Sonntag, 29. Januar 2017

EroStory 004

Dreierchance

Vielleicht sollte ich doch nicht immer so viel Tee trinken, dachte ich, gerade hatte ich begonnen zu schreiben, als es mich schon wieder in die hinteren Räume trieb. War wieder in meiner Lieblingsbar um die Ecke und hatte mit Glück sogar meinen Lieblingsplatz ergattert, der Weg war also nicht weit. Musste nur durch den Vorhang in meinem Rücken und dann gleich die erste links, beruhigte ich mich, um nicht zu genervt über meine Primanerblase zu sein.

War halt so, kannte ich ja schon bald 30 Jahre, seit meinem Unfall, musste ich halt manchmal flitzen, auch so gesehen war der Platz eigentlich ideal, wenn ich ihn auch eher als eine Art tiefer gelegten Hochsitz schätzte, von dem aus ich beobachten konnte, wer dort wie hin ging und auch die entspannten Gesichter auf dem Rückweg anlächeln konnte. Es war ein etwas abgelegener Platz aber irgendwie auch ideal für mich als Flaneur, der am liebsten nur daneben sitzt und beobachtet.

Andere Menschen gingen in eine Bar, um andere kennenzulernen und wenn möglich nicht alleine wieder zu gehen, sondern auch den Rest der Nacht horizontal oder noch irgendwo zappelnd zu teilen. Konnte auch nett sein, bestimmt, aber in Summa war die Zahl der meist belanglosen Gespräche doch so langweilig, dass ich lieber als echter Flaneur nur noch Beobachter blieb und von den üblichen Begattungsriten der Großstädter in der Nacht eher Abstand hielt, um sie zu beobachten und zu beschreiben.

Wer nur beobachtet, macht sich immer verdächtig im Kreis derer, die kennenlernen wollen und dafür den üblichen Austausch von Belanglosigkeiten in Kauf nahmen, weil sie nicht gleich fragen konnten, was sie eigentlich wollten. Franz Hessel beschrieb das in seinem Flaneur in der Großstadt schon treffender, als ich es je könnte, jedenfalls sei er allen Leserinnen zum Nachempfinden des Gefühls des nur Beobachters empfohlen, denn so ging es mir immer wieder, wenn ich den Ort mal wechselte und in dem Café noch nicht so bekannt war, auch wenn ich zugegeben, in den Cafés um meinen Platz nirgendwo mehr völlig unbekannt war.

Hier am etwas Abseits gelegenen Platz vor dem Vorhang, der jenseits des sonstigen Geschehens an der Bar lag, die ich aber im Blick hatte, war ich geradezu ideal aufgehoben. Die meisten kamen irgendwann mal vorbei, um die dort Örtlichkeiten zu konsultieren und so war ich dabei und hielt doch Abstand, konnte die Bar beobachten und sah, was geschah, ohne teilnehmen zu müssen, sondern konnte manchmal sogar horchen, immer jedoch Zuschauer sein, wie sie sich annäherten oder verpassten und dann mehr oder weniger enttäuscht getrennte Wege gingen. Manche packte schon hier solche Leidenschaft, dass sie auch über das Küssen hinaus anfingen, sich zu erfühlen. Dies ging so weit, wie es der Anstand, der in dieser Stadt weite Grenzen hat, noch erlaubte und manchmal auch darüber hinaus, bis sie selbst merkten, es wäre eher Zeit zu gehen.

Kenne dies auch noch aus der Zeit, als ich selbst suchte und nicht nur beobachtete und es fiel nicht immer leicht, das Benehmen eines Gentleman mit der Lust in Einklang zu bringen, doch galt ja noch immer, ein solcher darf alles, solange er es mit Stil und Achtung gegenüber der Dame tut und wenn ich auch nicht dazu neige, mich zu loben, lieber bescheiden bin, gerade was das angeht, kann ich zumindest sagen, mich immer um viel Stil dabei und vor allem die Achtung der Damen, die ich gerade verehrte, bemüht zu haben, mögen diese entscheiden, ob es gelang. Und es konnte so sehr weit gegangen werden, je nach Kleidung der Beteiligten auch relativ unauffällig noch. Der Griff unter den Rock musste nicht jedem auffallen, wenn sich beide innig genug dabei umarmten. Dies konnte wohl auch die eine oder andere am vielleicht unpassenden Ort schon zum höchsten Glück bringen, vermute ich, jedenfalls lächelten manche so selig, als sei dem so und dies war eher kein Ort an dem sich die Konsumenten beglückender Rauschgifte sonst trafen.

Diese Erinnerungen, gingen mir durch den Kopf, der ich gerade an meinem Lieblingsplatz angekommen, mich nun getrieben fühlte, schnell nach nebenan zu verschwinden, um meinen Schwanz über eines der dortigen Becken zu halten. Hatte also, weil ich ja gerade erst kam, noch niemanden kommen sehen, noch keinen Überblick über die Gäste, es war ja auch noch sehr früh, gegen halb zehn, schätzte ich. Jetzt schnell zu verschwinden, war wohl das beste, dann wäre mein Riesling da, wenn ich erleichtert wiederkomme.

Was für eine unsinnig lange Vorrede, dafür, dass ich nur mal pissen gehen wollte, denke ich und erhob mich sofort, ging durch den Vorhang und öffnete die Tür. Dies Klo war eigentlich ein mittelgroßer Raum, der durch eingezogene dünne Wände dreigeteilt worden war. Vorne am Ein- oder Ausgang das Waschbecken, was bei viel Betrieb, manchmal zu kleinen Staus im nur etwa einen Meter breiten ersten Räumchen mit Waschbecken und Spiegel führte, dahinter ein offener Raum, quasi der Durchgang zur Toilettenkabine in dem aber drei Pissoirs hängen, warum er eher der am meisten frequentierte ist und weiter wollte ich, als ich aufstand eigentlich auch nicht gehen. Doch kaum wollte ich mich an das vor der Klotür gelegene durch Duchamps zur Kunst gewordene Ding stellen, um meinem Rinnsal freien Lauf zu lassen, wie es Henry Miller so wunderbar beschreiben konnte, wenn er an den Pariser öffentlichen Orten stand, die den höher gelegenen Nachbarn guten Einblick boten und ihm dafür den Blick in manchmal schöne Augen gab, da spürte ich noch ein anderes Bedürfnis und beschloss, wenn ich schon aufgestanden und hier war, konnte ich genauso auch eins weiter gehen und selbiges gleich miterledigen, um dann in jeder Hinsicht erleichtert, die nächste Geschichte in Ruhe zu schreiben.

Ließ also die Pissoirs ungenutzt dort hängen und öffnete die Tür zur letzten, etwa 1,5m breiten Kabine am Ende, die sichtbar unverschlossen war, was mich erst auf die Idee gebracht hatte, wenn es schon offen und frei ist, womit später nicht unbedingt mehr zu rechnen war, wenn es sich füllte - ach ich eiere hier ewig rum, für eine Sache, die real keine Minute dauerte und tue so als sei ich Proust oder Joyce und dürfte den auf erotisches hoffenden Lesern hier mit Nichtigkeiten die Zeit stehlen, suchte gar die verlorene Zeit. Doch, ganz ehrlich, bin ich davon überzeugt, dass keiner Zeit stehlen kann, wir sie nur gewinnen können, wenn wir sie verschwenden, was ich hiermit tat und auch den verehrten Leserinnen die Chance bot, denn gleich geht es ohne weitere Umwege zur Sache, sozusage ganz ohne Vorspiel, was ja eher nicht mein Fall war.

Die Kabine war offen aber nicht leer, wie ich überrascht feststellte, die eine der sonst Kellnerinnen mit der sehr üppigen Figur, dem wallenden langen schwarzen Haar und der weitflächigen Körperbemalung stand nach vorne gebeugt, die Hände auf dem geschlossenen Klodeckel, streckte sie mir ihr sehr rundes und ziemlich entblößtes wunderschönes Hinterteil entgegen, von dem ich jedoch nur wenig sah, weil hinter ihr ein anderer Landsmann stand, dessen Hose in den Kniekehlen hing und der sie offensichtlich gerade penetrierte, wie es medizinisch korrekt wohl heißt und ich war noch um Korrektheit bemüht, schließlich war ich ja hier der Eindringling.

“Entschuldigt bitte, ich wusste nicht…”, begann ich stotternd und wollte schnell wieder verschwinden, wenn der Anblick auch nicht ohne Reiz war, ihre wirklich großen Brüste, hingen oben aus ihrem verrutschten Ausschnitt und zum ersten mal in all den Jahren, die ich nun hierher kam, konnte ich diesen auch eingepackt schon mehr als prächtigen Busen nun entblößt sehen und er war wunderbar.

Natürlich hing er ein wenig, er war eben echt und Natur, folgte den newtonschen Gesetzen der Schwerkraft, aber tat dies mit so viel junger Kraft und Fülle, dass es jeden Liebhaber weiblicher Schönheit begeistern musste. Mochte sie ja gern und wir begrüßten uns sonst immer mit Küsschen, wie alte Freunde, wenn wir uns sahen - schien mir aber gerade nicht so angebracht, oder sollte ich mich vor ihn zu ihr aufs Klo beugen - absurde Idee, aber ich war eben etwas perplex, nicht, dass ich so etwas noch nicht gesehen oder selbst gemacht hätte, aber doch nicht hier und nicht jetzt, dachte ich.

Als ich gerade die Tür wieder dezent schließen wollte und überlegte, ob ich es wagen könnte, mal den Ort für Damen nebenan zu konsultieren, rief sie mir schon von unten zu, als wäre es das normalste auf der Welt, mit ihrem südlichen Dialekt und der starken Stimme der angehenden Sängerin, “komm rein, mach doch mit…”

Täte ich es, wäre ich nicht mehr Flaneur, kein Beobachter des hiesigen Geschehens sondern Teilnehmer und das wollte ich ja nun eigentlich nicht - andererseits, genügte der Anblick ihres weißen großen, straffen Hintern vollauf, mich jeden anderen Gedanken verwerfen zu lassen und ich zögerte einen Moment, fragte mich, ob es ihm wohl auch recht wäre, doch auch er, wie eben die Menschen aus diesem so gastfreundlichen Land im Süden Europas so sind, lud mich herzlich ein, doch mitzumachen.

Weiß nicht, ob sie alle so gern ihre Freunde zum Sex einladen, wenn sie zufällig vorbeikommen, aber zumindest ist doch aus der Geschichte bekannt, dass dieses Volk schon ein sehr entspanntes Verhältnis zur Sexualität hatte, als in den Urwäldern Germaniens noch nach Kultur gesucht werden musste. Dann meint er es vermutlich so, dachte ich und war drauf und dran, zur Tat zu schreiten, um die wunderbare Gelegenheit zu nutzen, da erwachten wieder die Skrupel und außerdem musste ich ja und was würde das peinlich, wenn mir mitten dabei dann, um es medizinisch wieder mit Abstand zu sagen, die Winde abgingen. Würde also die gute Gelegenheit wohl ungenutzt verstreichen lassen, um nicht in größeren Peinlichkeiten dabei zu landen, dachte ich, etwas bedauernd.

Doch dann schaute sie mich bittend an und ich ahnte, wie eine Absage sie nun enttäuschen würde - also musste ich einen diplomatischen Ausweg finden, der ihr gerecht wurde, die mehr als reizvoll war, wenn auch vielleicht etwas zu sehr und alles etwas viel gerade, aber mir doch zumindest einen Moment des Rückzugs ließe.

“Zu gerne würde ich…” sagte ich, “aber ich muss wirklich ziemlich nötig, gehe kurz nach nebenan und dann, ok?”

Das war für sie ok, die im übrigen nun wieder mit Stöhnen beschäftigt war, weil er seine rhytmischen Stöße fortsetzte, die ich nun nicht weiter betrachten wollte, um zunächst die anderen Bedürfnisse zu erledigen.

Fragte mich nur, ob ich als Mann nun auf den Ort für Damen gehen sollte, sich das für einen Gentleman gehörte oder völlig ausgeschlossen war und wie erkläre ich es einer möglicherweise dort anwesenden Dame, grübelte ich. Nun, am besten würde ich dann wahrheitsgemäß antworten, weil unsere Kabine gerade von einem Herren und einer Dame besetzt waren. Vielleicht hatte ich ja Glück und es passierte nichts und ich hatte zumindest einige Minuten Zeit, darüber nachzudenken, ob ich einen Dreier mit ihr und ihm wollte.

Klar hatte ich Lust und wie ich wollte, aber erinnerte ich mich an das letzte mal mit den drei Frauen und da war ich Mitte zwanzig und ziemlich fit noch, fand ich es eigentlich nur geil aber nicht schön, es fehlte dem Sex dabei alle Zärtlichkeit, es wurde eher sportlich ein Wettberwerb der Befriedigung in dem einer den anderen überbot. Gut, hier war es eine Frau mit zwei Männern, wenn ich dazu kam, aber zärtlich wäre das auch nicht, sondern eine schnelle Nummer auf dem Klo eben. Andererseits, würde ich mit ihr sonst sicherlich eher nie ins Bett gehen, sie war mehr als zwanzig Jahre jünger als ich, nicht wirklich mein Typ und darum schadete es auch nicht. Noch etwas unentschlossen verschwand ich das erste mal in meinem Leben auf der Damentoillette, um dem wirklich dringenden Bedürfnis nachzugeben.

Während ich so dort saß und sinierte, große Erleichterung überall verspürte, hörte ich jemand kommen und fürchtete schlimmstes - gleich würde ich irgendeiner Frau erklären müssen, was ich hier machte und dabei versuchen, möglichst locker und selbstverständlich zu sagen, dass nebenan gerade ein Mann und eine Frau beschäftigt wären und ich also  ausweichen musste. Im Grunde war das ja gerecht, dachte ich einen Moment, wenn eine Frau es bei den Herren treibt, konnte ich es auch bei den Damen tun und dennoch hoffte ich, ungeschoren davon zu kommen.

Doch es ging die vordere Tür und ich fragte mich, ob nun der nächste eingeladen würde. Aber es war der Stimme nach der Barkeeper, der in der mir fremden südlichen Sprache irgendetwas rief,  was ich nicht verstand. Nun, ich war ja hier fertig und konnte wieder weg, die Hände würde ich mir nebenan lieber waschen, nicht unnötig an diesem Ort verweilen, der mich nur zu Ausreden nötigte, die ich nicht mochte.

So kam ich wieder in den Nebenraum, noch nicht entschlossen, was ich nun sagen sollte, wenn sie die Einladung erneuerten, denn abgeneigt war ich ja auch nicht ganz. Da kamen sie mir unerwartet einigermaßen wieder angezogen entgegen. Nun begrüßte sie mich mit den üblichen Bissous auf beide Wangen und flüsterte, ob ich H, den Barkeeper gehört hätte und ich sagte, wahrheitsgemäß ja, aber nicht verstanden natürlich, konnte ihre Sprache ja nicht - der Chef ist gekommen, lachte sie mir ins Ohr, ach darum der schnelle Aufbruch, nun, dann hatten sich ja alle Fragen erledigt, dachte ich, wusch mir die Hände und schrieb darüber, statt es zu erleben, wie es sich für einen Flaneur gehört.
jens tuengerthal 28.1.2017

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