Samstag, 30. Mai 2020

Preußenliteratour

Ein wenig Fontane, aus den Wanderungen durch die Mark Brandenburg wie dem Stechlin, und Tucholsky, aus Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte heute gelesen, aber vor allem durch die nördliche Mark bis fast zur Grenze Mecklenburgs auf den Spuren dieser Literatur durch die Landschaft gefahren und neue alte Welten entdeckt, die Preußens Schönheit und Geschichte wunderbar erkennen lassen, was der literarischen Geschichte genug wert ist, Zusammenhänge neue sehen ließ.

Beginnend im Berliner Hansaviertel, ging es mit dem Wagen gen Norden und so hat die Mobilität, die ich meist eher kritisch sehe, auf der Suche nach Spuren auch der Literatur eine wunderbar entspannte Seite manchmal, von der es zu erzählen lohnt. Ausnahmsweise war diese Literatour also tatsächlich on Tour, also unterwegs, um etwas zu sehen, was nun Tage und Wochen noch nachwirken kann in der großen Stadt, der die Stille so fehlt, dass sie sich ständig in neue Bewegung und neuen Lärm stürzt, um unterhalten zu werden. Ob ich darum so sehr bemüht bin, den Kontrapunkt zu bilden, scheint der Frage wohl wert.

Das erste Stück zu schnell über die Autobahn bis Oranienburg gefahren im meist fließenden Verkehr, der auf solch großen Straßen so sehr mit sich beschäftigt ist, dass die Schönheit in der bloßen Bewegung völlig untergeht. Darum wählten wir für den Rückweg, zu dem aber später, nur noch schöne Landstraßen, reisten also langsamer und bekamen mehr mit, was wesentlich entspannter war und glücklicher machte als die vorige Erreichung von irgendwelchen Zielen, die letztlich eigentlich egal sind, wenn es im Leben mehr darum ginge, es schön zu haben, als wo gewesen zu sein, was überhaupt keinen Wert an sich darstellt.

Wir wollten nur zum Stechlin und nach Rheinsberg, vielleicht noch auf dem Rückweg über Neuruppin, doch dann wurde es eine vielfältige Reise an Orte wie durch Zeiten, die langsam viel mehr entdeckte. 

Das erste mal hielten wir in Löwenberg, der im 13. Jahrhundert auf einem Wall gegründeten Gemeinde, die zeitweise eine nicht unbedeutende Stadt war, bevor von erlin noch die Rede war, die nach den Kurfürsten den Bischöfen von Brandenburg gehörte, wie noch einigen anderen adeligen märkischen Familien, die längste Zeit aber, von 1460 bis 1788 im Besitz der von Bredows war, die auch zahlreiche nicht unbedeutende preußische Generäle stellten, deren einer noch einen Grabstein in der Kirche hat.

Der nicht geplante aber nötige Halt wurde von mir, während die Fahrerin noch anderweitig beschäftigt war, in alter familiärer Tradition genutzt wurde, die dortige Kirche zu besichtigen, die schon von außen sogar mir völligen kunsthistorischen Laien sehr alt erschien. Ging also, wie früher mein Vater bei jeder auf dem Weg gelegenen Kapelle, zumindest in meiner Erinnerung, um das Gotteshaus herum, was ich in Anbetracht der Tatsache, dass der zu dessen Ehre dieser trutzige Bau errichtet wurde, für mich nicht existiert, nur eine vielfach lästige kulturhistorische Epoche ist, schon amüsant finde. Scheinbar ist es mit dem familiären Erbe so, wie mit vielen Dingen, um so entschiedener wir sie ablehnen, desto eher kehren sie zurück, vor allem aber hat der Umgang mit alten Traditionen, die wir einfach fortsetzen, auch etwas heimelig vertrautes, mit dem ich mich zumindest sehr entspannt wohl fühle - kenne es ja und denke, dass ich etwas entspannt Gutes tue, egal was ich mit dem Aberglaube dahinter zu tun habe.

Alt erschien mir die Kirche, weil der aus Findlingen errichtete Turm wie das sich anschließende Schiff eher an eine alte Burg erinnerte, sogar für den frühen romanischen Stil zeitlos schlicht wirkte. Vermutete 13. Jahrhundert, also kurz nach der Christianisierung des Ostens durch Heinrich den Löwen und Albrecht den Bär, der nach manchen Gerüchten und fragwürdugen Urkunden Bärlin den Namen gab. 

Für eine protestantische Kirche war sie von Innen relativ prächtig bemalt, mit vermeintlich marmornen Säulen und anderen kleinen Schönheiten. Die Damen, die gerade die Kirche mit ihrer Corona gemäßen Bestuhlung schmückten, erzählten, dies geschehe für die morgen stattfindende Goldene Hochzeit, die ja gerne noch mit einer Einsegnung begangen wird, wie es meine Großeltern auch taten, was ich allerdings bei meinen Eltern nicht mitbekam, was auch daran gelegen haben könnte, dass jener Ort in dem meine Großeltern lebten ähnlich dörflich war wie Löwenberg heute, während sich das Dorf meiner Eltern in südwestlicher Provinz für eine bedeutende Stadt immer noch hält. Erstaunlich allerdings daran war, dass dies aktuelle Jubelpaar 1970, also zu DDR Zeiten, heiratete, wo kirchliche Traditionen eher seltener gepflegt wurden. Vielleicht aber führte die staatliche Ablehnung der Kirchen, wie jedes anderen Glaubens als des staatlichen, gerade dazu, dass diejenigen, die sich dennoch dazu bekannten, sich besonders eng daran banden, was nur bedingt für eine stabilisierende Wirkung des Staatskirchenrechts spricht aber das wäre ein anderes Thema, über das mir als atheistischem Mitglied dieses Vereins nur bedingt zu diskutieren zusteht - manches kommt anders als geplant.

Wie auch immer rührte mich dieser wunderschöne Bau so sehr, dass ich nicht umhin konnte ihn, wieder in nerviger familiärer Tradition der Fremdbeglückung,  auch meiner lieben Freundin sogleich zeigen zu wollen, die erstaunlich geduldig, wie manche Norddeutsche eben so sind, mich mal ausgenommen, nicht über den Zufall der Geburt spekulierend, alles bewunderte, es scheinbar auch schön  fand, obwohl ich vermuten könnte, dass ihr moderne Bauten näher liegen als alte Gemäuer, die an manchen Stellen sogar sichtbar über Epochen ausgebessert wurden - wie im Turm, der rückwärtig zwischen Feldsteinen und Klinker wechselte, wohl auch eines der vielen Opfer des Dreißigjährigen Krieges wurde, der in der Mark böse wütete.

Nun aber genug vom Zufallsfund der alten Kirche, die weder Ziel noch sonst eingeplant war aber mit den Bredows und den Zerstörungen vieles schon über preußische oder eigentlich damals nur Geschichte der Mark erzählt und damit viel Raum für Literatur gäbe, wir hatten ja noch bekanntere literarische Ziele von großer Schönheit voller Hoffnung vor uns - auch wenn schon die Frage wohl begründet wäre, was schöner sein kann, als eine Dorfkirche in der Damen ein Fest der Liebe vorbereiten und die den Geist der Jahrhunderte trägt.

Von Löwenberg aus ging es direkt zum Stechlin und da dieser mitten im schönen Wald liegt, ins Dorf Neuglobsow, dass dem Namen oder der slawischen Endung zum Trotz eine friderizianische Gründung erst  war, die zunächst mit Glasbläserei reüssierte, bis sie Fontane mit seiner erfundenen Romangestalt aus dem Geschlecht derer von Stechlin berühmt und für den Tourismus interessant machte, dem auch das sehr engagierte und schön gemachte Museum der Glasbläserei huldigt, wenn auch unter dem Deckmantel der Tradition, der bekanntlich alles gut gemeinte in ein sehr mildes Licht taucht, was nicht unbedingt mehr Aufklärung oder Klarheit erzeugt, wirkte dieses natürlich maskiert betretene Haus sehr aufgeklärt und positiv, geradezu überraschend gut, bin ich versucht zu schreiben, ohne dabei den arroganten Hauptstädter herauskehren zu wollen. Ein Ort für den sich noch mehr Zeit zu nehmen sicher lohnte, doch mit Mundschutz und zu vertieften Studien gerade nötigen Gummihandschuhen wird kein Museumsbesuch zum Genuss - vielleicht irgendwann noch einmal - Rückkehr hat ja etwas schönes auch oder zumindest als Werbung für andere und bessere Zeiten.

Schön sanierte Gebäude mit häufig gastronomischen Betrieb dienen, mehr als offen und soweit geöffnet, dem gleichen Zweck wie die mit Leidenschaft und mehr oder weniger viel Geschmack dekorierten Schaufenster. Sie huldigen Fontane und anderen den Ort streifenden Autoren, wollen ein Künstlerdorf in der märkischen Sandwüste aus dem sonst Nichts entstehen lassen, was zumindest für den Geschäftssinn der Anwohner spricht, der wie die Sparsamkeit ja eine der Tugenden ist, die den Märkern schon Fontane attestierte. Lassen wir uns überraschen, ob es im Ergebnis mehr Kunst oder Geschäft wird. Sehenswerte Gartenzäune im Jugendstil vor alter Villa, die in ihrem Sterben noch schöner werden und damit zu belegen scheinen, dass sie wirklich aus dieser Zeit stammen, geben der märkisch dörflichen Atmosphäre noch etwas moribundes, sprechen allerdings gegen die allgemeine Geschäftstüchtigkeit der Eingeborenen, insofern, sollten diese Zäune noch echt sein, wogegen wenig spricht, sie längst ein Vermögen wert wären und kein vernünftiger Mensch, sie vor sich hinrosten ließe - wobei unklar ist wie die Besitzverhältnisse bei der von ihnen umkränzten Villa tatsächlich sind, die bevor sie vor dem letzten großen Krieg enteignet wurde, einer jüdischen Familie gehörte und nicht etwa das vermeintliche Schloß derer von Stechlin ist, trotz des neogotischen Turms dort, der es manche Besucher vermuten lässt. Dieses Gutshaus oder Schloss derer von Stechlin gibt es und gab es nie, die Industriellen-Villa spielt nur nett damit.

Auf geradem, wenn auch ein wenig hügeligen größtenteils asphaltierten Weg ging es zum berühmten Stechlinsee, dem mit 70 Metern tiefsten Klarwassersee Norddeutschlands, wo wir uns dort nah der mecklenburgischen Grenze längst befanden. Der See ist schön, klar, still, friedlich und baumumstanden und insofern wir am Freitag dort waren auch noch relativ wenig besucht von Badegästen und sonstigen Freizeitterroristen aus der Großstadt oder noch schlimmer sichtbar vom Dorf, zu denen, zumindest den ersteren, wir uns ehrlicherweise auch zählen müssten, aber wer in friedlich, schöner Umgebung schon immer ehrlich und wer hätte vor allem etwas davon.

Den ehemaligen Atomreaktor am entfernten anderen Ufer, für den zu DDR Zeiten noch das Wasser des Sees massiv abgesenkt und erwärmt worden war, konnten wir in der friedlichen Ruhe gut ignorieren. Strahlung ist zum Glück unsichtbar und die starke und erfolgreiche Fischzucht, des inzwischen wieder wohltemperierten und also an den meisten Stellen auf 4° abgekühlten Stechlin spricht zumindest nicht für eine fortgesetzte Belastung der Umgebung. Es war auch zu schöner friedlicher Wald an so etwas überhaupt denken zu wollen, worüber ich nur jetzt mit etwas Abstand schreibe, was aber bei unserem Spaziergang am Ufer wie der kleinen Pause auf der Fontane Bank, die zumindest mit hölzernen Büchern versehen war, wenn schon die Rückenlehne fehlte und völlig unklar ist, ob der Dichter jemals länger dort weilte, keine Rolle spielte. Uralt wirkt der umgebende Forst mit Buchen und Kiefernwald, doch dieser Eindruck täuscht, wie uns Fontane in den Wanderungen vom Stechlin und dem ihn umgebenden Forst berichtet, bereits einmal wäre der ganze bereits im nu durch Berliner Schornsteine verheizt worden, was erst kurz vor dem völligen Untergang gestoppt worden wäre. Davon aber ist in der Umgebung nichts mehr zu sehen, der zu Fontanes Zeiten gerade hundert Jahre alte Wald, der mittlerweile übe 200 Jahre alt ist wirkt trotz oder wegen der ehemals Atomkraft in der Nachbarschaft wild und schön und so lebt der ehemals Menzer-Forst, der, wie Fontane so treffend schreibt, rund ein halbes Dutzend Wasserbecken umschließt, weiter relativ ungestört fort, dahingestellt ob er bereits den strengen Kriterien genügte, die ein Peter Wohlleben an einen Wald stellt und scheint uns unverwöhnten Städtern als heile zwitschernde Natur von heimeliger Stille.

Die den See direkt umgebende Gastronomie erinnerte ein wenig auch an den zuletzt dort untergegangenen Staat, der das Atomkraftwerk baute und den Wasserspiegel senkte und so verführten die dort gereichten Sättigungsbeilagen zum Fisch die vielleicht verwöhnten Besucher aus Berlin nur bedingt zum längeren Aufenthalt, zumals uns ja noch Rheinsberg und eventuell Neuruppin erwarteten, wenn auch die kulinarischen Argumente schwerer wogen als die sonstigen Ziele. So begnügten wir uns zur Pause auf der Bank am See mit einem Kaffee ihrerseits wie meinerseits einem Lübzer Radler, womit ich zumindest brautechnisch bereits im mecklenburgischen gelandet war, was aber zur Stimmung wie zum Durst ganz gegen meine sonstige Gewohnheit gut passte.

Wie still und friedlich er da liegt dieser See, schreibt schon Fontane in den Wanderungen und sagten auch wir uns auf der Bank immer wieder, es hat dieses tiefe Wasserloch, trotz einiger spielender Kinder von vermutlich Eingeborenen und ihren teil voluminösen Eltern, die in ihrem Umfang wenig von märkischer Sparsamkeit erkennen ließen, etwas fast unheimlich stilles. Kein Wunder, dass sich die Anwohner dort Geschichten wie die vom Roten Hahn ausdachten, der auch als touristische Holzfigur immer wieder auftaucht. Schön war es dort, friedlich und beruhigend - vermutlich besonders auch weil es Freitag war und kein sonstiger Pfingstfeiertag, Corona wird das seinige getan haben, zumindest die lästigen Busladungen hat es verhindern helfen, dachte ich.

Da fiel mir die lästig laute Bus-Demo ein, in die ich in Berlin, neulich auf dem Rückweg vom Hansaviertel spazierend, geriet, in der viele, zu viele Busse laut hupend, gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze aufgrund der Corona-Auflagen demonstrierten und war froh, als der Spuk vorbei war und ich als politisch nicht gebundener Mensch entschlossen die Meinung haben konnte, hoffentlich gehen sie bald alle pleite und kommen nie wieder hupend in unser Hauptdorf dies lästige Pack, was die Umwelt verseucht, Menschen unnütz durch die Gegend transportiert, statt sie friedlich vor Ort genießen zu lassen, eine Landplage sind, die keiner braucht, der mit etwas Vernunft begabt ist.

Natürlich, gibt es nötige Busverbindungen in abgelegene Regionen Mecklenburgs etwa aber von diesen Ausnahmen abgesehen, die eher ins Reich der Phantasie gehören, finde ich den Busreiseverkehr nur lästig und überflüssig. Wer nicht läuft, muss nirgendwo hin, wer nicht die Zeit dafür hat, sollte nicht reisen, bin ich geneigt zu sagen, allerdings nicht wirklich logisch konsistent, dabei bequem im Auto sitzend, klassischer Musik lauschend, sich für auserwählt in der Einsamkeit haltend und nicht von anderen verfassungsmäßig gleichberechtigten belästigt werden wollend, könnte diese moralische Aufregung über Unruhestifter vor keinem Gericht der Welt standhalten, sage ich mir, wenn ich nicht gerade verblendet genieße und freue mich an dem augenblicklichen Glück relativ trauter Zweisamkeit, die keinen Namen braucht.

Bräuchte ich die anderen, die Sehenswürdigkeiten erst zu einem Geschäft machen, das den Erhalt lohnt, warum Investoren und Geldgeber dort ihren Segen machen, frage ich mich lieber nicht, weil ich die Antwort kenne - hätte alles lieber exklusiv, vielleicht mit ausgewählt gebildetem Publikum wie etwa im Orient-Express, sehen wir von neureichen Russen einmal höflich ab, die aber vor Sowjetzeiten zumindest auf eine alte teilweise auch europäisch geprägte Kultur zurückblicken konnten, bevor georgische Massenmörder dort das Ruder übernahmen aber auch das wäre eine zu aufregende andere Geschichte, die ich in dieser wunderbar ruhigen Gegend lieber überhaupt nicht thematisieren möchte, um ungestört zu genießen, was ist, auch wenn ich wie in Löwenberg mich schon frage, warum Karl Liebknecht statt seinem Vater Wilhelm noch mit großen Straßen gedacht wird oder warum in Neuruppin der Vordenker des linken Totalitarismus Karl Marx noch inmitten der Altstadt mit einer Büste hinter einem erwartungsgemäß häßlichen Denkmal für gefallene Antifaschisten geehrt wird und nicht wie die Hitlers dieser Welt besser verschwindet, weil die Folgen seines Denkens noch mehr Opfer bis heute brachte, von dem von der DDR zur Kultfigur geadelten Mörder der Weimarer Republik Thälmann lieber ganz zu schweigen, dessen Verklärung im Gedächtnis vieler DDR-Bürger ein wunderbares Zeugnis für die wirkungsvollen Lügen totalitärer Regime ist, aber es war ja auch eine Diktatur der Proleten mit entsprechendem Ergebnis, was manche gern verdrängen, welche die Erbin der SED, die sogenannte Linke für einen ansprechenden Partner halten, egal ob sie die Demokratie dafür auch opfern, denn so groß die Gefahr durch wenig behaarte Rechte in ländlichen östlichen Gefilden wohl sein mag, begeht die gleiche Sünde, wer die linke Gefahr verhamlost oder übersieht, weil zu große Toleranz am Rand zu einer Verlagerung des Gleichgewichts führt, sich dann wie bei einer Wippe beide immer mehr an den Rand setzen müssen, um wahrgenommen zu werden, dort gerne laut sind uns es um die lieber friedliche bürgerliche Mitte zu still wird.

Aber zum Glück ging es bei diesem wunderbaren Freitagsausflug nicht um Politik, die Beteiligten würden dabei sicher auch so wenig streiten, wie sie es sonst auch tun, im meisten erstaunlich harmonisch trotz unterschiedlichen Geschlechts und relativer Nähe, weil die Natur doch manchmal noch unerwartete Wunder bereithält, sondern um Kultur wie Natur und ihren Genuß durch Anschauung vor Ort. So ging es durch friedliche Alleen nach einer kurzen Verirrung aufgrund eines geographischen Irrtums meinerseits, wie fern ist der Mensch doch von Sicherheit in fremder Umgebung manchmal und wie gut tut es doch, dies auch praktisch zu bemerken, zumindest, wenn du die Strecke nicht zurücklaufen musst sondern fahren kannst, noch besser wie in meinem Fall chauffiert wirst, auf also ziemlich direkten Weg nach Rheinsberg, das wir von Ostnordost aus erreichten.

Wie ich es schon immer getan hatte, was ja immer der beste Maßstab im Leben und auf Reisen ist, völlig in die Irre zu laufen, was allerdings auch wieder nicht ganz gelang, der Tag wollte scheinbar gut werden, schlug ich vor im kleinen Wald südlich des Schlossparks zu parken. Der letzte Besuch im Sommer 2010 ist schon ein wenig her, damals war ich zu einer abendlichen Opernaufführung einer befreundeten Regiesseurin geladen, die im Schloßhof unter freiem Himmel und im Opernhaus spielen ließ, wobei mir die frische Luft im Hof deutlich näher kam als die vielleicht bessere Akustik im von Friedrich und Heinrich errichteten Opernhaus, das inzwische auch eine Musikakademie enthält, die aber, den Anweisungen des RKI folgend gerade pausiert. Beim letzten Besuch war der Parkplatz noch nicht bewirtschaftet aber wir gaben die mäßigen 1,3 Euro die Stunde gerne, was gegen den Euro die halbe Stunde in Entfernung vom Stechlin wirklich günstig anmutete, wie gerne geben wir an schönen Orten ein wenig, deren Erhalt zu unterstützen und Rheinsberg ist nicht nur schön, es ist ein Traum.

Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen, ist nicht leicht, schrieb Fontane in seinen Wanderungen, als Tucholsky sein Bilderbuch für Verliebte komponierte und auch mit der Bahn kam, war es schon etwas leichter, hätte es auch schon Autos gegeben, wie es etwa zeitgleich Rudolf Borchardt in Weltpuff Berlin beschreibt, wo der Protagonist mit seiner Liebe aus gutem Hause von ihr in ihrem Cabrio kutschiert, eben dorthin fährt, den Ort zu genießen, der auch ohne Sex vn geradezu pornographischer Schönheit ist. Rheinsberg über schmale Alleen vom Stechlin aus mit dem Auto zu erreichen, ist eine Kleinigkeit und ein Genuss, entsprechend entspannt kamen wir an, flanierten durch den kleinen Schlosspark, um quasi von hinten auf die Schlossterrasse zum See zu kommen und auch wenn der Himmel sich während des Aufenthalts in Rheinsberg eher bedeckt zeigte, wurde es wieder ein traumhaft schönes Ereignis, dort zu flanieren, so oft ich schon da war, doch nie in dieser entspannten Gesellschaft.

Die Lage am See, an dem Kronprinz Friedrich sich nach der Haft in Küstrin, die dem Fluchtversuch mit Katte in der Kurpfalz nahe Heidelberg folgte, wie der Kasernenzeit in Rheinsberg, seine erste eheliche Wohnung mit Elisabeth-Christine einrichtete, der Welfin, die er nicht wollte und die der Fluchtgrund war, weil ihm die frömmelnde Wahl seines Vaters vor allem zuwider war, ohne dass er sie kannte, der sich aber die Zuneigung des habsburger Kaisers dadurch erhoffte, zu dessen weiterer Verwandtschaft die Braut gehörte, während Friedrich durch die geplante Flucht mit seinem Jugendfreund hoffte, die Hochzeit mit der englischen Prinzessin aus dem Stall seiner Mutter zu realisieren, was natürlich völlig illusorisch war, welcher König verheiratete seine Tochter an einen fahnenflüchtigen märkischen Prinzen, dessen Vater sich nur König in Preußen nennen durfte, von dem nichts zu erwarten war, zumindest damals sah es nicht so aus, als würde der Knabe später der Große genannt werden, ist schon traumhaft, das friderizianische Rokoko, das Knobelsdorff nach den Plänen des damals Kronprinzen ausführte, ist schon schön genug, ins Schwärmen zu geraten, zumindest für mich als älter werdenden Kulturpreußen, ein Traum aber wird es auch durch die Einbettung dieses zart spielerischen Ensembles in die Landschaft. See, Gärten und Wälder betonen die Schönheit noch. Es ist ein Traum, der immer wieder den Besuch lohnt. Wie sehr die Schwärmerei durch gerade Gegenwart beeinflusst wurde, sei der nötigen Dezentz wegen einmal dahingestellt.

War dort im Sommer wie im Winter, mit vielem möglichen Licht - gestern unter eindrucksvoll drohenden dunklen Wolken, die uns sogar einen Schirm aus unserer braven Benzin-Kutsche mitnehmen ließ, der allerdings nicht benötigt wurde, vermutlich aber nur, weil wir ihn mitnahmen. Vielleicht hätte ich mit ihm eleganter flanieren sollen, denke ich im nachhinein aber es wird nicht das letztemal dort gewesen sein, wie wir uns auch nach dem Besuch des Museums-Shops der Stiftung preußische Schlösser und Gärten versicherten - es ist einfach zu schön dort, mehr aber auch nicht.

Die Fischbrötchen danach waren kulinarisch zumindest keine zu große Enttäuschung, stärkten und ließen noch Raum für anderes später vielleicht, weil die übrigen örtlichen Lokalitäten am See auf den ersten Blick nicht wirklich überzeugten. Erlaube mir kein Urteil über die Rheinsberger Gastronomie, erspare es mir aber auch und weiß, was ich an diesem Ort lieben, was ich mir besser erspare. Der Ort hat im preußisch historischen Gewand viel östlichen Charme, wenn das nicht schon eine contradictio ist, die aber zumindest nicht böse gemeint war. 

Erstand im Laden der Stiftung ein Feuerzeug mit Aufdruck der selbigen in preußisch blau, ein wenig Kult muss manchmal sein und diese kleine Schwäche vor dem hehren Anspruch sei gestattet, auch Friedrichs Vater, der märkisch sparsame Soldatenkönig, der nur für seine lange Kerls unsinnig viel ausgab, qualmte gerne, warum sein Sohn es hasste, der in Königs Wusterhausen im Jagdschloss den verrauchten Abenden zu oft hatte folgen müssen, lieber den Tabak kaute, wie einen schönen Band des Bilderbuches für Verliebte von Tucholsky aus literarischem Interesse für meine liebe Freundin, die es noch nicht kannte, was den nächsten Besuch vielleicht noch schöner machte, könnte ich mich noch genau an die vor über 30 Jahre gelesene Geschichte erinnern, aber manches verklärt auch die Erinnerung und es ist gut so.

Vom wider Erwarten doch nicht verregneten Rheinsberg ging es gen Süden durch verwunschene Wälder, an schönen Feldern vorbei, die von blühenden Disteln, Mohn und Kornblumen so oft umstanden waren, durch schönste Alleen, die den Zauber Brandenburgs ausmachen, dass, außer Schönheit der Landschaft und gelegentlicher wunderbarer architektonischer Überbleibsel der preußischen Epoche, ja nicht viel zu bieten hat, vor allem für die ländliche Bevölkerung, was mehr kluge Frauen abwandern als bleiben ließ, woraufhin sich die verbliebenen Männer zu absurden Betrachtungen der Welt häufiger verführt fühlten als im Bundesdurchschnitt, aber es soll auch dort immer wieder erstaunlich vernünftige und interessante Zeitgenossen geben, was ich zumindest bisher nicht widerlegen konnte.

Zwei der berühmtesten Zeitgenossen der Mark wurden in Neuruppin, unserer nächsten Station geboren - Karl Friedrich Schinkel und Theodor Fontane. Ersterer erlebte auch den großen Brand der Stadt, seine Familie verlor damit nicht nur allen Besitz, sondern es zog sie schließlich sogar nach Berlin, wo der junge Karl-Friedrich auf Empfehlung seines Lehrers als Meisterschüler der Architektur seinen Weg machte und es zum Hofbaumeister brachte, der auch auf der Pfaueninsel, die heute nicht Thema ist, keine Sorge, seine architektonischen Spuren hinterließ, die Menzel wiederum malerisch verewigte, wovon Fontane literarisch schwärmte, womit wir eines der ästhetisch wirkungsvollsten Trios des alten Preußen zusammen haben, auch wenn es damit weniger zu tun hat, als mit dem neuen bürgerlichen Aufbruch und der Emanzipation auch der Künstler etwa im Tunnel über der Spree, den ich aber nur erwähne, weil es ja heute um Neuruppin geht, den unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. abgebrannten Stützpunkt verschiedener verschieden glorreicher preußischer Regimenter, wie auch des Regiments Prinz Ferdinand, was klanglich an die heute berühmtere Band Franz-Ferdinand erinnert, die an den zu Sarajewo erschossenen österreichischen Thronfolger erinnern wollten, was aber mit Neuruppin wenig zu tun hat - allerdings fragten wir uns, erst über den Markt und vom Schinkel zum Fontane Denkmal flanierend, dann in Ruhe am Seeufer zurück, was die Jugend von Neuruppin heute wohl macht, außer Wasserpfeife am See zu rauchen, ob ein Schinkel oder ein Fontane von dort aus noch seinen Weg machen würde, welche Bedeutung das humanistische Gymnasium noch in einer Stadt hat, die zwar überall mit den großen Preußen wirbt aber sich auch nicht für ein Denkmal für Karl Marx und die Opfer des Faschismus in Sichtweite des Denkmals für den Dicken genannten Preußenkönig schämte und was wohl aus den leeren Garnisonen eines Tages wird, welche Perspektive außer historischem Tourismus sich hier entwickeln lässt mitten in der Streusandbüchse mit den vielen Wasserlöchern aus der Eiszeit, in der es vielfach so wunderschön ist.

Wider Erwarten entdeckte ich das schöne etwas abseits gelegene Restaurant, in dem ich vor mehr als einer Dekade mal mit meinen Eltern wie der Mutter meiner damals noch sehr jungen Tochter speiste. Wir entschieden uns dagegen, gingen an die Seepromenade, wo das gewählte Lokal zumindest von den Sitzgelegenheiten her überzeugen konnte vor allem aber mit direktem Seeblick punktete, was allerdings kulinarisch keinen Wert darstellt, wie wir ohne große Enttäuschung völlig einig feststellen konnten. Nichts zu erwarten, hilft nie enttäuscht zu werden. Diesen wunderbaren Tag verdarb nichts, im Gegenteil kam, beim nur insgeheim etwas aufregenden Besuch des Pavillons am See ohne Seebeben, sogar die Sonne wieder ungeahnt strahlend hervor und begleitete uns dann den ganzen Heimweg, der an Fehrbellin, Kremmen, Spandau und anderen berühmten Orten der preußischen Geschichte vorbei führte, umrahmt von im Sonnenschein leuchtenden Feldern und der sie begrenzenden Blütenpracht.

Preußen ist nicht mehr, nur noch auch literarische Geschichte, genießen wir sie und vor allen nutzen wir sie, die Schönheit der Langsamkeit nebenan wieder zu entdecken. Bloß keine Autobahnen, sondern lieber zu klassischer Musik plaudernd, ganz langsam,  nur noch kleine Landstraßen, hoffentlich bald nur noch elektrisch oder mit Wasserstoff nur motorisiert, in aller Ruhe fahren, lohnt die Reise in die Provinz wieder und so kehrten wir nach rund 250 km ins Hansaviertel zurück, ich wanderte noch ein wenig die Spree bis zum Hauptbahnhof hinab und schief über die Erinnerungen schreibend und darin schwelgend gestern voll von Eindrücken aus Literatur und Gegenwart friedlich ein. Mehr an Glück braucht es kaum, die Welt zu genießen, wie sie ist, denke ich. Weiter auf preußischen Spuren literarisch unterwegs zu sein, wird mir eine Freude in der näheren Umgebung sein, wie schön doch alles eingerichtet ist, wenn dir gefällt, wo du lebst und das Umland überraschend viele kleine Paradiese bietet.

jens tuengerthal 30.5.20

Freitag, 29. Mai 2020

Zensurkultur

Totalitäre Mächte betreiben Zensur
Um ihr Bild öffentlich zu schönen
Wie kritische Berichte zu verhindern
Bekannt ist es aus China wie der
Türkei und Russland ohnehin
Die nie demokratisch wirklich waren
Von kleineren Staaten abgesehen
Dass aber nun ein bedrängter Trump
Die Freiheit im Netz beschränken will
Für die Amerika immer stand
Zeigt der Welt vor allem eines
Dieses inkompetente Großmaul
Der für die massive Verbreitung
Von Corona in den USA politisch
Verantwortung trägt versucht nun
Alles sich vor dieser zu drücken
Weil es seine Wahlchancen mindert
Ob er nun wie andere Diktatoren
Mit Dekreten regieren kann oder
Der Rechtsstaat dem schlichten
Gemüt des Präsidenten endlich
Grenzen setzt wird offenbaren
Ob die Vereinigten Staaten noch
Ein solcher sind oder Populismus
Im Bündnis mit Dreistigkeit auch
Das Mutterschiff der Demokratie
Bereits lahm legen konnte
Beobachte es lächelnd mit genug
Abstand im alten Europa was nun
Feststellen wird ob der Rechtsstaat
Lebt oder ein Präsident diesen
Ohne Kontrolle aushebeln kann
Möchte nicht daran denken was
Geschieht sollte es Trump gelingen
Hoffe auf normative Kontrolle
Mit der diesem Narren bald
Der Hahn abgedreht wird
Was viel über die Stabilität
Der Demokratien uns lehrt

jens tuengerthal 29.5.20

Donnerstag, 28. Mai 2020

Literatouren 28.5.20

Von der sich durch mitgebrachte Eingeborene und Pflanzen verändernden Pfaueninsel Thomas Hettches geht es heute quer durch den europäischen Geist in Der europäische Traum von Aleida Assmann, die feinfühlig erklärt, warum Erinnerung so wichtig ist und was den Trennungsstrich vom Schlußstrich unterscheidet, wie Erinnerung in die Zukunft führt und Geschichte weiter trägt.

Während Marie sich des Monsterwortes der so gern heilig gehaltenen Königin Louise erinnert, das sie in Kindertagen so diskriminierte und seitdem als schockierende Erinnerung ihre Geschichte durchzieht, denkt sie über ihre Mißbildung und ihre Sonderrolle nach, wie sie sich als Zwergin fühlt, die auf der Insel quasi ausgestellt wird und ob sie die Liebe Gustavs glücklich werden lässt.

Die Chondrodystrophy, wie der Minderwuchs heute nicht mehr als Zwerge diskriminierend genannt wird, ist eine seltene genetische Veränderung, die auch von normalwüchsigen weitergegeben werden kann. Es besteht bei eigenem Nachwuchs die Chance von 50%, dass auch dieser kleinwüchsig bleibt. Während Gustav und Marie dem endlos singenden Maitey lauschen, der von einer Südseeinsel auf die Pfaueninsel als weiteres Ausstellungsstück zur Belustigung der königlichen Familie und der Besucher gekommen war, die den Inselbewohner, wenn sie ihn hörten, eher für irre hielten, während Marie seine endlosen Gesänge mochte, es eine Sympathie der Andersartigen gab, versucht Marie mit Gustav über ihre Beziehung zu sprechen. Dabei weicht dieser aus und bringt abstruse Beispiele aus dem Tierreich, was bei der Paarung verschiedener Rassen entstände, wodurch sich seine Geliebte verletzt fühlt und ihn ermahnt endlich still zu sein. Gustav kannte das Wort Hybrid noch nicht, was in der Biologie das aus zwei Arten zusammengesetzte ist. Am Ende des heutigen Abschnitts teilt sie ihm, erwartungsgemäß für den Leser, wenn auch vermutlich überraschend für Gustav, mit, dass sie schwanger ist.

Wie es nun weitergeht, weiß ich noch nicht, auch wenn die vielen Andeutungen es schon ahnen lassen, die besondere Rolle des Anderen oft genug betont wurde, die eine Bindung unmöglich mache. Zart und dezent sind die Andeutungen in diesem Roman nicht unbedingt. Die noch selbstverständliche Diskriminierung anderer Menschen, die wie Tiere ausgestellt wurden, ist kaum hundert Jahre her, als Bewohner der Kolonien in Berlin ausgestellt wurden und auf Jahrmärkten Andersartiges in vielerlei Gestalt bewundert werden konnte. Was uns heute absurd erscheint, war damals noch normal und die USA führten noch nach dem Zeitpunkt der Handlung einen Bürgerkrieg, in dem es um die Haltung von Menschen als Sklaven ging, die der Süden für sich in Anspruch nahm, weil er es gewohnt war.

Auch wenn damals die Gegner der Sklaverei, zu denen sich auch Thoreau zählte, siegten, stellt sich die Frage, ob die Vereinigten Staaten dem schon so fern sind heute, wo Schwarze immer noch und wieder von der Polizei diskriminiert werden, der größte Teil der inzwischen über 100.000 Corona-Toten dunkelhäutig und arm ist, während ein Präsident regiert, der alles tut,  den Ausnahmezustand so schnell wie möglich wieder zu beenden, weil unter den Opfern wenige seiner Wähler sind, die hoffentlich einige Menschen vor den Wahlen zum Nachdenken bringt.

Spannend ist, dass Menschen wie Michel de Montaigne, um den es gestern ging, schon vor fast 500 Jahren selbstverständlich von der Gleichheit aller Menschen ausgingen und sich über die Behandlung der Eingeborenen, die aus den Kolonien gebracht wurden, aufregte, was wir uns anmaßen, zu meinen, unsere Kultur sei fortgeschrittener und diese seien Wilde, wie Montaigne es schrieb. Es gab diese gerechten Denker schon immer, genau wie es leider auch immer wieder jene gab, die gerne unterschieden und ihre Gruppe für besser oder die anderen für eine Bedrohung ihrer Kultur hielten, was die unsägliche AfD stark machte, die mit der Angst vor Fremden aggressiv spielt.

Wohin diese Trennung vom anderen uns führte, gibt unsere Geschichte genug Beispiele und bis heute sind viele sogenannte Völkerkundemuseen, die früher Kolonial-Museen auch hießen, voll mit Raubgut, was sich illegitim angeeignet wurde, damit wir es bestaunen können. Darüber wird zum Glück heute viel diskutiert und das Humboldt-Forum in Berlin steckt immer wieder mitten in dieser Diskussion. Es mag manches Ausstellungsstück legitim erworben sein und zum Glück müssen Museen nun immer mehr sich auch um die Herkunft ihrer Ausstellungsstücke kümmern, denn warum Kulturgüter anderer Völker in Berlin, Paris oder London im Museum stehen sollen, ist zumindest diskussionswürdig.

Die Frage wäre dann, ob die Alternative, die Dinge vor Ort zu lassen, diesen besser getan hätte und die Menschen, wenn sie eine Kultur betrachten wollen, in die entsprechenden Gegenden reisen sollen, es vor Ort zu erleben, was ich persönlich angesichts der ökologischen Folgen der vielen Weltenbummelei für noch fragwürdiger halte als den möglichen, besseren und gerechteren Umgang mit diesen Dingen in unserer Kultur.

Dies könnte in der Zahlung einer angemessenen Miete oder anderweitiger Anerkennung bestehen, falls sich vertraglich auf eine weitere Leihe geeinigt wird. Lösungen dafür werden schwierig und es gibt sicher keine einfache Antwort für alle sich dabei stellenden Fragen, es wird längere Verhandlungen geben, weil Verständigung zu komplexen Themen eben schwierig ist, doch zu lernen, sich auch beim Raubgut in unseren Museen der historischen Verantwortung zu stellen, könnte ein Anfang sein, die Welt gerechter zu machen. Es kann seine Berechtigung haben, bestimmte Dinge auszustellen, auch damit nicht jeder in fremde Länder reisen muss, was dank Corona ja auch etwas erschwert war, aber wir sollten uns dabei unserer historischen Verantwortung stellen.

Dieser Gedanke leitet über zur anderen Lektüre, Aleida Assmanns Der europäische Traum über die vier Lehren aus der Geschichte. Diese sind Friedenssicherung, wie aus Erzfeinden, kooperierende Nachbarn und sogar Freunde werden, wie im deutsch-französischen Verhältnis mittlerweile, Herstellung von Rechtsstaatlichkeit oder der Umbau von Diktaturen in Demokratien, historische Wahrheit und der Aufbau einer Erinnerungskultur in Deutschland, sowie die Wiederentdeckung der Menschenrechte.

Las heute über die Rückkehr der Erinnerung und den Aufbau einer Erinnerungskultur, die langsam heranwächst und selbstverständlich wird, was es nach dem Krieg nicht war, als Adenauer noch auf Vergessen setzte und Wiedererlangung der Normalität, die es so noch lange nicht geben konnte und hoffentlich im Bewusstsein der historischen Verantwortung nie geben wird.

Dieses Bewusstsein war, bis auf dunkle Ränder in der Bundesrepublik auch durch das Verdienst der 68er, die sich genau gegen dieses Schweigen der Wirtschaftswundergeneration wehrten, relativ normal und verbreitet geworden. Diese Normalität hat sich mit der Wiedervereinigung aber verändert und wird von Teilen nicht mehr so gesehen. Insbesondere im Gebiet der ehemaligen DDR, in ehemals Neufünfland, ist dies Selbstverständnis nicht gewachsen, gab es nicht die Auseinandersetzung wie zu Zeiten der 68er und später noch in der Ära Kohl, der noch 1985 das Vergessen durch den Besuch des Friedhofs von Bitburg, auf dem auch SS-Soldaten gedacht wurde, mit Ronald Reagan propagierte, wogegen nur drei Tage später der damalige Bundespräsident von Weizsäcker seine berühmte Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt, in der er ganz deutlich die Niederlage eine Befreiung nannte, was ein Umdenken auch in konservativen Kreisen in Gang brachte, die Verantwortung als Chance zu sehen.

Damit kommen wir vom Schlussstrich zum Trennungsstrich, der sich von der eigenen Geschichte im Bewußtsein der historischen Verantwortung abgrenzt. Es begann eine neue Erinnerungskultur, die sich bewusst mit den schweren Verbrechen in der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt, statt historische Lügen wie die von der sauberen Wehrmacht oder der Unwissenheit der meisten Deutschen weiter aufrecht zu halten. Diese historische Verantwortung endet nicht mit dem Dritten Reich sondern muss auch Fragen der Kolonialpolitik thematisieren. Erstaunlicherweise ist das Bewusstsein dieser Verantwortung besonders gering bei denen ausgebildet, die noch an den Fortbestand des Deutschen Reiches oder andere Wahngebilde glauben. Auch hier wird weiter Aufklärung und kritische Auseinandersetzung nötig sein. 

Wie wachsen Bürger in eine demokratische Verantwortung für die gemeinsame Geschichte hinein, die über Jahrzehnte hinter dem antifaschistischen Schutzwall eingesperrt waren und welche Perspektive können wir ihnen geben?

Diese Frage wird für die Stabilität der Demokratie auch künftig von großer Bedeutung sein, damit nicht wieder leicht Populisten mit historischen Lügen oder dem falschen Schlußstrich auf Stimmenfang gehen können. Sie ist nicht einfach zu beantworten und bedarf langfristiger Arbeit an der Basis, die von Populisten aus dem linken und rechten Lager bedroht wird. Dazu braucht es eine neue positiv besetzte Erinnerungskultur, die nach Aleida Assmann durch fünf Punkten gekennzeichnet ist:

Sie hat mit schwerwiegenden Verbrechen der eigenen Geschichte zu tun,
Die neue Erinnerungskultur ist selbstkritisch und legt sich damit Rechenschaft über die eigene Vergangenheit ab.,
Diese Erinnerungskultur braucht eine historische Forschung, die sich um Quellen kümmert und Belege sucht.
Es braucht dafür der Zeugen der Erinnerung, weil ihr Zeugnis erst einen wirklichen Eindruck geben kann.
Die neue Erinnerungskultur ist dialogisch, sie sucht also das Gespräch mit den anderen, da jeder dazu neigt, seine nationale Geschichte monologisch zu betrachten.

So können wir langfristig - und es wird noch Jahrzehnte dauern ein solches Selbstverständnis zu etablieren - zu einer positiv besetzten Erinnerungskultur in Verantwortung kommen, weil Totschweigen nichts ändert, sondern nur verdeckt, was war. Damit wir in Verantwortung für die Geschichte, deren Teil wir sind, auch die Zukunft neu gestalten, statt von der verdrängten Geschichte beherrscht zu werden, trennen wir uns von dem, was war in verantwortlicher Weise und verdrängen nicht nur, warum Aleida Assmann den Trennungsstrich dem Schlußstrich vorzieht.

Dem kann ich nur zustimmen und frage mich dabei, warum es vielen so schwer fällt, die aktive Erinnerung als Chance und nicht als Schande zu sehen. Keiner der nach dem Krieg geborenen trägt Verantwortung für die dort begangenen Verbrechen. Aber jeder, der sich als Teil einer historischen Nation sieht, hat die Verantwortung für die Zukunft zu verhindern, dass so etwas wieder passiert und so wird aus dem Malus der eigenen Geschichte eine größere Chance für die Zukunft aus Erfahrung, die zeigt, dass wir lernfähig sind. Was geschehen ist, ist geschehen, dafür historisch Verantwortung zu übernehmen befreit und gibt den folgenden Generationen die Chance zur Gestaltung der Zukunft im Licht der Erfahrung, um das Grauen dauerhaft zu vermeiden.

Historische Verantwortung belastet nicht sondern befreit, sie gibt die Möglichkeit zum offenen Umgang mit der Geschichte, um würdigen zu können, was gut war und damit eine Integration zu ermöglichen, egal ob wir von Tätern oder Opfern abstammen, gemeinsam im Lichte der Erinnerungskultur die Zukunft zu gestalten, statt verdrängtes als Last mitzuschleppen, sich die Geschichte schön zu lügen, aufrichtig zu sein, was der beste Anfang der Verständigung ist.

So schließt sich am Ende der Kreis beider Lektüren - der Umgang mit Diskriminierung und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung dabei macht sensibler für das Miteinander in der Zukunft. In meiner Kindheit sprachen wir noch von Negern und Zigeunern, was heute im Bewusstsein zum Glück weitgehend verdrängt wurde. Ob es Insulaner aus der Südsee sind, kleinwüchsige Menschen aus Berlin oder türkische oder jüdische Nachbarn sind, ist für uns bei der Betrachtung als Menschen egal, die anderen so sein zu lassen, wie sie sind und nicht ihr Anderssein zu betrachten, sondern die Gemeinsamkeiten zu sehen, bringt uns Menschen dauerhaft friedlich zusammen. Eine Chance, die wir nutzen sollten, denke ich und bin gespannt auf die weitere Lektüre.

jens tuengerthal 28.5.20

Zahlenmagie

Nun gibt es in den USA
Mehr als 100.000 Tote
Was eine magische Grenze
Lange noch schien die
Das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten locker riss
Dank ihres Präsidenten
Des ungebildeten Versagers
Sterben immer mehr ohne
Dass ein Ende absehbar
Sind ja nur alte Schwarze
Sagt mancher nicht nur
Im agrarischen Süden
Das sind die Wähler von Trump
Schlicht engstirnige Rassisten
Häufig gläubige Christen was
In Amerika wunderbar passt
Angeekelt wendet Europa sich ab
Gottes Werk und Teufels Beitrag
Hoffen wir es findet ein Ende
Durch Vernunft und Wahlen
Oder den endlich Untergang
Der letzten Supermacht
Fraglich nur ob besser wird
Was danach anstatt kommt

jens tuengerthal 28.5.20

Mittwoch, 27. Mai 2020

Neidkultur

Heute wurden die Gehälter
Der Vorstände veröffentlicht
Danach führt in den USA
Erstmals eine Frau die
In einem Jahr so viel
Verdient dass ihre sonst
Mitarbeiter 169 Jahre
Arbeiten müssten dies
In ihrem Leben jemals
Verdient zu haben was
Auf absurd hohe Zahlen
Wohl hinweist die aber
Erwirtschaftet wurden sonst
Bekäme sie es nicht weil
Von nichts nichts kommt
Muss darüber nicht urteilen
Will nicht einmal an Neid
Dabei denken weil Geld
Niemanden glücklich macht
Wenn die Mitarbeiter es
Stört sollen sie etwas tun
Es gerecht zu verteilen
Ansonsten finde ich diese
Neiddebatten so peinlich
Gönne es Lisa Su gerne
Frage mich wem solche
Charts jemals dienen
Die Optionen berechnen
Manche Nachrichten
Finde ich überflüssig

jens tuengerthal 27.5.20

Literatouren 27.5.20

Die heutigen Literatouren führen mich von der Pfaueninsel, wo gerade das Palmenhaus von Schinkel mit den in Frankreich erworbenen Bäumen bezogen wird nach Frankreich ins Périgord in den Turm des Schlosses von Montaigne, wo sich gleichnamiger Michel Gedanken über die Welt im Spiegel seiner Lektüre machte.

Halkyonische Tage nannte Schinkel ihre Zeit Marie gegenüber, in Erinnerung an die Antike, in der sie jene Woche im Dezember, in der das Meer völlig ruhig war, so nannten, es sogar hieß, dass der Eisvogel dann sein Nest baue. Das fertiggestellte Palmenhaus wird von einem Ofen im Keller durch eine Fußbodenheizung gewärmt, um den im nordischen Preußen sonst fremden Pflanzen das Überleben zu ermöglichen. Marie und Gustav sehen sich nun jede Nacht und haben dabei auch Sex, der wie bei so vielen Paaren mit Missverständnissen und ohne viel darüber zu reden mit bald angenommenen Gewohnheiten abläuft und so lebt diese Liebe, die immer wieder infrage gestellt wird, auch durch Gustavs Mutter, die sich keine abartige Zwergin als Schwiegertochter wünscht, zumindest in der trauten Zweisamkeit, erlebt nach Gustavs Rückkehr mit den Palmen aus Paris ihren Frühling im kommenden Winter, noch scheint kein Unwetter sie zu bedrohen, es sind eben die Halkyonischen Tage, wie Schinkel es so treffend sagte, dahingestellt, ob dabei eher an das die ruhige Wärme erhaltende Gewächshaus oder die unmögliche Liebe denkend.

Tage des Glücks und der Ruhe, welcher Liebende kennt sie nicht, wie gerne halten wir uns an den kleinen Glücksmomenten fest, um den Traum wach zu halten, auch wenn er real längst ein Alptraum wurde, wie es leider, dank der Gewohnheit, diesem Kontinuum der Unaufmerksamkeit, zu oft geschieht, die beim Sex ihren Ausdruck genauso findet wie in den leicht genervten Formeln des Alltags, mit denen wir unsere Gewohnheiten bestätigen und das Wunder der Liebe schnell wieder verspielen, was einen dauernden Ausnahmezustand bedeutet, der immer zu leben, nahezu unmöglich scheint. Denke ich an meine letzte längere in vielem ziemlich unmögliche Liebe, habe ich mich lange an den schönen Momenten festgehalten, um den Rest nicht so deutlich wahrzunehmen, es mir schön zu reden, was nie gut gehen konnte. Aber was ist in der Liebe schon unmöglich?

Zeichnet es sie nicht gerade aus, das Unmögliche möglich zu machen und so von Träumen zu leben - wer möchte sich im Schatten der Liebe schon mit absurden Dingen wie der Realität, pathologischen psychischen Befunden oder vernünftigen Erwägungen beschäftigen?

Lieber genoss ich den Augenblick und träumte er möge ewig verweilen, wie wir es uns auch mit voller Überzeugung versprachen, trotz der Unmöglichkeit der Umstände, der rein statistischen Unwahrscheinlichkeit des Vorhabens, besseren Wissens eigentlich. Aber bin ich nun realistischer geworden, frage ich mich, oder würde ich mich bei Gelegenheit wieder in eine unmögliche Liebe stürzen, weil es so schön ist, zu lieben, wie Goethe es einst ausdrückte:

Zu lieben Götter, welch ein Glück, geliebt zu werden, ich verdient es nicht.

Habe dem alten Meister gegenüber gewisse Zweifel inzwischen, was zumindest für Reste von Verstand spricht, verzichte für das nur menschliche Gefühl auf die Anrufung der Götter aber ansonsten stimmte ich ihm aus vollem Herzen zu und wie gerne verlör ich es bei Gelegenheit wieder, auf besseren Ausgang natürlich hoffend, auch wenn die Erfahrung mich eines besseren belehren könnte.

Die wenig dezente Andeutung Hettches macht schon deutlich, was nach diesen Frühlingstagen im späten Herbst wohl an Sturm und Unglück zu erwarten ist - und weil die enttäuschte Erwartung der Tod jeder Liebe ist, würde ich an dieser Stelle, ohne vorgreifen zu wollen, oder es zu wissen,vermuten, dass Marie wohl schwanger sein wird und daraufhin das Idyll der Liebenden im Idyll der Pfaueninsel ein baldiges tragisches Ende findet, weil doch nicht sein kann, was nicht sein soll, alles seinen traurigen also normalen Gang wohl nehmen muss, die schönsten Liebesgeschichten tragisch enden und nicht glücklich, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, warum viel dafür spräche, vernünftigerweise lieber eine mittelschöne aber gut erträgliche ohne zu großen emotionalen Aufwand zu wählen, um damit glücklich leben zu können.

Ganz nebenbei scheiterte mein letzter Versuch dazu genau an diesem Begehren, als ich versuchte das Schwanken der täglichen Extreme zwischen himelhochjauchzender Hingabe und tiefem Hass, zu stabilisieren, dahingestellt, ob dieses pathologisch begründet war oder nicht, fühlte sich die verehrte damalige Prinzessin nicht mehr ausreichend gewürdigt und suchte das Weite, was wieder zeigt, so gut die Theorie auch sein mag, die vom Gleichgewicht der Emotionen in einer harmonischen Liebe träumt, so schwierig ist diese praktisch auch umzusetzen. Vermutlich wollen wir ja alle nur lieben, geliebt werden und glücklich sein, warum uns dies so schwer gemacht wird von den widrigsten Umständen, bleibt dagegen rätselhaft, denn wie wenige Fälle dauerhaft glücklicher Lieben, die in allem Erfüllung finden, kennen wir, überhaupt eine, frage ich mich dabei grübelnd, wie viel mehr schlechte Kompromisse aus Angst vor Einsamkeit dagegen - ob es allerdings noch schöne Liebesgeschichten wären, die Stoff zum erzählen böten, wäre eine andere Frage.

Durchaus willig mich bei Gelegenheit zu verlieben, weil dieser Zustand, allem Risiko zum trotz so schön ist, fällt es mit zunehmender Erfahrung schwerer, die Vernunft wieder völlig auszuschalten - auch wenn die relativ gedankenlose Triebhaftigkeit beim Sex dabei helfen kann, insbesondere, wo wir diesen noch ein wenig emotional aufladen. Wäre es besser, nur eine große Liebe zu haben, statt jede durch die Höhe der Summe wieder zu relativieren, könnte ich mich fragen, lehrte nicht die Erfahrung, dass eben jene Relativierung das sicherste Mittel zu überleben ist, was die Frage stellt, auf was es dabei letztlich ankommt - den Traum vom Ankommen leben oder das Dasein genießen, wie es eben ist und wie sich beides bestmöglich verbinden ließe, wobei ob überhaupt vielleicht schon vor dem wie gefragt werden könnte, allerdings die hohe Gefahr in sich trägt, dass nichts mehr übrig bliebe, worauf sich hoffen ließe als ein relativer Pragmatismus.

Über diesen macht sich Michel de Montaigne Gedanken in seinem Essay unter dem Titel “Über verwerfliche Mittel, die einem guten Zweck dienen”, was sperrig klingt, thematisiert elegant, ob der Zweck je die Mittel heiligt oder beide immer in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen sollten. So staunt der kluge Franzose, der sich im Essay davor zum Staffettenreiten noch als kleiner Dicker bezeichnete, was zum schnellen Reiten bekanntlich gut geeignet sei, wie die Dinge der Natur im Staat wie der Gesellschaft oft ihre Entsprechung finden, indem etwa Königreiche, wir würden heute eher von Gemeinschaften sprechen, was hier dahingestellt sei, auch was auf Dauer sich länger bewähren wird, heranwachsen, zu schönster Blüte kommen, um dann alt zu werden und wieder zu vergehen, wofür es zahlreiche Belege in der Geschichte gibt, auch wenn wir dafür keine Achsen annehmen.

Diesen Prozess konnten wir im Osten Europas ab 1989 deutlich beobachten, auch ohne Könige und manche meinen das Phänomen Trump zeuge vom gleichen Problem der Supermacht, die übersättigt und allein geblieben war, sich darum einen von jeder Bildung und fast aller Vernunft befreiten Führer leistet, um wieder normal zu werden, wie manche der erst 89 demokratisch gewordenen Nachbarn in Europa sich, schon wieder populistischen Neigungen folgend, autoritäre Führer gerne wählen, die ihnen eine Richtung weisen. Dagegen zeugt die lange Regierung der vernünftigen obersten Beamtin Merkel, die jedem Populismus und medialer Selbstdarstellung eher abhold ist, von einer gegenteiligen Neigung zur Stabilisierung auf der Basis aufgeklärter Vernunft, dahingestellt, ob die Menge der für Populismus anfälligen hier so viel geringer als in den Vereinigten Staaten ist oder der zeitweise Erfolg des Rechtsauslegers AfD auch nur ein Produkt mittig vernünftiger Stabilisierung ist, in der manche nicht heimisch werden konnten, die Zeit wird es wohl zeigen.

Manche Herrscher meinten etwa, es bräuchte gelegentlich der Kriege, um den unruhigen Geist an den Rändern im Inneren zu beruhigen und damit das System stabil zu halten - als sei der Krieg quasi die Mutter der inneren Stabilität, warum viele Anhänger dieser Theorie auch vorschlagen, diesen möglichst in die Nachbarländer zu verlagern, um die Heimat friedlich zu halten. Dieses Verhalten lehnt Montaigne entschieden als unmoralisch ab und fordert vielmehr zu einer vernünftigen, friedlichen Politik auf, wie sie das gegenwärtige Europa betreibt. Dies im Gegensatz zum russischen Nachbarn etwa, der unter Putin, dessen Selbstdarstellung entsprechend, gern die Muskeln spielen lässt, sich als Erbe der untergegangenen UDSSR lieber als starker Mann präsentiert, um von internen Problemen abzulenken. Identisches versucht ja derzeit auch Trump mit seiner grauenvollen Corona-Bilanz, die das ganze Ausmaß seiner völligen Inkompetenz offenbart, die er auf täglich neue Art schön zu reden versucht und im übrige lieber den Konflikt mit China sucht, erfolgreich Misstrauen sät, um von den eigenen Fehlern abzulenken, nicht über seine grauenhafte Bilanz reden zu müssen, sogar anstehende Wahlen infrage stellt, soweit ihm eine Niederlage drohen könnte.

Dieses Verhalten ähnelt dem, was Montaigne an Fürsten kritisiert, die andere benutzen, ihr Volk ruhig zu halten, Kriege führen oder wie in Rom brutale Zirkusspiele veranstalteten, bei denen sich die Beteiligten auf möglichst grausame Weise niedemetztelten, dies lächelnd ertragen sollten, um zumindest sterbend noch ein Held zu sein, was er entschieden verurteilt, da wir nur das eine Leben hätten, wie die lebendige Vierteilung zu Forschungszwecken, um am Leib der Verbrecher das Verhalten der Organe zu studieren und wie sich diese beim Zerreißen verhielten, sofern der Betroffene noch lebte. Diese Phase der Hinrichtungen haben wir im relativ kultivierten Europa zum Glück hinter uns, andere Teile der Welt sind noch nicht so weit, wie auch die USA, die sich gerne als demokratischer Rechtsstaat feiern, was dabei aber fraglich wieder erscheint

Doch sollte, wer scharf moralisch urteilt, sich auch an die eigene Nase fassen können, also über ein reines Gewissen verfügen, was bei einem der größten Waffenexporteure weltweit, der zwar immer gerne noch eine deutsche Anleitung mitschickt, dass diese Spielzeuge nicht zu grausamen Zwecken entsprechend ihrem üblichen Zweck verwendet werden sollen und wenn die Bundesrepublik nichts davon wissen will und ausdrücklich damit gesagt hätte, dies nicht zu wollen - dieser sogenannte Persilschein, wäre bestimmt eine deutsche Erfindung, wenn es ihn denn gäbe - zumindest logisch betrachtet fragwürdig erscheinen könnte. Aber zumindest körperlich große Sozialdemokraten als Wirtschaftsminister, wie die körperlich kleinen als Kanzler genauso, haben uns immer wieder bewiesen, wie scharfe moralische Urteile über andere, sich reinsten Gewissens im Wege der Gewichtung, sich damit vertragen und von den Anhängern bejubelt werden.

So ließ sich unmenschliches Verhalten Dritter sehr wohl ankreiden und zeitgleich Panzer nach Saudi Arabien liefern, um primär deutsche Arbeitsplätze zu sichern, in einen Staat also, der nach dem strengen Recht der Scharia richtet, während zugleich Terroristen in Afghanistan bekämpft wurden mit deutschen Waffen, die eigentlich das gleiche nur wollten aber das Pech hatte, sich dazu dem Sohn eines saudiarabischen Bauunternehmers angeschlossen zu haben, der aus vielen Gründen nicht sehr beliebt mehr war in der westlichen Welt, während er in zahlreichen islamisch geprägten Staaten zum Volkshelden heranwuchs, den die Amerikaner dann in Western Manier jagten und erlegten, um seine Überreste möglichst spurlos auf hoher See zu beseitigen.

Sind wir wirklich so viel weiter als die Römer, die ihr Treiben mit den Gladiatoren erst unter Theodosius einstellten, des übrigens de facto letzten Alleinherrscher Roms im vierten Jahrhundert. Montaigne bringt noch das Beispiel der Franken, die sich aus dem germanischen gen Gallien erfolgreich ausbreiteten, die heimischen Stämme teilweise verdrängten, bis zum gemeinsamen Kaiser Karl dem Großen, unterschlägt aber dabei, dass die Franken als Hausmeier der Merowinger aufstiegen, also bereits gehobene Beamten im vorigen Reich waren das später Frankenreich wurde und mit dem Großvater des großen Karl, der erwartbar auch Karl hieß, nur Martell genannt, einen französischen Helden gegen die Mauren stellten, vor denen sich die nationalen Kräfte bis heute fürchten, als sei unsere Kultur nicht erfolgreich und wertvoll genug, die Verdrängung durch zahlreichere Vermehrung sogar fürchten, als setzte sich in der Natur langfristig nicht immer das bessere und erfolgreichere Modell durch. Doch diese kleine Unterschlagung sei dem Ende des 16. Jahrhunderts verstorbenen Berater französischer Könige und ehemaligen Bürgermeister von Bordeaux verziehen, er musste sich noch nicht mit den Populisten des FN oder AfD herumschlagen, allerdings hatte er dafür seinerzeit mit den Hugenottenkriegen und einigen sehr katholischen Kräften aus dem Hause Valois, das sich schließlich selbst erledigte, eigentlich genug Erfahrung mit fanatischen Spinnern gehabt, von denen einer seinen Freund Henry IV einige Jahre nach Michels Tod umbrachte für das katholische Frankreich, was dann dessen Enkel Ludwig XIV. mit der Vertreibung der Hugenotten durchsetzte, die später in Preußen so eine bedeutende Rolle spielen sollten, dass sie einen eigenen Dom neben dem Deutschen am Berliner Gendarmenmarkt erhielten.

Wie dem auch sei, ist sein Text, wie so vieles von ihm eine großartige Anregung über den Staat und seine Moral nachzudenken, wie die Stichhaltigkeit unserer moralischen Urteile, ob danach je der gute Zweck die schlechten Mittel heiligen könnte, was mir, wie Montaigne, eher zweifelhaft erscheint. Bemühen wir uns lieber gut, angenehm und möglichst lustvoll stets zu handeln, statt das eine für das andere in kauf zu nehmen, was selten zu etwas Gutem führt.

jens tuengerthal 27.5.20

Dienstag, 26. Mai 2020

Literatouren 26.5.20

Über Hettches Pfaueninsel gehen die Literatouren, wie die Lesereisen ab heute heißen, um mehr die Literatur zu betonen als das Reisen, was mir ja bekanntlich eher fern liegt, mit Christina von Brauns Blutbande tief in den Brunnen der jüdisch-christlichen Vergangenheit. Beides kam sich erstaunlich nah, wenn auch vermutlich nur in meinem Kopf aber vielleicht gelingt es, die Verbindungen offenzulegen. Es geht wie immer im Leben im Kern um Liebe und Sex, also was die Familien begründet und zusammenhält, diese aber am liebsten tabuisieren.

Marie kam nach einer Begegnung mit dem König, der Palmen in Paris kaufen möchte, weil das Angebot so gut sei, obwohl enorm teuer, aber wozu ist er König von Preußen, die er auf einem von Schadow noch zu bauenden Gewächshaus platzieren möchte, endlich ihrem Gustav wieder küssend näher beim Gespräch über Hegel und seine abstrusen Theorien. Knutschen zu Hegel ist zwar nett, aber, insofern die erotische Beschreibung von Momenten Hettche weniger liegt als das belehrende Referat, er hat sich lebar gut belesen, führen Hegels wie meist abwegige Gedanken, die nur möglichst arrogant unverständlich formuliert wurden, vermutlich um ihre beschränkte Schlichtheit besser zu tarnen, hier erstaunlicherweise doch weiter, wenn auch erst im logischen Umkehrschluss.

Das schöne an Leserreisen ist ja auch, dass nicht nur das geschriebene Wort gilt, sondern darüber hinaus, wie Montaigne es schon so meisterhaft vorführte, der freie Gedanke dazu, der manche Lektüre erst lohnend macht. So hielt Hegel zwar Tiere für Kreaturen, Pflanzen aber nicht, was auch ohne Lektüre von Oberförster Wohlleben leicht zu widerlegen ist und heute als absurd gilt, doch dessen Lektüre, nur als kleiner Ausflug am Rande erläutert dies für Bäume und ihr komplexes System der Kommunikation sehr gut, hinterfragt dabei das Umarmen der Bäume, ob dieser eher esoterisch anmutende Akt nicht vielleicht doch auch biologisch vernünftig sein könnte. Dahingestellt, ob das nun beweisbar ist oder nicht, scheint das Verhältnis von Bäumen und Menschen komplexer, als wir bisher geahnt haben, was wieder an den gestrigen Gedanken zur angeblichen Schöpfung und das Sexualverhalten der Primaten erinnert, was dem menschlichen so erstaunlich nahe kommt, auch wenn Mensch sich so gerne schon aus Gewohnheit erhebt.

Hegel irrte also, wie so oft, auch bei der Betrachtung der Tiere und die Behauptung einer Seele zur Unterscheidung von Mensch und Tier mag ja religiös ganz interessant klingen, ist aber naturwissenschaftlich betrachtet eher Hokuspokus, insofern die Seele körperlich nicht nachweisbar und nur noch ein quasi religiöses Symbol für die noch unverstandene Komplexität aller körperlichen Vorgänge ist. So bleibt die zitierte Behauptung, dass Pflanzen nicht begehrten und niemandem Leid zufügten, eben eine solche und in der Anschauung vielfach widerlegt - vom Schmarotzer bis zur fleischfessenden Pflanze. Doch begleitet dieses Thema den ersten Kuss nach Jahren verzweifelter einsamer Liebe verbunden mit einer Entschuldigung Gustavs für sein voriges Verhalten.

Interessant wird diese Argumentation allerdings gegenüber der Fraktion radikaler Veganer, die gerne andere Menschen über Moral belehren und meinen, es sei unmenschlich Kreaturen zur Ernährung zu töten, während sie ihre biologisch gedüngten Gräser wiederkäuen.  Sofern Pflanzen ebenfalls ein uns noch weitgehend unbekanntes neuronales Netz der Wahrnehmung besitzen, ist deren Tötung zur Ernährung nicht wesentlich moralischer als die von Tieren - wo dürfte da noch eine Grenze gezogen werden vernünftigerweise und ist also alles Leben immer auch töten, sollten wir uns keiner moralischen Illusion hingeben dabei?

Sehr menschlich nur scheint die Sicht Hegels, die den Menschen, wie es die Religionen auch so gerne tun, über alles erhebt, eben seiner Seele wegen, also ohne materielle Grundlage, was der Naturbetrachtung eines Philosophen eher unwürdig ist und den Bereich der Religion mit dem des kritischen Denkens der Philosophie vermischt, die das geistige Gerüst für die Anschauung der Natur liefern soll und dies seit Kant auch tat, den der Schwabe geistig zu überholen meinte, auch wenn er sich dabei nur unklar in den Untiefen des Glaubens verirrte, wie er selbst hier wieder anschaulich bewies. Dahingestellt sei, ob dieser kleine philosophische Exkurs im Roman diesem literarisch gut tat und gut eingebunden war oder eher wieder bei Gelegenheit nur referiert wurde, wie Hettche es so gerne tut, zumindest regte er zum weiterdenken und zur immer wieder gerne Kritik am sich selbst überschätzenden Hegel an, was schon ein Wert an sich ist, auch wenn manche Theologen dabei verwirrt routieren dürften, bestimmen diese jedoch glücklicherweise nicht mehr die beschränkte Richtung des Denkens maßgeblich sondern werden langsam eher zur musealen Randgruppe, was der Autor lächelnd zur Kenntnis nimmt.

Auf die Spuren der Theologie bringt mich dagegen Christina von Braun in ihrem Buch Blutsbande, wo sie im heutigen Kapitel in ihrem wunderbar nüchternen Ton über die Zusammenhänge und gegenseitigen Aneignungen von Judentum und Christentum nachdenkt. Dabei räumt sie gut mit gewohnten Mustern auf, dass die Christen als jüdische Sekte eben die alte Linie mit dem neuen Heiland reformiert hätten und das Judentum bei seiner Lehre geblieben wäre.

Im Gegenteil zeigt sich bei genauerem Hinsehen, wie sehr das Christentum spätestens mit seiner Ausbreitung als Staatsreligion im römischen Reich ab Konstantin, also im 4. Jahrhundert, auch zu Reformen und Abgrenzungen in der jüdischen Religion führte, in der infolge der Bedrohung durch das Christentum, die rabbinische Lehre gestärkt wurde und damit einhergehend die matriarchale Linie eingeführt wurde, die dort bis heute gilt. Braun erwägt dabei, ob der Marienkult und die verbundene absurde Lehre von der Jungfräulichkeit auch ein Akt der bewussten Abgrenzung war, um die alte Verbindung und die Wurzeln zu kappen. Dazu gehört auch die mit dem Laterankonzil von 1215 eingeführte Fleischwerdung des Brotes wie die Verwandlung des Weines in Blut durch die dabei praktizierten kultischen Akte, worüber sich später Katholiken und Protestanten noch lange auch streiten sollten und was sie bekanntlich zu lange in blutigen Kriegen in Europa ausfochten, bei denen letztlich keiner gewann aber beide im westfälischen Frieden eine Form der Koexistenz fanden. Sehen wir von der Vertreibung der Hugenotten durch Ludwig XIV. einmal ab, die Preußen und die Niederlande so stärkten wie das vermeintlich homogene Frankreich schwächten, die Revolution auch vorbereiteten aber das wäre ein anderes Kapitel und führte hier viel zu weit.

Die stärkere und emanzipiertere Rolle der jüdischen Frauen über lange Zeit, könnte sich auch aus dieser Abgrenzung voneinander erklären lassen und die Betonung der mütterlichen Linie. Doch geht es es beiden Sekten, die natürlich Religionen genannt werden, worin immer der Unterschied bestehen soll, im Kern um die Herrschaft über die Sexualität und damit unsere Natur, die je nach Ausprägung und Zeit an bestimmte rituelle Vorgänge gebunden war - Ehe, geistige Reinheit, also Monogamie und Verurteilung der Homosexualität, womit sich die Religion als Herrschaftsinstrument gut eignete, wie einige hundert Jahre später auch die monotheistische Variante der selben Geschichte, die sich Islam nannte, für sich zu nutzen wusste und bis heute praktiziert.

Warum die Kontrolle der Sexualität ein wichtiger Schlüssel ist, zeigt sich schon bei den Schimpansen, bei denen entsprechende Varianten des ius prima noctis der Alphatiere im Rudel praktiziert werden. Ob dies Rudelverhalten seine Entsprechung in der Wahl besonders auffälliger Autos durch Zuhälter seine Entsprechung findet, wäre wohl einen Gedanken wert, wie überhaupt die Organisation der Prostitution und ihr Verbleiben im halbseiden oft kriminellen Bereich, den der Staat lieber mahnend duldet, statt eine emanzipierte Lösung zu suchen, mehr über unsere vorgebliche Moral verrät als über unsere triebhafte Natur.

Eine ehrenvolle Anerkennung dieses Berufsstandes wie ihre Einbindung in die sexuelle Erziehung, die dann allen Seiten mehr Glück bringen könnte, wäre sicher vernünftiger, als der bisher praktizierte Umgang, der noch vielfach von alten christlichen Moralvorstellungen geprägt ist und zu häufig unbefriedigenden Ergebnissen für alle Seiten führt. Es könnte darin die Erkenntnis wachsen, dass es bei der Sexualität zum einen auf erlernbare Technik ankommt, die eine natürliche Basis hat, welche den Umgang ohne Tabus miteinander erleichtern würde, zum anderen aber die größte Erfüllung an der emotionalen Komponente hängt, die nicht käuflich erworben werden kann und auf deren Gleichgewicht zu achten, beiden Seiten besser täte.

Nahezu alle Religionen dienen der Ordnung der Gesellschaft und der Schaffung von Stabilität. Dies gelingt am leichtesten über das Gebiet der Sexualität und den Umgang mit ihr, egal was dabei nun unserer jeweiligen Natur entspricht. Während in der westlichen Zivilisation heute weitgehend jeder diese ausleben kann, auch wenn manche absurde Hindernisse fortbestehen, die der Befriedigung entgegenwirken, was allerdings Methode hat, da der partiell unbefriedigte oder auf große Befriedigung hoffende Mensch, leichter zu führen ist, gibt es viele Regionen der Welt in denen die Sexualität noch vom Aberglauben und der Gesellschaft stark bestimmt werden, so auch in Teilen der USA. Dies sehen wir etwa bei dem Versprechen der Jungfrauen für Märtyrer im Islam, was für keinen erfahrenen Liebhaber noch eine irgend verlockende Vorstellung wäre, aber das absurde Spiegelbild des Jungfrauenkultes im Christentum ist und im Gebot zur Monogamie seinen Ausdruck findet.

Ob wirklich erfüllender Sex nur zu zweit erlebt werden kann, weil alles mehr meist nur ablenkt, zu Reizüberflutung führt, die sich dem eigentlichen nicht mehr widmet oder einige ihre schönste Erfüllung in der Gruppe finden, sollte eher Geschmackssache sein, als Gegenstand moralischer Urteile. So kann heute hier zumindest jeder in den entsprechenden Foren im Internet allen Neigungen nachgehen und diese auch praktisch leben. Dahingestellt ob die totale Optionsvielfalt glücklicher macht oder mehrere auf einmal nur noch sportlich von Bedeutung ist, kann, wer es mag, dem heute leichter nachgehen als je, was zumindest ein praktischer Fortschritt ist.

Mit der Herrschaft über die Sexualität löst sich aber jeglicher Anspruch von moralischer Herrschaft schnell auf und es könnte fraglich sein, ob dies gesellschaftlich wirklich wünschenswert ist, alle soweit sind, dem Leitprinzip des kategorischen Imperativ folgend, dabei auch noch moralisch zu handeln oder das totale Chaos und die völlige Willkür folgten, in dem sich keiner mehr an Gebote des miteinanders gebunden fühlt. Vom Gesichtspunkt der Aufklärung wäre die Befreiung auch aus der sexuellen Unmündigkeit, wie sie die siebziger Jahre mit teils fragwürdigem Ergebnis und seltsamen Methoden praktizierten, wünschenswert. 

Wie nötig aber ist ein moralischer Konsens in der Sexualität für die Stabilität der Gesellschaft?

Gut ist, was gefällt, schrieb der Marquis de Sade, der auch für sein freies Verhältnis zur Sexualität und seine Vorliebe für Gewalt und Qual dabei, wie er sie etwa in seiner Justine schildert, berühmt und berüchtigt wurde, infolge viele Jahre im Gefängnis verbrachte. Dem setzte fast zeitgleich, also gegen Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts Rétif de la Bretonne seine Anti-Justine entgegen, in dem auch alles an Sexualität vorstellbare passiert aber eben ohne jede Qual oder Gewalt, im einverständlich leidenschaftlichen Sex. Berühmter wurde das vielfach geschmähte Werk des Marquis, dahingestellt, ob mehr Menschen eine Neigung zur Gewalt beim Sex haben oder das verruchte nur die eigentlich spießigen Späher am Schlüsselloch lockte. Persönlich ziehe ich die Erotik der Anti-Justine deutlich vor, die immer liebenswerter und auf Gegenseitigkeit bedacht ist, doch kenne ich genug Menschen, die im Alltag friedlich in bürgerlichen Berufen leben, privat aber ihrer SM Neigung mit Obsession frönen, von denen ich keinen verurteilen wollte, auch wenn es mir relativ fremd ist, der ich lieber verwöhne als benutze.

Es soll hier auch nicht der abwegig Weg der psychoanalytischen Betrachtung eingeschlagen werden, der denjenigen gern kindliche pathologische Erfahrungen unterstellt, auch wenn Missbrauch wohl häufiger vorkommt als viele ahnen, möchte ich den Menschen lieber als zu jedem Zeitpunkt frei betrachten, eine glückliche Sexualität zu leben, wie sie seiner Natur entspricht. Theoretisch frei, denn natürlich ist diese auch moralische Fiktion durch viele praktische Hindernisse häufig nicht so real wie geträumt.

Hier komme ich wieder zu Christina von Brauns Buch, was die Begründung der Familie und der sie ordnenden Sozialstrukturen so klug beleuchtet. Ganz Wissenschaftlerin bleibt sie, egal worüber sie schreibt und wie abstrus die Sitten auch sind, die sich über Jahrhunderte gebildet haben, stets neutrale Berichterstatterin, was den kritischen Geist zum vernünftigen Urteil führt. Doch hilft der Blick auf den religiösen Kontext unser sittlichen Prinzipien dabei zu verstehen und manche Überreaktionen besser zu verstehen. Wohin das Keuschheitsgelübde katholische Priester führte, ist schon seit der Renaissance aus wunderbaren Erzählungen auch von Insidern bekannt, wird heute immer mehr strafrechtlich verfolgt, dahingestellt, was das Strafrecht im Bereich der Sexualität mit relativer Gültigkeit je taugt.

Manche mutmaßen nur das Verbot und die vermeintliche Keuschheit hielt die Sexualität noch reizvoll, diese wäre uns längst langweilig geworden, wenn wir alles dürften, doch ist von solchen Antipoden ähnlich wenig zu halten, wie von den Propheten des Untergangs als Folge zu freier Sexualität, wie es manch Konservativer gern dem römischen Reich nachsagte, was tatsächlich aber erst christlich und also vermeintlich moralisch geworden unterging, weil es mit der nach Konstantinopel östlich verlagerten Hauptstadt dem Druck der Völkerwanderung nicht mehr standhalten konnte, die vielfältige Ursachen hatte und sicher am wenigsten an freierer Sexualität im ehemaligen römischen Reich lag, eher im Gegenteil.

Sich bewusst zu sein, welch Instrument der Macht auch in Beziehungen von Partnern die Sexualität immer wieder sein kann, wie sie benutzt wird, um Anerkennung oder vermeintlich Liebe zu erkaufen, zum Wohlverhalten zu erziehen, macht deutlich warum der Sex und seine Regelung für alle Formen des Aberglaubens, der mit abstrusen Theorien das Zusammenleben ordnen möchte, eine so große Bedeutung hat. In Zeiten von Tinder oder Joyclub ist dem Staat dieses Mittel der Sanktionierung in den westlichen Gesellschaften weitgehend genommen worden, gerade wird sich nicht ohne Grund auf den Bereich Pädophilie kapriziert, was wieder die Relativität aller Werte zeigt.

Spannend aber wäre, wohin eine wirklich aufgeklärte Gesellschaft tendierte, in der jeder sich seiner Neigung entsprechend auch öffentlich ausleben könnte, was zwar theoretisch bereits besteht, real aber durch Emotionen, das überkommene Modell der Ehe und vor allem das gewohnte Konstrukt der Familie verhindert wird. Familie tut Kindern wohl zum Aufwachsen gut. Es hilft ihnen, einen Weg im Leben zu finden, wird angenommen.

Ist die klassische Familie mit offener, freier Sexualität langfristig vereinbar?

Brauchen wir diese noch, wenn nicht und was ist wichtiger für ein langfristig glückliches Leben - eine heile Familie oder abwechslungsreicher Sex?

Müssen insofern Entscheidungen getroffen werden, kann sich an Modellen, die so alt wie die Menschheit sind, wirklich etwas ändern oder ist alles menschliche einem beständigen Prozess der Wandlung und damit auch Evolution entworfen?

Wie kann zwischen natürlichen Trieben und sozialen Bedürfnissen ein Weg gefunden werden, der uns dauerhaft glücklich macht?

So warf die heutige Lektüre viele Fragen auf, für die es keine einfachen schematischen Antworten gibt. Vielleicht muss ein neuer Weg gesucht werden, der einem postreligiösen Denken und einer mündigen Sexualität gerechter wird als das alte Modell von Familie, wobei ich mich als Anhänger dieses Modells, in dem ich auch mit viel Glück aufwuchs, frage, was kann davon wie am besten erhalten werden und was vergessen wir lieber schnell wieder als bloßen Ausrutscher. Der Spruch der 68er, wer zweimal mit der gleichen pennt gehört schon zum Establishment, zeugt eher von wenig Erfahrung mit gutem Sex, der für mein Gefühl Zeit braucht, aber war zumindest ein Aufbruch. Die Beliebigkeit beim Sex scheint mir dagegen keine Lösung zu sein, um familiäre Strukturen zu erhalten. Vielleicht braucht es Zwischenformen und Übergänge, um was bewahrenswert ist, zu erhalten, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen, vielleicht tut eine gewisse Enthaltsamkeit um eines anderen Wertes wegen, eben der Familie, sogar allen Beteiligten dabei gut.

Hier die Strukturen der Macht auch aus den Religionen zu erkennen, hilft langfristig, freier zu werden, denke ich, warum die Lektüre von Christina von Brauns Blutsbande dringend empfohlen sei, denn was ist eine Freiheit wert, die wir uns nur allein nehmen, statt sie unseren Idealen entsprechend auch gemeinsam zu leben, wozu die Familie als Basis gehört, sage ich als Vater einer erwachsenen Tochter, der es nicht ein Leben lang mit deren Mutter ausgehalten hat, so wenig wie sie mit mir. Ist das Ideal der unsterblichen Liebe Geschichte und eher störend, sollten wir Momente mit Lebensabschnittspartnern so gut wie eben möglich genießen oder lieber weiter nach Dauer streben, an den Unsinn der Liebe glauben, um der Familie eine Chance zu geben, frage ich mich und tendiere zur Liebe, trotz schlechter Erfahrungen damit immer wieder, um der Familie wegen - aber manche sind eben unbelehrbar, was Analytiker vermutlich auf eine frühkindliche Prägung zurückführen, der ich mir sehr wohl bewusst bin und die ich sogar gutheiße - es könte schlimmer kommen.

jens tuengerthal 26.5.20

Montag, 25. Mai 2020

Lesereise 25.5.20

Heute war die Lesereise relativ kurz führte aber auch in nur zwei Bänden nicht weniger weit.

Zunächst ging es wieder auf die Pfaueninsel, wo Marie den Besuch der königlichen Familie mit Experten als kaum beachtete Randfigur beobachtete. Interessant dabei auch für die weitere Lektüre war ihre Beobachtung des Affen und wie sie über die Ähnlichkeit nachdachte, sich nach dessen Gedanken und Bedürfnissen sehr menschlich fragt.

Nebenbei belauscht sie noch ein Gespräch der Geliebten des Königs mit anwesenden Wissenschaftlern, in dem es primär um Sexualität geht, auch wenn natürlich, des Anstands wegen, die der Tiere, was allerdings ihr ein wenig vorgeschoben scheint.

Gerne reden wir über Sex unter dem Deckmantel der Wissenschaft und ich kann mit meiner zugegeben geringen statistischen Erfahrung bestätigen, dass dies durchaus zielführend sein kann, falls in diesem hochemotionalen Bereich von so ökonomisch klingenden Dingen wie Zielerreichung die Rede sein kann.

Zumindest geht es dann schon um das eine, worüber Menschen auch in Zeiten der Pandemie zu gerne reden und nachdenken. Es ist uns eben relativ naheliegend, berührt den springenden Punkt, zeigt aber zugleich, wie fern es uns aus sittlich moralischen Gründen oft liegt, direkt davon anzufangen, warum wir dabei so gerne Umwege nehmen, bei dem die Wissenschaft und das Tierreich zumindest eine seriöse Basis bieten.

Neben dem Gespräch der herzoglichen Geliebten werden noch die teilweise bereits erwachsenen Kinder des Königs erwähnt, darunter der bereits mit einer bayerischen Prinzessin verheiratete spätere Friedrich Wilhelm IV., der wohl, was hier ja noch ausnahmsweise nur galt, deshalb der Erwähnung wert ist, eine Beziehung voller Liebe führte, die dennoch kinderlos blieb, was gerüchteweise an seiner Impotenz gelegen haben soll, eigentlich egal ist aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleibt, um weiter im sexuellen die Aufmerksamkeit der Leser zu locken, was Hettche literarisch seltener so gut gelingt. 

Auch der jüngere Bruder, der spätere Wilhelm I., der sich 1848 einen Namen als Kartätschenprinz machte, weil er die Revolutionäre alle abschießen, wörtlich kartätschen, wollte und auch von übrigen Prinzen und Prinzessinnen wird gesprochen, sogar von verheiratet abwesenden in Russland, was wieder etwas oberlehrerhaft wirkt aber nett geplaudert wurde für alle Freunde der Hohenzollern, wie die Schwaben in Berlin hiessen. Das ist unterhaltsam und baut Brücken in die preußische Geschichte, wird aber nur erzählt, nicht in die Handlung eingebaut, die für sich sprechen sollte, wollte ich streng darüber urteilen, was ich mir vor dem Ende nicht erlaube.

Zu Ende gelesen habe ich heute aber die Geschichte von Adam und Eva von Stephen Greenblatt und ging dafür wieder mit ihm nach Uganda, Seine Gedanken zum Sozialverhalten der Schimpansen und den entscheidenden Unterschied in der biblischen Geschichte der Menschwerdung sind spannend, zeigen, ohne es je auszusprechen, das absurde der Schöpfungsgeschichte, die der Natur in so vielem und gerade bei der Sexualität widerspricht.

Greenblatt rekapituliert die Gedanken der Geschichte noch einmal im Angesicht der Natur und vor unseren nahen Verwandten den Primaten, weist darauf hin, dass diese eben keine Scham kennen, sich auch nahe dem Lager, quasi öffentlich, sexuell beglücken und betont damit scheinbar den von vielen Gläubigen gern hervorgehobenen Unterschied zwischen Tier und Mensch. Ganz nebenbei erzählt er uns dann, dass dies fragliche, zärtliche Paar von Affen, sich bewusst von den anderen entfernte, in die Nähe des menschlichen Lagers gingen, wo sie sich ungestört fühlen konnten beim geplanten Sex, wovon auf den Bäumen in Nachbarschaft der anderen nicht auszugehen war, vor allem hätte der Primus der Gemeinschaft dann seinen Rang gefordert.

Auf der Suche nach Sex, von Liebe dürfen wir ja mangels Bewusstsein kaum reden, auch wenn die vorsichtigen Zärtlichkeiten, bei denen es nicht nur um den zwölf Sekunden Akt ging, ganz danach wohl aussahen, enthält sich Greenblatt geschickt jeder Wertung, betont lieber den Unterschied aus historischer Sicht. Doch liegt es nicht näher, sich in die Nähe artfremder Wesen, hier eben Menschen, zu begeben, die körperliche Nähe mit irgendwie Zuneigung ungestört zu genießen?

Frage mich, ob Tiere oder andere Menschen mich bei der Suche nach Zweisamkeit mehr störten. Abgesehen mal von den eigenen Allergien, welche etwa die Gegenwart von Katzen zur Hölle machen kann aber nicht muss, wie ich schon verwundert dabei feststellte, stören mich anwesende Tiere dabei weniger als etwa Verwandte, die zusähen oder hörten.

Für körperliche Nähe ungestört sein wollen, dazu auch einen sonst riskanten Platz aufsuchen, um nicht von Artgenossen gestört zu werden, klingt eher ziemlich menschlich, dachte ich bei der Lektüre. Auch die vom hier Voyeur Greenblatt beschriebene Annäherung mit vorsichtig zartem beschnüffeln und lecken der Körperöffnungen, kam mir sehr menschlich vor, schien zumindest verliebt nachvollziehbar.

Die Primaten haben sich dafür keine Götter ausgedacht, vermuten wir zumindest, aber ihr Paarungsverhalten ist dem der Großstädter in Zeiten von Corona nicht völlig unähnlich und ich kann nicht behaupten, dass mich die Anwesenheit von Ratten oder des hiesigen Fuchs dabei gestört hätte, im Gegenteil ließ die tierische Romantik oft sogar noch näher zusammenrücken.

Wie sich das Pärchen von Schimpansen nach dem ersten Austausch oraler Zärtlichkeiten wieder in die Büsche schlug und die neugierigen Beobachter nur mit Mühe folgen konnten, spricht auch für eine klare Verwandtschaft dabei. Ob dies nun bedeutet, sobald es um Sex und vielleicht auch Liebe geht, handeln wir rein triebhaft oder darauf hindeutet wie ähnlich, geplant und teilweise vernünftig auch Affen dabei handeln, nur vermutlich ohne kirchliche Moral, bleibt ein spannendes Thema.

Diese Frage lässt sich, darauf deutet wohl alles hin, nicht völlig eindeutig beantworten und je mehr wir über unsere nahen Verwandten im Tierreich erfahren, desto deutlicher wackelt die Krone der angeblichen Krönung der Schöpfung, die sich gerne überlegen fühlt, weil wir aufgrund anderer Einschränkungen die Macht dazu ergreifen mussten.

Es lohnt sich sowohl für die Beurteilung unseres eigenen Verhaltens wie zum besseren Verständnis des Miteinanders, über diese Fragen und die Auswirkungen der Moral nachzudenken. Was tut uns wirklich gut, was entfernt uns eher von unserer Natur, womit sind wir zufrieden, gibt es nötige Normen oder ist alles austauschbar.

Bei der Suche nach Nähe und Sex verhalten wir uns den Primaten nicht unähnlich. Täte es uns besser, wir wären im Bereich Sex auch so natürlich frei wie diese oder haben gewachsene soziale Regeln, die mit der Scham von Adam und Eva begannen, die uns durch ihre Sünde das Bewusstsein öffneten, einen guten Wert, sind sie biologisch teilweise sinnvoll und nötig wie das Verbot der Inzucht, wo behindern sie die Suche nach Befriedigung mehr als sie die Lust fördern?

Bis heute ist der Bereich Sexualität je nach gerade gesellschaftlicher Mode stark kriminalisiert - was früher die Homosexualität eine Zeitlang war, ist heute die Pädophilie als das große Tabu.

Um die weibliche Sexualität wurden von uns Menschen dabei viele Mythen gesponnen, vielleicht auch weil, was am stärksten anschwillt, der nervus pudendus zwischen Klitoris und Anus, unsichtbar ist - sich nicht mit der Zeugung verbunden zeigt, was manche Sekten, wie die aus Rom, bis heute leugnen. So erfanden Menschen scheinbar wissenschaftlich fundiert den sogenannten G-Punkt, den es überhaupt nicht gibt, der nur das Gebiet beschreibt, in dem der geschwollene nervus pudendus die Vagina berührt, was er, glauben wir neuerer Statistik und eigener Erfahrung nur in wenigen Fällen tut oder jedenfalls erst dann, wenn der innen verlaufende Nerv genug geschwollen ist, was die Frage nach der Notwendigkeit des Vospiels klärt. Technisch nicht nötig, vor allem, sofern durch andere Reize bereits ein Zustand gehöriger Erregung erreicht wurde, der schwellen ließ, aber dennoch eher förderlich vor allem um das, was wir für besonders halten, unser Gefühl, zu genießen, wie es auch, wie oben beschrieben die so paradiesisch lebenden Primaten tun, denen wir ähnlicher sind als wir ahnen.

Über all diese Bereiche offen zu reden, um Sexualität wirklich gemeinsam genießen zu können, wäre ein Schlüssel zu Freiheit und Glück, von dem große Teile der Menschheit noch weit entfernt sind. Wir haben zum Glück das Bewusstsein, uns über unser Handeln im klaren sein zu können, zumindest theoretisch und soweit nicht ungestillte Triebe uns den Rest Verstand völlig vernebeln. Auf diese Chance mit Scham zu reagieren, ist absurd und albern - damit umgehen zu lernen, könnte uns viele Wege zum Glück eröffnen auch in Sexualität und Liebe, die Teil unserer Natur auch ist

Beerdigen wir die alte Geschichte von Adam und Eva endlich, die ihrem ganzen Wesen nach, nichts gutes bewirken konnte - wenden wir uns lieber dem viel älteren Epos von Gilgamesch wieder zu, einer städtischen Kultur, die menschliches gut verstand und schicken wir die Knaben in die Lehre zu ehrlichen und selbständigen Huren, um Liebe und Lust zu lernen, zu der auch Herikat im Gilgamesch-Epos ging. Natürlich gilt für junge Frauen heute das gleiche, womit eine kritische Betrachtung der Gründungsmythen uns im Zusammenleben und der Lust dabei weiter bringen kann. 

So ist die Geschichte von Adam und Eva von Stephen Greenblatt allen Leserinnen und Lesern aus vielfältigen Gründen sehr zu empfehlen - zur Pfaueninsel äußere ich mich lieber erst nach ihrem Ende.

jens tuengerthal 25.5.20

Reisekultur

Ist Reisen noch kultiviert
Oder schlicht vorgestriges
Verhalten derer die nicht
Begriffen haben was Luxus
Im Zeitalter der Beliebigkeit
Wertvoll eben nicht austauschbar
Mehr macht warum es dabei
Mehr auf Dasein als wegfahren
Ankommt was nicht nur vielfältig
Ökologisch asozial ist weil der
Transport Schäden verursacht
Sondern schlimmer noch weil
All die Reisenden massenhaft
Mikroorganismen einschleppen
Die ihrer Heimat fremd sind
Welche Wälder sterben lassen
Ökosysteme völlig aus dem
Gleichgewicht bringen auch
Wie gerade von vermeintlich
Ökologisch korrekten Trekkern
Reisen war Teil unserer Kultur
Gehört zu unserer Geschichte
Sich damit zu beschäftigen
Ist völlig in Ordnung wie mit
Historie und Entwicklung sonst
Dafür gibt es Bücher Museen
Filme wie andere Dokumente
Wir können virtuell heute leicht
Jeden Ort anschauen ohne
Damit Schäden anzurichten
Zu meinem überall hin zu
Müssen ist vorgestrig was
Kant schon vor 200 Jahren
Begriffen hatte verstehen
Manche bis heute nicht
Weil sie das authentische
Erlebnis für wichtiger halten
Als verantwortliches Handeln
Was nicht verwunderlich ist
Eine interessierte Industrie
Lenkt uns unkritisch dahin
Darum ist es endlich auch
Zeit für uns umzudenken
Selbst gegen den Strom
Die Welt geistig zu erkunden
Der einzige Weg zu verstehen
Was sie wirklich zusammenhält
Es ist vernünftig wie bequem
Ermöglicht luxuriöses Leben
Statt lächerlicher Abenteurer
Die andere besser erlebten
Orte erobern zu wollen durch
Persönliche Anwesenheit ist
So vorgestrig wie der Kult um
Jungfrauen mittelalterlich nur
Für ahnungslose Liebhaber
Von Interesse noch sein kann
Die nie guten Sex miteinander
Also gleichberechtigt hatten
Wirkliche Reisen sind geistig
Erlebnis ist Nähe nicht Ferne
Aber es ist müßig zu predigen
Manche brauchen noch etwas
Zu begreifen wie zu genießen
Was wirklich kostbar ist solange
Hetzen sie durch die Welt ohne
Genuss als die Bestätigung der
Selbsterfüllenden Prophezeiung
Zerstörten sie nicht so viel
Ganz nebenbei belächelte ich
Die armen Reisenden mitleidig
Am Ende siegt die Vernunft
Reisen hat keine Zukunft mehr
Dasein dafür um so mehr

jens tuengerthal 25.5.20

Sonntag, 24. Mai 2020

Lesereise 24.5.20

Mit Adam Smith die Reise
Nach Frankreich vorbereitet
Eine echte Kavalierstour
Für die der Professor als
Reisebegleiter sogar seine
Stelle an der Universität
Aufgab da deutlich besser
Bezahlt lohnte es sich mehr
Wie doppelt da bis zum Ende
Seines bevorstehenden Lebens
Die bessere Bezahlung so
Zugesagt er forschen konnte
Der Süden seinem Asthma half
Zumal ihn in Frankreich viele
Reizvolle Salons erwarteten
Auch wenn er philosophisch
Eher ein Gegner des Reisens
Damit seiner Zeit weit voraus
Hat er wohl positiv gewirkt
Auf seinen Zögling aus altem
Herzoglich schottischen Geschlecht
Ist es spannend zu erfahren
Wie die Kavalierstour damals
Als Teil der Erziehung wie zur
Brautschau gedacht war die hier
Wohl bereits vorher erfolgreich
Mit echtem Gefühl war aber der
Hochadel heiratete auch damals
Europäisch da die eigenen Kreise
Etwas eng für eine gesunde Wahl
Waren wie das Haus Habsburg ja
Über Generationen inzüchtig der
Welt eindrucksvoll vorgeführt hatte
Doch hier ging es eher um den
Letzten Schliff der Erziehung wie
Die Kenntnis der damals auch
In Fragen der Kultur führenden
Franzosen wie ihrer höfischen
Bräuche und Sitten sowie die
Einführung in die Salons der
Europa prägenden Aufklärung
In Smith später berühmten Werk
Zeigte sich die prägende Wirkung
Dieser Reise immer wieder was
Die Briten aber lieber verschwiegen
Um ihren großen Ökonomen wie
Philosophen nicht zu französisch
Beeinflusst wirken zu lassen
So beendete ich dieses Kapitel
Gespannt auf das was kommt
Wenn die Reise nun beginnt
Im nächsten Band verließ ich
Die engen Grenzen der Erde
Blieb aber im Geist der Aufklärung
Zumindest der Epoche verbunden
Las Giacomo Leopardis Opus
Ein Gespräch von Erde und Mond
Bei dem die Erde dem eher stillen
Trabanten viele naive Fragen stellt
Die dieser klar zurückweist damit
Auf die Relativität der Perspektive
Etwa in der Frage was bewohnt 
Aus anderer Sicht heißen konnte
Aufmerksam macht was bei aller
Absurdität dieses Dialoges einen
Spannenden Blick auf unsere stets
Beschränkte Perspektive gibt was
Lange bevor Menschen jemals
Den Mond betreten konnten ein
Visionärer Gedanke im Geist der
Toleranz in diesem Fall war der
An die Reise zum Mond erinnert
Die Cyrano de Bergerac 200 Jahre
Zuvor geschrieben hatte als frühen
Science-Fiction der hier in einem
Netten Band der Insel-Bibliothek
Irgendwo in den Reihen noch steht
Wo sonst ausser natürlich Lem
Wenig aus dem Weltall sich findet
Die möglichen Missverständnisse
In gut gemeinter Kommunikation
Um die sich unsere Erde mit dem
Etwas griesgrämigen Mond bemüht
Den sie nicht aber verstehen kann
Sind wirklich aufklärerisch erhellend
Aus dem Weltall ging es dann auf
Die dem orthodoxen Himmel eher
Zugewandte Insel Athos mit Byron
Der britisch humorvoll beschreibt
Wie sie uralte Klöster am Fuß des
Berühmten Berges besuchen dort
Familie manche Türen öffnete aber
Auch in den so heiligen Gefilden
Vieles sehr menschlich bleibt
Was Byron liebevoll distanziert
Mit großer Sachkenntnis beschreibt
Ganz menschlich bleibt es auch in
Georg Herrmanns Kubinke wo
Der Friseur gleichen Namens
In Gegenwart der neuen Köchin
Einer böhmisch geprägten Wienerin
Mangels trauter Zweisamkeit mit
Seiner lang vermissten Verlobten
Dispute mit dieser über die nötigen
Anschaffungen zur Hochzeit führt
Sich romantisches nur bei kurzen
Spaziergängen noch einstellt was
Ein ziemlich realistischer Spiegel
Des Lebens ist in der die Liebe
Wie alle Romantik zu gerne sich
In Luft auflöst sobald es ernsthaft
An die Organisation des Lebens
Was zwei führen wollen geht
Wie ich aus vielfacher Erfahrung
Mit Damen verschiedenen Alters
Nur zu gut lächelnd bestätigen kann
Diesem Thema noch einmal wohl
Entkommen betrachte ich diese
Ironische Beschreibung aus dem
Berlin der Kaiserzeit lächelnd
Denn viel geändert hat sich nie
Was auch die Gedanken etwa
Von Thomas Mann in seinem
Joseph und seine Brüder bestätigen
Die organisierte Liebe bleibt stets
Kompliziert warum andere Formen
Genossener Gemeinsamkeit sich
Aus Erfahrung eher anbieten 
Sofern wir die Wahl haben und
Was hier am schwersten wiegt
Das Leben genießen wollen 
Warum die alten Rezepte zur
Organisation von Ehen die meist
Eher pragmatisch als von Liebe
Verführt waren in vielem besser
Zumindest seltener enttäuschend
Wie verletzend im schwarz-weiß
Der Abrechnung nach Beziehungen
Endeten weil es nicht nur um stets
Irrationale Gefühle dabei ging
So macht auch der humorige
Roman Kubinke nachdenklich
Über Beziehungsmodelle noch
Was manch pragmatisches viel
Vollkommener scheinen lässt
Als es mit dem Traum von Liebe
Der oft im Hinterkopf schwebt
Je vorstellbar war was belegt
Wie traumhaft schön uns die Welt
Sein kann sofern wir uns beizeiten
Von hindernden Träumen befreien
Zumindest kommt es mir gerade
Befreit bei der Lektüre so vor
Der dann Wechsel wenn schon
In Berlin zu Friedrich Luft wie
Seinen Gedanken im Band
Berliner Luft über das Reisen
Ist passend und harmonisch
So berichtet Luft über den
Justitiar der auf die übliche Frage
Wo es denn hingeht antwortet
Mit schlichter Schönheit in den
Südharz beigeistert den Autor
Der das viele schnelle Reisen
Was viel sehen und erleben will
Wie der Autor dieser Zeilen eher
Ablehnt und infrage stellt weil
Unruhe Menschen nie weiterbringt
Was wir in Zeiten von Corona
Zumindest einen Sommer lang
Alle hätten üben können aber
Schon bemühen sich ferne Ziele
Wieder um Öffnung um den Unsinn
Weiterzuführen den wir uns auch
Klimatisch nicht mehr leisten können
Aber wann herrscht schon Vernunft
Wenn es um Arbeitsplätze geht
Wie die Rettung der Ökonomie
Dann geht es um Glaube an das
Bewährte System was stabilisiert
Werden soll um weiter zu machen
Wie wir es schon immer kennen
Weil sonst der nahe Untergang
Prophezeit wird umgehen wir auch
Eigentlich gebotenes seit Jahren
Doch die Angst vorm Untergang
Leitet weiter zum nächsten Band
Henschels Menetekel der wie alle
Heute erwähnten auch der
Anderen Bibliothek entstammt mich
Humorvoll darauf hinweist wie noch
Jede Generation ihre Szenarien
Des Untergangs vor sich sah was
Am Ende wieder hilft alles lieber
Zu relativieren statt nur den einen
Weg zum Glück zu suchen besser
Lächelnd mit viel Toleranz gute
Kompromisse im irgendwo noch
Zu suchen wo es darum geht wie
Es uns möglichst gut gehen kann
Statt ständig Panik zu bekommen
Was dem Denken Adam Smiths
Der das Glücksstreben menschlich
Nannte sich näher womit sich am 
Ende der Lektüre der Kreis wieder
Zum Anfang schließt was auch
Trotz vieler verschiedener Bände
Die Lektüre rund abschließt da
So unterschiedlich es war alles
Irgendwie zusammenhängt

jens tuengerthal 24.5.20