007 Recht ordentlich
Die Deutschen haben es gern ordentlich, besonders im Vorgarten, sagt das Vorurteil und am schlimmsten ist, wenn der Nachbar unordentlich ist. Ist es recht so, wird gefragt, wenn wir wissen wollen, ob alles in Ordnung ist. In der Regel, schon wieder so ein an Normen orientiertes Wort, wird diese Frage bejaht, außer es ist etwas besonderes und so ist sie meist nur eine Floskel.
Sind Fragen der Ordnung meist Floskeln oder grundlegend?
Ordnung ist das halbe Leben, ist auch so eine deutsche Weisheit, die zum angepasst ordentlichen Leben anleiten soll und diese gab es früher von Hausfrauen auf Tücher gestickt als Bilder in der guten Stube, werden heute eher ironisch nur noch zitiert. Doch haben sie, wie viele Volksweisheiten einen wahren Kern, warum die Frage nahe liegt, was denn die andere Hälfte dann sein soll.
Ist Chaos oder Unordnung die andere Hälfte und was unterscheidet die beiden?
Schaue ich in die friedliche Natur auf einer Waldwiese etwa, vielleicht auch unter einer deutschen Eiche ruhend, scheint mir die Welt in Ordnung. Betrachtete ich, was ich dort sehe en Detail, merke ich, wie unordentlich die scheinbar friedliche Natur eigentlich ist und gehe ich noch weiter, unters Mikroskop kann ich wiederum erkennen, welch genaue Ordnung auch in der Natur immer herrscht, sehe ich vom subatomaren Chaos der Zufälligkeiten im Welle-Teilchen-Dualismus auf der Wiese einfach mal ab.
Aber herrscht die Ordnung wirklich oder ist sie nur ein Zustand ohne Herrschaft?
Herrschaft ist immer die Ausübung von Macht. Nach Max Weber ist Herrschaft die Chance für einen bestimmbaren Befehl bei einer angebbaren Gruppe Gehorsam zu finden. Die Herrschaft setzt dabei nach Weber im Gegensatz zur nur Macht Legitimität voraus, die erst durch die Akzeptanz der Herrschaft durch die Beherrschten gesichert wird.
Wenn einer befiehlt und andere ihm folgen, ist es also Herrschaft. Davon kann in der Natur aber keine Rede sein, weil ihr Funktionieren natürlich ist und nicht abhängig von Herrschaftsverhältnissen, die wir Menschen uns dazu konstruieren. Auch in der Natur gibt es aber eine Über- und Unterordnung, ob im Rudel, in der Kolonie etwa der Ameisen oder sogar unter den Pflanzen, die mit ihren Wirten und Bewohnern korrespondieren.
Die Natur folgt ihrer eigenen Ordnung, eben den natürlichen Gegebenheiten und den dafür geltenden natürlichen Gesetzen. Doch schon das Wort Gesetz, was ein von Menschen erlassener Rechtsakt ist, passt nicht zur Natur eigentlich. Es beschreibt nur die von uns beobachteten Regelmäßigkeiten im Ablauf, die der jeweiligen Natur entsprechen.
Gibt es also Naturgesetze überhaupt, wie das ein Apfel vom Baum nach unten fällt und nicht nach oben, weil die Erdanziehung stärker ist?
Wenn ich die Natur beobachte, stelle ich fest, es passieren unter bestimmten Bedingungen immer die gleichen Sachen. Pflanzen blühen, reifen und vergehen wieder, ob durch Abwurf des Laubes oder den eben Tod nach einem Sommer bei den einjährigen Pflanzen. Es scheint bestimmte Dinge folgen einfach einer natürlichen Ordnung.
Ob diese einen höheren Grund hat, wie etwa eine erdachte Schöpfung, von der das Märchenbuch Bibel erzählt, ist dabei völlig irrelevant. Egal, was ich glaube oder nicht, die Schwerkraft gilt für den Atheisten wie für den Gläubigen in gleicher Weise. Die Naturgesetze gelten, weil sie der Natur folgen, aus ihrer Beobachtung erkannt und nicht erlassen oder gewillkürt wurden wie etwa die 10 Gebote. Sie beschreiben nur, was ist, statt festzulegen, was sein sollte, wie es die biblischen Gebote manchmal wider die Natur tun - keine anderen Götter haben, keinen Menschen töten, treu sein, auch gegen natürliche Bedürfnisse und vieles mehr, wie die Achtung der Eigentumsordnung, als sei die Inbesitznahme von etwas und die im deutschen Recht davon getrennte Eigentumserklärung ein Teil der Natur.
Braucht es mehr als die Natur ist, damit alles in Ordnung ist und die Menschen gut miteinander leben können?
Nach der Natur ist alles Leben sterblich. Existiert von der Geburt bis zum Tod als Wesen und ist schon vor der Geburt existent, kann aber nicht natürlich alleine existieren. Wann wir von einem Menschen sprechen, ist strittig und wird viel diskutiert.
Manche meinen, das Leben beginne in dem Moment, in dem sich die befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet oder überhaupt befruchtet wird. Häufig sind dies Menschen, die über die Natur hinaus von einem höheren Grund des Seins ausgehen und auch darum das Sein besonders schützen wollen.
Da Lebewesen in der Mutter heranwachsen, beschränkt eine solche befruchtete Eizelle die Freiheit der werdenden Mutter und kann auch ihr Leben gefährden. Das ist eben der Lauf der Natur, fraglich nur, inwieweit wir in sie eingreifen dürfen, auch um das Leben oder die Freiheit der Mutter zu schützen.
In der Natur gilt natürlich das Recht des Stärkeren und wer sich durchsetzt, überlebt. In unserer Gesellschaft ist das wesentlich komplizierter, weil so viele Dinge im einzelnen zu berücksichtigen sind. So fragen wir etwa, welches Leben mehr wert hat und wer über welches entscheiden darf, ob wir das ungeborene Leben schützen müssen, weil es sich nicht wehren kann, aber doch schon fast ganz Mensch ist.
In Deutschland wird das ungeborene Leben über §§ 218ff Strafgesetzbuch geschützt, also ein geschriebenes Gesetz, in dem sich die wechselnden Moralvorstellungen einer Gesellschaft wiederspiegeln. Der Weg dahin war lang und schwierig und ein wichtiger Kampf auch in der Emanzipation zu der Kampagnen der Frauen gehörten, die sagten, mein Bauch gehört mir.
Das ist richtig und es ist nicht einzusehen, warum Frau ihre Freiheit und Selbstbestimmung verlieren soll, nur weil sich eine befruchtete Eizelle aus welchen Gründen auch immer, meist Sex, manchmal auch anders, in ihr eingenistet hat.
Warum sollte eine Frau ihre Freiheit und ihr Leben ihrer gesellschaftlichen Funktion unterordnen?
Was ist die Ordnung der Natur hierbei und wie finden wir es richtig?
Nach der Natur wird eine Frau, wenn sie an ihren fruchtbaren Tagen mit einem fruchtbaren Mann Sex hat unter bestimmten Bedingungen schwanger und dann geht es seinen natürlichen Verlauf bis zur Geburt. Ob ein Spermium die Eizelle erreicht, ist nicht vom Willen der Beteiligten dabei abhängig sondern folgt den Gesetzen der Natur. Irgendwann merkt Frau, dass sie schwanger ist und passt ihr Verhalten daran an. Was da natürlich ist oder nicht zu sagen, schiene mir anmaßend.
Es kann wohl genauso natürlich sein, sich darüber zu freuen, wie sich davor zu fürchten oder das Ergebnis zu verfluchen je nach Stimmung, die in diesem Zustand auch noch vielen ebenfall nicht willensgesteuerten hormonellen Einflüssen unterliegt. Ob Gedanken und Wille der Frau Einfluss auf das in ihr wachsende Leben hat, ist unklar. Die meisten Frauen glauben es, die Wissenschaft weiß nichts genaues. So wenig wie, welche Beschallung pränatal besser tut.
Liebe tut jedem Menschen gut. Sie auch dann zu leben und sich auf das wachsende Leben zu freuen, tut allen daran Beteiligten gut, kann ich aus Erfahrung sagen, es ist dann einfach eine wunderschöne Zeit. Aber Kinder können genauso gut und wunderbar werden, wenn die Mutter allein ist oder die Eltern sich ständig streiten und es kann auch alles ganz anders sein. Was gut tut, ist gut und darum sollten wir es am besten so tun, um jeden Tag zu genießen, als sei es der Letzte. Mehr ist dabei trotz vieler Theorien, die immer wieder die neuesten Erkenntnisse unter das verwirrte Volk streuen, nicht gewiss.
Frau verliert mit jedem Monat Schwangerschaft ein Stück von ihrer Freiheit und hat ab jetzt eine wohl lebenslange Verantwortung nach der Natur. Diese kann sie in der Gesellschaft durch Freigabe zur Adoption oder Abtreibung umgehen, aber sie muss etwas tun, will sie ihr Leben und ihre Freiheit verteidigen, denn die Natur benutzt sie einfach als Gebärmaschine, ob sie will oder nicht. Dann wächst neben dem Bauch auch der Busen, ob es sie freut oder nicht. Da Frau aber auch noch einen Willen hat und ein freies Wesen der Natur nach bleibt, stellt sich die Frage, wessen Recht dabei überwiegt, wenn es zum Konflikt kommt.
Habe lange Zeit die Position eingenommen, dass ich als Mann darüber nicht entscheiden kann und muss, weil es mich nie betrifft und damit Frau die Entscheidung frei überlassen, dem Geist der “Mein Bauch gehört mir”-Kampagne folgend, die Alice Schwarzer damals anstieß.
Sehe ich immer noch ähnlich, mir ist nur aufgefallen, dass es feige ist, sich vor dieser Verantwortung zu drücken und damit vor allem dem werdenden Leben jeden Schutz zugunsten der Freiheit der Frau abzusprechen.
Nach der beschränkten Fristenregelung, wie sie derzeit in Deutschland gilt, dürfen Frauen nach einer Beratung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abtreiben. Erscheint mir relativ vernünftig und gerecht und berücksichtigt das Kindeswohl wie auch unterschiedliche Moralvorstellungen. Anderes gilt bei einer Behinderung oder bei der Gefahr für Leib und Leben der Mutter, dann dürfen Kinder auch noch bis zu einen Tag vor der Geburt abgetrieben werden.
Nach Einsetzung der Eröffnungswehen aber begeht wer das, was zur Welt kommt, tötet ein Tötungsdelikt und wird entsprechend bestraft, weil wir sagen, der Staat müsse jedes Leben schützen. Bedenke ich, dass meine wunderbare Tochter rund 3 Wochen zu früh kam, hätte dies großartige Wesen unter bestimmten Bedingungen noch bis zum Tag des Termins abgetrieben werden können, was mir unvorstellbar erscheint.
Weiß nicht, ob wir nach der Natur Grenzen ziehen können, ab wann die sich ständig teilenden Zellen ein menschliches Wesen sind. Gilt der Zeitpunkt ab dem ein Kind allein im Brutkasten überleben kann oder ist das Zufall, weil wir bald vermutlich nicht nur die Zeugung im Reagenzglas bewältigen können sondern auch praktischerweise die ganze Schwangerschaft, frage ich mich und habe keine klare Antwort.
Begeht wer einem Brutkasten, in dem befruchtete Eizellen in der 3. Woche liegen, den Strom abdreht einen Mord oder doch nur eine Sachbeschädigung?
Was ist mit dem Einbrecher in die Samenbank, der die Sicherung rausdreht?
Alle Natur ist sterblich und es ist die Freiheit des Menschen über den eigenen Tod entscheiden zu können. An diesem Grundsatz meines Denkens ändert sich auch bei der Frage nach dem Recht der Natur für das ungeborene Leben nichts, was einer der schwierigsten Punkte ist, auf der Suche nach einem guten Urteil.
Warum soll das werdende Leben weniger wert sein, als dass der Mutter, wenn die Natur beide verbunden hat?
Kann diese Frage so nicht beantworten und finde sie, ehrlich gesagt, auch irreführend. Da Mutter und Kind natürlich verknüpft sind und ich der Mutter auch nicht ihre Freiheit absprechen würde, sich selbst zu töten, selbst wenn sie schwanger ist, folgt für mich daraus, ihr auch eine besondere Rolle in dieser natürlichen Beziehung zu geben und damit die Befugnis darüber zu entscheiden, was sie für richtig hält, weil ihre Freiheit schon vorher war und die negativen sozialen Folgen, wenn ich ihr diese Freiheit nehmen würde, überwiegen, entscheide ich mich dafür, der Mutter als Wesen hier mehr Wert zu geben.
Aber das ist reine Willkür, durch nichts in der Natur begründbar, sondern eine menschliche, moralische Entscheidung, die um nichts logischer ist, als die des vorletzten Papstes die Abtreibung aus Gründen des Lebensschutzes völlig zu verdammen. Es gibt soziale Gründe die Abtreibung zu erlauben, weil ihr Verbot immer zu Lasten der Freiheit der Frauen geht. Sie ändern aber logisch nichts daran, dass ich über Leben entscheide und diese Entscheidung so treffe, als sei das schutzbedürftige werdende Leben noch keines.
Es ist nicht aus der Natur oder sonst logisch erklärbar, warum ein Leben mehr wert hat als ein anderes und ein bloßes Freiheitsrecht ein Existenzrecht überwiegen soll. Sage ich, wie es die Natur tut, Leben entsteht mit der Vereinigung von Ei und Samenzelle, wäre es ab diesem Zeitpunkt vom Staat zu schützen wie jedes andere Leben. Ärzte die abtrieben, wären dann Mörder und Frauen, die es machen ließen, zumindest Anstifter dazu. Vermutlich aufgrund der natürlichen Nähe auch Täterinnen des späteren Mordes.
Das hätte aber zur Folge, dass ich auch den versuchten Freitod einer Mutter als Tötungsdelikt am ungeborenen Leben bestrafen müsste, mit den erwartbar absurden Ergebnissen auf dem Rücken der Frauen. Die sozialen Gründe sind es, die den sonst kategorischen Lebensschutz aufweichen. Logisch sind diese nicht, außer ich definiere Leben erst als solches ab dem Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen.
Dieser Willkür würde jede werdende Mutter widersprechen, die doch schon vorher spürt, wie es sich bewegt und etwas in ihr verändert. Da lebt etwas und warum ziehen wir eine willkürliche Grenze, ab wann wir es schützen?
Sollten wir eine solche auch am Ende ziehen. Etwa, egal wie gesund oder krank, ab 95 wird eingeschläfert?
Habe keine einfache Antworten auf diese Fragen und will sie auch nicht geben. Damit wir zusammenleben können, schließen wir Kompromisse, die mehr oder weniger gut sind und die Ordnung einigermaßen aufrecht halten und es kann sich die Sichtweise darauf ändern und damit auch die Definition dessen was lebenswertes Leben ist. Dies letzte Wort ist schon wieder hochumstritten, weil im sogenannten Dritten Reich lebensunwertes Leben vernichtet wurde, was nach Definition der Nazis Behinderte, Juden, Zigeuner und andere Gegner ihres vermeintlich gesunden Volkskörpers sein konnten.
Widerlich denken wir heute und wie gut, dass sich auch damals mutige Menschen wie Graf Galen dagegen auflehnten, auch wenn sie nur wenige retten konnten. Doch der Maßstab der Willkür über das Leben ist immer ein relativer. Sobald wir eine gestatten, wird es schwer einer anderen jede logische Berechtigung abzusprechen. Auch die Formel nach der wir die Täter des nationalsozialistischen Unrechts verurteilten, ist eine ähnlich unlogische Krücke wie die welche die Abtreibung legitimiert. Diese sogenannte Radbruch’sche Formel nach dem großen Heidelberger Juristen Gustav Radbruch an dessen Schreibtisch ich einige Jahre die Ehre hatte arbeiten zu dürfen, ohne dabei innerlich tiefer in die Jurispudenz einzudringen, wurde auch für die Mauerschützen wieder aus der Schublade gekramt und ist nichts als der Versuch die Siegerjustiz vom Vorwurf der Willkür freizusprechen und den Eindruck zu geben, es ginge alles mit Recht und Ordnung zu. Die Radbruch’sche Formel bezieht sich auf die Gerechtigkeit, die über dem Recht gelte, sofern der Richter erkennen müsse, dass das eigentlich geltende Gesetz zu einer unteräglichen Ungerechtigkeit führe.
Damit wird die Natur und ein erdachtes Naturrecht der Gerechtigkeit ins Strafrecht geholt, um die Verbrecher des NS-Regimes und ihre Schergen, die gesetzmäßig meist handelten, bestrafen zu können oder die Mauerschützen an der innerdeutschen Grenze, die auch legitim handelten. Eigentlich gilt aber im Rechtsstaat im Strafrecht immer der nulla poena Grundsatz, der besagt, keine Strafe ohne zum Zeitpunkt der Tat geschriebenes Gesetz. Seine Umgehung öffnete der Willkür Tür und Tor, da dann beliebig Taten im nachhinein als strafbar erklärt werden könnten, auch ohne, dass die Täter zu diesem Zeitpunkt etwas davon wissen mussten. Wer ihn einfach aushebelt braucht gute Gründe und ob die Bestrafung von unmoralisch handelnden Menschen ein Grund ist, bleibt fraglich.
Nach der Radbruch’schen Formel könnten wir irgendwann auch alle Abtreibungen als Mord bestrafen, der bekanntlich nicht verjährt, wenn wir zu der moralischen Ansicht kämen, Leben sei zu jedem Zeitpunkt schutzbedürftig und gerade vor der Geburt. Würde für gerecht gehalten, weil es der aktuellen Moral entspräche, den Schutz des Lebens ab der Zeugung beginnen zu lassen, drohte jeder Frau, die eine Abtreibung in ihrem Leben beging eine Anklage wegen Mord und potentiell lebenslange Freiheitsstrafe.
Scheint uns glücklicherweise heute absurd, ist aber nicht fern von der logischen Begründung der Verurteilung der NS-Täter oder der Mauerschützen, die ich schon immer eher willkürlich fand und wo das Überwiegen rechtsstaatlicher Prinzipien besser gewesen wäre, nach denen eben nur zu bestrafen ist, wer auch in dem Bewusstsein handelte, etwas rechtswidriges zu tun, beziehungsweise, dies überhaupt nicht tat, wenn sein Handeln zu diesem Zeitpunkt gewollt und legitim war.
Gerne wird die Anwendung dieser höheren Gerechtigkeit nach der Formel Radbruchs auch als eine Form des Naturrechts neben dem staatlichen Recht gesehen, damit eben die höhere Gerechtigkeit wiederhergestellt werden könnte, die wichtiger hier sei als die Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Doch scheint mir diese Krücke mehr als fragwürdig, da es im Rechtsstaat nicht um Gerechtigkeit geht sondern die Einhaltung formaler Prinzipien, die als solche gerecht sind und die abstrakte oder natürliche Gerechtigkeit immer nur von den zufällig geltenden Grundsätzen aktueller Moral abhinge, welche noch schwammiger gleich ist.
Das Beispiel der Abtreibung erläutert es ein wenig und erklärt, warum ich in dieser Einleitung, in der es doch um Natur und Recht gehen sollte, so lange darüber schreibe. Würde hier eine Partei mit Mehrheit regieren, die den Schutz des Lebens mit der Zeugung beginnen ließe und die Abtreibung für Mord erklärte, was gar nicht so abstrus ist, bedenken wir die Argumente der Gegner aus Rom oder den USA, könnten alle Frauen, die einmal eine Abtreibung begingen nach der Radbruch’schen Formel als Mörderinnen verurteilt und dann entsprechend bestraft werden.
Der Staat nahm für diese Formel, mit der versucht wurde das NS-Unrecht rechtlich aufzuarbeiten und in die strengen Formen des Rechtsstaates einzupassen, ein sogenanntes Naturrecht zu Hilfe, dass es in der Natur nicht gibt und das auf einer Moral basiert, die sagen sollte, was gerecht und ungerecht sei, ohne dafür auf Gesetze zurückgreifen zu müssen.
Ob es so etwas gibt und wir bei dem Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkenden, wie es normal angewendet wird von deutschen Richtern, nicht ganz nah wieder an der Nazi-Formel vom gesunden Volksempfinden sind, sollte sich jeder frage, der darüber schwadroniert, dass er von Gerechtigkeit träumte und nur den Rechtsstaat erhielt.
Es geht im Recht nicht um Gefühl sondern um formelle Normen und wenn nach denen keine Bestrafung möglich ist, gibt es eben keine und dann ist es besser nicht den Rechtsstaat zu beugen, statt ungerecht zu verurteilen. Sonst drohen, falls sich die Moral zufällig ändert vielen Frauen Mordprozesse und sie würden wieder zu Opfern gesellschaftlicher Willkür.
Von Natur hat all dies nichts, auch nicht das Gerechtigkeitsempfinden, was meist nur das Produkt des sozialen Kontextes einer Gesellschaft ist und nichts absolutes. Wer die Tagebücher von Georg Forster auf der Cook-Expedition liest, in denen er beschreibt, wie sich die Inselbewohner erstmals betretener Inseln völlig über Eigentum hinwegsetzten und sich nahmen, was ihnen gefiel oder auch die relative Wandlung unserer Moral gegenüber der Todesstrafe und anderem wie etwa Homosexualität, merkt wie willkürlich auch alle sogenannte Gerechtigkeit ist.
Es gibt in der Natur kein Recht, sondern nur kausale Ergebnisse von Handlungen. Die Natur ist nicht gerecht oder ungerecht, sie ist. Alle Kompromisse die wir Recht nennen sind relativ und von den gerade herrschenden Umständen abhängig. Der Rechtsstaat, der erst die Demokratie und die Freiheit in großen Gemeinschaften wie der unsrigen ermöglicht, braucht klare Prinzipien als Grenzen. Dazu gehört der nulla poena Grundsatz. Ihn sollte keine Moral brechen dürfen, weil die damit zugelassene Willkür, dem Staat die Legitimation zur gerechtfertigten Strafe raubt.
Klingt furchtbar juristisch, ich weiß, lässt sich bei dem Thema leider nicht völlig vermeiden, ist aber sehr wichtig, um zu verstehen, wie ein Staat funktioniert und wer wen warum bestrafen darf, was Freiheit heißt, wo Recht beginnt und Unrecht aufhört, was es zur Erhaltung der Ordnung beiträgt.
Ordnung kann sehr viel sein, von der kleinen Zuhause bis zur großen im Staat oder der auf der Straße, wer Vorfahrt hat und warum. Wenn viele Menschen zusammenleben, braucht es eine gewisse Ordnung, damit es funktioniert. Würden die einen links und die anderen rechts fahren, würde der Straßenverkehr sehr unübersichtlich. Wenn alles in Ordnung ist, fühlen wir uns wohl, während die Unordnung mit etwas wichtigem für Unruhe sorgt.
Wie weit das in unserer Natur liegt und ob es dazu Recht braucht, will ich in den folgenden Essays weiter fragen. Dabei gehe ich wie immer vom kategorischen Imperativ als moralischem Handlungsmaßstab aus, nach dem wir jedes Recht an unserem Gewissen messen müssen. Versuche die absolute Ordnung ein wenig infrage zu stellen, um herauszufinden, was wirklich gelten muss, was unsere Natur ist, wie sich Moral begründet, bedenke die Gefahren der Unordnung und die Chancen der Freiheit.
Logisch stellt für einen, der mal die Rechte wenn auch relativ erfolglos studierte, die Frage nach Recht und Ordnung und ihrer eventuellen Entbehrlichkeit den Kern philosophischer Überlegungen dar, weil es die Frage ist, um die alles kreist, was unser zusammenleben ordnet und die Frage danach stellt, wie es sein sollte, wenn die Welt so wäre, wie sie uns gefällt - mit mehr Ordnung oder freierer Unordnung, alles rechtens oder lieber Gnade vor Recht ergehen lassen, damit sich Unrecht vielleicht weniger lohnt.
jens tuengerthal 7.1.2017
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