Montag, 6. Juni 2016

Kulturgeschichten 0247

Flaneurleben

Harry Graf Kessler ist zurück in Berlin
In einer so liebe- wie geistvoll gestalteten
Ausstellung im Liebermannhaus direkt
Am Pariser Platz nahe seinem Adlon

Als Flaneur durch die Moderne wird
Uns ein vielfältiger Mann vorgestellt
Der letztlich an Deutschland scheiterte
Dem er nach dem Reichstagsbrand entfloh

Ein offener Geist und Europäer der sich
Als Weltbürger lieber sah und Förderer
Der Kunst der er in Büchern noch den
Schönsten Rahmen gab in Weimar

Wer inmitten der Großstadt unerwartet
In ein anderes Leben einzutauchen wagt
Wird einen neuen Blick auf die Moderne
Und wie sie begann bekommen können

Seine Tagebücher machten ihn berühmt
Die er nie veröffentlichen wollte zuerst
In denen er ein Bild seiner Zeit malte
An der er teilnahm und die er prägte

War er wirklich ein Flaneur oder Dandy
Eher Künstler oder Kunstvermittler
Ist sein Leben Kunstwerk schon genug
Was bleibt von Harry Graf Kessler

Wann ist einer ein Flaneur fragt sich
Mancher Flaneur und schon im Zweifel
Verliert das Sein seine Leichtigkeit die
Den Flaneur sonst schweben lässt

Dabei ist der Flaneur nichts
Als ein Mensch der im Spazierengehen
Schaut genießt planlos umherschweift
Er flaniert eben genüsslich durchs Leben

Der Flaneur lässt sich durch die Menge treiben
Schwimmt mit dem Strom aus dem er grüßt
Beobachtet meist intellektuell die Massen
Gewinnt Gedanken aus kleinen Beobachtungen

Der Flaneur ist ein Dandy der zugleich sich
Genügt wie aus dem Um-sich-schauen Lust
Gewinnt in der Bewegung der Großstadt ohne
Eile im Strom lebt Lebenskunst als solche ist

Harry Clemens Ulrich Kessler der so bürgerlich
Geboren mit dreizehn zum Grafen wurde war
Ein Flaneur der die Welt in seinen Tagebüchern
Beschrieb und immer wieder mitprägte auch

Ob Graf Kessler dies wurde weil Harry ein Sohn
Des Kaisers war und dieser dessen Frau die er
Auf der Weltausstellung zu Paris kennenlernte
Mehr als gern mochte ist nicht ganz gewiss

Harry Kesslers Mutter zumindest das ist sicher
War die Irin Alice Harriet Blosse-Lynch die noch
In Bombay geboren wurde als es zu Britannien
Beides gehörte blieb dem Kaiser lebenslang nah

Die Gräfin Kessler ergo Alice Harriet Blosse-Lynch
Galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit
Sie bezauberte mit Geist so sehr wie mit ihrem Anblick
Wurde von ihrem Sohn liebevoll immer verehrt

Das Kessler nach dieser Mutter mehr den Männern
Zuneigte irgendwann seine Homosexualität entdeckte
Die er der Zeit gemäß noch streng geheim hielt
Verwundert bei diesem Kunstsinnigen eher wenig

In England Frankreich und Deutschland wuchs
Der junge Harry auf der in mehreren Kulturen
Erzogen als Diplomat und Reisender immer wieder
Auch alle Grenzen überschritt die andere sahen

So sah sich der kluge Kopf immer als einen Teil
Einer europäischen Gesellschaft der er als Schüler
Zwischen Internaten in Paris und Ascot wechselte
Um auf dem Hamburger Johanneum Abitur zu machen

Schnell wurde der einjährig Freiwillige danach bei
Den Ulanen zum Rittmeister der Reserve erhoben
Studierte sodann in Bonn und Leipzig Jura
Wie im Anschluss noch Kunstgeschichte

So arbeitete er früh in Berlin in der Kunstzeitschrift Pan
In der manch berühmter Kopf selbst veröffentlichte
Übernahm in dieser Tradition schon 1906 die Leitung
Des Weimarer Museums für Kunst und Kunstgewerbe

Er wollte das Ausstellungskonzept modernisieren
Einen kulturellen Reformversuch wagen für den
Er in Berlin oder München keine Möglichkeit mehr sah
Stieß aber auf reaktionären Widerstand immer wieder

Nebenbei gab er mit dem Insel Verlag noch eine große
Goethe Ausgabe heraus strebte danach Bücher als
Gesamtkunstwerk zu gestalten indem er Inhalt und Form
Künstlerisch abstimmte in seiner Cranach-Presse

Kesslers Pläne der Kulturreform reichten bis zum Theater
Für das er ein Reformkonzept entwickelte bei dem ihm
Unter anderen Max Reinhardt unterstützte der es umsetzte
Womit am Berliner Theater Kesslers Ideen lebten

Mit dem Mustertheater wollte Kessler eine neue Institution
Etablieren wobei Henry van der Velde den Theaterneubau
Entwerfen sollte die neue Moderne nach Weimar zu holen
Geplant war was an völkischem Widerstand scheiterte

Bereits 1903 gründete Kessler den Deutschen Künstlerbund
Dem Edvard Munch Johannes R. Becher Detlev von Liliencron
Wie die Maler der Brücke angehörten dennoch führte 1906 ein
Ausstellungsskandal dazu Kessler seiner Ämter zu entheben

Als maßgeblicher Mitautor des Rosenkavaliers widmete ihm
Hugo von Hoffmansthal diese Komödie die ihm so viel verdanke
So war Kessler an vielen Orten präsent und korrespondierte
Mit allen Größen seiner Zeit in Europa als kluger Kopf

Während des 1. Weltkrieges arbeitete Harry Kessler für die
Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes unter anderem doch
Entwickelte er auf diesem Wege bereits Friedenspläne mit
Frankreich und England als sie noch im Graben gegenüber lagen

Ab November 1918 war Kessler Gesandter in Warschau
Im just unabhängig gewordenen Polen doch musste er bald
Wieder zurück ins Reich nach Abbruch der Beziehungen
Nun plante er ab 1919 einen Völkerbund als Lösung

Der Staatenbund sollte über den Welthandel zusammenfinden
Sein Zweck war die Vermeidung neuer Kriege wie Sicherung
Der Menschenrechte wofür der Handel ein guter Anlass dem
Bankierssohn logisch war der immer liberal dachte

Dennoch patriotisch der Weimarer Republik verbunden
War er Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Wie der eher linksliberalen DDP die heute leider fehlt
In der er mit Walter Rathenau befreundet noch war

Kessler war regelmäßiger Gast des SeSiSo-Clubs
Zu Berlin der sich liberalem politischem Denken auch
Widmete und freie Geister vereinte deren viele später
Im Widerstand gegen die Nazist vernetzt waren

Bis 1933 gab Kessler noch gleich einem Aufschrei
Die Zeitschrift Das Freie Wort heraus um jedoch
Nach der sogenannten Machtergreifung doch zu
Resignieren und nach Paris zu emigrieren

Von Paris ging es noch Mallorca von dort in die
Provence wo er 1937 vor dem Einfall der Deutschen
Noch inzwischen völlig verarmt verstarb und der Welt
Dafür 10.000 Seiten Tagebuch in 57 Bänden hinterließ

Er schuf in seinem Verlag der Cranach Presse
Zu Weimar einige der schönsten Bücher seiner Zeit
Die weit über ihn hinausreichen und scheiterte doch
Auch dabei an den Zwängen der Weltwirtschaft

Ein ganzheitliches Kunstkonzept für Weimar hätte
Den Ort Goethes Schillers und Nietzsches wieder
In die Zeit geholt und wurde als zu mordern abgelehnt
Ohne diesen Vordenker kein Bauhaus in Weimar

Deutschland wandte sich den Nationalsozialisten zu
Kessler wandte sich infolge von Deutschland ab
Das Deutsche Reich ging im Krieg endgültig unter
Der Flaneur Kessler findet endlich eine neue Blüte

Sich mit Kessler und seinem Scheitern an Deutschland
Über dessen Enge sein großer Geist weit hinausreichte
Heute auseinanderzusetzen öffnet den Blick in Zeiten
In denen Vereinfacher wieder zu laut werden
jens tuengerthal 6.6.2016

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