Sonntag, 5. November 2017
Von gut und böse
Reagiere allergisch auf alles, was mit der Diktatur des Proletariats, dem Sozialismus und anderen totalitären Ideen zu tun hat. Bin ein Kind des Westens, das im Kalten Krieg groß wurde und habe so viele Dinge inhaliert, die mein um Freiheit bemühtes Denken fesseln. Somit kann ich zumindest für mich dieses Schema bestätigen und habe die Erfahrung, auch wenn auf ganz unterschiedliche Art mit Menschen aus dem Westen oder Osten gemacht, die je nach Prägung an ihren Schemen festhalten.
Die aus dem Osten Deutschlands mussten nach der Wende und dem Scheitern des Systems zwangsweise umlernen und neigten infolge mehr oder weniger zur Verklärung. Der Westen breitete sich weiter aus und stülpte sein System dem vorher totalitären Osten über. Dies war von der ganz großen Mehrheit so gewünscht worden und sie hatten dafür mutig, teilweise unter Einsatz ihres Lebens gekämpft.
Nur wenig entfernt von meiner Wohnung am Helmholtzplatz im ehemaligen Osten Berlins, in dem hier allerdings inzwischen deutlich mehr Wessis leben, liegt die Gethsemanekirche gen Nordwesten. Während der Wende war dies ein Hort des Widerstandes. Nur unwesentlich weiter gen Südwesten von meinem Platz aus liegt die Zionskirche, an der einst Dietrich Bonhoeffer noch wirkte, der über gute Mächte einst dichtete, bei der 1989 ein Punkkonzert und die dabei vielleicht von der Stasi begünstigten Schlägertrupps der Rechten, woher immer sie kamen, dafür sorgten, dass der Widerstand noch lauter und stärker wurde, die friedliche Revolution gegen die Diktatur der SED ihren Lauf nahm.
Sprach inzwischen mit einigen, die bei diesem Konzert dabei waren, die Verhaftungen erlebten und heute sagen, es war ganz klar die Stasi, solche Methoden kannten sie ja - Einschüchterung und Unterdrückung. Vor der Wende hätte es keine Rechten in der DDR gegeben und keine Skinheads und ähnliches. Glaube bei solchen Erzählungen gerne, dass die Stasi zu totalitären Methoden neigte - wenn ich mich daran erinnere, wie mir andere Freunde erzählten, was sie erlebten, als sie in Weißensee das dortige Waffenlager der Stasi stürmten, irgendwann im November oder Dezember 1989 war das, wie sie die Ausrüstung einer ganzen Armee fanden, die darauf ausgerichtet war, das eigene Volk in Schach und klein zu halten, merke ich, wie ich mich in meinem Bild von der DDR bestätigt fühle. Nie glaubte ich, dass es keine gewalttätigen Rechten in der DDR gab, was Historiker inzwischen bestätigen - der sächsische braune Sumpf und andere Feuchtgebiete sind keine überraschende Veränderung sondern langsam gewachsen.
Auch die Geschichte einer anderen Verflossenen, die mir erzählte, wie schrecklich und rücksichtslos ihr Bruder schon immer gewesen wäre, der es wagte im Sommer 1989 gegen den Einsatz der Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking zu protestieren und wie er damit der Familie nur Ärger brachte, weil er eben nur an sich denke. Der sei einfach etwas rücksichtslos und darum hätte sie ein Problem mit ihm. Verdrängte die Geschichte erst, weil ich sie in ihrer Wut auf den Bruder, der die ganze Pflege der Eltern ihr überließ, unterstützen wollte, sie wirklich belastet war. Später wurde mir klar, was sie sagte, insbesondere nachdem ich den Bruder erst voller Misstrauen kennengelernt hatte und ihn als einen offenen, kritischen und intelligenten Mann erlebte, der bewusst und verantwortlich handelte, während ihr schönster Lebensinhalt war, dass sie sich mit einer Freundin zusammen jedes Jahr mindestens zwei Wochen Cluburlaub in der Türkei leisten konnte, wo sie an nichts denken musste und Schaumpartys der Gipfel eines erfüllten Lebens sind.
Sie fand den Bruder unverantwortlich, der einem schon sterbenden Regime widerstand, während in Leipzig bereits montäglich demonstriert wurde, weil er für seine Meinung das Wohl der Familie gefährdete. So würde sie vermutlich auch über die Widerständler im Dritten Reich urteilen, sei es der Kreis um Stauffenberg, die Weiße Rose oder der Kreisauer Kreis - alle gefährdeten ihre Familien und ihr eigenes Leben, weil sie nicht angepasst handelten, sondern Widerstand leisteten, während sie völlig angepasst war. Sie hatte auch Leiden müssen, wollte Medizin studieren aber da sie getauft war und die Mutter sich in der Kirche engagierte und warum auch immer, sie hatte da nie nachgeforscht, wurde sie gezwungen die Schule früher zu verlassen und Krankenschwester zu werden, obwohl sie angeblich die Klassenbeste war. Ein Opfer des Regimes also, das erst nach der Wende über Umwege noch studieren konnte, wenn auch nicht Medizin, und sie hatte keinerlei Verständnis für den Widerstand des Bruders, fand es sollte lieber angepasst gelebt werden, um sich nicht alles kaputt zu machen. Derjenige, der seinen Überzeugungen folgte und Widerstand leistete, war darum für sie unzuverlässig und unverantwortlich.
Sie redete das Regime der DDR nicht schön, war froh, dass es unterging aber stand nicht mal in der dritten Reihe des Widerstands, verurteilte den eigenen Bruder dafür, dass er ihre Ruhe störte. Denke ich heute daran, könnte ich mich immer noch aufregen und frage mich, was ich je für diese Frau empfand, die so angepasst, desinteressiert und im Wesen langweilig war, wie meine Tochter auf den ersten Blick treffend urteilte.
Es macht mich richtig wütend über diesen Geist nachzudenken und zu sehen wie in Berlin wieder mit der SED Nachfolgeorganisation regiert wird, die sich heute Linke nennt und doch nur ein Überbleibsel alter Seilschaften vielfach angepasster Menschen ist, sehen wir mal von den linken Träumern iim Westen ab, die immer noch glauben der Sozialismus sei das Paradies auf Erden und die Diktatur des Proletariats nur der nötige Übergang nicht immer der falsche Weg.
Wut ist in der Politik ein schlechter Ratgeber und eignet sich keinesfalls, die Dinge philosophisch betrachtet, vernünftig in gut und böse zu teilen, um eine Ethik der Freiheit zu finden. Wut macht blind und verführt noch mehr dazu, in den immer gleichen Mustern zu denken, die einerseits verharmlosen und andererseits dramatisieren, ohne etwas zu ändern.
Eine andere Ex von mir hasste den Osten, in dem sie nahe Rostock groß werden musste und hat sich ihm verweigert, solange er bestand, sie darin eingesperrt war, wollte nie wieder im Osten wohnen und sah zu schnell wieder die alten Stasi-Gesichter überall. Sie wollte auf der ganzen Welt zuhause sein lieber als im alten Osten, den sie verachtete. Ihr Ex, mit dem sie noch zusammenlebt, war in den 70ern abenteuerlich geflohen und hatte vorher in Hohenschönhausen eingesessen - beide sprachen voller Abneigung und Hass über diese engstirnige, spießige Diktatur und ihre Funktionäre, die wieder auf die Füße fielen. Sie war traumatisiert und bildete mit ihrem Ex eine Art Symbiose voller Hass gegen die ehemalige DDR - war mir auch etwas zu extrem, vor allem zu undifferenziert, da sie sich konsequent weigerte, sich mit Politik zu beschäftigen, Geschichte sie nicht sonderlich interessierte.
So könnte ich noch viele Geschichten erzählen von Fremdheit und Anbiederung, den Kompromissen, die alle machen mussten, die in einer Diktatur und also einem Unrechtsregime lebten.
Denke daran wie lange die Linke darüber diskutierte, bis sie sich dazu durchrang, die DDR endlich ein Unrechtsregime zu nennen, zumindest zum Teil und in Thüringen, während es die rote Sahra für den Bundestag verweigerte und damit ein sehr gutes Bild des dort Selbstverständnisses gab.
War die DDR böse oder gab es auch Gutes dort, was erinnerungswert ist jenseits des Ampelmännchens?
Natürlich gab es wie in jeder Diktatur auch gute Menschen und Momente in denen sich Menschen in den Zwischenräumen eben menschlich einrichteten. Eine Kindheit in einer Diktatur muss nicht schlecht erinnert werden, wenn sie schön war, nur weil das System drumherum idiotisch und primitiv war, Menschen unterdrückte.
Diese Unterscheidung scheint mir wichtig und Kern des Problems vieler Menschen heute, die das Gefühl haben, ihre Lebensleistung werden nie anerkannt, die Treuhand hätte als Werkzeug der Großbanken die DDR verkauft und zerstört, die vorher gut funktionierte. Auch wenn jeder mit nur etwas Vernunft begreifen kann, dass die DDR ohne Ostblock keine Zukunft mehr gehabt hätte, auch ökonomisch nicht, ist es völlig in Ordnung und wünschenswert sich seiner Kindheit voller Liebe zu erinnern. Es sollte niemand das Leben der Menschen schlecht reden, nur sollte jeder die Dinge beim Namen nennen und nicht eigene Erinnerungen mit der Bewertung eines Systems vermischen.
Dies geschieht unter vielen Menschen in Neufünfland so sehr wie bei anderen Bewohnern des ehemaligen Ostblocks oder anderer totalitärer Regime. In meiner Jugend im Westen hörte ich manchmal die alten Menschen raunen, es wäre ja nicht alles schlecht gewesen beim Hitler, er hätte schließlich die Autobahnen gebaut und für Ordnung gesorgt,nicht mehr die ständigen Schlägereien auf der Straße und sie hätten nie etwas von Gewalt gegen Juden mitbekommen. Das änderte sich irgendwann im Bewusstsein auch der Beteiligten.
Während meine Großmutter früh noch stolz von ihrer Deutschnationalen Gesinnung sprach, was natürlich nicht nationalsozialistisch ist, die waren ihr zu primitiv, wie sie meinte, sie waren schließlich Nachbarn von Hindenburgs in Hannover, erzählte sie im ganz hohen Alter stolz von der Ehrung ihrer Schwiegereltern, die angeblich ein jüdisches Ehepaar über den Krieg versteckten, in Yad Vashem geehrt wurden, wie sie zu einer Ordenverleihung für diese geladen wurde, die schon 50 Jahre nicht mehr lebten. Ob das stimmt, weiß keiner so ganz genau und ich weiß nicht, ob ich es überprüfen möchte, um meine tote Großmutter, sie starb kurz vor ihrem hundertsten doch noch, der Lüge zu überführen. Sie war zeitlebens eine große Märchenerzählerin für uns Kinder und was weiß ich schon, was wirklich damals war?
Zumindest änderte sich das Verhalten in der Bewertung der Beteiligten deutlich. Während meine Eltern, beide Jahrgang 1941, noch nicht mit ihren Eltern über ihr Verhalten während der Diktatur von 1933-45 reden konnten, sprach ich viel mit ihnen darüber und die Berichte änderten sich im Laufe der Zeit. Anfangs waren sie alle nur Mitläufer und haben nichts mitbekommen. Das mit den Juden lief ja nur im Geheimen. Dann veränderte sich auch ihre Selbstwahrnehmung scheinbar und sie bemühten ein anderes Bild von sich zu geben. Erzählten mir von ihrem Widerstand, der Ablehnung der Nazi-Proleten durch die meisten gebildeten Menschen, erzählten von überraschenden Geheimnissen ihres Lebens, die ihr Leben doch zu dem eines zumindest stillen Widerstandskämpfers gegen die NS-Diktatur machte. Von ihren Ängsten und der Anpassung, damit der Familie nichts passierte, denn es gab ja Sippenhaft.
Mit meinem Großvater, der auf dem Russlandfeldzug in Gefangenschaft geriet und dies über sehr lange Zeit blieb, redete ich viel über Geschichte. Er lehnte die damals in Bremen gastierende Wehrmachtsausstellung vehement ab. Er wäre ja dabei gewesen. Da würde übertrieben und wem bringe das jetzt noch was, fragte er mich. Nahm das so hin und blieb aber im Gespräch mit ihm auch zu diesem Thema und mit der Zeit veränderte sich seine Haltung dazu. Irgendwann erzählte er nach einigen Gläsern Wein wie ein Geständnis, dass sie alle gewusst hätten, was passierte. Aber es wäre die SS im Hintergrund gewesen, nicht die Reichswehr, verteidigte er lange die letzte Bastion der guten Reichswehr.
Irgendwann fiel im Gespräch auch diese. Die Beweise waren einfach zu erschlagend. Dann sagte er plötzlich, wie gut, dass wir endlich offen darüber reden könnten. Es wäre schrecklich gewesen mit den immer wieder Gemetzeln aber er wäre daran nie beteiligt gewesen, hätte getan, was er konnte, sich rauszuhalten aber es hätte überall Verbrecher gegeben, meist mit Parteibuch.
Das Beispiel zeigt, wie sich auch bei der älteren Generation über oder kurz vor neunzig noch die Wahrnehmung für gut und böse verändern kann. Kurz vor ihrem Tod taten sie alles, sich dem neuen Bild der Zeit in ihrem vergangenen Verhalten anzupassen. Was immer wahr war, halte meinen Großvater mütterlicherseits für deutlich weniger phantasiebegabt als meine Großmutter, sie hatten das Bedürfnis ein anderes Bild der Zeit zu geben, in der sie ihre zwanziger und dreißiger verbrachten und wie sich für sie auch die Bewertung von gut und böse je nach Position veränderte.
Als ich meiner Großmutter von meinen Freunden erzählte, deren Großväter im Widerstand waren, hingerichtet wurden dafür und wieviel Hochachtung ich vor diesen alten Familien empfand, die vielfach seit Jahrhunderten große preußische Offiziere stellten, änderte sich ihre Bewertung der eigenen Geschichte und sie bemühten sich eine neue Rolle zu finden, die sie an diese Helden ihrer Zeit heranrückte, über die sie vorher kein Wort verloren.
Der Großvater väterlicherseits etwa, gab sich seinen Söhnen gegenüber als ehemaliger preußischer Kadett und übte strengen Drill, sprach sich für die Sekundärtugenden aus und ähnliches, was dem Geist der Zeit entsprach, verharmloste die Nazizeit, in der er nach eigener Aussage keine große Rolle spielte und sich lieber um Kultur und Familie kümmere. Dagegen erzählte er mir in einem der letzten Gespräche Anfang 1991 die wahre Geschichte seines Kontaktes zum Widerstand und seiner Degradierung in Belgien, was immer nun wahr wirklich an Geschichte sein kann als die eigene Wahrnehmung.
Dies wäre nach dem 20. Juli 1944 geschehen, er hätte als zuverlässiger Beamter und Kamerad aus Lichterfelde für viele der Offiziere im Widerstand auf den Listen von Goerdeler gestanden Da die Nazis ihm aber sonst nichts nachweisen konnten, wurde ihm ein Betrug angehängt. Den er nie beging und er hätte die Wahl zwischen KZ und Ostfront gehabt und wählte als Offizier die Ostfront bei irgendeinem Himmelfahrtskommando, das er mit Glück überlebte und floh erst nach dem Zusammenbruch der Front von der Truppe, wie es sich für einen preußischen Offizier gehörte, worauf er immer noch wert legte. Die Nazis waren Idioten unter der Führung eines Österreicher, so etwas war nicht preußisch für ihn, der den Alten Fritz verehrte.
So ordnete er sich erst kurz vor seinem Tod selbst dem Widerstand zu, was er seinen Söhnen nie erzählte, auch wenn er seinen Nazi-Bruder, den die Kirche mit offenen Armen wieder als Pfarrer aufnahm, verfluchte. Hellhörig war ich geworden, als ich die Geschichte von den Resistance Kämpfern aus Belgien hörte, die ihn nach dem Krieg vor alliierten Gerichten entlasten und sein Urteil als Unrecht aufheben halfen. Es gab zu dieser Zeit wenige aufgehobene Urteile - kam in großer Welle erst Jahre später.
Lag das an der anderen Rolle als Großvater, weil ich als Enkel mit einer Liebe für Preußen fragte oder weil sich seine Begriffe von gut und böse mit der Zeit veränderten, die rege Publikationstätigkeit auch von Marion Gräfin Dönhoff dazu beitrug, das Bewusstsein der Bevölkerung zu verändern?
Interessant ist zu beobachten, wie in Russland unter Putin gerade ein ganz seltsamer Spagat versucht wird, bei dem einerseits die alten Heiligen der Oktoberrevolution noch verehrt werden und andererseits die orthodoxe Kirche wieder eine stärkere Rolle bekommt, die Zarenfamilie rehabilitiert wird. Der noch im Sozialismus als Geheimdienstmann groß gewordene Putin, der ja wie Schröder sein guter Freund, ein kleiner großer Mann ist, hängt an den alten Traditionen der UDSSR und lässt sie im Rahmen des möglichen feiern. Versucht zwischen Kult mit der Geschichte der blutigen Revolution und mit der neuen Verehrung der Zaren beide Kulturen zu seinen Zwecken einzubinden im kapitalistischen Großreich ohne klare ideologische Richtung.
Die blutige Oktoberrevolution durch Verbrecher wie Lenin und Stalin, die mit einem Hitler auf einer Stufe stehen, kostete mehr als fünf Millionen Menschen das Leben, eher ein Grund zur Trauer, realistisch betrachtet, doch darum geht es weniger, als aus dem Kult mit der Vergangenheit Gewinn zu schlagen. Die dort vertriebene Kirche der Zaren, die das Volk mit ihrem Aberglauben jahrhundertelang unterdrücken half, wird gleichzeitig in die Gegenwart zurückgeholt.
Ist das die neue Freiheit oder der Anfang einer schizophrenen Gefangenschaft in zwei Welten?
Was ist da noch gut und was ist böse?
Ähnliches kann in China beobachtet werden, wo die KP Chinas die Macht vom Kaiserreich übernahm, den Kurs radikal mehrfach unter wechselnden Führern änderte und Millionen Menschen tötete oder sterben ließ, weiter eine Diktatur führt, die als totalitäres Regime gerade alles tut, den Westen vorzuführen, aber etwa die brutale und bis heute grausame Eroberung Tibets im Bewusstsein weiter Kreise der Bevölkerung als völlig legitim verankerte, weil der Dalai Lama als ein Diktator im Aberglauben dargestellt wird und wer kann es sich schon leisten, um eines Flecken im Himalaya das Einvernehmen mit der bald größten Wirtschaftsmacht zu riskieren, die wieder auf die Seidenstraße und Asiens Mitte setzt?
Sind Chinesen, die unter der Diktatur der KP ihr möglichstes versuchen im real existierenden Kapitalismus zu überleben und vielleicht der Führung zujubeln, darum gut oder böse wo steht das bis heute in Fragen der Hinrichtung mörderischste Reich der Mitte?
Die noch größte Macht der Welt in ökonomischer und militärischer Sicht, die unter dem ungebildeten Großmaul Trump gerade alles tut, ihre weltweite Bedeutung zu Gunsten Chinas zu verspielen, ohne es zu merken, steht auch am Scheideweg zwischen gut und böse. Sind die Anhänger von Trump, die in Deutschland AfD wählen würde oder zu Pegida Aufmärschen gehen nun böse oder gut? Sind sie am Ende weder noch, schlicht blöd und lassen sich von einem senilen, ungebildeten Idioten an der Nase herumführen, weil er laut genug brüllt und das mediale Zeitalter das Feingefühl für die Unterscheidung zerstörte?
Auch hier wird manches verschwimmen, keine Antwort alle gleichermaßen treffen und wäre jede darum immer auch falsch.
Die deutsche Kanzlerin, die ich früher heftig kritisierte und die vor allem im Osten von schlichten Gemütern sich harten Anfeindungen gegenüber sieht, ist für mich der Inbegriff guter und verantwortlicher politischer Führung in Zeiten der Krise. Die Personifikation einer aufgeklärten Herrscherin, die ich noch lieber als Führerin Europas jenseits aller Wahlämter noch lange installiert sähe, weil sie ihr Amt unbestechlich, verantwortungsbewusst und dabei doch kritisch und reflektiert wahrnimmt, einen guten Job macht, ist für manche Menschen der Inbegriff des Bösen in der Politik, weil sie ihr Land verraten hätte, Verbrechen und Vergewaltigung die Tore öffnete, den Frieden in Sachsen etwa bedrohte.
Was ist am Ende gut und was ist böse, wer ist es wirklich oder sind wir alle immer so ein bisschen von allem, verschwimmt alles im großen Teich der Geschichte?
Wie müssen wir dann handeln, um einen guten Kurs zu halten?
jens tuengerthal 5.11.2017
Beischlafglück
Zusammen schlafen ist schöner
Nur merken wir dabei meist nichts
Vom großen Glück weil wir schlafen
Warum aber heißt der Sex Beischlaf
Davon bekommen manche noch
Etwas mit bevor sie einschlafen
Glücklicher nur wer Lust teilte
Und danach zusammen schläft
Am glücklichsten sicher ist
Wer befriedigt miteinander
Danach einschläft ineinander
Eng verschlungen als eines
Das ist wohl himmlischer Sex
Sagt sogar der sonst Ungläubige
Der sich paradiesisch wohl fühlt
In der doch menschlichsten Natur
Bezeichne den Akt nie als Beischlaf
Nur das befriedigte danach wärs
Wäre das Wort nicht viel zu klein
Das größte Glück zu beschreiben
Wie viel besser aber passt es
Wenn einer selig einschläft
Voller Vertrauen beim anderen
Der den Schlafenden bewacht
Es ist dies dabei einschlafen
Wenn der Traum auftaucht
Stärker ist als aller Wille noch
Das willenlos glücklich macht
Wo wir uns dann geborgen fühlen
Sind wir immer in Sicherheit wohl
Ganz angekommen beieinander
Können wir es Beischlaf nennen
So wache ich gern über den Schlaf
Der Liebsten im Arm oder Ohr
Als heimlicher Hüter ihrer Träume
Freue mich am echten Beischlaf
jens tuengerthal 5.11.2017
Samstag, 4. November 2017
Herbsterotiker
Im Herbst stirbt die Natur, die Blätter fallen ab, um im nächsten Frühjahr erst zu neuer Blüte zu kommen. Vorher lässt der Winter noch die erstarrte Natur ordentlich erfrieren und räumt so von den Bäumen, was der Herbst bis zur Wintersonnenwende nicht beseitigte. So geht der ewige Zyklus, der älter ist als das Menschengeschlecht und doch ein wunderbarer Spiegel unserer Natur.
Ob die Jugend der Frühling ist, in dem die zarten Knospen treiben, wie junge Brüste bei den Mädchen oder erste Erektionen beim Knaben und der größte Teil des Lebens dann ein ermatteter Sommer ist, in dem wir uns bei Hitze mühsam plagen und verbrauchen, voller Vorfreude auf den Herbst des Lebens, in dem wir alles nachholen wollen, was wir nie taten, bis wir im Winter des Alters vergehen, fragt sich wohl mancher und überlegt dann, warum wir uns nur lange Sommer je wünschten und nicht lieber einen ewigen Herbst leben, weshalb die meisten Menschen die Lust am Herbst verpassen in unvernünftiger Sehnsucht nach den Extremen.
Bin ein Kind des Herbstes, Ende September geboren, verbrachte ich im Bremer Herbst meinen erste Zeit, in grau feuchter Umgebung mit wenig Licht draußen, was mir vermutlich in den ersten Monaten meines Lebens, nicht viel ausmachte, da wir gehegt und gepflegt, sowie warm eingepackt werden, damit wir gedeihen, erst mühsam sehen lernen und das Grobe vom Feinen in ersten Blicken noch nicht unterscheiden könnenm suchen wir zunächst nach Konturen des Lebens.
Vielleicht haben im Winter geborene Kinder mehr von ihrem ersten Herbst, während ich Frühjahr und Sommer vermutlich als erste Erfahrung bewusst erlebte. Würde lügen, behauptete ich, mich daran zu erinnern und die Märchen vom Unterbewusstsein interessieren mich nicht auf der Suche nach dem Glück und der Freiheit. Weiß also nicht, ob es auf den Zeitpunkt der Geburt für meine Herbstliebe ankommt - so ist meine Liebste im späten Sommer geboren, den sie eher gar nicht mag, weil er ihr zu warm ist und sie liebt wie ich den Herbst über alles.
Ob es das bunte Laub ist oder die Wohligkeit bei Tee und Buch zuhause, wüsste ich nicht sicher, für mich zu unterscheiden oder gar die im Nebel verhangenen Landschaften, die weich gezeichnet werden. Aber ich liebe den Herbst, freue mich auf ihn wie auf meine Liebste und finde ihn die sinnlich schönste Zeit im Jahr, wenn es wieder Spekulatius zum Tee gibt, die Äpfel und Trauben reifen und damit die Früchte, die ich am höchsten schätze.
Die tropische Pampelmuse, die wir nur importieren, lasse ich mal außen vor, sie kommt aus Gegenden ohne oder mit weniger ausgeprägten Jahreszeiten als wir sie hier kennen, spielt darum keine Rolle für diese sinnliche Beziehung.
Die Kleider des Herbstes, die uns nicht ganz entblößen und die schönen Farben außen wie an uns, mich mal ausgenommen, der meistens ohnehin schwarz trägt, machen diese Zeit für mich zur ansehnlichsten, wenn ich als Flaneur durch die Straßen streife und die Menschen betrachte.
Die Franzosen sprechen vom kleinen Tod, la petite mort, und meinen den Höhepunkt der Lust damit, weil dieses Wort das füreinander und miteinander sterben dabei so trefflich beschreibt. Es ist dieses letzte Aufbäumen der Lust in größter Spannung, bis wir uns dann völlig gelöst ineinander ergießen.
So ist der Herbst in seinen bunten Farben und starken Schwankungen beim Sterben der Natur für mich der Höhepunkt des Jahres, der kleine Tod, in den sich die ganze Schönheit der Natur ergießt. Wer je den gemeinsamen Höhepunkt genießen durfte, sich ineinander ganz ergoß im gleichen Moment und sich danach gelöst befriedigt im Arm lag, wird das Bild des kleinen Todes vor sich sehen und wissen, was ich meine.
Dieser monatelange Orgasmus der Natur, bis zu ihrer postkoitalen Erschlaffung im Winter, der die Geburt wieder folgt, ist mir darum der erotischste Teil des Jahres und nichts ist schöner als ihn gemeinsam voller Hingabe zu genießen, nie kann die Sehnsucht schmerzvoll größer werden als in einsamen Herbstnächten.
Darum weiß ich, das spüre ich gerade genau, während ich die Liebste auf der grünen Insel so sehr vermisse, mich nicht in kühler werdenden Herbstnächten an sie kuscheln kann. So leide ich im Herbst am Vermissen mehr als das ganze Jahr und bin doch zugleich glücklicher als je, weil die Größe der Liebe so prächtig, eben herbstlich spürbar wird. Da reifen die Trauben unseres künftigen Wein der Liebe, färben sich die Gedanken in der Trauer mit allem Gefühl noch bunter, weil der Herbst alles intensiver macht und einfach wunderbar schön alles macht.
Der Herbst ist ein Sterben, da trauern manche und Rilke dichtete noch, wer nun kein Heim hat, findet keines mehr. Daran leiden manche, bekommen mit dem Nebel ihre Depression, der sie sich lustvoll hingeben, weil ja alles zu Ende geht. Der Epikuräer aber, den der Tod nichts angeht, weil er dann nicht mehr ist und dem was nicht ist, nichts macht, genießt das prächtige Sterben, in dem sich das Leben noch einmal in schönsten Farben zeigt, die Konturen weich zeichnet, wie in manch schwülstigen Erotikfimen der 70er und frühen 80er. Diese erotische Stimmung des Herbst zu genießen, sich ihr lustvoll auch in der Natur hinzugeben, ist alles, was sein kann, wenn wir einen Höhepunkt jenseits der arbeitsreichen Sommer suchen.
Die Lust im Herbst zu leben, heißt das Leben zu lieben in seiner Natur, worum ich mich gerne jedes Jahr wieder bemühe und wie glücklich bin ich, diese Liebe mit meiner Liebsten so zu teilen wie die unendliche Lust, die uns fliegen lässt miteinander als wäre immer Herbst im kleinen Sterben miteinander, das die Natur uns monatelang vorspielt.
jens tuengerthal 4.11.2017
Tiergartentee
Heute ging es in den Garten Eden, wie die Berliner ihren englischen Garten nennen - dazu lief ich die Spree entlang und um die Museumsinsel zurück und mit allen Umwegen waren es am Ende 38km - fast schon ein gewanderter Marathon und dem Flaneur wurde in den Beinen spürbar, warum diese Distanz so eine große Hürde darstellt, zumal die Läufer noch joggen, während mir das Spazieren völlig genügt, auch um nicht achtlos und erschöpft an allem vorbei zu laufen, was schönes am Wegesrand liegt.
Vom Helmholtzplatz, meiner immer Basisstation aus ging es mit der Liebsten im Ohr über Kulturbrauerei, Oderberger Straße und Kastanienallee gen Mitte, in die ich wieder den Weinbergsweg mit beginnender Dämmerung hinunter lief. Über die alte Mauer, die nur noch vierspurig mit doppelter Straßenbahn inmitten, um die alte Mitte führt, betrat ich diese dort, wo früher das Rosenthaler Tor stand, folgte ein wenig der gleichnamigen Straße vom selbigen Platz aus bis ich gen Westen in die Linienstraße einbog, auf der ich dann bis zu ihrem Ende blieb, an dem sie in die Oranienburger mündet, die ich nur ignorant überquerte diesmal, auch wenn es dort viel zu sehen gäbe sonst, doch mein Ziel lag ja noch tief im Westen.
Bog gen Süden in die auch schon oft auf und ab gelaufene Friedrichstraße ein, der ich nur bis zur Reinhardstaße folgte, die wieder gen Westen führt, von der ich aber aber am Bunker mit der Sammlung Boros lieber wieder ein Stück gen Süden abbog, um wieder in der Marienstraße gen Westen zu marschieren, an der so schönen wie schon vollen Böse Buben Bar vorbei, um in die Luisenstraße am Ende der Marien abzubiegen gen Marschallbrücke, nach der ich am südlichen Spreeufer nun blieb.
Zwischen den Abgeordnetenhäusern vorbei, die den Bogen der Spree an dieser Stelle beeindruckend schön und modern zieren, unter den Brücken hindurch immer am schönen Spreeufer entlang, den eigentlich schönen aber durch Mehdorns Dickkopf verschandelten Berliner Hauptbahnhof auf dem anderen Ufer liegen lassend, weiter an Kanzleramt und Haus der Kulturen der Welt vorbei, folgte ich dem Fluss in noch gutem Tempo bis Schloss Bellevue, das angestrahlt als Sitz des Bundespräsidenten wunderschön diesen Teil des Tiergartens bekrönt.
Folgte von dort weiter dem Fluss bis ich am Ende des Tiergartens plötzlich zwischen Häusern im dort Hansaviertel stand und merkte, ein Stück zu weit gegangen zu sein, kehrte also um und fand mit Googles Hilfe das Teehaus, das auf der hier früher Villa von Gustav Gründgens steht und war jetzt bereits mitten im Garten Eden. Umkreiste das Teehaus zweimal, überlegte ob ich dort einen Tee trinken sollte, fand es aber nicht sonderlich einladend und lief weiter durch den Englischen Garten, obwohl das wunderbare Reetdachhaus mitten im Englischen Garten des Tiergartens gelegen, wie ein englisches Landhaus aussieht und schon von daher sehr einladend wirken könnte. Vielleicht besuche ich dies Landhaus mit schönem Kamin einmal mit der Liebsten, doch da auf der Karte nicht mal Tee stand, verzichtete ich lieber auf einen erneuten Versuch, nachdem der letzte im dortigen Biergarten schon mehr als mäßig nur war, da ich dann zumindest in schönster Gesellschaft dort bin, was alles ausgleichen kann.
Garten Eden nennen die Berliner diesen Teil des Tiergartens auf ihre flapsige Art, weil Anthony Eden, der damalige britische Außenminister bei der Einweihung dieses im Stile eines Englischen Gartens angelegten Teil des Tiergartens am 25. Mai 1952 anwesend war. Nachdem infolge des Krieges im Tiergarten großer Kahlschlag geherrscht hatte, spendete König Georg VI. und britische Bürger 5000 Bäume aus ihren Privatgärten zur Errichtung des neuen Englischen Gartens in Berlin. Eine Geste der Versöhnung wenige Jahre nach Kriegsende vom Vater der heutigen Königin Elisabeth II., der wenige Jahre später verstarb, da die Belastung des Krieges ihn zu einem Kettenraucher gemacht hatte.
Die Anlage des Gartens mit kleinem See und vielen schönen Bäumen wird an der einen Seite durch den Garten von Schloss Bellevue und Neubauten des Bundespräsidialamtes begrenzt. Auf der anderen läuft die Eisenbahn und S-Bahntrasse und auf der, der Spree gegenüberliegenden Seite, die vierspurige Altonaer Straße, die zum Großen Stern führt.
Folgte den schönen Wegen im Dunkeln, in denen sich in Richtung der Gleise einige Zeltlager wohl befanden, die aber mangels Licht nicht weiter auffielen oder störten, kam vom Teehaus zum Bismarck Denkmal und ging von diesem schließlich zum Großen Stern, um den militärischen Gegenpart des Großen Kanzlers, den Feldmarschall Moltke, den bescheidenen Mecklenburger, freundlich zu grüßen.
Dort verließ ich den Englischen Garten wieder, ging durch den Tiergarten zurück in Richtung Kanzleramt, an dessen Südseite vorbei ich diesmal bis zum Reichstag vorbei flanierte. Hinter dem Reichstag schaute ich auf die Villa der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, in der zur Zeit die Koalitionsverhandlungen oder Vorgespräche stattfinden, warum sich dort auch immer Übertragungswagen des Fernsehens im Einsatz befinden. Ließ mich davon nicht weiter stören, folgte weiter der Spree, bis zur Museumsinsel, lief bei der Kanzlerin vorbei, nach ihrem Büro an ihrer immer bewachten Privatwohnung, die so prominent gegenüber dem Pergamonmuseum liegt, bestaunte den neuen Eingangsbereich der Museumsinsel von Chipperfield, der bald James simon Gallerie heißen soll, der an einen griechischen Tempel erinnert und von daher perfekt zum Stil der Insel passt, bog danach gen Oste ab, flanierte an Neuem Museum, mit uralten Schätzen und Alter Nationalgalerie mit der Kunst des 19. Jahrhunderts unter den Säulen vorbei und genoss die vielen schönen Blicke dort.
Verließ die Muesumsinsel wieder über die Friedrichsbrücke, die heute Fußgängern vorbehalten und bog sogleich links wieder an der Spree entlang in den James Simon Park ein, den ich der Spree auf der anderen Seite folgend nun durchlief.
James Henry Simon, dem zu Ehren der Park so benannt wurde, war ein Unternehmer der wilhelminischen Ära vor allem aber ein großer Förderer der Berliner Museen, Gesprächspartner von Wilhelm II., was nicht gegen ihn sprechen muss, sowie Finanzier zahlreicher wohltätiger Einrichtungen. MIt seinem Namen ist insbesondere der berühmte Kopf der Nofretete verbunden, den er dem Ägyptischen Museum in Berlin übereignete, das sich heute wieder im Neuen Museum befindet. Der Vater von James Simon, Isaac Simon, war jüdischen Glaubens und zunächst mit einem Geschäft für Herrenmode erfolgreich gewesen, das infolge des Sezessionskrieges in den USA, der den Export von Baumwolle nach Europa beendete, durch seine noch großen Baumwollvorräte bei explodierenden Preisen sehr erfolgreich wurde. So konnten die Brüder Simon in der preußischen Baumwollkrise von 1863/64 ihre großen Lagerbestände zum fünffachen Preis verkaufen.
Die rasch wachsende Firma war bis 1914 zum bedeutendsten Baumwollunternehmen in Europa geworden. James Simon, der das berühmte Gymnasium am Grauen Kloster besuchte, hatte eine Vorliebe für Latein, Griechisch, Geschichte und hätte gern klassische Philologie studiert, folgte aber dem elterlichen Wunsch und übernahm nach dem Tod des Vaters das Unternehmen. Simon war politisch liberal und Begründer des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, dennoch genoss er das Vertrauen des eigentlich erzkonservativen Kaisers. Simon entwickelte gegen Ende seines Lebens wohl sogar gewisse Sympathien für die Sozialdemokratie. Doch blieb er zeitlebens mit dem inzwischen nach Holland geflohenen Kaiser befreundet, was ihn aber nicht daran hinderte die Weimarer Republik aktiv zu fördern.
Mit dem Kaiser verband Simon das große Interesse für Ägypten und er finanzierte die Expedition auf den Spuren des Echnaton, der erstmals einen monotheistischen Staat aufbaute. Aus den dortigen Funden kam die Büste von Echnatons Frau Nofretete in den Privatbesitz Simons, der sie später dem Museum vermachte. Seine Villa in der Tiergartenstraße war schon vorher zu einem Privatmuseum geworden. Sein Berater beim Aufbau der Sammlung war Wilhelm von Bode, der eine große Rolle beim Aufbau der Berliner Museen spielte. Mittelpunkt seines Interesses war die italienische Renaissance, aus der er eine umfangreiche Sammlung zusammentrug.
Mit dem Bau des Kaiser Friedrich Museums, des heutigen Bode Museums um 1900 vermachte Simon einen großen Teil seiner Sammlung dem neuen Museum, in dem es ein Kabinett Simon mit einer Mischung so bunt wie in seinem Privathaus gab, die verschiedene Gattungen der Kunst nach Epochen zusammenführte.
Simon schenkte die Nofretete, inzwischen eine Berliner Berühmtheit 1920 dem Ägyptischen Museum und damit der Öffentlichkeit. In seinem letzten öffentlichen Auftritt sprach er sich dann für die Rückgabe der Büste an Ägypten aus, die jedoch bis heute verhindert wurde, was die Berliner stolz freut. Insgesamt verschenkte Simon jedes Jahr rund ein Drittel seiner Einkünfte zum größten Teil für soziale Zwecke, wollte aber nie viel darüber reden oder es dokumentieren, da nach seiner Aussage nichts belastender sei als Dankbarkeit. Das eigentlich noch 2017 zur Eröffnung vorgesehene neue zentrale Eingangsgebäude der Museumsinsel von Chipperfield soll den Namen James Simon Galerie tragen, um den großen Mäzen zu ehren.
Durch den Simon geweihten Park lief ich also mit Blick auf die Museen, die zahlreiche seiner Spenden enthalten und deren Sammlungen er in manchem erst groß machte. Unter der Eisenbahn hindurch verließ ich den Park und kam auf der anderen Seite in den Monbijou Park, der an das ehemals dort stehende Schloss erinnert, das im Krieg verloren ging und dann abgerissen wurde. Durchquerte diese schöne Parkanlage, in der sich heute auch ein Freibad und Liegewiesen befinden, der Spree folgend mit Blick auf das wunderschöne Bode Museum, in dem heute irgendeine feierliche Veranstaltung stattfand, zumindest sah ich auf dem Weg zur Kanzlerin einige Taxis dort halten und Damen in langen Kleidern und Herren im Smoking im Museum verschwinden.
Am Ende des Monbijouparks folgte ich der gleichnamigen Straße in Richtung Oranienburger Straße, die ich wieder ignorant nur überquerte, um über Krausnickstraße, Große Hamburger und den Koppenplatz zur Ackerstraße zu kommen und auf der üblichen Runde die letzten 7km über Gesundbrunnen, am Humboldthain vorbei, diesmal durch den Gesundbrunnen Center sogar, zurück auf den Berg und an den heimatlichen Platz zu kommen und als krönenden Abschluss von 38km an einem Tag, mir als Flaneur noch mit der Liebsten im Ohr, einen kleinen Riesling vorm Misirlou zu gönnen.
jens tuengerthal 3.11.2017
Freitag, 3. November 2017
Lippenliebe
Oh du meine liebste Frau
Was machst du mich glücklich
Wenn du mir solche Bilder
Der schönsten Lippen schickst
Lippen gibt es viele auf der Welt
In allen Formen mit noch mehr
Eigenarten in ihrem Wesen
Sind sie immer anders wohl
Doch nie sah ich solch schöne
Wie deine die mich wandernd
Durch unser Berlin noch fanden
Das größte Glück mir bestätigten
Wie liebe ich schon ihre Natur
Sehne mich nach ihrem Geschmack
Will sie mit meiner Zunge öffnen
Die Tropfen deiner Lust genießen
Nun frisch frisiert noch schöner
Sehe ich sie unter dem Streifen
Der so perfekt zu dir passt wieder
In nackter Schönheit vor mir
Möchte sie nun wieder küssen
Sie vor Lust schwellen lassen
Dich zu höchstem Glück führen
Es dort ganz mit dir teilen
Was bin ich für ein glücklicher Mann
Dem seine Frau ihre Schönheit schenkt
Sie ihm auf dem Silbertablett zart reicht
Auf das ich immer weiß welche mein ist
Nichts schöneres kann ich mir träumen
Als diese Lippen immer wieder zu küssen
Deine Mitte wollüstig überlaufen lassen
Um immer in allem eins mit dir zu sein
So schlafe ich nun glücklich wieder ein
Dein Bild in meinem Kopf träume ich mich
Lustvoll zärtlich zu dir hin um wieder
Der Welt schönste Lippen zu küssen
jens tuengerthal 3.11.2017
Donnerstag, 2. November 2017
Autoritätserfolg
Wer einmal feststellt, dass autoritäres Verhalten, das sich mit Kraft und sei es auch nur verbaler Gewalt durchsetzt, erfolgreich ist, muss hart daran arbeiten, nicht an diesen schlichten Erfolg der einfachen Mittel zu glauben.
Vielleicht wollen manche Menschen einfach, dass ihnen jemand sagt, wo es langgeht und wie alles zu funktionieren hat, damit sie keine Verantwortung übernehmen müssen. Der Blick in die Fernsehprogramme spricht sehr für diese These und das Verhalten der meisten Menschen, wenn sie mit anderen zusammenkommen, spricht auch eher für diese Vermutung.
Vielleicht ist die Herde, an die sich jeder Teil von ihr anpasst, einfach vom Wesen her dumm. Nur wer bin ich, über sie urteilen zu dürfen oder zu meinen, ich sei nicht auch nur Teil einer anderen Herde, die eben ihren Riten folgt, zu denen gehört, sich über die tumbe Masse lustig zu machen, ohne darum wirklich klüger zu sein?
In der Kindererziehung, welch grässliches Wort schon, in dem steckt, wir zögen an den Kindern, um sie unseren Zwecken entsprechend zu formen, zeigt sich dies noch deutlicher. Autorität und klare Ansagen funktionieren. Habe das eine zeitlang praktiziert. Konnte mich nicht beschweren, meine Tochter war wohlerzogen und höflich, was von außen immer wieder gelobt wurde. Es waren eben unsere Rollen in der Beziehung. Obwohl ich zehn Jahre jünger war als ihre Mutter, habe ich als Vater die streng autoritäre Rollle mit Drohungen und ähnlichem übernommen, wie ich es auch von meinen Eltern kannte, die wohl selbst in den 70ern als junge Eltern mit diesen Dingen haderten, aber im Krisenfall doch immer wieder auch auf das Machtwort zurückfielen, bis hin zu großväterlichen Sprüchen des Vaters - “solange du die Füße unter meinen Tisch stellst…” - die Lösungen in ihrem Sinne mit verbaler Gewalt durchzusetzen versuchten, wie sie es von ihren Eltern kannten. Dennoch war bei meinen Eltern immer die große Liebe zu ihren Kindern spürbar und sie gab Vertrauen in sich und in das Leben und ich glaube heute diese Liebe und Sicherheit, war das wichtigste, was ich von meinen Eltern bekommen konnte, mehr als der ganze bürgerliche Hintergrund, die Essmanieren, die korrekten Formen und die ganzen anderen Oberflächlichkeiten, die einem das Leben erleichtern. Sich geliebt zu fühlen, macht stark und glücklich und ist aus meiner Sicht wichtiger als alles.
Beide Seiten waren bei mir immer darum bemüht, noch friedliche Lösungen zu finden aber auch bei uns war der Vater, wenn er denn da war, für das Machtwort zuständig, wie es eben den patriarchalen Strukturen alter Familien entspricht. Auch heute bekommt mein Herr Papa noch manchmal solche Anwandlungen gegenüber den längst erwachsenen Kindern, was aber von diesen eher lächelnd überhört wird, um sein Herz zu schonen. Am Ende zeigt sich also, wie ich es auch bei meinen Großväter beobachten konnte, die noch viel mehr zu der auch gewalttätigen Autorität neigten und ihre Kinder schlugen, was ich bei den wenigen malen, denen es mir passierte schon fast vergessen habe, eher ein Ausrutscher war, dass die Autorität sich in Nichts auflöst und durch lächelnden Respekt und Liebe ersetzt wird, mit dem sich alle wohler fühlen.
Was sich in ein Lächeln und Harmonie auflöst, weil es keiner braucht, könnte von Anfang an, überflüssig sein, fällt mir dazu ein. Warum diese alten Muster, wenn wir doch unsere Kinder zur Freiheit erziehen wollen, damit sie selbständige und starke Menschen werden, die ihren Weg finden?
Weiß es nicht, habe nur gemerkt, es funktioniert ganz einfach und wenn du einmal damit anfängst, hörst du nicht mehr damit auf, bis du darüber nachdenkst oder sich etwas grundlegend ändert in deinem Leben oder in der Beziehung zu anderen.
Bei mir war es die Trennung von der Mutter meiner Tochter und die Umstände dabei. Die einerseits Befreiung bei gleichzeitigem Verlust jeder Sicherheit und harter Brutalität dort im Kampf, wo vorher Liebe war, wie sich zwei schnell trickreich von Anwälten beraten, vor Gericht fertig zu machen versuchten, um ihre guten Rechte durchzusetzen.
Was für ein Mist, dachte ich, als mir klar wurde, was wir dort veranstaltet hatten und sich alles wieder beruhigt hatte. Will nicht über Schuld und Verantwortung reden dabei. Das geht immer nur die beiden an, die es betrifft und damit müssen die klar kommen, mussten wir und eben leider auch unsere Tochter und das mit unserer Tochter haben wir irgendwann ziemlich gut hinbekommen, was wichtiger mir scheint als wer nun Recht oder Unrecht hat, ob es solches in der Konkursverwaltung einer Liebe überhaupt geben kann.
Es nicht zusammen geschafft zu haben, ist kritikwürdig genug für beide Eltern, dachte ich, dem seine Eltern ein Leben lang auch unter nicht immer ganz einfachen Umständen etwas ganz anderes vorgelebt haben. Zumindest lernte ich aus diesem großen Versagen plötzlich die gewohnte Rolle zu verlassen und nicht mehr in autoritäre Muster schlicht zu verfallen, sondern meine Tochter zu lassen, ihr Vertrauen zu schenken, was irgendwann auch so zurückkam. Die Beziehung wurde, auch wenn wir uns logisch seltener sahen, inniger, als sie je war, was mich sehr glücklich machte. Weiß manches, was die Mutter nie erfahren dürfte und mit meiner deutlich jüngeren Frau ist meine Tochter wie eine beste Freundin, was ich wunderbar finde und die Eltern-Kind-Freundin Schranke ein wenig durchbricht.
Es schien mir, erst ein wenig und dabei nun immer mehr, dass es die alten Muster und Schranken nicht mehr braucht, wir besser frei agieren miteinander, weil wir dann mehr voneinander lernen können, statt nur an Rollen und Mustern festzuhalten. Wann meine Tochter nach Hause kommt, überlasse ich ihr. Auch wenn ich da sicher noch gewisse Pflichten der Aufsicht rechtlich habe, hat sich gezeigt, dass Vertrauen belohnt wird und weiter führt als Kontrolle und Autorität. Verbiete ich ihr etwas, sieht sie es vielleicht Jahre später ein, wird aber ganz natürlich alles tun, das Verbot zu umgehen, um ihren Wünschen entsprechend zu handeln.
Warum ich etwas wünsche, wird damit nicht deutlich. Bin nur autoritär und setze mich durch, wie es auch gesellschaftlich gern erwartet wird. Ein autoritärer Vater mit gut erzogenen Kindern, weiß genau, wo es langgeht und bläst den anderen den Marsch, wenn nötig, kann sich durchsetzen, siegt im Kampf ums Überleben. So funktioniert unsere Gesellschaft in vielem noch, wo es um Befehl und Gehorsam geht. Manche meinen dies aus Darwins Theorie von der Entstehung der Arten ableiten zu können und schaffen mit dem Sozialdarwinismus des Survival of the fittest eine trivial beschränkte Reduktion, die keinem gut tut, sondern bloß Gewalt verherrlicht, statt Zivilisation voranzubringen.
Wäre darum antiautoritär immer richtig oder führt dieses andere Extrem auch nur zu Verwirrung?
Verteidiger der klassischen Haltung, wie ich früher, behaupten gern, Kinder bräuchten Grenzen und meinen, besser wir zeigen sie ihnen, als dass sie sozialen Schiffbruch erleiden. Als Begründung werden gern die Fälle herangezogen, die sich ohne Autorität verloren, den Drogen verfielen, ihr Leben verspielen. Hätte gerne mal exakte Zahlen zu diesen Fällen, falls es sie gibt - wie viele Kinder die autoritär erzogen wurden, kriminell werden, eine Drogenkarriere starten oder bei Hartz IV landen und wie viele es im umgekehrten Fall sind.
Vermute eher und alles was ich dazu bisher erlebte, spricht dafür, dass sich die Zahlen nicht wirklich unterscheiden. Die Neigung kriminell zu werden, drogensüchtig oder in irgendeiner Form asozial, hängt weniger mit der Form der Erziehung als dem Wesen der Person zusammen. Weiß nicht, ob ich nun soweit gehen würde, zu sagen, dass alle Psyche anlagebedingt ist - nichts ist absolut richtig und auch das ist nur eine Sicht auf den Menschen, aber was immer alles zur Entwicklung eines Menschen führt, von den Genen bis zur Prägung, die sich immer noch altbacken Erziehung nennt, es ist eine solche Vielzahl von Umständen und Elementen, dass es unsinnig wäre, sich auf eines allein zu kaprizieren und zu glauben, dabei allein läge die Antwort und Lösung aller Probleme.
Es mag eine genetische Disposition geben, die eher zu asozialem Verhalten führt, die aber nicht erklärt, warum der eine es wird und der andere nicht, weil wir nie wissen können, was alles einen Menschen ausmacht, wir immer nur kleine Teile überblicken und die Größe der Komplexität verführt ja Menschen auch seit Menschengedenken immer wieder dazu, sich höhere Wesen auszudenken. Wir können einzig und allein versuchen, alles zu tun, dass der andere sich so gut wie möglich entwickeln kann und auf die eine oder andere Art die Prinzipien des kategorischen Imperativs verinnerlicht, die Bedingung eines gedeihlichen Zusammenlebens sind.
Damit bin ich beim Kern meiner Abwendung von der Autorität und warum ich sie heute in dem was Erziehung oder sonst den Umgang mit Menschen betrifft für völlig verfehlt halte. Der kategorische Imperativ als Maßstab sittlich guten Handelns - handle stets so, dass dein Handeln Gesetz für jedermann sein könnte - ist ein zu erstrebender Näherungswert, der ein aufgeklärt, kritisch denkendes Wesen voraussetzt.
Aufgeklärt sein aber heißt nach Kant und bis heute, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, um selbst zu denken. Unmündig ist dabei, wer sich unfähig zeigt, seinen Verstand ohne Hilfe anderer zu gebrauchen. Unmündig handelt also auch, wer nur Gesetzen folgt, ohne sie an seinem Gewissen zu prüfen, wer nur gehorcht, statt reflektiert zu handeln. Selbstverschuldet ist dies, wenn der andere nicht zu blöd ist, dies zu erkennen, sondern es einfach nur aus Faulheit und Trägheit unterlässt. Weil autoritäre Ansagen eben leichter sind, als Dinge in Ruhe abzuwarten und sich entwickeln zu lassen.
Hier wird häufig argumentiert, wir können die Kinder doch nicht ins Elend laufen lassen, müssen ihnen zeigen, was gut und richtig ist, damit sie sich nicht verirren, was so falsch ist, wie es im Ergebnis das Gegenteil erreicht. Wer nicht aus eigener Motivation gut handelt, handelt nicht gut, sondern gehorcht nur einem autoritären Muster, was zu nichts führt als Widerstand oder erzwungenem Gehorsam.
Natürlich haben Eltern für Kinder eine Schutzpflicht, müssen Lehrer den Kindern einen Stoff nahe bringen, auch wenn diese systemimmanent gerade an ganz anderen Dingen Interesse haben. Darum ist es auch nicht grundsätzlich immer falsch, jemanden zu etwas zu bringen, was er gerade nicht will oder vom eigentlich gewünschten Verhalten abzuhalten. Denke an Kinder auf der Straße und im Verkehr, den Umgang mit Gefahren oder die Vermittlung eines Stoffes, der den anderen, der vor Sehnsucht oder Liebeskummer gerade vergeht, überhaupt nicht interessiert.
Dann kann es leichtfertig sein, die Kinder selbst erkennen zu lassen, dass es tödlich ist, unter einen Laster zu kommen. Wer sich aus einer Laune oder durch Prägung des Elternhauses in der Schule ständig verweigert, schafft sich Probleme, die noch gar nicht abgesehen werden können, warum es klug und verantwortlich ist, ihnen das zu vermitteln und notfalls auch schnell einzugreifen, damit nichts passiert.
Das ist immer eine Gratwanderung zwischen zuviel und zuwenig bei der wir aus meiner Erfahrung noch mehr darauf achten müssen, nicht selbst in die einfachen Muster der Autorität zu verfallen, als Angst zu haben, nicht genug getan zu haben.
Für mich war es am wichtigsten die Freiheit meiner Tochter anzuerkennen. Sie ist ihr eigener Mensch und ich möchte, dass sie ihre eigenen Entscheidungen trifft und in dem Sinne sittlich verantwortlich handelt, wie es Kant beschrieb, ob sie dazu weiß, wer Kant ist oder nicht. Es geht um das Prinzip, das gut nur diejenigen handeln, die es aufgeklärt tun und also nicht, weil sie gut erzogen oder brav sind und gefallen wollen, sondern weil sie davon überzeugt sind.
Der Sache nach kann ich kein Kind und keinen Menschen davon überzeugen, aufgeklärt und frei sein zu wollen. Dies funktioniert nur, wenn es jeder einzelne selbst will. Gutes tut nur, wer es will und von sich aus tut. Wer ein Gesetz und sei es auch nur ein geaberglaubtes göttliches Recht befolgt, handelt zwar nach gesellschaftlichen Maßstäben moralisch weil angepasst, sittlich betrachtet aber, ist dies Verhalten wertlos, da es bloß auf einer Programmierung und Konditionierung beruht, nicht auf einem Willensentschluss.
Darum ließ ich meiner Tochter die Freiheit und schenkte ihr lieber Vertrauen als klare Regeln, las ihr lieber Sophies Welt vor, damit sie kritisch denken lernt, was sie zu meinem größten Stolz wirklich tut, auch wenn ich überhaupt nichts dafür kann, das Wort Stolz also eigentlich Fehl am Platz ist, weil das allein ihre Entscheidung und Entwicklung ist. Damit bin ich nun glücklich und zufrieden und kann es gut mit meinem Gewissen vereinbaren, denke Vertrauen ist immer besser als Autorität.
Fraglich ist, was in einer Partnerschaft gilt, wo wir uns eigentlich selbstverständlich als freie und gleichberechtigte Wesen begegnen sollten. Gerade in Konflikten neigt jede Seite dabei dazu, sich mit verschieden perfiden Mitteln durchsetzen zu wollen. Wenn ich nicht mehr brülle oder streite, tue ich es mit subtilen Mitteln wie Liebesentzug durch Rückzug oder Herablassung und ich traue mich nicht, zu sagen, dass ich je frei davon wäre.
Wie sollten wir reagieren, wenn wir uns Sorgen, um den anderen machen, er sich selbst beschädigt, ungesund reagiert oder sonst etwas tut, was der Beziehung gegen beider Willen schadet. Darf ich dann autoritär auf meine Grenzen hinweisen und sagen, bis hierhin und nicht weiter oder braucht es dazu anderer Lösungen und wie frei sind wir unter dem Einfluss von Hormonen und Gefühlen dabei überhaupt noch?
Die eigenen Grenzen aufzeigen, scheint mir in Ordnung, den anderen zum guten Weg bekehren zu wollen, dagegen nicht mehr. So ganz allgemein gesprochen zumindest und doch wird im Einzelfall immer wieder etwas anderes gelten, weil so viele Umstände eine Rolle spielen, die das Verhalten des anderen begründen, die vielleicht auch pathologisch sind und darum autoritäres Verhalten als Hilfe brauchen, wie Kinder im Straßenverkehr diese erstmal brauchen, um die Gefahr zu verstehen, ohne sie zu erleiden.
Andererseits müssen wir als Partner immer gleichbereichtigt sein, wenn wir Partner sein und uns lieben wollen, weil die Liebe nur in Freiheit sein kann, jedes andere Handeln nur dummer Gehorsam einer Maschine wäre, nie gut ist.
Weiß hier, wie so oft, keine klare Antwort sondern balanciere zwischen den eigenen Prinzipien, dem Wunsch nach Freiheit und den Zwängen der Natur, die uns selten ganz so gut sein lässt, wie wir es gern wären. Vermutlich ist das ganz normal und es geht ganz vielen Menschen so, die an ihre Grenzen kommen, sie überschreiten, dem anderen nur gut wollen und doch das Gegenteil erreichen. Es ist für mich, der ich nun eine um einges jüngere Partnerin habe, wie ich vorher der um einiges jüngere Partner war, wichtig, ihre Freiheit zu achten und sie darin zu stärken, Konflikte im Diskurs gleichberechtigter Partner zu lösen und doch ist es vermutlich ganz natürlich, ihr manche Erfahrung ersparen zu wollen, uns vor Konflikten beschützen zu wolllen, die gefährlich sein können und die eine kurze autoritäre Ansage vielleicht leichter beenden als eine lange überflüssige Diskussion.
So wandere ich weiter auf dem Seil zwischen gut wollen und besser wissen, dass für einen anderen wollen immer falsch ist, weil nur gut wird, was dieser selbst will und passe mich dabei täglich neu den wechselnden Bedingungen des Lebens an, das ganz zu verstehen ich mir nie anmaßen würde, schaue, staune und wundere mich.
jens tuengerthal 2.11.2017
Liebesdialektik
Um so größer die Krisen
Die zwei miteinander überstehen
Desto näher kommen sie sich
Im Guten wie im Schlechten
Nach solchen nicht aufgeben
Sondern sich noch sicherer sein
Zeugt von der Kraft der Liebe
Machen Mut für die Zukunft
Nichts kann immer einfach sein
Aber alles wird dafür leichter
Wenn wir an die Liebe glauben
Was bleibt uns auch übrig
Auf einen Traum bauen wollen
Scheint vernünftigerweise gewagt
Doch zeigt sich seine wahre Größe
Wo er im Zweifel erhalten bleibt
Habe noch nie so glücklich geliebt
Zugleich nie so sehr auch gelitten
Wenn das der Preis des Glücks ist
Bist du ihn immer wieder wert
Weiß nicht ob es sich je ändert
Ein ruhiges Gleichmaß entsteht
Oder Leidenschaft eben fordert
Nehme es voll Liebe wie es kommt
Da nichts schöneres denkbar ist
Als die vielen glücklichen Momente
Wiegen die kleinen Krisen nichts
Bleibt die Summe stets positiv
Wo am Ende die Bilanz stimmt
Beide glücklicher auch werden
Ist jeder Umweg der richtige
Uns einander zu erhalten
Voller Gefühl und doch nüchtern
Feststellen es lohnt sich für immer
Ist was auch kommt genug Glück
Alles miteinander zu wollen
jens tuengerthal 1.11.2017
Mittwoch, 1. November 2017
Lesewetter
Denke zuerst an die sonnig bunten Tage, wenn ich sage, ich liebe den Herbst, doch wenn ich mich prüfe und nachdenke, finde ich es gerade so wunderbar wie nie im Jahr, in feuchtgrauer Dunkelheit lesend in warmer Umgebung, den Tag zu genießen und keinen Ort gerade schöner zu finden als den Leseplatz mit einem heißen Tee und schönen Keksen.
Laufe auch meine täglichen Runden, um wieder mindestens zehn Kilometer am Tag gegangen zu sein, sich irgendwie gesund und beweglich zu halten und doch genieße ich gerade nichts mehr als dieses Zuhause zu sein - wie warm fühlt es sich an, wenn ich die Tür aufschließe und die lange Reihe der teils sehr filigranen, kleinen Schuhe meiner Prinzessin dort stehen sehe, wie einen Gruß aus wärmeren Zeiten und doch fühle ich mich nie so wohl wie jetzt in der Rolli-Zeit, wenn der Tee noch besser schmeckt und keine Vorstellung schöner ist, als am Kamin zu sitzen und zu lesen.
Auch wenn ich keinen Kamin habe und die Vorstellung eher eine theoretische war, ist sie doch so heimelig gemütlich, dass mir der November gleich noch schöner erscheint, in dem das Licht früh verschwindet und die Kaminstunden - ob nun mit oder ohne Kamin, zumindest sicher mit heißem Tee, zu den schönsten des Tages werden.
Habe schon länger darüber nachgedacht mir irgendwann mal ein Kamin Imitat zu gönnen, das sichtbar vor sich hin flackert und diese Stimmung in den Raum trägt - vermutlich weil ich mit Kaminen bei den Großeltern und ab meinem elften Lebensjahr auch immer bei den Eltern aufgewachsen bin und die Stunden vorm Kamin als besonders warm und schön in meiner Erinnerung wach sind, auch wenn ich da vermutlich verkläre, was es nur selten gab.
Wäre natürlich kitsch - aber hat nicht jeder so seinen Kitsch, den er besonders liebt?
Die einen stellen sich Nippes ins Regal oder Andenken irgendwo auf und ich träume eben gern von Abenden vorm Kamin, dabei muss ich zugeben, dass ich einen elektrischen oder Gaskamin heute schon fast reizvoller finde als einen echten, der gereinigt werden will, Aufwand beim Anmachen und Abbrennen fordert, keine bloße Dekoration des Lesens mehr ist, um das es mir eigentlich geht.
Grinse in mich hinein und stelle mir vor, wie ich mit meiner modernen Thermoskanne und der E-Pfeife vor dem elektrischen Kamin sitze und elektronische Bücher in meinem Kindle lese und mich fast wie in alten Zeiten fühle, wenn ich mich dann etwa in Jenseits des Tweed von Fontane vertiefe - ist natürlich etwas übertrieben, da ich ja meist keine elektronischen sondern echte Bücher lieber in der Hand halte, aber doch nicht ausgeschlossen.
Liebe ich das Imitat mehr als die Wirklichkeit und was ist echt?
Warm im trockenen Zimmer mit meiner gewohnten elektronischen Umgebung liebe ich dieses Gefühl von Landhaus, das ich mir vorspiele, ohne es noch haben zu wollen, bin ich doch zu gern in meinem Berlin, wo ich die schönsten Bilder in Fußnähe habe, Bahnen und Busse nur wenige hundert Meter entfernt, mitten im Leben bin und doch in meinem Hinterhof mich der Illusion hingeben kann, ich säße am Kamin bei diesem idealen Lesewetter - was braucht es mehr zum Glück?
Natürlich träume ich mir noch meine ebenfalls bücherliebende schöne Frau an meine Seite, die dann mit mir vertieft liest und wir, sollte uns einen Moment kalt sein, uns kuschelnd wieder aufwärmen voller Glück - wir zwei, die das Lesewetter und den Herbst so sehr lieben wie feinen Tee, gute Kekse und einander, wären dann vollkommen glücklich und der Gedanke, dass wir beide eigentlich nur das zum völligen Glück brauchen, weil einfach alles stimmt, bin ich bereits wieder so in meinem wohligen Herbstgefühl versunken, dass ich es auch ertrage, diesen Herbst zu lange noch ohne sie zu sein, in dem ich mich schreibend und lesend ablenke mit der Gewissheit, wir werden das wohl beide nun lebenslänglich so wollen und so lange das so ist, brauche ich auch über nichts anderes mehr nachdenken, als dies so zu genießen, wie es ist.
Vielleicht ist es die Konzentration der grauen Herbsttage, an denen du nie den Himmel oder die Sonne in meinem Hinterhof richtig siehst, die das, was mir wichtig ist und mich glücklich macht noch schöner erscheinen lässt.
Die schönen geliebten Bücher der Anderen Bibliothek in den Händen halten, vorsichtig Seite um Seite beim Lesen umblättern, dazu einen heißen Tee natürlich und warmes Licht. Es gibt viele schöne Cafés in meiner Umgebung, früher verbrachte ich Stunden und Tage dort schreibend und immer wieder auch plaudernd, wenn es sich ergab, heute genieße ich mehr meine Bibliothek und das geteilte Heim, ist das Bedürfnis rauszugehen, außer um meine Kilometer zu flanieren, viel kleiner als alles andere. Vielleicht liegt es daran, wie präsent meine Liebste hier in so vielem inzwischen ist, ich bei jedem Blick irgendwo ihre Spuren in allen Räumen sehen kann und mich heimlich zärtlich darüber freue. Ist bestimmt ein wichtiger Grund, warum ich mich in der geteilten Wohnung noch wohler fühle als je, doch frage ich mich, ob mit fortschreitendem Alter die Liebe zu den Büchern mich noch mehr erfüllt, ich die Ruhe mehr genieße, als das Bedürfnis nach anderen Menschen und Abwechslung. Der Rückzug in geistige Welten mit guten Bücher, feinem Tee und der Liebsten an deiner Seite, scheint mir heute verlockender als alles.
Dies Gefühl der Bücherliebe, was schon große Teile meines Lebens umgibt und was mir meine Eltern, besonders meine Mutter lesend und mein Vater mehr sammelnd, vorlebten, ist mir zum Gefühl von Glück geworden. Darum schreibe ich und lebe ich in der Welt der Worte, um die Geschichten fortzuschreiben, weil ich dort schon immer und egal wo ich lebte zuhause war. Das Zuhause eben, was an grauen Novembertagen noch schöner scheint und in dem ich den zärtlichen Geist der Liebsten überall sichtbar spüre, wird durch die bis zur hohen Decke des Altbaus in Regalen stehenden Büchern erst meine wirkliche Heimat. Hier bin ich zwischen den Seiten und Absätzen angekommen und ganz ich.
Sehe ich den Glanz in den Augen der Liebsten, wenn sie sich Bücher gönnt oder Bibliotheken besichtigt, sie sich beim Lesen vertiefen, merke ich, wir teilen diese Heimat ganz, was noch unabhängig von dem wäre, was wir lesen - perfekt ist es dadurch geworden, dass wir auch noch da die Liebe zu den guten und schönen Büchern teilen, sie uns so vollkommen glücklich machen wie unsere körperlich intensive Nähe.
Lesewetter ist also bei mir nicht nur eine Trotzreaktion - was sollste bei dem Wetter auch draußen machen, denken wohl manche - es ist eine Liebeserklärung an das, was mich ausmacht und ein Stück auf dem Weg zum vollkommenen Glück. Sich in Bücher vertiefen und Geschichten zu lesen wie zu erzählen, ist was mich ganz und gar glücklich macht. Andere wollen Reisen oder Abenteuer erleben, die Welt sehen, tolle Menschen treffen, sich im Sport überbieten, sexuelle Abenteuer erleben - all solche Dinge treiben Menschen zu den größten Leistungen an, habe mich auch im einen oder anderen mal versucht, aber eigentlich will ich einfach glücklich lesen und in meiner Bibliothek bei einem heißen Tee genießen, was mein Geist zwischen den Zeilen findet.
Manchmal hörte ich, dieser Wunsch sei doch nicht real, ich flüchtete mich in Bücher aus der Welt, die mich nur peripher interessiert, wenn überhaupt noch. Das mag richtig sein, wenn es erstrebenswerter wäre, ständig in der realen Welt zu leben und ich nicht doch viel eher in der Bücherwelt zuhause wäre. Merke, wenn ich den ganzen Tag schreibe und lesen, bin ich vollkommen glücklich und ausgeglichen und brauche nichts anderes mehr als guten Tee und Kekse dazu. So bin ich vielleicht aus Sicht der Menschen in den Cafés ein Langweiler und Stubenhocker geworden, aus meiner Sicht aber, bin ich nun endlich ganz bei mir und scheint mir kein Zustand erstrebenswerter, als jener auf den uns der Herbst so schön konzentriert.
Die Tage sind draußen grau und kurz, umso schöner wird es Innen und darum liebe ich den Herbst so, auch in Berlin, wenn er mehr graue als sonnige Tage gibt, weil ich ganz bei mir bin und tue, worauf es mir ankommt, zwischen den vielen Büchern, die ich immer auf einmal lese, zwischen denen ich nach Laune oder Pflicht springe und den Tag über schreibe mit einem heißen Tee neben mir - fehlt nur gerade noch die für mich schönste Frau der Welt, doch sie wird kommen, um zu bleiben und so habe ich alles, was ich brauche in meiner Bücherhöhle in Gedanken beisammen und nenne mich bei egal welchem Wetter einen glücklichen Menschen, der mit einem Tee, Büchern und dem Kopf voller Geschichten alles erreicht hat, was er braucht. Vielleicht ist das wenig, vielleicht ist es alles, was der Mensch braucht, mir genügt es zum Glück und vollkommen wird dies im Wissen, es noch mit der besten Liebsten ein Leben lang teilen zu wollen und so lehne ich mich zurück, lausche dem Regen und denke, es ist alles gut so.
jens tuengerthal 1.11.2017
Nahwissen
Was weiß ich schon
Sage ich gern mit Montaigne
Mag diese Bescheidenheit
Auf dennoch hohem Niveau
Nicht wie Sokrates der sich
Als Weiser sicher im Unwissen
Gern gab und lieber vorführte
Durch klügere Fragen alle
Weiß nicht mal ob ich nichts
Sicher wissen kann dafür
Staune ich lieber in die Welt
Ohne Erkenntnis zu suchen
Genieße was ist als Geschenk
Voller Glück ohne Relativierung
Freue mich lieber am Augenblick
Der genug ein Leben lang ist
Wer weiß schon wie lang noch
Der Augenblick diesmal währt
Darum lebe ich ihn für immer
Damit es sich stets so anfühlt
Sicher nur bin ich in einem ganz
Dich für immer so zu lieben als
Sei es für eine reale Ewigkeit
Auch wenn es nur ein Leben ist
Dabei geht es natürlich um Gefühl
Etwas wo wir nie wissen können
Doch wo sonst sollten wir sicher sein
Als in der großen Liebe immer
Zwischen nicht wissen aber wollen
Liegt die Illusion einer bloßen Idee
Der Traum von der großen Liebe
Ist physikalisch kaum nachweisbar
Nirgendwo bin ich mir sicherer als
Diesmal in der Liebe die Richtige
Gefunden zu haben auch wenn ich
Nichts wissen kann nur viel fühle
Wir fühlen uns unglaublich nah
Obwohl noch nie so fern es war
Die Dialektik der Liebe schwebt
Über dem realen Nichts der Idee
Wir haben alles miteinander
Für immer ohne jeden Zweifel
Dabei noch fern voneinander
Nichts in der Hand als Träume
Was weiß ich schon denk ich
Genieße was ist ohne Wissen
Weil Sicherheit und Erwartung
Der Tod jeder Liebe wohl wäre
Mehr wird es nicht mehr geben
Denk ich zufrieden mit allem
Liebe und Lust sind immer genug
Und das Leben endet sicher
jens tuengerthal 1.11.2017
Reformationsthesen
Ob er seine 95 Thesen tatsächlich an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, die damals als Pinnwand der Nation diente, ist mehr als ungewiss - er hat sie zumindest sicher dem Reichserzkanzler und Bischof von Mainz und andere Würdenträger gesandt in der Absicht die Kirche zu reformieren und vom Ablasshandel abzubringen, bei dem mit Geld das Seelenheil erkauft werden könnte, was dringend zur Finanzierung des Petersdoms gebraucht wurde. Ein im eigentlichen Sinne gutes Geschäft, wie es etwa der Erfindung von Facebook im Wert entspricht. Es wurde nichts geboten und dafür fühlten sich die Teilnehmer toll. Manche Kirchenhistoriker halten die Thesen heute für weniger bedeutend und seine Schrift an den Christlichen Adel deutscher Nation für viel entscheidender in der Entwicklung des Landes.
Das sollen sie mal meinen und diskutieren in ihrem Verein, wie es ihnen gefällt. Sicher ist jedenfalls, dass der Mönch mit seinen Thesen eine Diskussion in Gang brachte, die ihn schließlich vor den Reichstag nach Worms brachte, wo die Reichsacht über ihn verhängt wurde, weil er seine These mit welchen Worten auch immer nicht widerrufen wollte. Gerüchteweise sagte er dabei - hier stehe ich, ich kann nicht anders. Auch die Wahrheit dieser geflügelten Worte mag dahinstehen, denn wichtiger für das Land und seine Sprache war die Entscheidung des Landesherrn Luthers, ihn auf dem Heimweg scheinbar zu entführen, um ihn vor der Verhaftung zu schützen und ihn dafür auf der Wartburg unterzubringen, wo er seine Bibelübersetzung im besten Behördensächsisch anfertigte, die dank der zu Mainz schon vorher erfundenen Druckerpresse schnell die Runde im Reich machte in einem Exemplar mit wunderbaren Bildern aus der Werkstatt von Cranach aus Wittenberg.
Die einheitliche Schrift prägte das Land und brachte im Sprachraum mehr Einheit als es das alte Reich, das sich auf heilige römische Traditionen berief, unter den Habsurgern noch hatte.
Das alles wäre sicher der Ehre wert und zum 500. Jubiläum dafür einen Feiertag mal zu geben, klingt mehr als vernünftig. Dass auch die Sender das Publikum noch lutherisch heute berieseln ist wohl systemimmanent.
Andererseits ist Luther damit auch der geistige Vater des längsten Krieges auf deutschem Boden gewesen, der von 1618 bis 1648, lange nach seinem Tod begann und 30 Jahre währte. Ist er der Begründer der Kirchenspaltung über die nur Scheindebatten geführt werden, da Rom seine Wahrheit nicht aufgeben will und die Reformierten ihre Vorrechte, was keinen vernünftigen Menschen weiter interessieren müsste. Sollen doch die hiesigen Sekten ihre Probleme der Ordnung und Vereinssatzung intern lösen.
Was geht ein demokratisches Europa diese Reformation noch an?
Sie hielt die Renaissance in Deutschland auf, denn auch der protestantische Geist war nicht humanistisch sondern nur eine sanftere Version des mittelalterlichen Aberglaubens, der auch Frauen zuließ und jeden selbst den Weg zu Gott suchen ließ, Priester heiraten ließ, wie es der ehemalige Mönch Dr. Martin nun mit Katharina von Bora der entlaufenen Nonne tat, was als schwere Sünde galt, warum alle erst fürchteten, sie würde nur Mißgeburten auf die Welt bringen, was sie dank der Natur natürlich nicht tat.
Es war eben in vielen Köpfen noch tiefstes unbefreites Mittelalter und solches finden wir auch in den Worten und Schriften Luthers immer wieder. Ob es um Hexen oder Juden ging, er war mörderisch intolerant und schaffte statt alter nur neue Dogmen, die keiner brauchte, der kritisch und vernünftig denkt.
Die Kirchen sind überflüssig und der Glaube ist überflüssig, vernünftig betrachtet. Hätte sich unter Luther nicht die Kirche gespalten wäre ihre allmähliche Auflösung unter den dekadenten Renaissance Päpsten relativ wahrscheinlich gewesen.
Sie verlor zunehmend an Macht und der Sacco di Roma, von dem viele sagen, er beendete das goldene Zeitalter des Humanismus und der Renaissance in Italien, war zwar ein Ausrutscher der Truppen Karls V., die nicht bezahlt wurden, aber hatte sonst keine gravierenden Folgen in den Beziehungen des mächtigsten Weltenkaisers zu Rom.
Die Abspaltung und die folgenden Krieg der reformierten Fürsten gegen die katholischen im Reich schwächte das gute Reich erheblich und beschäftigte die Bewohner mehr mit sich Totschlagen als mit dem eigentlich nötigen Humanismus und geistiger Entwicklung, die allein Frieden und Freiheit bringen.
Der Humanismus blieb auf der Strecke, die katholische Sekte einigte sich im Widerstand von außen zur Gegenreformation und so blieb das im Glauben bis heute geteilte Land ohne eigene Renaissance, von der Maler wie Dürer nur in Bildern aus Italien schwärmen konnte. Dabei wäre soviel gute Struktur da gewesen, auf der geistige Entwicklung hätte aufbauen können. Stattdessen schlugen sich die Menschen auf gerade grausamste Art gegenseitig tot, verwüsteten die Länder und brachten auch den Nachbarn manchen Krieg. Zu den Kriegen kam noch die Pest, die sich unter den katastrophalen Bedingungen der Menschen im Krieg noch weiter verbreitete und zur gegenseitigen Ausrottung noch ganz erheblich beitrug.
Auch wenn Luther sicher keine Schuld an der Pest trifft, kann ihre desaströse Wirkung ihm dennoch zugerechnet werden in der Art eines Mangelfolgeschadens, wie Juristen es nennen würden. Seine Reformation gepaart mit der Anbiederung an die Fürsten, denen er mehr geistige Macht und Autonomie versprach, hatte das große Gemetzel in Europa verursacht.
Kein Grund zu feiern also, wenn wir auf die Folgen schauen. Deutschland beschäftigte sich länger als nötig mit dem christlichen Aberglauben in seinen verschiedenen Varianten und verpasste den geistigen Anschluss an die Zeit. Bis heute beanspruchen Kirchen in Europa eine starke kulturelle Rolle und können dies durch nichts als tradierten Aberglauben rechtfertigen, der in zentralen Punkten den Freiheiten der Bürger Europas widerspricht, der nur von teils geschickten, manchmal auch wirklich klugen Theologen an die Bedürfnisse der Zeit und ihre Auslegung angepasst wurde.
Warum halten Menschen unaufgeklärt an diesem Unsinn bis heute fest?
Gibt es einen Grund diese Verzögerung in der Entwicklung auch noch zu feiern?
Sicher brachte Luther den Frauen mehr Freiheit, stellte die Freiheit des Christenmenschen und seinen persönlichen Weg zu Gott in den Mittelpunkt, stärkte damit das Individuum gegenüber der Kirche. Was ein Verdienst gegenüber dem Mittelalter war. Nur machten sie das in Italien in Auseinandersetzung mit klassischen Texten wie dem Lukrez, der alle Götter infrage stellte und dem Menschen Freiheit und Lust schenken wollte und sie taten es voller Lust und Glück, statt sich um den wahren Glauben zu grämen, beschummelten sie diesen.
Wiegt dieser Verdienst seinen schauerlichen Antisemitismus auf, der Juden brennen sehen wollte?
Kann dies rechtfertigen in Deutschland die Renaissance verpasst zu haben und sie durch die Reformation zu ersetzte, die den Geist fesselte?
Die Bauern, die sich im neuen Bewusstsein gegen die Fürsten wehrten, beschimpfte der Fürstendiener Luther und verfluchte sie auf mittelalterliche Weise. Einmal hat er mutig gegen die Satzung seines Vereins protestiert und dann halt eine neue Sekte gegründet, aus der noch mehr wurden - aber wen interessiert das wirklich?
Welche Rolle spielen diese Satzungsstreitigkeiten für die Welt von morgen?
Sollten wir diesen Tag noch irgend feiern außer als Mahnung Abstand von allem Glauben zu halten, den wir ab Dezember wieder mit einer großen Konsumorgie feiern werden?
Komme aus einer traditionell evangelischen Familie - es gibt einige Pastoren und Theologen unter meinen Vorfahren, auch mein Urgroßvater hat noch Theologie studiert und über was biblisches promoviert, meine Schwester hat als Lehrerin die venia legendi der evangelischen Landeskirche oder so ähnlich, was verstehe ich schon davon? Bin getauft und konfirmiert, in der Tradition der Familie aufgewachsen und die Vorstellung mit den Traditionen der Familie hier zu brechen, fällt mir, gegen alle Vernunft immer noch schwer.
Darum bin ich bis heute Mitglied in diesem Verein, dessen Gott ich nicht kenne, dessen Riten mir nichts sagen und dessen Begründer und Reformator ich für einen in vieler Hinsicht widerlichen Kerl halte, auch wenn er in manchem wirklich Großes vollbrachte. Vielleicht bin ich damit ein ganz normaler evangelischer Bürger im heutigen Deutschland, auch wenn ich mich eher als radikalen Aufklärer und Atheisten bezeichnen würde, wenn dieses Wort nicht auch diese tumben Gläubigen des Sozialismus so gerne für sich beanspruchten.
Weiß also zwischen Tradition und Moderne nicht immer so genau, was ich bin, zweifle halt und versuche die Dinge vernünftig zu begreifen - damit scheitere ich häufig auch an den Grenzen meines bescheidenen Verstandes, aber ich habe es zumindest versucht. Wenn mich einer fragt, warum ich mit meinem Denken, das dem Diderots und Holbachs näher ist als jeder Kirche noch in diesem Verein bin, denn nichts anderes ist es für mich, sage ich entweder aus Gründen der Tradition oder weil ich es wie König Salomon halte. Als der nämlich einmal in den Tempel kam und der Rabbi ihn fragte, was er denn hier wolle, wo er doch gar nicht an Gott glaube, antwortete der weise König mit Schulterzucken, tja, wüsste er denn, ob er Recht habe und diesen wunderbaren Witz erzählte mir ein jüdischer Freund der Familie, der als junger Mann Auschwitz überlebte, womit sich der Kreis schließt.
Was weiß ich schon, stellte als Frage der kluge Katholik Montaigne seinen Essays voran und war sein Lebensmotto in der Zeit der Hugenottenkriege in der es in seiner Familie wie unter seinen Freunden immer beide Seiten gab, er beriet die französischen Könige vor Henry IV wie diesen als er noch Heinrich von Navarra war und Protetant, war damit weiser als viele es heute sind - ich kann wissen, dass dieser ganze Aberglaube Blödsinn ist, zu Mord und Totschlag bis heute führt, aber mit einer bescheidenen Haltung, die sich auf ihr Glück zurückzieht, lebt sich besser und so genieße ich lieber die menschliche Liebe und überlasse den Himmel den Göttern und den Gläubigen, wer auch immer nun Recht hat, vielleicht braucht es irgendwann kein Recht mehr und wir sind lieber glücklich.
jens tuengerthal 31.10.2017
Dienstag, 31. Oktober 2017
Tiergartenflaneur
Wie alle Leserinnen sofort bemerken werden, ich habe es überlebt und, wie ich hinterher schiebe, habe mich sehr wohl gefühlt, von Gefahr merkte ich nichts und genoss Ruhe und Rauschen in der grünen Lunge mitten in Berlin. Es gibt auch andere Ecken, mag alles sein aber dafür ist ja Berlin auch eine Großstadt - früher gab es noch die Huren am 17. Juni, die fehlen heute auch, was der zu breiten Straße viel nimmt von ihrem sinnlichen Flair.
Los ging es wie immer am Helmholtzplatz, den ich die Lychener Straße hinunter verließ, um über die Danziger, durch die Kulturbrauerei und die Oderberger zur Kastanienallee gen Mitte zu kommen, wo es dann den Weinbergsweg hinunter zum Rosenthaler Platz ging, der tosenden Kreuzung an der früher das Rosenthaler Tor lag, durch das Vieh und Juden in die Stadt nur durften und an dem auch Moses Mendelssohn einst Berlin betrat.
Hatte nach dem Lärm dort ein dringendes Bedürfnis nach Ruhe und bog, die Rosenthaler Straße überquerend in die Linie ein, der ich, den schönen roten Himmel immer wieder bestaunend, folgte, bis sie in die Oranienburger mündet, die ich, immer wieder der Liebsten im Ohr vom heutigen Himmel hier vorschwärmend, so schnell überquerte wie die Friedrichstraße, aus der ich schnell in die Reinhardtstraße nach Westen abbiegend wieder floh. Ist doch der glitzernde Friedrichstadtpalast einfach zu hässlich, ihn länger als nötig anzusehen - Volkes Varieté eben mit weniger Stil als Farbe.
Nach der FDP Zentrale, die ja scheinbar bald wieder eine größere Rolle spielen wird, wie dem Bunker mit der Sammlung Boros, bog ich in die Albrechtsstraße ein, von der ich wieder gen Westen, wollte ja zum Tiergarten, in die Marienstraße flanierte. Gehe einfach zu gern an der Böse Buben Bar dort vorbei - jenem schönen Lokal mit den wunderbar gefüllten Bücherwänden, die noch jeden Ort schöner machen, die ich dringend mal wieder besuchen muss - das letzte mal muss schon bald acht Jahre her sein, wenn ich mich richtig erinnere.
Mit Blick auf das Künstlerheim Luise, bog ich dann in die natürlich Luisenstraße ein, die zur Marschallbrücke führt, ab der sie Wilhelmstraße heißt. Diese noch vom Soldatenkönig 1730 angelegte Straße, erhielt dessen zweiten Namen nach dem Tod des Vaters von Friedrich dem Großen. Der Sohn Friedrichs I. hatte sie noch ursprünglich Husarenstraße genannt. Bis 1945 war die Wilhelmstraße der Sitz der Reichsregierung und so etwas wie die Downing Street No.10 von Berlin. Wie überaus passend, dass heute die SPD ihr Hauptquartier an ihrem Ende hat und damit treffend auf die Situation der Sozialdemokratie im Land hinweist, die eben am Ende scheint, was sie aber auch schon gut kennt.
Doch soweit wollte ich nicht gehen, auch nicht am Finanzministerium oder der Britischen Botschaft vorbei, sondern bog noch vor dem Adlon, wieder nach Westen gen Pariser Platz auf das letzte Stück von Unter den Linden ein. Bestaunte das Brandenburger Tor vorm wunderschönsten preußischblau des Himmels, durchschritt das Tor durch die früher dem Kaiser vorbehaltene mittlere Spur und überquerte mit Blick auf die im Abendhimmel glänzende Goldelse tief im Westen den Platz des 18. März, der an die bürgerliche Revolution von 1848 erinnert, die Preußen für ein verrücktes halbes Jahr wesentlich demokratischer machte.
Noch staatstragender dann überquerte ich noch die Ebertstraße, die an den ersten demokratischen deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert erinnert, dem in der Weimarer Republik nur noch Hindenburg und Hitler folgten, um endlich mit einbrechender Dunkelheit oder letzter Dämmerung in den Tiergarten zu kommen und dort schleunigst ungesehen Erleichterung hinter einem Baum zu suchen, was wirklich dringend inzwischen war. Das mag natürlich das allerletzte für eine saubere Großstadt sein, blieb aber angesichts des eklatanten Mangels an Alternativen hier eben alternativlos und so folgte ich im weiteren zunächst dem Weg unter den Bäumen parallel zum 17. Juni.
Diesen Bremer Weg, schätze ich als geborener Bremer schon von Natur aus sehr und bog dennoch am Goldfischteich gen Süden ab. Warf noch einen Blick auf das im letzten Licht dort weiß leuchtende Beethoven-Haydn-Mozart-Denkmal, was ja ganz wunderbar zu Berlin passt, wo wir das alte Bonn, aus dem Beethoven stammte, einfach schluckten, bis es überflüssig wurde und auch die Ständige Vertretung, noch Am Schiffbauerdamm in Betrieb, wohl beabsichtigt zu schließen.
Das sogenannte Komponistendenkmal wurde 1904, dem Geburtsjahr meines Großvaters übrigens, von Rudolf und Wolfgang Siemering zu Ehren der genannten Komponisten an zentraler Stelle geschaffen. Einst war viel an dem Denkmal, dem Zeitgeschmack entsprechend vergoldet - heute glänzt es immer noch in der Sonne und leuchtet der griechische und Tiroler Marmor in der Abenddämmerung. Von der Form her erinnert es an die zu der Zeit noch üblichen Kachelöfen der guten Stuben, warum sich bei den Berlinern der Name Musiker-Ofen oder Drei-Männer-Ofen einbürgerte. Nachdem die Dichter Goethe, Schiller und Lessing ihre Denkmäler bekommen hatten, sollten auch die Musiker eins für alle kriegen, klingt ja alles gleich aus Wien, dachten die Berliner vermutlich. Das Ding gilt als eines der wenigen Beispiele symbolistischer Kunst im öffentlichen Raum, womit auch der Senat die 960.000 Euro teure Sanierung im Rahmen des Baus des Tiergartentunnels ab 1996 nach 2001 rechtfertigte. Vollendeter und schöner als der Flughafen ist es und billiger war es, dass die Berliner die großen Wiener an den Goldfischteich stellen, passt ja irgendwie auch. Nach Beschuss im Krieg mussten einige Instrumente und etwa Mozarts Nasenspitze neu ergänzt werden, was die liebste Mozartkennerin und Nasenfreundin in Dublin freuen wird.
Der Tiergarten erstreckt sich als Grünfläche heute inmitten Berlins, früher vor seinen Toren auf einer Fläche von 210 Hektar. Dieses schöne Stück Natur wird durch einige große Straßen, die sich am Großen Stern treffen, also unter der Goldelse, durchschnitten und wird auch darum in mehrere Teile geteilt. Das bereits 1527 als Jagdrevier erstmals angelegte Gelände wurde mit Wildtieren zum abschießen für den Kurfürsten und seine Gäste gefüllt und darum mit einem Zaun umgeben.
Unter König Friedrich I. erhielt er Ende des 17. Anfang des 18. Jahrhunderts seine heutige Form. So wurde eine breite Schneise als Verlängerung der Straße Unter den Linden gen Westen geschlagen, um das bis 1699 erbaute Schloss Charlottenburg besser erreichen zu können, was er ja ursprünglich seiner Frau im Tausch gegen ein Potsdamer Grundstück geschenkt hatte. Dabei wurden der Große Stern mit acht und der Kurfürstenplatz mit sieben Alleen angelegt, So verlor das Gelände allmählich seinen Charakter als Jagdrevier und wurde zum Erholungsgebiet und Landschaftsgarten.
Friedrich der Große, der im Gegensatz zu seinem Vater die Jagd nicht schätze, ließ die Zäune einreißen, schenkte den Tieren die Freiheit und den Berlinern einen Lustpark, was ihm näher lag, den sein Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff anlegte. Dabei entstand, dem Geschmack der Zeit entsprechend ein typischer Barockgarten mit Irrgärten, Beeten und allem übrigen beschnittenen Zubehör. Entlang der Alleen gab es sogenannte Salons, kleine mit Hecken und Bäumen eingefasste Plätze, die mit Brunnen, Bänken und Vasen möbliert waren, der Erholung dienen sollten. Es entstand im Westen auch eine Fasanerie, die zur Keimzelle des späteren Zoos wurde, dem großen von vielen Berlinern seltsamerweise geliebten Tierknast. In der Nähe auf Wiesen durften Hugenotten oder deren Nachkommen Zelte aufstellen und die Spaziergänger dort bewirten, woran später der Straßenname In den Zelten wurde, aus der nun die Scheidemannstraße und die John-Forster-Dulles-Allee wurde - eine verständliche Ehrung nach der Berlin Blockade aber doch eine falsche Umbenennung, weil In den Zelten eine so große Bedeutung in der Revolution von 1848 hatte, als in einer dortigen Versammlung erstmals die Abschaffung der Zensur öffentlich gefordert wurde, dort unter anderem auch Bettina von Arnim lebte.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Knobelsdorffs steife barocke Formen almählich durch einen Landschaftsgarten abgelöst. Zuerst im Garten von Schloss Bellevue und sodann mit der Rousseau Insel, die sich ungefähr 400m westlich der Luiseninsel befindet, die 1880 zu Ehren von Königin Luise mit dem Denkmal der Königin vollendet wurde, der Mutter des damals amtierenden Kaisers Wilhelms I. Habe beide betrachtet und gewürdigt, Luise etwas freundlicher begrüßt als den überschätzten Philosophen, stattdessen ich eine Diderot Insel mir wünschte, um an die radikalen Aufklärer und ihre Enzyklopädie zu erinnern. Allerdings ist die Widmung für Rousseau im Jahre 1797 und damit seinem Geist der Rückkehr zur Natur, also acht Jahre nach der französischen Revolution schon eine Besonderheit in einem da noch königlichen Park.. Das ursprüngliche Denkmal für Rousseau ging übrigens verloren, wobei unklar ist, ob es daran lag, dass die Gegend im Winter zu einem der beliebtesten Berliner Eislauf Reviere wurde.
Der große Peter Joseph Lenné veränderte ab 1835 die Gegend um die Insel weiter, während er den Tiergarten grundsätzlich im Stil eines Englischen Gartens umgestaltete. Noch vor dem Fall der Mauer wurde 1987 die verschwundene Rousseau Figur durch eine neue ersetzt, die bis heute dort von vielen Rhododendren umgeben noch steht. Den Auftrag zur Gartenumgestaltung hatte Lenné schon 1818 erhalten. Er war damals noch Gärtnerlehrling in Sanssouci. Damals plante er einen landschaftsähnlichen Volkspark, der nach den Befreiungskriegen der Erbauung der Bevölkerung dienen sollte, als eine Art preußischer Nationalpark. Seinen Idealplan lehnte König Friedrich Wilhelm III., der Witwer der Luise, jedoch ab und dennoch schaffte es Lennné eine leicht veränderte Form bei den Behörden durchzusetzen.
Die Idee eines Denkmals für Luise war den Bürgern Berlins 1808 gekommen und nach ihrer Rückkehr wurde eine Stele eingeweiht, die erst eine Marmorschale von Schadow trug, die aber 1880, wie oben erwähnt, durch eine Luisen Statue ersetzt wurde, die in die Richtung des Denkmals ihres Mannes blickt. Seit 1809 trägt die Insel den Namen Luiseninsel.
In der Form die Lenné ihm gab, bestand der Park bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Bis 1881 befand sich übrigens der ganze Park in königlichem Besitz und wurde dann zu Berlin eingemeindet.
Neben den patriotischen Denkmälern um die Siegessäule und andere Orte schmücken den Park Tierfiguren und Jagdsezen entsprechend der historischen Nutzung. Dazu kommen noch Fontane, Wagner und Lortzing. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde auch der Tiergarten in die Pläne für die Neugestaltung Berlins mit einbezogen, was zur Folge hatte, dass die Charlottenburger Chaussee, heute Straße des 17. Juni, von 27m auf 53m verbreitert wurde. Damals wurde auch die Siegessäule, die an die drei Siege Preußens über Dänemark, Österreich und Frankreich erinnerte, warum auch Moltke vom Rand grüßt, vom Platz der Republik vor dem Reichstag auf den Großen Stern verlagert und die Goldelse bekam ihren neuen zentralen Platz.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Tiergarten schwer beschädigt und diente nach Kriegsende zeitweise auch als Landebahn zur Truppenversorgung. In der Nachkriegszeit wurden die Bäume aufgrund Kohlemangels verheizt und auf den freien Flächen wurden Kartoffeln und Gemüse angebaut. Eine Art großer Schrebergarten. Diese Zwischennutzung hatten die britischen Alliierten aus der Not genehmigt - am Ende standen von den ursprünglich 200.000 Bäumen noch 700 - der Rest ging durch Berliner Öfen. Im Juli 1945 fasste Berliner Magistrat dann den Beschluss zur Wiederherstellung des Tiergartens. Mit Notstandsprogrammen, wie so manches in Berlin, wurde der Tiergarten von 1949 bis 1959 wieder aufgeforstet. Die erste Linde pflanzte symbolisch am 17. März 1949 der damalige Bürgermeister Ernst Reuter. In ganz Deutschland übernahmen Städte Partnerschaften für Berliner Bäume und schickte 250.000 Jungbäume nach Berlin. Mit solchen Patenschaften bekämen wir auch das Flughafengelände wieder schön grün. Mit der Erneuerung wurden jedoch die als nicht mehr zeitgemäß angesehenen barocken Gartenelemente aufgegeben und durch eine naturnahe Parklandschaft ersetzt. So sieht es bis heute aus.
Seit 1991 ist der Große Tiergarten als Gartendenkmal vor Veränderungen geschützt - hatte sich mit dem Fall der Mauer doch gerade genug in Berlin verändert. Fanmeile und Loveparade quälten den Park ab Mitte der 90er Jahre - zumindest die Technoparade zog mit gravierend dramatischeren Folgen gen Westen.
Es gibt noch den Englischen Garten im Nordwesten des Tiergartens hinter dem Park von Schloss Bellevue, der auf Vorschlag des damaligen englischen Stadtkommandanten General Bourne angelegt wurde. Bei der Eröffnung dieses Teils des Gartens 1952 war übrigens Anthony Eden, der damalige britische Außenminister anwesend, was dem Garten unter Berlinern lange den Spitznamen Garten Eden eintrug. Was heute ja fast besser zum benachbarten kleinen Tiergarten passte, in dem sich Knaben aus dem Nahen Osten und Afghanistan heute für wenig Geld prostituieren und bis vor kurzem auch dort kampierten. In der Mitte des Englischen Gartens steht das Teehaus auf den Fundamenten des ehemaligen Wohnhauses von Gustaf Gründgens. Teehaus klingt verlockend und das Gebäude ist wirklich wunderschön als Reetdachhaus im zauberhaften Garten aber wird so schlecht bewirtet, dass ich heute keinem zu einem Besuch noch raten kann, nachdem ich das letztemal vor einigen Jahren dort noch ein Date im Sommer hatte. Beides hat sich nicht gelohnt, auch wenn der Platz so verlockend klingt und in den Ohren des Kulturmenschen und Teeliebhabers so sinnlich schön klingt, erinnerte die spießige Bewirtung eher an die Lidl Ausgabe von Rolf Eden und hat den Geruch des verstaubten West-Berlins ohne Charme als die Umgebung.
Vom Musiker-Ofen, den ich mir diesmal nicht aus der Nähe ansah, die neue Mozartnase gehe ich lieber irgendwann mit der Liebsten gemeinsam betrachten, um festzustellen, dass auch neu bei Nasen alt bleibt, bog ich an großen Wiesen vorbei gen Südwesten zum großen Tiergartengewässer ab, ging über die Luiseninsel, die zur Hälfte wegen frischen Baumfalls noch oder wieder gesperrt war und folgte dann den Wegen am Ufer und umkreiste dies einmal ohne diesmal noch die Straße zum Neuen See zu überqueren. Lief nach der Umrundung weiter gen Norden, überquerte den 17. Juni auf der Höhe der Schwangeren Auster, zu der ich noch ein Stück der anderen Seite des Tiergartens Richtung Spree durchquerte. Am Haus der Kulturen der Welt, wie Ortsfremde die Schwangere Auster nennen, die so heißt, weil sie eben so aussieht, ging ich zur Spree hinunter und folgte dieser.
Das Haus der Kulturen der Welt, was in seinem sich öffnenden Dach, das schon einmal einstürzte - zum Glück nicht als mein Vater dort einmal beim Deutschen Röntgenkongress weilte, wie ich dunkel in Erinnerung habe -, eben aussieht, wie eine sich überquellend öffnende Muschel, ist heute ein Ausstellungsort mitten in Berlin und ein Forum für aktuelle Entwicklungen und Diskurse. Es präsentiert künstlerische Produktionen aus aller Welt unter besonderer Berücksichtigung außereuropäischer Kulturen. Seit seiner Gründung im März 1989 hat das Haus der Kulturen seinen Sitz in der ehemaligen Kongresshalle am Ufer der Spree dem heutigen Zentrum des Regierungssitzes.
Als Ikone der architektonischen Moderne wurde der Bau zu einem prominenten Symbol für die deutsch-amerikanische Allianz. Das Gebäude entstand als amerikanischer Beitrag zur internationalen Bauausstellung Interbau 1957 und sollte die Freiheit des Gendankenaustausches verkörpern. Neben kulturellen Veranstaltungen gab es auch Nutzungen zu politischen und gesellschaftlichen Zwecken etwa durch Gewerkschaften. John F. Kennedy und Jimmy Carter hielten dort Reden und auch der Bundestag tagte bis 1965 mehrmals dort. Dies wiederum ärgerte die Russen und die Regierung der DDR, die Westberlin nicht als Teil des Staatsgebietes der BRD ansahen, warum sie erstmals Militärmaschinen über dem Gebäude kreisen ließen, woraufhin die West-Aliierten weitere Sitzungen des Bundestages in Berlin verboten.
Am 21. Mai 1980 stürzte das Außendach der da längst Schwangeren Auster genannten Halle aufgrund von Materialermüdung und Planungsfehlern ein. Ob uns das zeigt, dass nicht alles, was aus den USA kommt, gut ist, mag dahingestellt sein, auch wenn sich diese Frage gerade im Moment wieder enorm aufdrängt. Im Berlin üblichen Tempo dauerten Umbau und Sanierung der Kongresshalle von 1984 bis 1987 womit sie zumindest zur 750 Jahrfeier Berlins rechtzeitig fertig wurde und wir wieder bemerken, wie jung unser großes Dorf an der Spree doch im Vergleich ist.
Das Gebäude war laut seinem Architekten Hugh Stubbins von Anfang an als Propagandabau geplant und sollte für Redefreiheit und westliche Modernität werben. Als modern galt damals nur die abstrakte, nicht gegenständliche Kunst, wie die atonale Musik und die neue Architektur, von der uns vieles heute eher zweifelhaft erscheint, ohne über die Schwangere Auster hier nörgeln zu wollen, die zumindest mutiger war als der Wiederaufbau des Schlosses.
Ab 1989 sollte es zu einem Forum für alle außereuropäischen Kulturen werden, eine Art Goethe-Institut mit umgekehrten Vorzeichen. Hier arbeitete es lange die koloniale Vergangenheit auf und gab den Regionen einen Ort und eine Stimme in Berlin, was nicht alle begeisterte und auch ein wenig bemüht immer wirkte. Nach dem Motto: wir meinen es gut mit den Kolonien, die wir nicht mehr haben. Mit dem Wechsel der Intendanz zu Bernd Scherer, wurde es zu einem Thinktank der Zeitgenossenschaft umgebaut und damit zu einer der ambitioniertesten Kulturinstitutionen Deutschlands. Damit bewegen sie sich auf höchstem akademischen Niveau, ohne sich den akademischen Konventionen beugen zu müssen, die alles Denken verlangsamt. Es wird Kunst gezeigt, hat aber mit einem Museum nichts zu tun und kombiniert das eine mit dem anderen. So bleibt es ein wunderbarer Ort der Moderne am Rande des Tiergartens.
Wunderbare Blicke auf das Waschmaschine genannte Kanzleramt und die Abgeordnetenhäuser entschädigen für den Blick auf den durch den geschmacklich sehr zweifelhaften Mehdorn verunstalteten Berliner Hauptbahnhof. Diesen eigentlich so filigran schönen Bau auf den dieser kulturell wohl eher schlicht denkende Macher und Schröder-Freund, was ihn ja mit Putin verbindet, primitiv plumpe Bürobauten setzte, die einen zentralen Bau Berlins bis heute verunstalten. Air Berlin und den Flughafen hat dieser großartige Manager ja auch schon weit vorangebracht und auch bei Heidelberger Druckmaschinen wurde bis heute mehr mit Naserümpfen über ihn gesprochen.
Das Kanzleramt heißt eigentlich Bundeskanzleramt und also auch momentan nicht Bundeskanzlerinnenamt und ist eine große Bundesbehörde in Berlin zwischen Spree, Reichstag und benachbart zur Schwangeren Auster. Es wurde von den Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank entworfen , die den Auftrag noch von Helmut Kohl bekamen, der aber nie in das sehr groß dimensionierte Gebäude einzog, über das anfangs viel gelästert wurde, was aber, wer es vom Wasser je sah, schätzen lernt in seiner Eleganz. Dies obwohl es derzeit das größte Regierungshauptquartier der Welt ist, das Weiße Haus an Größe achtmal übertrifft mit seiner Nutzfläche von über 25.000m². Neben dem Hauptgebäude gibt es in den Seitenflügeln noch 300 Büros á 16m² und 16 Wintergärten. Der Sichtbeton erwies sich als empfindlich und so musste das 2001 an den damaligen Kanzler Schröder übergebene Gebäude bereits saniert werden. Über die Spree führt noch eine Brücke für Fußgänger und Fahrzeuge zum Kanzlerpark und dem dortigen Hubschrauberlandeplatz.
Das Gebäude im Blick und in der Erinnerung flanierte ich weiter weiter an der Spree entlang. Am Reichstag vorbei bis wieder zur Marschallbrücke, ging es nach der Luisenstraße wieder an der Böse Buben Bar vorbei, die nun schon voller besetzt war und zurück nun statt der Linie durch die Auguststraße, bis diese auf die Kleine Auguststraße trifft und ich gen Norden zum Koppenplatz abbog, um wie immer über Ackerstraße und Hussitenstraße am Gesundbrunnen vorbei zurück gen Prenzlauer Berg auf einer Runde von etwa 27 km.
jens tuengerthal 30.10.2017
Lustträume
So träumen wir uns nun
Noch schmerzvoll fern
Voneinander und doch
Näher gefühlt als je real
Was wir alles tun wollen
Miteinander auf dem Weg
Zum endlich ineinander
Wie und wo wir es tun
Wollen noch vielmehr
Voneinander als schon da
Orte und Stellungen sind
Uns Vorspiel in Gedanken
Erregend schon im Traum
Leben wir ihn dann einfach
Wenn wir uns verschlingen
An jedem Ort auf jede Art
Haben wir ein Leben Zeit
Den kleinen Tod einander
Immer neu zu schenken uns
Im schöpfen zu erschöpfen
Feucht schon beim Gedanken
Werden wir uns überschwemmen
Mit dem Überfluss größter Lust
Um innig eins zu sein dabei
Soll dein Leben mir Atem sein
Sich erfüllen und erschöpfen
Ist als Traum schon groß genug
Ein Leben voller Glück zu tragen
Doch viel mehr noch schenkt uns
Das Gefühl dies alles sei für immer
jens tuengerthal 31.10.2017