009b Kulturdialektik
Was ist Kultur und steht sie im Gegensatz zur Natur?
Nach der gängigen Definition ist Kultur jede menschliche Hervorbringung, die im Gegensatz zur von ihm nicht gestalteten sondern vorgefundenen Natur steht. Kultur ist aber auch das System von Regeln und Gewohnheiten, mit denen wir unser Zusammenleben ordnen. Kultur wird manchmal einer bestimmten Menschengruppe zugeordnet, die bestimmte Fähigkeiten erworben hat oder auch für die Unterscheidung von Mensch und Tier gewählt.
Ob das gerade bei Tieren wirklich stimmig ist, oder sich nicht im Gegenteil viele Beispiele finden, vom Blindenhund, der für seinen Herren auch gegen seine Natur die besten Wege findet, bis zum Radar der Zugvögel, das aller menschlichen Technik noch präzise überlegen zu sein scheint, die für eine teils höhere kulturelle Entwicklung der Tiere spräche, wäre der Frage wohl wert.
Das Wort Kultur selbst stammt vom lateinischen cultura, was urbar machen unter anderem heißt, wir nutzen den Begriff kultivieren im Ackerbau noch heute ganz ähnlich. Ist der Ackerbau immer Landwirtschaft oder nur, wenn es dabei um Handel und Märkte auch geht, nicht um die Eigenversorgung aus der Natur, frage ich mich ganz nebenbei und bemerke wie schnell die Grenzen von Kultur zur Natur verschwimmen und wie wenig wirkliche Natur es in diesem nahezu überall bewirtschafteten Land es noch gibt. Ist das nun schlimm, frage ich mich und denke, ein kultivierter Park oder Garten gefällt mir meist besser als ein Urwald, der doch eine eher lebensfeindliche Umgebung für kultivierte Menschen ist.
Mag Natur sehr gerne und wollte nicht ohne sie leben, auch wenn mir meine Bibliothek in der Nähe viel wichtiger als ein erreichbarer Wald ist, doch gefällt sie mir kultiviert noch besser als völlige Wildnis. Der Urwald in Kanada etwa, war beeindruckend, aber leben wollte ich da nicht und ziehe zum flanieren einen gut kultivierten Berliner Park immer vor, muss da nicht wieder hin.
Dagegen fand es meine letzte Verlobte sehr erstrebenswert, die Elemente direkt zu spüren, war nicht umsonst Nautikerin neben der Schauspielerei und fand es nicht weiter schlimm, wenn der Sturm alles ein wenig durcheinander warf. Sie fuhr gerne in den Wald, wollte die Natur fühlen und dabei ganz bei sich sein und ich fand die Vorstellung mit einem Buch im Sessel bei einem guten Tee zu sitzen doch immer verlockender. Die Elemente auf dem Meer zu spüren, fühle ich keinerlei Bedürfnis, im Gegenteil werde ich alles tun, solches Schaukeln zu vermeiden. Wer von uns beiden darum kultivierter wäre, wüsste ich nicht zu sagen und glaube auch nicht, dass es darauf ankommt.
Ob wir an dieser Gegensätzlichkeit der Bedürfnisse scheiterten oder an der Inkompatibilität der sonstigen Lebensumstände, weiß ich nicht, denn der Wunsch nach nach großer Liebe und das Gefühl war bei beiden zunächst da und schien sehr passend, auch sonst sah alles nach großem Glück aus und fühlte sich perfekt an, wäre uns nicht die Realität dazwischen gefunkt und plötzlich fragte ich mich, ob es nicht vielleicht der unterschiedliche kulturelle Hintergrund war, ihre DDR-Biografie bis 21 und meine als Wessi bis 19.
Dagegen spricht andererseits die große auch kulturelle und geistige Nähe, die mich mit vielen anderen Menschen aus dem Osten verband, auch wenn der unterschiedliche Hintergrund dort nie so ein Thema war, der es erst wird, wenn du planst eine Familie zu gründen und so von der Ebene großer emotionaler Nähe zum auch sachlichen Zusammenpassen kommst.
Wie kompatibel wir teilweise längst sind, zeigen viele funktionierende Ehen, könnte nun eingewandt werden, doch zeigt eine Ehe an sich noch gar nichts, außer dass zwei sich mal versprochen haben, es ein Leben miteinander auszuhalten und wie gut das funktioniert, liegt eben auch an der jeweiligen Anpassungsfähigkeit. Die Fähigkeit sich aneinander anzupassen und es als Mann und Frau ein Leben lang miteinander auszuhalten, ist vielleicht die größte kulturelle Leistung überhaupt, auch darum schreibe ich gerade davon.
Vielleicht sind die Beziehungen von Mann und Frau und was wir dafür taten, geliebt zu werden oder Sex zu bekommen, überhaupt erst der Anfang aller menschlichen Kultur. Der Ur-Mann gab sich kultiviert, behaute seiner Holden einen Stein mit ihrem Abbild, den spätere Generationen als Venus von Willendorf fanden und dem sie große Mythologie andichteten, auch wenn es genauso nur Kunst oder Angeberei gewesen sein könnte - vor den Jägerfreunden etwa, schau was sie für dicke Titten hat und sie hat die Haare schön, da kommt es doch aufs Gesicht gar nicht mehr an, höhöhö oder als Liebesgabe, trifft es dich nicht zu gut meine Schöne, dein wogender Busen, die schönen Locken, sehen aus wie bei Zonen-Gaby frisch gelegt.
Wenn Männer Frauen beeindrucken wollen, können sie plötzlich einiges, was ihnen vorher keiner zugetraut hätte. Auch tun Frauen manches, was im Alltag keiner je erwartet hätte, wenn es darum geht, einen Kerl an sich zu binden.
Der Anfang der Kultur, die ja so dialektisch zur Natur sein soll, liegt also vermutlich wiederum im ursprünglichsten Trieb der Natur, dem nach Sex und Fortpflanzung und so gesehen geht es bei Kultur immer auch um Sex irgendwie. Den erstrebten oder den erhaltenen.
Vorab bringt der Steinzeit-Adam seiner Eva die schönsten Steine, die tollste Jagdbeute, bemalt seine Höhle mit Bildern von ihr. War es gut, wird er dankbar sein und wieder wollen und um gnädige Frau bei Laune zu halten, wird er ihr weitere Schmuckstücke aus dem Stein schlagen, wie eben in der Steinzeit üblich, schöne Sachen als Sammler in der Umgebung suchen, wenn er nicht zum großen Dichter oder Sänger selbst taugt. Wer glaubt, es sei bei denen damals irgend anders gewesen, als es bei uns heute ist, gibt sich einer großen Illusion hin.. Angesichts unserer hohen genetischen Ähnlichkeit steht zu Vermuten, dass es schon immer ganz genauso war und sich nahezu nichts je verändert hat, was die Begattung und die aus ihr gewachsene Kultur betrifft.
Die Steinzeit Eva wird ihren Adam angeraunzt haben, in welcher Sprache auch immer, aber ich bin überzeugt, Frauen können das auch ohne alle Worte allein durch Blicke oder Stöhnen, wenn er voller Stolz die schmutzige Beute in die frisch gekehrte Höhle schleppte und er wird sich auf die Brust geschlagen haben und verständnislos auf die Beute gezeigt haben, die sie doch freuen müsste, wochenlang die Ernährung gesichert, Felle, Knochen, alles was das Herz der Steinzeit Eva höher schlagen lassen müsste, doch sie wird dies großartige Werk geflissentlich ignoriert haben, bis er sich schlechten Gewissens an die Höhlenordnung wieder hält.
An dieser Verhaltensweise hat sich bis heute nichts geändert. Wenn eine Frau sich um die Ordnung des gemeinsamen Heims bemüht und über Adams Schlampigkeit ungehalten wird, sie ihm vorhält, will sie sich dauerhaft binden, ob es dabei noch um Jagdbeute geht oder Straßenschuhe oder Ölfinger ist völlig gleichgültig, manches spricht dafür, dass diese Kulturleistung der Frau, die sich um die Pflege des eigenen Heims kümmert, schon genetisch programmiert ist wie der vorgeblich weniger kultivierte Jagdinstinkt des Mannes.
Überhaupt fragt sich, wie wir die kulturelle Leistung der Frau von ihrem Triebverhalten, bei dem es auch um die Herrschaft in der Höhle geht, klar unterscheiden. Ist vielleicht die erzwungene Strategie einer Ordnung, das erste Element der sozialen Strukturierung auf dem alle spätere Gesellschaft aufbaut?
Pflege ich hier nur dumme Vorurteile und wird es auch Jäger gegeben haben, die lieber in ihrer Höhle blieben, wie ich bei meinen fein säuberlich geordneten Büchern und Evas, die lieber in die Welt zogen, wie meine schauspielernde Kapitänin?
Bestimmt gab es die, wie es immer alles gibt und geben kann, jede Ausnahme die Regel nur bestätigt, meine Kapitänin fuhr im Sturm um Gibraltar und klagte nicht, wenn die Sachen durch ihre Kabine flogen, kam wieder und regte sich über ungeputzte Scheiben und ähnliches auf, durch was ich nicht mal mehr sah, hatte eine irgendwie permanente Unzufriedenheit, weil ich nicht ständig etwas unternehmen wollte und dies Ansinnen eher lästig fand.
So scheint manches unterschiedlich und austauschbar und anderes fast genetisch festgelegt, wie die Dekoration zu Weihnachten, ob sie nun einem Aberglauben huldigen oder gänzlich ohne erzogen wurden, scheint ein solches Bedürfnis bei nahezu allen Frauen, die ich bisher nah genug kennenlernte, dies zu erfahren, in den Genen angelegt zu sein. Diese beiden Tendenzen im Wesen, die ich gar nicht näher benennen will, um sie und mich nicht zu beschränken, seien sie nun genetisch oder jedesmal neu hormonell bedingt, sind ein wichtiger Teil unserer kulturellen Leistungsfähigkeit und haben Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, überhaupt erst entstehen lassen.
Wenn ich mich in einen Text oder ein Buch vertiefe, sehe ich keinen Staub und keine schmutzigen Scheiben, ist mir mein Badezimmer völlig egal und tue ich nur, was zum angenehmen Leben noch gerade nötig ist, weil ich eben voll bei der Sache bin. Widme mich mit ganzer Kraft der Kultur und verhalte mich dafür meiner nächsten Umgebung gegenüber vielleicht etwas unkultivierter, weil ich kulturelle Prioritäten setze, was ich nur von wenigen Frauen so kenne.
Dusche, um mich zu reinigen, frisch zu riechen und auf der Balz erfolgreich zu sein. Frauen zelebrieren ihr Bad, manchmal stundenlang, gerne mit Schampus, Kerzen, viel Schaum und sonstigen Zutaten und ich, der manchmal dazu gerufen wurde, war immer etwas befremdet. Für Sex war die Wanne zu klein und zu eng, Vorspiel unter Wasser ist auch nicht so prickelnd und so hielt ich mich dabei immer lieber zurück, wenn Damen meine Wanne besuchten und beschäftigte mich anderweitig, bis Frau dann abgetrocknet wieder bereit war, feucht zu werden oder müde ins Bett ging.
Die Badewanne und das drumherum ist vermutlich auch so eine Kultur für sich. Männer die gerne baden, kenne ich wenige, ob es ein zufällige Auswahl ist, dass viele davon schwul sind, weiß ich nicht. Als kleiner Junge vor der Geschlechtsreife fand ich das auch toll, heute habe ich immer eher das Gefühl meine Haut weicht nur auf und ich kann sie danach tatsächlich in Streifen abziehen, was mich eher unkultiviert aussehen als glücklicher werden lässt.
Natürlich wäre ich für schönen Sex, wie fast jeder Mann, bereit einiges zu tun, auch in eine Badewanne zur Not einen Moment zu steigen, doch wer je in einer Wanne Sex hatte, weiß wie schlecht das meist geht und wie gravierend dafür die Folgen sein können, von Überschwemmungen bis zu Abschürfungen der Haut an den Armaturen, die immer im Weg sind, wird davon vernünftigerweise absehen. Nur leider scheinen wir, bei der Suche nach sexueller Harmonie einige sehr unvernünftige Dinge noch vorab überwinden zu müssen, es könnte ja sonst auch zu einfach sein.
Die Römer hatten übrigens, wie die Griechen auch, eine wunderbare Bäderkultur, die auch immer stark sexuell geprägt war ohne alle christliche Doppelmoral. Solches gibt es heute auch in Saunen, für diejenigen, die es gern heiß mögen, wenn auch das sexuelle Element, außer der Laden verdient genau damit sein Geld, dabei immer aus Prinzip geleugnet wird, was ich schon immer lächerlich fand.
Sehe ich eine nackte Frau nah, habe ich Lust auf mehr und wenn nicht, wäre das eher seltsam und gegen meine Natur, die ich auch am Strand nur unterdrücke. Sich dabei beherrschen zu können und sich dennoch am sexuellen Reiz zu erfreuen, hilft bei der gesunden Balance im Leben, die wir als kultiviert bezeichnen. Es zu leugnen, halte ich allerdings eher für unkultiviert verlogen.
Dank amerikanisch christlicher Prüderie haben sich da auch in Europa die Grenzen ein wenig verschoben und Facebook tat ein übriges dazu alles sexuelle öffentlich zu tabuisieren, statt es endlich befreit und überall nach Lust und Laune zu tun, damit Kinder lernen, wie schön das Leben sein kann und nicht mit dummer amerikanischer Prüderie der jüdischen Sekte Christentum verblödet werden.
Ob diese geistig rückschrittliche Entwicklung, die über den großen Teich, wo die Phantasten meinen, in God’s own Country zu leben, je ein Fortschritt in der menschlichen Kultur sein kann, scheint mir mehr als fraglich und speichere meine Texte bei Google Docs auch nachdem mich Google+ rauswarf nachdem ich zu oft explizit sexuelle Bilder passend zu meinen erotischen Gedichten gepostet hatte und ich so angewidert von diesem Denken bin, dass ich gar nicht mehr weiß, warum ich dieses virtuelle Spiel noch mitspiele.
Ist unsere Kultur der Freiheit gerade durch Muslime in Gefahr oder durch die widerliche amerikanische Prüderie?
Bis zur Jahrtausendwende, war es für mich völlig normal, dass Sex etwas ist, bei dem beide ihre Befriedigung suchen und finden. Falls nicht, stimmt dabei etwas nicht und es lag eine eher pathologische Ausnahme vor, die mir bis dahin nur in Promillezahlen begegnete. Seit 2010 aber scheint sich dies Verhältnis umgekehrt zu haben und ein offenes Gespräch darüber im Interesse der gegenseitigen Befriedigung und Freude dabei wird als eher lästig empfunden, die Sache wird wieder behandelt, als hätten wir nie eine sexuelle Revolution gehabt und jede zweite Frau findet es völlig normal, dabei nicht zum Höhepunkt zu kommen.
Ist das der Sieg der Puritaner über Europa oder nur eine besonders schlechte Auswahl unter den Damen die mir in Berlin und Umgebung begegneten?
Es scheint der normale Wahnsinn langsam zu werden und das Bedürfnis der Frauen daran etwas zu ändern, nimmt ab, das Engagement der Männer, sich weiter darum zu kümmern auch. Wir sind wieder auf dem Weg ins moralische 19. Jahrhundert. Frau erträgt es und macht nur, was nötig ist und Mann befriedigt sich in ihr, wenn er dabei noch kann, im Gegensatz zu mir, den diese leidenschaftslose Verrichtungssexualität eher impotent macht.
Das ist nicht normal und darf nie wieder normaler Teil unserer Kultur werden, denke ich voller Entsetzen und weiß doch, dass ich die zyklischen Bewegung in einer Gesellschaft nicht aufhalten kann. Ist das Liebesleben, als Produkt unserer Triebe, das immer wieder gewissen Moden unterlag, mal freier, dann wieder prüder, wie es der Herrschaft gerade gefiel und dem Aberglauben entsprach, der gerne auch die Sexualität dazu benutzte, den Untergang ganzer Kulturen etwa in der Bibel zu begründen. Sei es nun Babylon oder die Sintflut, überall spielte der Sex auch eine Rolle irgendwie.
Im Hohelied dagegen überlieferte die Bibel im Buch Salomon einen der erotischsten Texte der Weltliteratur und mit dieser Dialektik spielt das Christentum noch wesentlich extremer als seine Ausgangsbasis das Judentum. Das herumschnipseln am männlichen Geschlecht aus fadenscheinigen Gründen, hatten die Juden übrigens von den Ägyptern übernommen, die es aus fadenscheinigen Gründen taten, auch wenn sie es anders begründeten. Auch am weiblichen Geschlecht wurde in der weiteren Umgebung Ägyptens herumgeschnippelt und wird dies teilweise verbrecherisch bis heute getan, um diesen Wunderort zu zerstören und den armen Opfern alle Lust zu rauben, bis sie entdecken, dass es doch noch einen Weg geben kann.
Auch die Klitorektomie ist Teil einer Kultur, wie die Beschneidung und die Taufe und vieles anderes mehr, was uns der Aberglaube mitbrachte oder von diesem übernommen wurde. Es geht erstaunlich oft doch immer wieder um Sex und die Wege dazu, die dafür nötige Aufmerksamkeit zu gewinnen. Unsere Kultur verbietet diese Verstümmelung der Frauen, weil wir sie für unmenschlich und unkultiviert halten. Wie anmaßend diese beiden Worte zur Beurteilung anderer Kulturen sind, ist eine andere Frage. Dennoch ist es richtig, die Frauen vor diesem auf Aberglauben beruhenden Eingriff in ihre körperliche Integrität zu verschonen und im Wege der Aufklärung dagegen zu wirken. In der Sache unterscheidet sich die Klitorektomie als Kulturleistung in nichts von der Taufe und der Beschneidung und eines wie das andere hat in einer aufgeklärten Kultur nichts mehr verloren.
Aber sind wir überhaupt aufgeklärt und woran messen wir das?
Warum hielten sich die Kreuzritter des George Bush jr. für zivilisierter als ihre fundamentalistischen muslimischen Gegner?
Die Maßstäbe, die eine strenge Unterscheidung rechtfertigen, verschwimmen leicht. Wenn amerikanische Drohnen ein Krankenhaus in Afghanistan zerstören, wird das zwar bedauert ist aber nichts als ein Kollateralschaden, auch wenn diese mal wie beabsichtigt treffen und gezielt eine Hochzeitsgesellschaft von über 150 Menschen nahezu auslöschen, weil sie einen Terroristen nach Geheimdienstinformationen dort vermuteten, ist dies eben leider nötig. Wenn dafür ein Terrorist auf einem Berliner Weihnachtsmarkt 12 Menschen tötet, ist es entmenschter Wahnsinn, der uns völlig unverständlich ist und wird der Islam, in dessen Name der Täter handelte, verdächtigt, eine Terrorreligion zu sein; wo dem Kampf gegen den Terror hundertmal so viele Menschen zum Opfer fielen, wie den Terroristen, die sich auf den Islam berufen je, ist der Islam das Problem der Welt und nicht Amerika.
Ob es Zeichen einer hohen Kultur ist die Tötung von Millionen Menschen als eher unwichtig und minderwertig zu riskieren, um sich für wenige hundert Tote in seinem Einflussbereich zu rächen, wird eine der Fragen sein, der sich unsere Kultur wird stellen müssen, wer auch immer diesen Kampf nun gewinnt. Wohin die Siege der Populisten uns führen werden, wissen wir nicht und es bleibt nur zu hoffen, dass Europa aus schlechter Erfahrung nun genug Vernunft übrig hat, dass diese eine vernachlässigenswerte Randgruppe bleiben. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die NPD nicht zu verbieten, weil sie diese für zu unbedeutend hielt, war sehr weise und kann die Gesellschaft darüber nachdenken lassen, ob Verbote im Bereich der politischen Moral je etwas taugten. Sie stellt die Frage nach der politischen Kultur und der Offenheit des Diskurses.
Die Kultur taucht also in vielen Bereichen auf, die uns gerade politisch höchst problematisch erscheinen - so in der Konfrontation zwischen multikultureller Toleranz und national beschränkter Identität, die sich um ihren Tellerrand fürchtet. Die einen wollen die Kultur des Abendlandes verteidigen, in dem sie diese an ihren Grundsätzen angreift, zu denen Offenheit, Toleranz, Nächstenliebe und daraus folgend auch Asyl grundsätzlich gehören. Die anderen geben sich weltoffen und tolerant, ohne zu bedenken, wie schwierig es wird, Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund und einem anderen Frauenbild in eine offene Gesellschaft zu integrieren, ob es nicht klare Lösungen braucht, weil eine Gesellschaft nur beschränkt Zuwanderung aus sozial völlig anders orientierten Kulturen verträgt, ohne in ihrer Offenheit gefährdet zu werden.
Beide Seiten irren in Teilen und liegen in anderen ganz richtig, da sie manche Probleme besser sehen als ihre Gegner oder Chancen wie Risiken eher begriffen haben. Wenn es darum geht, dass diese Gesellschaft unbegrenzt Menschen aus einer anderen Kultur aufnimmt, ohne ihre eigene Kultur noch zu verteidigen, wäre dies leichtfertig und nutzte keinem. Wenn eine faktisch aussterbende Gesellschaft keine Menschen aufnimmt und aktiv integriert, beschleunigt sie nur ihren Suizid. Warum die germanischen Urwaldbewohner und ihre Nachfahren, die noch vor wenigen tausend Jahren hier auf den Bäumen saßen und keine Schrift kannten, kultivierter sein sollen als etwa Syrer, die von den Wurzeln der menschlichen Kultur kommen und diese darum das hiesige Weißbiernebelkulturerbe bedrohten, ist mir noch nicht verständlich gemacht worden.
Die Lügen der hohen Kriminalität durch Flüchtlinge, die faktisch einfach falsch sind, da im Gegenteil die Anzahl von Kriminellen unter den Flüchtlingen sogar deutlich unterdurchschnittlich ist, fruchten, weil sich natürlich die tatsächliche Zahl der Delikte erhöht, wenn fast eine Millionen Menschen in schwieriger sozialer Lage ins Land kommt und mit der Angst immer gute Geschäfte gemacht wurden, auch wenn jeder vernünftige Mensch weiß, es ist dummes Zeug und schlicht erlogen. So wurde die Lüge Teil unserer politischen Kultur und wird benutzt von den Menschen, die laut Lügenpresse schreien in ihrer Angst vor Bedrohung, die durch die von ihnen gehörten russischen Propagandasender noch weiter geschürt wird.
Wir nennen diese Kultur nun vornehm postfaktisch, auch wenn es das Ding an sich nicht weniger widerlich macht. Ein amerikanischer Präsident wurde dank der gezielten Verbreitung von faktischen Lügen gerade gewählt und die Welt wird sehen, wie er sich mit seinem Freund Putin verstehen wird und ob die beiden postdemokratischen Kumpel eine ganz neue Weltordnung planen, die dafür mehr Freiheit in Fragen der politischen Korrektheit wohl verspräche, worauf es der Welt langfristig ankommt um sich auch kulturell ruhig weiterentwickeln zu können.
Doch hat die bisherige politisch korrekte Kultur, in der immer mehr Frauen herrschten, es nicht geschafft, die Probleme der Welt besser zu lösen, ist nur in neue weitere Konfrontationen jeweiliger moralischer Anmaßung hereingestolpert, aus denen es kaum einen Ausweg als neue Kriege geben kann, die auch keiner wollen kann. Wir müssen uns also fragen, was die zentralen Aufgabe sind und wie wir sie am effektivsten zum Wohle der Kultur lösen, ob Konfrontation weiterführt und was von einem großen Sprüchemacher zu halten ist, wie der eher wortkarge aber hochintelligente ehemalige Geheimdienstmann an der Spitze des Kreml mit diesem Witzbold spielen wird und welche Folgen das für die weltweite politische Kultur haben wird.
Wer mit beiden kann, der wird sich viel herausnehmen können, wer mit keinem von beiden klar kommt, wird eher in Schwierigkeiten der moralischen Legitimation geraten. Nicht theoretisch, es sind beide postdemokratische Narren, sondern rein faktisch, weil keinem die Gegnerschaft noch zuzumuten ist. Ob die Ära der Einigkeit und des Friedens zwischen Russland und den USA der Welt gut tut oder zu viel Harmonie eher das Gleichgewicht stört, ist noch offen, es wird sicher auch eine Frage der Kultur wenn zwei ursprünglich unkultivierte, neureiche Aufsteiger als Postdemokraten, die Welt beherrschen.
In Gesellschaften, die den offenen Diskurs verfolgen, bilden sich oft hochkultivierte Formen in denen die Kritik am Staat formuliert werden kann, so gesehen stehen der Kultur in der Ära Trump-Putin, blühende Zeiten bevor, wie der Türkei unter Erdogan kulturell, ließe er nicht längst alle großen, kritischen Denker im Gefängnis verschimmeln. Ob vier Jahre einem Trump reichen, die amerikanische demokratische Kultur zu ruinieren, scheint zumindest fragwürdig, hat sie doch schon über 200 Jahre und einen Bürgerkrieg überstanden.
Wer von beiden Lagern auch hier im Land die Wahrheit besitzt, weiß ich nicht und scheint mir eher fraglich als klar. Klüger schiene mir, zu überlegen, was diese Wahrheit überhaupt kulturell so sein soll und ob es die überhaupt je gibt.
Wahrheit hieße immer wahr und alles richtig. Eine unmögliche Aufgabe, wie wir logisch wissen, da wir immer nur mit dem Horizont reagieren können, den wir eben haben und so wahr antworten, wie wir meinen. Manche sagen, die Wahrheit sei darum die Erfindung eines Lügners, weil es nie die Wahrheit geben kann, keiner sie erkennen könne und wer es behauptet, ein Lügner sein müsse, weil jeder Mensch immer nur aus seinem natürlich beschränkten Horizont spricht und damit für alle jenseits dieses Horizontes schon wieder unwahr.
Die Mathematik kann für bestimmte Fragen unter bestimmten Bedingungen klare wahre Aussagen machen, aber ist diese darum die Wahrheit oder dieser auch nur näher?
Wer sich vertieft mit der Mathematik beschäftigt, wird schnell merken, wie relativ gültig auch nur diese immer wahren Aussagen wie 1-1=0 oder 1+1=2 sind. Will da gar keine Ahnung vortäuschen und überlasse dieses weite Feld darum den Mathematikern, die ihre letzte Burg der Wahrheit erfolgreich selbst stürmten. Es gibt auch dort nur begrenzt wahre Aussagen, die unter bestimmten Bedingungen gelten können.
In der Philosophie gibt es so wenig wie in der Ethik oder der Politik die eine Wahrheit. Vielmehr gibt es verschiedene Versuche mit der relativen Wahrheit zu leben. Mehr können wir nie, was helfen kann, toleranter zu werden und offener zuzuhören, statt Ziele mit Gewalt erkämpfen zu wollen, denn wenn alles sein kann, ist auch nichts ein Leben wert und könnten wir mehr Kompromisse suchen, statt um Prinzipien zu streiten.
Denken wir etwa an Horst und Angela, die sich ständig über die Obergrenze oder nicht streiten. Der Horst hat Recht, insofern kein Land unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann, sondern auch auf seine eigenen Kräfte achten muss, um den Menschen überhaupt noch helfen und Raum bieten zu können. Die Angela hat völlig richtig festgestellt, dass unser Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz keine Obergrenze kennt. Beide haben Recht und die Frage, die wichtiger ist, als wer gewinnt, wäre, wie finden wir einen Weg, der eine vernünftige Lösung bietet, mit der alle gut leben können.
Im Beispiel Horst und Angela könnte bedacht werden, dass die Zahl der Einwohner dieses Landes seit meinem Abitur um fast 8 Millionen zurückgegangen ist und sich also das schon lange prognostizierte Aussterben bereits faktisch in jeder Generation auswirkt, wir also dringend Zuwanderung brauchen, um unsere Sozialsysteme stabil zu halten.
Woher sollen wir aber Millionen Menschen für unsere Sozialsysteme nehmen auf der Welt, wenn nicht von da, wo sie weg wollen, weil sie nicht gut leben können?
Ob aber unbeschränkte Zuwanderung uns die gewünschte Auswahl an Menschen bringt, die unsere Gesellschaft bereichern, scheint mehr als fraglich. Ein Zuwanderungsland, was wir werden müssen, wenn wir überleben wollen auf Dauer, muss dazu andere Kriterien stellen. Andererseits wird sich schon die Spreu vom Weizen trennen mit der Zeit und was und wer bleibt, wird vom Markt integriert oder wieder abgeschoben. Über solche Fragen offen und konstruktiv ohne moralische Vorwürfe zu diskutieren, würde den Populismus schwächen und eine langfristige Integration ermöglichen, die besser ist als was bisher in diesem Land auf dem Gebiet geleistet wurde. Eine solch sachliche und vernünftige Lösung jenseits aller Polarisierung ist es, die das Land braucht und die eine große Mehrheit zufrieden stellte.
Demokratie heißt eben auch, es gibt nicht nur eine Wahrheit sondern viele Wege und darüber welcher richtig ist, muss offen gestritten werden, ohne den einen Lügner zu nennen, oder über Lügenpresse zu fabulieren, sondern sich um Kompromisse zu bemühen.
Unsere Rechtsradikalen dagegen bemühen sich hier ständig nur um Provokationen und die versammelte politische Elite springt immer wieder schnell auf den Zug auf und singt deren Lieder mit. Will hier nicht mal die Namen der Provokateure noch nennen, die zu unwichtig sind und die verpasste Integration vieler Menschen in Ostdeutschland in die Demokratie wird nicht dadurch verbessert, dass sich Medien und Politik auf die pubertären Späße einer Parteiführung stürzt die ein reaktionärer Aufbruch sein wollen. Schweigen und wegsehen und in Bildung investieren scheint vernünftiger.
Kultur beginnt und begann vermutlich beim Sex und sie endet auch meist da, wenn wir vom Trieb geführt irgendwann alle Kultiviertheit fallen lassen und uns Brunftlaute ausstoßend einander hingeben. Damit schließt sich der Kreis. Es braucht Kultur, um dahin zu gelangen, wo wir unserer Natur folgend, alle Kultur stöhnend fallen lassen können, was zumindest offensichtlich macht, wie eng Sex und Kultur immer zusammenhängen, auch wenn es nicht die Frage nach der angeblichen Dialektik der beiden beantwortet, wenn denn das eine nur Natur und das andere als Kultur nur menschengemacht sein dürfte. So weiß ich am Ende wieder manches nicht und das ist gut so, weil es mich weiter suchen lässt, in der Kultur und bei der Dialektik auch gern andernorts.
jens tuengerthal 18.1.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen