003d Ob Glück egoistisch ist
Klar ist Glück egoistisch, es geht ja nur darum, wie es einem geht.
Wer sich Glück wünscht, möchte glücklich sein und es geht ihm genau um seine Befindlichkeit. Doch wer von uns hat nicht schon mal gesagt, wünsch mir mal Glück, dann und dann oder dafür?
Ist wer anderen Glück wünscht darum altruistisch oder geht es bei solchen Wünschen nur um die gute Stimmung und sie sind eigentlich genauso egoistisch, wie sich selbst Glück zu wünschen?
Um dies zu beantworten, wäre es wichtig, zu verstehen, was damit gemeint ist, wenn jemand einem anderen Glück wünscht. Geht es dabei um das, was die Lateiner noch Fortuna nannten, was außerhalb unseres Einflusses liegt und wo nur, wenn überhaupt, der Aberglaube hilft?
Wer für eine Prüfung gut gelernt hat, ist eigentlich optimal vorbereitet, braucht gute Nerven und kein Glück. Solche Aufgaben sind vernünftig immer lösbar. Dennoch reden wir von Glück und wünschen es anderen vor Klassenarbeiten, Examen oder Vorträgen als ob es je noch darum dabei ginge.
Viel spricht dafür, dass die meisten Glückwünsche genau wie offensichtlich die damit verbundenen Sitten, wie dreimal gegen Holzklopfen, ein Talisman, Daumen drücken und vieles mehr, tief im Aberglauben wurzeln und auch nichts anderes ausdrücken. Es wird ein Ritual vollzogen, was vernünftig betrachtet völlig unsinnig ist, sicher keine Hilfe etwa bei der Lösung logischer mathematischer Aufgaben sein kann und dennoch hoffen sehr, sehr viele Menschen auf diesen Segen, statt ruhig ihrer Vernunft zu vertrauen.
Zum verbreiteten Aberglauben gehört auch das Lesen in Sternen, Karten oder Handlinien, um die Zukunft zu sehen oder die Dinge besser zu verstehen. Nichts davon hat einen vernünftigen Grund oder eine Beziehung zum Menschen als den Aberglauben. Dennoch erhoffen sich viele davon höhere und weitere Einsichten, als wenn sie einfach ihren Verstand benutzten und vernünftig nachdächten.
Unklar ist, ob die Neigung zum Aberglauben mehr am tatsächlichen Mangel des Verstandes bei denjenigen liegt oder aus der Natur jedes Menschen kommt, der Dinge verstehen will, die keinen höheren Grund haben. Seltsam genug versucht ja auch etwa die Astrologie, ein scheinbar logisches und komplexes Gebiet der Berechnungen auf den Aberglauben aufzubauen. Hierin ähnelt sie der Theologie und wird darum auch von ihren Anhängern mindestens ebenso ernst genommen und verteidigt.
Nicht bekannt sind allerdings bisher Scheiterhaufen der Astrologen für Leugner der Astrologie, da diese selten alleinige Staatsreligion war. Umgekehrt ließen sich aber viele hohe Piester, also auch Bischöfe und Päpste von diesem Unsinn leiten. Doch auch im eigentlich vernünftigeren Bereich der Kriegsführung mangelte es nicht an berühmten Gläubigen der Astrologie, von den Pharaonen zu römischen Kaisern bis zum Inkakönig über Wallenstein und mit Ronald Reagan bis in die Gegenwart sogar, ob deren Rar wirkungsvoller als bloßer Zufall oder ein Placebo war, lässt sich nur noch schwer verifizieren.
All diese Menschen glaubten an das Glück, höhere Zusammenhänge und Dinge hinter den Dingen, die jedem vernünftigen Menschen schlicht wahnsinnig vorkommen müssen, kritisch betrachtet und also vernünftig bedacht.
Einer der vernünftigsten, systematischsten und kritischsten Denker war der große Autor der Kritiken, Immanuel Kant. Er schrieb über den Wissenschaftler, Mystiker und Wahrsager Svedenborg seine Schrift, Träume eines Geistersehers, in der er vor dem Wahn der Magie warnt. Dazu gäbe es viel zu sagen, wie auch zu den Grenzen der reinen Vernunft und wo die Metaphysik anfängt in der Begründung der Sitten, doch soll dies weniger noch ein relativ unverständliches Philosophiebuch werden, sondern bloß eine Sammlung von Essays in denen ein eitler Vater gerne seiner fünfzehnjährigen Tochter etwas von der Welt erklären möchte, wie er sie sieht.
Da gehört Kant und seine Kritiken klar dazu aber eben nur in dem bescheidenen Ausmaß in dem meine geringen geistigen Mittel ermöglichten den Großen aus Königsberg zu verstehen. Diese Frage ist hier besonders wichtig weil es um den übersinnlichen Charakter des Glücks geht, den wir gern mit allem möglichen und unmöglichen Aberglauben auch um den Jahreswechsel pflegen. Wie wichtig ist die reine Vernunft für das Glück? Kann vernünftig glücklich sein oder widerspricht sich das?
Auch meine Eltern, eigentlich vernünftige, aufgeklärt und kritisch denkende Menschen, der Vater gebildeter Naturwissenschaftler, die Mutter eine der belesensten Personen, die ich kenne, pflegen bestimmten Aberglauben, um das Glück zu beschwören.
So wird Silvester Linsensuppe gegessen und Neujahr ein Karpfen, dessen Schuppen mein Vater das ganze Jahr oder zumindest bis er sie verliert, in seinem Geldbeutel mit sich herumträgt, weil diese dafür sorgten, dass derselbe immer gut gefüllt sei. Es werden natürlich auch immer die Daumen gedrückt und mein Vater hat während seines Medizinstudiums in Wien einst von einer Zigeunerin das Handlesen gelernt, behauptete er, tat es natürlich nicht mehr, nach dem mehrfach eintraf, was er prophezeite, weil es gegen sein Verständnis von Freiheit verstieß, was mir sympathisch war und was ich teile. Natürlich ist das nur Aberglauben, vorkritischer Unsinn, der auf bloßen Zufällen beruht. Dennoch war ich dabei lange selbst nicht ganz sicher.
So hatte mein Vater auch wie ich manches mal seherische Träume, die Dinge vorher wussten und andere überraschten. Doch ehrlich gesagt, kommen mir diese Dinge inzwischen eher wie die Twitternachrichten von Lutz Bachmann vor, der aus internen Quellen der Berliner Polizei schon vorher gewusst haben will, dass es sich bei den Attentäter um einen Tunesier handelte, weil er sich gerne wichtig macht und unter dem zunehmenden Bedeutungsverlust leidet, dem dieses möglicherweise Attentat ganz gelegen kam. Ob geheimes Wissen eher verdächtig macht oder nur den Kopf schütteln lässt, möge jeder für sich entscheiden, vernünftig wird es damit nicht und seriös werden vorbestrafte Betrüger auch nicht durch einen behaupteten Draht zur Polizei.
Will damit sagen, Hokuspokus und Magie bleiben immer Unvernünftig, auch wenn ich selbst mal solchen Unsinn mit voller Überzeugung vertrat, meinte, es müsste so sein oder werden und mich dann an der selbsterfüllenden Prophezeiung aufrichtete.
Alle Dinge haben einen Grund, wo es daran fehlt, sollten wir lernen an unserem Wissen lieber zu zweifeln als an der Natur der Dinge. Energie geht nicht verloren und Prozesse verlaufen kausal. Überall im Universum und schon immer. Im kleinsten wie im allergrößten.
Nur weil ich nicht alle Kausalitäten verstehe und übersehen kann, etwa wie chaostheoretisch der Schmetterlingsflügelschlag in Australien das Wetter in Deutschland verändert, muss ich nicht meinen, es müsse darum einen höheren Grund geben, der einem simplen Muster folgt, was ich nun zu verstehen meine und was insbesondere Menschen jenseits aller Vernunft deuten können.
Doch wo bleibt das Glück auf das viele hoffen, sei es beim Spiel, auch um Geld oder in der Liebe, die ebenfalls vielen Faktoren unterliegt von denen wir nie alle kennen und zumindest einige nie beeinflussen können?
Glück ist eben die Hoffnung, durch simple rituelle Handlungen Einfluss auf die große Kausalität zu nehmen, die wir weder überblicken noch verstehen können. Oder ist das nur dummer, naiver Aberglaube und Glück sich von so etwas zu befreien und aufgeklärt, sich voller Gelassenheit am Glück des Lebens zu freuen?
Es kann wohl beides sein, je nach Haltung zum Leben und wie weit jemand über das, was er tut wirklich nachdenkt. Für mich ist Unfreiheit und die Sklaverei der Vorurteile das größte Unglück und genau das steckt für gewöhnlich hinter dem albernen Aberglauben, der sich höheren Mächten unterwirft, die durch ein rituell albernes Verhalten zu allen Zeiten beschworen werden sollten. Für andere, wie etwa auch meine Eltern, ist es eine liebgewordene Gewohnheit, die sie pflegen, auch wenn sie wissen, wie unvernünftig das eigentlich ist.
Wie können beide Sichten auf die Welt, die sich eigentlich diametral entgegenstehen aber miteinander auskommen?
Ganz einfach, indem sie sich sein lassen, was es überhaupt einfacher macht, das Leben zu genießen, wenn wir es nicht ständig für andere verbessern wollen, sondern sie eben auch ihren rituellen Unsinn pflegen lassen, solange wir nicht gezwungen werden, uns daran zu beteiligen.
Angesichts der Gefahr für die Vernunft, die durch wachsenden Aberglauben in der Welt gerade wieder entsteht, was wir an den Kriegen der Islamisten, denen gegen sie und deren Terror als Antwort erkennen können, scheint es mir aber vernünftig, gerade jetzt mal wieder allen Aberglauben so zu nennen und auch auf dieser Ebene gleichzusetzen.
Es ist egal, ob ich aus den Sternen lese, vor der Krippe bete, das Spaghettimonster verehre oder nur Neujahr Karpfen esse, es steht auf einer Ebene, ist der gleiche Aberglaube, auch wenn sich der eine noch Glaube nennt, weil er irgendwann hoheitlich abgesegnet wurde, doch von der Begründung und Anwendung ist es immer das gleiche und vielfach geht es darum, das Glück zu seinen Gunsten zu beschwören irgendwie.
Natürlich wissen wir, dass Bleigießen Blödsinn ist und nichts über die Zukunft verrät. Dennoch wird es ganz üblich betrieben und falls es eintritt auch gerne als Begründung genommen - habe das auch schon oft gemacht, dank der Gnade meines schlechten Gedächtnisses im Bereich des Aberglaubens aber sofort wieder vergessen und kann mich nur an den Vorgang und die vielen Versuche der Deutung noch erinnern.
All dies spirituelle Zeug hat auch etwas zutiefst sexuelles. Darum machen es auch vernünftige Leute und finden es viele so geil. Es erhofft sich mancher dadurch bessere Chancen bei der Verführung oder Glück in der Liebe.
Doch fragte ich ehrlich, was wäre eine Liebe wert, die auf solchen Glück aufbaut, wäre die Antwort meist nur betretenes Schweigen.
Worauf baut eine glückliche Liebe auf?
Genau hier liegt das Problem, wir wissen manches, ahnen einiges, aber so ganz genau und sicher, wissen wir es nicht. Ist es die soziale Passung, sind es Muster der Kindheit, suchen wir unsere Eltern wieder, treiben uns nur die Hormone, also die Chemie zusammen, ist die geistige Idee des Gefühls entscheidend oder eine bunte Mischung von allem, bei dem mal das eine, dann das andere überwiegt?
Ich weiß es nicht und will auch nichts anderes behaupten. Die Wissenschaft, kann selbst, wenn sie was weiß, nur einen Teilbereich beantworten, trifft nie das Ganze der Liebe, zu der eben auch Gefühl gehört und ob das wiederum mehr aus der Erbanlage resultiert oder aus den sozialen Prozessen in denen wir leben, weiß keiner ganz exakt zu sagen. Es spielt sicher alles irgendwie eine Rolle.
Wie Alice im Wunderland am Ende des Rennens so wunderbar emotional gerecht entscheidet, alle haben gewonnen, will auch ich diese Frage beantworten, es hat viele Gründe, alles spielt in der Liebe und beim Glück irgendwie eine Rolle. Wen es glücklich macht, dies mit Aberglauben zu beschwören, der soll das tun, ich mag als Epikuräer gern glückliche Menschen.
Die eher einfach und schlicht denkenden Menschen, wie ich einer bin, sind schon glücklich, wenn sie sehen, alles ist Natur, es gibt nichts außer mir, meine Welt ist auf mich gestellt und ich kann zumindest so tun, als wäre ich frei und es so ausgiebig wie möglich genießen, was für mich das größte Glück ist. Wer es gern mit anderen teilt, sollte ihnen immer das ihre lassen und sich hüten, alles besser zu wissen, wie ich in diesen Essays, die ich aber ja nur schreibe und wie ich nicht immer unbedingt rede. Dann geht es einem vermutlich besser dabei, damit ist das Glück keine Wahrheit und auch kein Zustand größter Reinheit, sondern der bestmögliche irgendwie Kompromiss, mit dem alle leben können. Natürlich ist Glück dabei immer auch egoistisch, selbst wenn ich es anderen wünsche, weil sich mit Glück beschäftigen einfach glücklich machen kann und also auch es zu wünschen, so unsinnig das eigentlich ist.
Wünschte lieber gute Nerven oder Ruhe und Gelassenheit, aber da dies meist eine weitere Erklärung erforderte, die auch überflüssig ist, wünsche ich auch vielen einfach Glück, weil es sie glücklich macht, mir egal ist, aber glückliche Menschen in der Umgebung mich eben dafür glücklicher machen und was mehr sollte ich wollen.
jens tuengerthal 22.12.2016
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