007a Über Recht und Ordnung
Ist das Recht in Ordnung oder bräuchten wir weniger Ordnung, damit es noch mit rechten Dingen zugeht?
Die Gesetze sollen unser Zusammenleben ordnen, geben dem Staat Pflichten und dem Bürger Rechte. Sie sichern die Freiheit und schützen uns vor dem Willen anderer, der unsere Freiheit beschränken könnte.
Deutschland als Bundesrepublik ist heute ein föderaler Rechtsstaat. Unabhängig vom eigenen rechtsstaatlichen Charakter ist es auch Teil eines übernationalen Rechtsstaates, der EU. Beide wachen über die Rechtsstaatlichkeit allen staatlichen Handelns und kontrollieren sich wechselseitig. Weil die BRD auch föderal ist, gibt es die Bundesländer, die den Bund bei seiner Arbeit kontrollieren und umgekehrt. Nebenbei gibt es noch Behörden, die unsere Behörden und die Politik etwa beim Geldausgeben kontrollieren, die Rechnungshöfe im Bund, den Ländern und auf EU-Ebene, sowie die Verwaltungsgerichte und Finanzgerichtshöfe.
Verordnungen der Verwaltung gibt es auf allen Ebenen. Vom Bund zu den Ländern und auf der EU-Ebene auch, um den gemeinsamen Markt und die Zusammenarbeit zu ordnen. Die Verordnung der Verwaltung als Richtlinie oder Verwaltungsakt sind die unterste Ebene der Rechtsetzung, auch wenn sie noch nicht Gesetze heißen, sind sie staatliches Handeln, das immer strengen Formen genügen muss, insbesondere, wo es in die Rechte der Bürger eingreifen kann.
Diese Bürgerrechte leiten sich aus den Grundrechten ab und werden von manchen aus dem Naturrecht abgeleitet, dessen Existenz ich für ein Phantasieprodukt halte. Recht ist immer nur ein menschlicher Akt, der eben Rechtsetzung, die regelt oder dereguliert. Das ist auch das Naturrecht, das wir für immer gültig erklären, weil wir bestimmte Rechte als angeboren betrachten, aber auch das ist eine Setzung, die wir machen. Es braucht keine höhere Ebene als den Gesetzgeber, um ihre Gültigkeit zu begründen und wo kein Recht gilt, ist eben etwas nicht geregelt. Es gibt in der Natur kein Recht sondern nur Kausalitäten, die bestimmte Folgen haben. Schon die Frage nach dem natürlichen Menschenrecht auf Leben oder Nahrung und Unverletztheit, scheint mir zwar ehrenwert aber hat nichts mit der Natur zu tun, die kein Recht kennt, sondern nur Handlung und Folge. Ob das gut oder schlimm ist, bleibt eine Frage der moralischen Bewertung, die beim Blick auf die Rechtsordnung erstmal irrelevant ist.
Recht ist eigentlich wie Mathematik in Sprache gesetzt, ganz logisch und sehr einfach, auch wenn manche Formulierungen völlig unverständlich erscheinen. Im Rechtsstaat sollte jeder Bürger seine Rechte kennen und das Recht verstehen, das diese beschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Aufgrund der Komplexität ist das allerdings in vielem nur noch schöne Theorie.
Wie die Theorie vom Gesellschaftsvertrag, den wir schließen und über den wir Teil der Gesellschaft werden mit allen Rechten und Pflichten, die noch von Rousseau stammt und so richtig theoretisch klingt, wie praktisch meist falsch ist. Den Vertrag schließt keiner wirklich ab, er ist nur eine Idee, um dem Recht einen Grund zur Geltung zu geben. Weil wir einen Vertrag mit dem Staat schließen, sind wir ein Teil von diesem und halten uns an die aus diesem resultierenden Rechte und Pflichten.
Dies Modell hat der Soziologe Jürgen Habermas in seiner Diskurstheorie weiter gedacht, dergemäß jede demokratische Gesellschaft auf dem Diskurs der Teilnehmer beruht, für den sie natürlich Stellvertreter wählen können, wie wir den Bundestag. Ob dies wirklich auf das Grundgesetz, also die Verfassung der BRD, frei übertragbar ist oder es beim abstrakten Modell im leeren Raum bleibt, wird lange schon gestritten zwischen linken und rechten Soziologen, Politologen, Philosophen und Juristen, ohne sich einigen zu können, weil alle ängstlich ihre Besitzstände verteidigen.
Hatte das Glück mit Habermas und dazu noch seinem großen Lehrer Gadamer in Heidelberg diskutieren zu dürfen über genau diese Frage. So stellte der schon da ehrwürdige Sohn der Frankfurter Schule, der längst ihr Großvater wurde, eher seine These auf, dass alles staatliche Handeln aus dem Diskurs letztlich abstrakt ableitbar sein müsse, was auch für das Grundgesetz gelte. Soweit war mir seine Theorie bekannt und er wiederholte nur die bekannten Thesen seiner Schriften. Doch verstand ich nicht, mit wem wer im Diskurs stand bei der Formulierung in der Präambel, dass dies Grundgesetz in Verantwortung vor Gott und den Menschen erlassen wurde und fragte den etwas konsternierten Professor Habermas.
Dennoch launig erwiderte er, wenn es so da stehe, müssten wir es streichen, was mich zu der zweiten Frage brachte, wie dann die Diskurstheorie zur Verfassung unseres Landes passen solle, wenn diese einen höheren Geltungsgrund für sich beansprucht als den Diskurs durch die Inbezugnahme Gottes. Habermas blieb dabei, streichen, was nicht passt, müsse gestrichen werden, er werde sich dafür einsetzen. Da meldete sich sein alter Lehrer Gadamer in unserer kleinen Diskussion im Alten Hörsaal der Universität Heidelberg zu Wort und sagte, so könne er das doch nicht sagen, weil es jeder Logik entbehre, eine These zu der Tatsache aufzustellen, wie unser Grundgesetz zustande kam und zugleich dieses ändern zu wollen, damit es zur These passt.
Es kamen dann noch andere Fragen von verschiedenen Besuchern, des bis auf den letzten Platz gefüllten historischen Raums und irgendwann ging die Gruppe auseinander, nur Gadamer, Habermas und ich waren noch oder wieder in die Diskussion vom Anfang vertieft, bis uns die Fachschaft einlud doch alle drei mit zum Essen beim Italiener nebenan zu kommen, sie hätten dort einen Tisch bestellt.
Die Diskussion blieb ohne Klärung und Ergebnis. Nach Habermas war der Satz überflüssig und musste gestrichen werden, hätte in einer demokratischen Verfassung nichts verloren. Gadamer hielt ihm entgegen, wenn die transzendente Inbezugnahme vom Gesetzgeber gewollt ist, könne er nicht einfach die Verfassung für teilweise ungültig erklären, damit sie zu seiner Diskurstheorie passe. In die Richtung versuche ich auch zu argumentieren, dem es mehr auch um die Frage ging, ob die Bundesrepublik nicht überhaupt mehr Laizismus brauche, um wirklich demokratisch zu sein.
Fand es aber auch unlogisch, wie eine Theorie, welche die Entstehung einer demokratischen Verfassung mit dem Diskurs begründen will, was eine Weiterführung der Ideen von Rousseau war, erklären will was ist und dann für ihre Gültigkeit, was ist ändern muss, damit die Theorie auch stimmt. War froh über die Unterstützung des alten Herrn Gadamer, als Habermas mein Argument mit professoraler Nonchalance vom Tisch wischte.
War dann bis zur Streichung das Grundgesetz nur für Gläubige gültig und nicht für Atheisten?
Was ist vom Recht einer Gesellschaft zu halten, das schon in der Präambel, also dem Vorwort der Verfassung entweder grundlegend falsch ist und geändert werden muss oder ist dann von der Theorie nichts zu halten, die dies nicht berücksichtigte?
Aus dieser Diskussion ist viele Jahre später auch der Diskurs von Habermas und Ratzinger über Geltungsgründe und die soziale Bedeutung der Religion geworden, die aber auch in entscheidenden Fragen unklar blieb, weil ein Soziologe und ein Theologe keine juristischen Fragen logisch klären.
Passt die Idee der Diskurstheorie wie des contrat social, des inkontinenten ursprünglich Genfers Rousseau zum Recht der Bundesrepublik oder sind wir noch ein Gottesstaat?
Es scheint vermutlich manchem lächerlich und eitel, wenn ich hier, statt über Recht und Ordnung zu schreiben, von einer Diskussion berichte aus der Zeit Anfang der 90er. Doch ist genau das der Kern aller Diskussionen über Recht und Ordnung, der Geltungsgrund ohne den Recht keinen Gehorsam verlangen kann, noch rechtsstaatlich vertretbar wäre.
Wenn der Diskurs wegfällt oder zumindest für alle Ungläubigen wegfällt, welche Gültigkeit darf das Recht in unserem Land dann noch beanspruchen?
Das Eis auf dem das begründet werden kann, wird verdammt dünn und genau darum ist es erstmal wichtiger, sich klar zu werden, ob dieser Staat so Recht erlassen darf und es mich betrifft.
Außer den Reichsbürgern, die einer missverstandenen Verschwörungstheorie anhängen und hinterherlaufen, um ihre Dummheit nicht gestehen zu müssen, bezweifelt keiner ernsthaft die Existenz der Bundesrepublik als Staat im Sinne des Völkerrechts, was jeder vernünftige Mensch im übrigen sowohl aus dem 2+4 Vertrag zur Deutschen Einheit wie aus dem Maastrichter Vertrag ablesen könnte, weil sich bestimmter Rechte seiner Souveränität nicht begeben könnte, wer nicht souverän ist.
Der Staat existiert und erlässt Gesetze durch seine Organe der Gesetzgebung, also den Bundestag und die Landtage. Inwieweit dieser deren Geltung durchsetzen kann, ist eine Frage der Macht.
Silvester dieses und letztes Jahr in Köln zeigen deutlich, dass der Staat in der Lage ist, zu lernen und seine Herrschaft notfalls mit Gewalt auch durchzusetzen im Interesse von Ordnung und Sicherheit. Dies ist eine typische Aufgabe des Souveräns und wie jeder Eingriff in Grundrechte wird nun darüber diskutiert, wenn auch aufgrund letztjährigen Traumas so abstrus verwandelt, dass sich alle Teilnehmer im Lob der Polizei überbieten wollen, dahingestellt ob das gute demokratisch Tradition ist.
Der Staat des Grundgesetzes ist also einer, der sich nach außen verpflichten und nach Innen notfalls mit Gewalt seine Interessen auch in Fragen der Sicherheit durchsetzen kann. Damit gibt es die Staatsmacht eines souveränen Staates de facto und jede weitere Diskussion zu diesem Thema ist überflüssig und hat keine sachlichen Argumente außer der immer wieder Verschwörung, da Extremisten immer mit Angst regieren wollen.
Fraglich bleibt nur, wie die Gesetze in diesem Staat gelten sollen, wenn eine Demokratie den Diskurs zumindest in der Theorie bräuchte, der Gottesbezug aber einen Teil der Bürger ausschlösse oder den Grund der Geltung infragestelle.
Dazu gibt es zwei Ansätze. Einmal kann ich überlegen, ob auch mit Gottesbezug Demokratie überhaupt möglich wäre und zweitens, viel einfacher, könnte ich prüfen, ob diese bloße Bekundung der Verfasser des Grundgesetzes überhaupt für dessen weitere Geltung wichtig ist, auf der dann alle weiteren Normen chronologisch aufbauen.
Schlauer Fuchs, als der ich gerne scheinen möchte, prüfe ich die zweite Frage zuerst, weil sie die erstere entbehrlich machen könnte und mir also das schwierigere Thema ersparte, was dafür spräche auch fauler Sack statt schlauer Fuchs zu sagen, was nicht nur die Anfangsbuchstaben umdrehte.
Aus der im Grundgesetz verkündeten absoluten Glaubensfreiheit ist ableitbar, dass jede Sicht toleriert wird und also auch der Nichtglaube, wenn dies aber so ist, folgt daraus, dass der Gottesbezug in der Präambel nur deklaratorischen Charakter hat, wie die Juristen dazu sagen, oder nur Geschwätz ist, wie das Volk es treffend ausdrückte, was keinen Wert an sich ausdrückt und wir können den Spruch als Geltungsgrund also vergessen, was Habermas aber, der ja kein Jurist sondern Soziologe und vielleicht Philosoph ist, nicht einfiel und ich damals auch nicht konsequent bedachte.
Schön zeigt dies Beispiel aber wie einfach und logisch juristische Schlußfolgerungen normalerweise laufen, wie schlicht und reduziert dieses Gebiet ist, das die Ordnung sichern soll. Die Klärung der Frage, ob Demokratie mit Gottesbezug möglich wäre, ist daher erstmal entbehrlich, solange sie auch ohne Gott gilt.
Im übrigen ist die Religionsfreiheit, die auch das Gegenteil von Aberglaube, also Atheismus in Freiheit umfasst, wie die negative Religionsfreiheit, notwendiges Element jeder rechtsstaatlichen, demokratischen Verfassung. Wo sie fehlt haben wir keinen demokratischen Rechtsstaat mehr, sondern ein totalitäres Glaubensregime, wie die Orte an denen deutsche Kicker gerade ihre Winterpause in der Sonne nahe der Wüste verbringen. Bisher scheint eine solche Diskussion nicht nötig zu sein.
Fraglich könnte es bei Fällen wie dem teilweise sehr rigorosen Abtreibungsverbot in streng katholischen Ländern wie Irland oder Polen sein, bei denen der Aberglaube der Mehrheit, den betroffenen Frauen Freiheit raubt und sie zu Verbrecherinnen macht, wo sie nur über ihren Körper selbst bestimmen wollen.
Doch, wie einleitend im vorigen Kapitel schon dargelegt, ist die unterschiedliche Begründung dieser Sicht eine bloß moralische, in keinster Weise dogmatisch fassbare und insofern es kein europäisches Grundrecht dazu gibt, wann Leben beginnt und ob das ungeborene Leben besonders zu schützen ist oder die Frau immer Vorrang hat, verstößt keiner, wie es auch geregelt wird, gegen europäische Freiheitsrechte durch die Bestrafung, auch wenn mir das moralisch nicht gefällt.
Die Jurisprudenz ist simpel und blöd eigentlich. Tatbestand, Norm, Subsumption und fertig.
Manchmal wird sie kompliziert, wenn das Recht auch dort angewandt werden soll, wo es ursprünglich nicht galt und wir gerne bestimmtes Verhalten nicht ahnden wollen, aus sozialen Gründen oder doch aus auch politischen Gründen.
Nach der Verfassung gilt, keine Strafe ohne Gesetz, also auch keine Rückwirkung von strafend wirkenden Gesetzen, damit jeder sein Verhalten darauf einstellen kann, der nulla poena Grundsatz aus dem römischen Recht, der erstmals im Hexenhammer im deutschen Recht wohl auftauchte. Dies ist ein wichtiger Grundsatz vor allem gegen die Bauchjustiz, die sagt, das Schwein muss doch bestraft werden oder das gesunde Volksempfinden, das rächend eine Strafe fordert, egal was das Recht sagt. Auch schon ein Verwaltungsakt, der belastend wirkt, was schnell passiert, darf nur unter ganz besonderen Umständen zurück wirken.
Wie sich diese Umstände noch mit Recht und Ordnung vereinbaren lassen, ob sie je rechtsstaatlich noch sind, ist Grund großer Streitigkeiten, die viel über die Verhältnisse im Rechtsstaat auch sagen. In der Einleitung erzählte ich von Radbruch, an dessen Schreibtisch ich in Heidelberg saß und der wirklich ein großer Rechtsphilosoph in ganz vieler Hinsicht war, dessen Formel aber den Rechtsstaat aus meiner Sicht völlig leichtfertig für eine höhere Idee der Gerechtigkeit aufgibt.
Bedeutet es, wenn Recht und Ordnung herrschen, dass auch Gerechtigkeit herrscht oder hat das eine nichts mit dem anderen zu tun, muss der immer Rechtsstaat gerecht sein?
Der Rechtsstaat muss nichts anderes als Recht vollziehen und sich an dieses halten. Der NS-Staat war dennoch kein Rechtsstaat, weil er grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzte, die Prinzipien des Rechtsstaats missachtete und Unrecht herrschen ließ. Dies tat er jedoch mit scheinbar völlig rechtmäßig zustande gekommenen Gesetzen. Durch die Ausnahmeverordnung nach dem Reichstagsbrand konnten die Nationalsozialisten ihre neue Macht auf legalem Wege nutzen und den Rechtsstaat aushebeln. Sie kamen erstmal ganz legal an die Macht. Die Machtergreifung ist schon als Wort eine Form der Legendenbildung, die später zur Rechtfertigung für das Versagen des Staates gestrickt wurde.
Wenn wir das Handeln nach diesen Gesetzen, bis zur auch damals legitimen Judenvernichtung bestrafen wollen, brauchen wir ein höheres Recht oder eine Siegerjustiz ohne Rechtsstaat, wie sie in Nürnberg praktiziert wurde, auch wenn es einen rechtsstaatlichen Anschein hatte. Das höhere Recht wurde hierzulande aus dem Naturrecht abgeleitet, was gut klingt aber eigentlich eher religiös als logisch und vernünftig ist, da es kein geschriebenes Naturrecht gibt und damit keine Grundlage für eine Bestrafung zu diesem Zeitpunkt.
Auch die Zuständigkeit des Gerichtshofes der UN für das ehemalige Jugoslawien ist eher Siegerjustiz als rechtsstaatlich und das sage ich nicht, weil ich die Verbrecher dort verteidigen möchte, sondern, weil es mir wichtiger scheint, rechtsstaatlich wenn zu urteilen als überhaupt.
Genau das ist der moralische Streitpunkt. Die Politik und auch viele Juristen wie Radbruch folgen der Theorie, das Schwein muss bestraft werden, bei Nazis, Mauerschützen und Tätern im ehemaligen Jugoslawien, die ich auch inhaltlich verstehen kann und dennoch aus Prinzip ablehne, weil sie dem Recht, das sie durchsetzen will, zuvor den Grund seiner Geltung raubt und damit zu einem absurden moralisch totalitären Verhalten führt.
Was nicht strafbar war, kann nicht hinterher strafbar gemacht werden, um der Gerechtigkeit zu dienen, weil damit das Prinzip allen Strafens und dessen Berechtigung infrage gestellt wird. Dies strikte und logische Denken, das die Jurisprudenz und ihre Prinzipien beim Wort nimmt, wird strenger Positivismus genannt. Eigentlich ist es nur konsequentes Denken und die Anwendung der Prinzipien ihrer Art entsprechend, ohne moralische Urteile zu fällen.
Weil wir nicht damit leben wollen, dass bestimmte Schweine nicht bestraft werden können, wird das Recht von Richtern und Juristen solange ausgelegt, bis er eben doch strafbar ist und dafür zur Not auch die Grundsätze des eigenen Handelns völlig über Bord geworfen.
Die Vertreter dieser moralischen Sicht meinen, solches Handeln diene der Gerechtigkeit oder sogar einer höheren Gerechtigkeit, als sie es bis dato in Gesetzen gab. Ein verwerfliches Handeln müsse bestraft werden, auch wenn es legitim und nur staatliches Unrecht war, was gerade für die Mauerschützen sehr strittig war, denn nehmen wir den BGH wörtlich, hätte jeder DDR Bürger den Unrechtscharakter des Regimes offensichtlich und leicht erkennen müssen und sein entsprechendes Handeln für einen klaren Verstoß gegen Naturrecht halten, was offensichtlich absurd ist, da inzwischen sogar demokratische Parteien mit der Nachfolgerin der SED, der sogenannten Linken, in Koalitionen regieren, die bis heute Schwierigkeiten damit hat, die DDR ein Unrechtsregime zu nennen, aus der ihr Vermögen stammt.
Halte solche moralischen Urteile im Recht und vor allem im Strafrecht, das sich anmaßt in Bürgerrechte einzugreifen, für grundsätzlich falsch und für eine größere Gefährdung der Gerechtigkeit und des Rechtsstaates als wenn wir einfach anerkennen müssen, bestimmtes staatliches Unrecht, kann nicht strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn wir das Schwein gerne bestrafen würden.
Diese Haltung ist ganz grundsätzlich wichtig für die Geltung von Recht und Ordnung und ihren Rahmen. Jeder, der den Einbruch von moralischen also wandelbaren Grundsätzen in die Rechtsordnung insbesondere im Strafrecht zulässt, gefährdet damit den Rechtsstaat mehr, als er ihn durch die Verfolgung einer vermeintlich höheren Gerechtigkeit befriedet.
Es gibt kein höheres Menschen- oder Naturrecht, das strafrechtliche Wirkung haben dürfte, nach dem also gestraft werden dürfte, sondern Strafe gibt es nur nach Strafgesetzen, die zum Zeitpunkt der Tat bereits galten, wer dies Prinzip durchbricht, löst damit den Grundsatz auf, der überhaupt erst Strafe legitimieren kann. Die Berufung des BGH im Fall der Mauerschützen auf die Radbruch’sche Formel und damit auf ein höheres Naturrecht, ist eine Kapitulation vor dem Populismus eines bloßen Gerechtigkeitsempfindens.
Entweder hätte es über alle Täter der DDR eine Siegerjustiz wie in Nürnberg gegeben, was den inneren Frieden nicht unbedingt gefördert hätte vermutlich oder sie können eben nicht bestraft werden, weil ihr Handeln legitim war und sie das wussten, egal wie schlimm ich das auch finde.
Der Rechtsstaat hat nicht die Aufgabe Gerechtigkeit herzustellen, sondern Recht zur formalen Durchsetzung zu helfen, sonst nichts. Gerechtigkeit ist ein höchst wandelbarer Begriff, der im Strafrecht eher überhaupt nichts verloren hat, außer bei der Urteilsfindung, wenn die Tat rechtsstaatlich verurteilt werden kann. Wer etwas tun will, was es im Rechtsstaat nicht gibt, nämlich das Schwein bestrafen, weil es sein Gefühl höherer Gerechtigkeit so will, sollte genau das so tun und es auch so nennen, statt den streng formalen Rechtsstaat so schmutzig dafür zu benutzen und so gesehen sind die Urteile unter Berufung auf die Radbruch’sche Formel Unrechtsurteile und müssten formal ungültig sein.
Dies war wichtig nochmal, auch wenn es fast wie eine Wiederholung des einleitend angedeuteten klang, um konsequent beim Geltungsgrund von Recht zu bleiben. Weil unser Staat die Macht hat, kann er auch die Einhaltung solcher auch meiner Sicht unrechten Urteile durchsetzen. Doch ist es sehr wichtig, ganz aufmerksam auf solche Details zu achten, um sich nicht vom rechten Weg abbringen zu lassen, den Kant im kategorischen Imperativ vorgab und über und neben dem es nicht mehr braucht, um ein moralisches Urteil gerecht zu fällen.
Ein Rechtsstaat, der seine eigenen Grundsätze um einer höheren bloß erdachten Gerechtigkeit wegen, die das Schwein bestrafen möchte, verrät, verdient den Namen kaum und kann konsequent keine moralische Einhaltung seiner Normen mehr fordern, die eben auf dem Konsens der Prinzipien beruht.
Wenn ich also dem Staat nun sage, dein Recht gilt für mich nicht mehr, weil es nicht rechtsstaatlich urteilt, hat das nur eine Konsequenz für mich in meiner Haltung zum Staat aber keine in dessen praktischer Ausübung seiner Macht. Darum klingen diese ganzen Ausführungen furchtbar theoretisch nun und ohne jede praktische Relevanz. Der Staat hat die Macht seine Sicht durchzusetzen und ich muss, wenn ich hier leben will, seine Regeln befolgen, will ich nicht riskieren, bestraft zu werden. Dennoch halte ich diesen Punkt für wichtiger als alle sonstigen Ausführungen, die im einzelnen auf Recht und Gesetze eingehen, die austauschbar und zeitunterworfen meist sind.
Zu sehen, dass auch Staaten unrecht handeln und deren Anspruch auch von Gerechtigkeit infrage stellen zu können, weil es nur um Macht geht, ist wichtig, um als freier Mensch eine Haltung zum Staat und den Gesetzen zu entwickeln, diese auch kritisch zu sehen. Nur wer eine freie und kritische Haltung zu den Dingen hat und nicht einfach Befehlen blind folgt, kann moralisch handeln und nach Gerechtigkeit streben - der Rechtsstaat soll und muss nicht gerecht werden, er ist nur und bietet den Rahmen, in dem sich so weiche Begriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit, sozial und schön entfalten können. Wenn dieser Text den kritischen Blick auf vermeintlich moralische Urteile ein wenig öffnen konnte, freue ich mich, denn so trocken die mathematisch logische Juristerei klingt, so wichtig ist sie, um den Staat richtig zu verstehen und nicht wie Habermas, falsche Gründe für sein Sein zu nennen, die richtige Theorie auf falsche Annahmen aufzubauen.
jens tuengerthal 8.1.2017
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