um nur eine kleine Auswahl hier zu nennen, die nicht gleich abschreckt oder erschlägt. Es sind eher klassische Stücke und es gibt ganz sicher auch neuere Autoren, die schön über die Liebe schreiben, doch hilft es manchmal den großen Abstand zu wählen, um mehr Gefühl dafür zu bekommen, was bleibt und darüber hinaus noch geht, die Koordinaten jenseits der Zeit zu erkennen, in denen sich alle Menschen in einer Sache ähneln, die sich konkret nicht greifen lässt.

Sich verlieben ist bescheuert und wunderschön. Wer die Kontrolle behalten will, dem wird es sehr schwer immer fallen, sich überhaupt zu verlieben, während alle, die sich sofort fallen lassen können, sich auch leicht darin verlieren. Doch weiß ich nicht mal ein Rezept für einen goldenen Mittelweg, als zu versuchen ab und an den Verstand einzuschalten, um halbwegs nüchtern bei all dem Blödsinn noch zu bleiben. Leider oder zum Glück scheitert dieser Versuch meist schon im Ansatz, da wir verliebt nicht mehr klar denken können und wenn wir es vorher zu tun, des wunderbaren Wahnsinns dieses Zustandes total verlustig gehen.

Manchmal hilft mit Abstand darüber schonmal nachgedacht zu haben, sich in der Gefahrensituation, in der wir jeden Verstand verlieren, dessen bewusst zu bleiben, aber wirklich glaube ich auch daran nicht, weil die Liebe, wenn sie mit ihrem Wahnsinn zuschlägt, stärker als alles sein kann und wir schon sehr feste Leitplanken im Leben brauchen, uns vernünftig dagegen zu wehren.

Vielleicht können wir uns auch die Abwehr ersparen, wenn wir uns klar machen, es ist Teil unserer Natur, tut auch gut und nur weil wir, was so unvernünftig erscheint, nicht begreifen, kann es doch eine logische und damit vernünftige Folge unserer Natur sein, die in komplexer Kausalität steht. Es gibt wenig, was mich so demütig macht wie Verliebtheit. Verstehe es nicht ganz, weiß auch nicht, wie ich das je tun sollte, noch, ob ich es je wollte, aber ich nehme es, um des Glücks, was es trotz allem Risiko dabei bescheren kann, mal hin und versuche, zu genießen, was ist. Vielleicht ist das schon alles in der Verliebtheit, was wir wissen können, ich weiß es nicht.

Lukrez und Epikur werden es sicher auch als kritisch betrachtet haben aufgrund der unvernünftigen Extreme, auch wenn es ganz natürlich scheint, macht es nicht dauerhaft glücklich, glänzt dafür aber im ersten Moment desto heller. Es ist immer eine Täuschung, führt häufig daher logisch zur Enttäuschung, bringt einen völlig an die eigenen Grenzen. Dass noch irgendwie zu genießen, ist schon genug eigentlich als Aufgabe für ein Leben scheint mir.
jens tuengerthal 24.12.2016

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