Sonntag, 29. Januar 2017

Erostory 005

Sontagslust

Es war einer dieser Sonntage aus dem Bilderbuch der Gläubigen - die Sonne schien, kaum einer rührte sich, außer zu früh am Morgen die Kirchenglocken, als die Clubgänger sich gerade hingelegt hatten, sonst war einfach nichts los und alle konnten sich mit sich beschäftigen. Die Gläubigen beteten, Familien gingen spazieren, die Streber lasen und bereiteten die Woche vor, Typen wie ich, die noch müde von der Nacht davor waren, wachten langsam auf und überlegten, ob sie ihre Morgenlatte lieber onanierend würdigen sollten oder es klüger war, die Kräfte zu sparen für wer weiß, was noch kommt.

Aber es war Sonntag, da kam nichts und passierte nichts, die polnischen Arbeiter gähnten sich rauchend im Hof an und die Nachbarin im Ersten schloss mehrmals geräuschvoll ihr Fenster, um sich über den Gestank zu beschweren. Vermutlich hatte sie zu wenig Sex, dachte ich, wollte aber auch nichts daran ändern. Sie war irgendwas zwischen 50 und 80 und gehörte zu denen, die schon mit Mitte vierzig keine Frauen mehr waren, wie die lange verheirateten Männer, die mehr als Träger denn als Hengste noch dienen dürfen. Nun wollte sie wieder zuschlagen, aber ich lächelte ihr zu und winkte mit einem Handkuss zwei Etagen herunter und um die Ecke quasi.

Sie lächelte zurück, winkte und schloss das Fenster ganz leise und ich fragte mich, wie lange das wohl anhalten würde. Irgendwann würde ich mich vermutlich nackt ans Fenster stellen müssen zum winken, damit sie noch eine Woche durchhielt. Ging mich ja nichts an, dachte ich, nervt nur manchmal und wenn sie sich aufregt, stirbt sie schneller und die Wohnung geht vielleicht an hübsche Erasmus-Studentinnen aus irgendwo. Aber so was durfte ja keiner denken und erst recht nicht sagen.

Jetzt war zumindest Ruhe und ich konnte meinen Tee trinken - was, wenn ich das Haus heute einfach nicht verlasse, die Welt draußen alleine Sonntag spielen lasse und hier für mich bleibe, bis eine kommt oder keine, was meist passiert, wenn du nichts dafür tust und ich lese anstatt.

Wollte ich etwas tun und wen wollte ich überhaupt, fragte ich mich beim Blick in den winterblauen Himmel, der durch die ungeputzten Scheiben immer etwas verraucht aussah. Ist eben viel Sand in der Stadt. Märkische Streusandbüchse hieß es mal, früher als es noch einen Kurfürsten gab und die Mark hier und Preußen da war. Heute gibt es nichts mehr davon. Nur noch Fußballvereine, die so heißen und Mark spielt mit Kevin Nintendo, damit sie sich ihre neuen Jeans in der Sandkiste nicht schmutzig machen.

Ging meine Nachbarinnen in Gedanken durch und fragte mich, ob manchmal das Gute wirklich nahe liegt. Ob sie auch noch lagen oder schon lange standen, so wie ich nur in der Mitte. Die im ersten mit den kräftigen Hüften zur blonden Mähne mit genug oben, gefiel mir schon lange - sie war meist allein...

Was für ein Unsinn, dachte ich, als ob meine Nachbarinnen hier nur sitzen und darauf warten, dass ich sie auf meine Morgenlatte rufe. Im Hinterhaus gab es noch die Musikerinnen, Symphoniker oder Philharmonie, wo spielten die noch, fragte ich mich - im Sommer hörte ich sie manchmal über das Fenster zum Hof üben. Dann gab es noch die Pfarrerin, die ganzen Muttis, manche auch süß aber die waren jetzt mit ihren Vatis und den Kindern spazieren, schlechte Zeit irgendwie, Sonntag eben.

Also doch onanieren, dachte ich und überlegte schon, was ich mir dazu ansehen wollte, als es klingelte. Es war dieses kurze Klingeln, nicht so lang von unten, sondern kurz, direkt vor der Tür und ich fragte mich, wer da wohl was wollen könnte. Sprang aus dem Bett und zur Tür, da stand sie, völlig unbekannt, bildschön und lächelte die Tür an.

‘Bestimmt Wachturm und möchte mich bekehren, dachte ich, passt ja zu diesem Sonntag. Nun gut, dann sollte sie ihren Spaß haben, dachte ich und schloss die Tür auf.

“Hallo, ‘tschuldigung, bin neu hier und wollt fragen, ob sie vielleicht…” - kein Wachturm schoss es mir durch den Kopf, der ich mich schon auf eine lustige Diskussion eingestellt hatte, unrasiert, im Schlafanzug mit völlig wilden Haare und wenig an - “...etwas Salz für mich haben.”
“Das Sonntagsei ohne, geht ja  gar nicht”, lachte ich sie an, erfreut über meinen Witz.
“Genau, aber daran hab ich gestern nicht mehr gedacht.”
“Hast du ein Gefäß?”, war eine naheliegende Frage, doch sie schaute mich etwas verwirrt an und stotterte nur “wozu das?”

War die wirklich so schüchtern wie sie hübsch war, fragte ich mich oder warum senkte die immer so verschämt den Blick wie eine Bibelschülerin aus dem ländlichen Georgia. Da sah ich an mir herunter und merkte, warum sie so genau schaute -  der noch eben zur Selbstbefriedigung bereite James hatte sich vorwitzig durch die schnell angezogene Boxer stibitzt und schaute sich die Welt an, besonders die hübsche Nachbarin, war ja auch ein schöner Anblick.
“Ok, verstehe,  ist halt Sonntag…”
“Macht doch nichts, ist doch alles schick so”, sagte sie, als plauderten wir noch über Salzgefäße und nicht meinen vorwitzigen Schwanz, den ich schleunigst wieder verschwinden ließ.

Nein, schüchtern war sie offensichtlich nicht, sondern hatte einen guten Humor schien mir. Überlegte, ob ich noch etwas dazu sagen sollte oder lieber nicht. Es war ein schöner doppelbödiger Anknüpfungspunkt und auch von daher war ich neugierig, wie es nun weiterging.

Bat sie also herein, damit ich ihr das Salz irgendwo reinfüllen konnte, am besten etwas, dass sie bald zurückbringen musste, um ein Wiedersehen angezogen zu schaffen. Da zog sie einen kleinen silbernen Salzstreuer aus der Tasche -  sie hatte wirklich Stil.

“Da rein?”
“Ja,  sorry, ich war eben abgelenkt …”
“Schon ok, freut mich, wenn er so schöne Frauen noch ablenken kann …”

Sie lachte laut und herzlich und ich reichte ihr mein Salz, natürlich das feine aus dem Himalaya - wenn schon denn schon. Die hatte ja auch sichtbar Klasse und Stil.

“Mach mal, denke du hast da mehr Fingerspitzengefühl als ich …”
“Hoffentlich zumindest dabei”, erwiderte sie so schnell, dass ich einen Moment brauchte den doppelten Sinn zu bemerken, der eigentlich sogar dreifach zu hören war, wenn ich wollte.
“Wüsste nicht, wo nicht, wäre aber neugierig zu erfahren, wo überall noch…”
“Im Hier und Jetzt?”, schoss sie lachend zurück - sie war richtig gut, schon damit war der Tag gerettet.
“Da wir noch keine Vergangenheit miteinander haben, kann es ja nur um Gegenwart und Zukunft gehen, vermute ich, aber, was weiß ich schon, was Frauen denken…”
“Temporär denken wir vielleicht weniger und schauen erstmal nur.”
“Und was wäre dann ausgleichende Gerechtigkeit?”
“Schauen wir mal, würde der Bayer wohl sagen”, sagte sie und lachte laut auf.

Sollte ich sie nun packen und in den Arm nehmen und küssen - nachdem sie schon meinen Schwanz genau betrachtet hatte, waren wir ja irgendwie vertraut, fand ich. Andererseits, wenn sie nicht wollte, oder mich zu schnell fand, versaute ich mir unnötig das Klima im Haus, wer weiß, wie oft wir uns künftig begegneten - besser war wohl, ich schwieg dazu. Manchmal reizte nichts die Frauen mehr als langes Schweigen.

“Hat es dir die Worte verschlagen?”, fragte sie sehr charmant und lächelte wieder so, dass ich ihr vermutlich auch verzeihen würde, wenn sie mich einen impotenten Sack genannt hätte und ich schaute sie selig an.
“Was soll ich reden? Eine schöne Frau betrachten, ist manchmal genug Glück  im Leben…”
“Danke für die Blumen und das Salz - bis bald hoffentlich”, läutete sie die Verabschiedung ein.

Wollte sie nun wirklich gehen, ihr Ei essen oder wollte sie noch aufgehalten werden, spielte nur damit, mich zu provozieren, wie Frauen ja immer spielen, wenn sie es nicht gerade mal ernst meinen, aber dann spielen sie auch, damit es keiner merkt oder sie dadurch merken, wie ernst es uns überhaupt ist.  Habe mal versucht diese verschiedenen hypothetischen Gedankenwelten der Frauen, jenes was wäre wenn und ob, graphisch nachzuvollziehen, aber ich habe es aufgegeben, es war am Ende nur noch ein einziges etwas chaotisches Gekrakel verschiedener relevanter Beziehungsgeflechte, die alle irgendwie kreisförmig zusammenhingen. Es überstieg mein bescheiden männlich lineares Denken, was zumindest in Fragen von Lust und Liebe eher linear und zielorientiert ist. Da ran, rein, raus, halten oder weg, könnte ich Mann reduzieren, während für Frau seine Ex und seine Exex und deren Kinder oder der Ex der Ex der mit ihrem Ex wiederum und überhaupt eine wichtige Rolle spielen. Kurz gesagt, ich hatte keine Ahnung, was sie wollte, als sie sich verabschiedete.

Darum und weil es mit meinem schlichten Verstand viel zu lange gedauert hätte, all dies nachzuvollziehen, brachte ich sie zur Tür und hätte sie doch lieber an mich gezogen, um sie erstmal zu küssen und dann auszuziehen, auch mal zu schauen eben. Aber ich war ja ein kultivierter Mann, der nur seiner Nachbarin ein wenig von seinem Himalaya Salz lieh und ich hatte keine Bedürfnisse und sie war ja Nachbarin also ein Wesen ohne Geschlecht, wie jene, die so gern die Fenster knallt zwischen 50 und 80.

An der Tür nahm ich mir dann doch ein Herz und umarmte sie, wenigstens ein Bussi zum Abschied, dachte ich und wir fuhrwerkten etwas impulsiv in entgegen gesetzte Richtung mit unseren Köpfen herum, wer behauptet so etwas geschehe je ohne Absicht, hat, glaub ich, noch nie eine Frau geküsst, um schließlich doch mit den Lippen aufeinander zu landen.

Ein Kuss ist ein Kuss, sonst nichts, heißt noch gar nichts. Wenn der Kuss länger als eine Minute dauert, heißt es schon mehr und wenn Frau meine Hände die auf ihr hin und herwandern, um tiefer zu gelangen, nicht zurückweist, muss das hinterher auch nichts gehießen haben,  ich wollte es ja so. Aber wenn sie im gleichen Moment an dem ich endlich über Umwege ihre Mitte erreiche, auch zugreift mit Entschlossenheit, dann scheint alles ok zu sein und geht seinen Weg, dachte ich immer.

So ist das theoretisch - praktisch kochten ihre Eier noch und als sie meinte, die seien bestimmt längst hart, musste ich lachen und schaute sie dabei an, mit dem prustenden Lachen beider, das zugegeben etwas pubertär war, flog der Moment einer sinnlichen Stimmung wieder davon. Und so ging sie nach ihren Eiern schauen und ich ließ meine baumeln und stieg unter die Dusche, neugierig, ob sie wohl gleich wiederkäme.
jens tuengerthal 29.1.2017

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