Freitag, 11. September 2020

Familienzukunft

Hat Familie noch eine Zukunft und wenn ja welche?

Wir sind in einem Prozess der Veränderung, dessen Ausgang noch nicht absehbar ist. Noch stehen in unserer Gesellschaft mehrere Modelle von Familie nebeneinander, doch setzt sich das neue Modell, bei dem beide Eltern gleichberechtigt Verantwortung für familiäre Aufgaben übernehmen, immer mehr durch. Gleichzeitig fürchten die Anhänger des traditionellen Modells der Familie um deren Zukunft und verfechten dies auf verschiedenen Wegen. Ein Zeichen waren die lange Vorbehalte in Teilen der Politik gegen die Homo-Ehe als gleichberechtigtes Familienmodell.

Im Gegensatz zu Frankreich fand dies im protestantischer geprägten Deutschland große Zustimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung und kann heute als akzeptiert gelten. Damit erhält der kulturelle Begriff der sozialen Familie größere Bedeutung, der im übrigen schon immer der Kitt war, der Großfamilien zusammenhielt und der stark auch auf der emotionalen Ebene verwurzelt ist, was wiederum auf eine Stärkung der Sozialkompetenz schließen lässt, die heute auch als Führungsqualität von größerer Bedeutung ist, als die früher vorrangigen Macher-Qualitäten, die eher Testosteron gesteuert waren und damit mehr von Männern wahrgenommen wurden.

Inwieweit die verstärkte Übernahme von Elternzeit durch Väter, die das nicht mehr als Karrierehindernis betrachten, schon zu einer neurologischen Veränderung bei den Betreffenden Vätern geführt hat, also die Mutterareale im Hirn stärker aktiviert wurden, konnte noch nicht nachgewiesen werden, doch ist davon auszugehen, was auch für die Entwicklung der Familie eine Veränderung bedeuten wird, da nun beide die Tragweite der jeweiligen Aufgaben kennen und übernehmen können. Der transparentale Weg ist sozial längst eingeschlagen worden. Dies wird das Leben in den Familien langfristig verändern.

Seit Beginn der verstärkten Gleichberechtigung und der häufigeren Übernahme von Elternzeit durch Väter ist zumindest die Scheidungsquote in Deutschland von 52% auf 43% zurückgegangen, was eine überzufällig deutliche Entwicklung zeigt. Mehr Verständnis füreinander in allen Bereichen verursacht wohl ein besseres Miteinander, Die typische Trennungszeit für Eltern junger Kinder, die von den Aufgaben einseitig überfordert sind, ging merklich zurück.

So könnte der scheinbar nur soziale Aspekt stärkerer Gleichberechtigung für eine höhere Stabilität der Familien im konservativen Sinne sorgen, weil auch die sozialen Aufgaben gemeinsam wahrgenommen werden. Die Reformen des Familienrechts, die Gegner für die Aufgabe der klassischen Familie lange hielten, auch weil Männer sich lange nicht vorstellen konnten, selbst die typisch weiblichen Aufgaben, zumindest jene, die lange so gesehen wurden, wahrzunehmen, führten bereits zur Senkung der Scheidungsrate.

Aber auch im Falle einer Trennung, bleiben die vorher Partner nicht mehr lange alleine, sondern gründen eher, oft mit anderen getrennten Elternteilen, eine neue Familie, in denen dann gemeinsame und vorige Kinder zusammenleben. Das sogenannte Patchwork-Modell ist längst normal geworden und wird auch von den Kindern selten als schwierig wahrgenommen. Es gibt dort, neueren Studien zufolge, keine höhere soziale Auffälligkeit als in herkömmlichen Familien. Im Gegenteil weisen diese Modelle sogar oft auf eine besonders hohe Sozialkompetenz hin, womit, was früher als Schande der Scheidung galt, die Ausdruck für ein soziales Scheitern war, heute den Weg zu neuer Kompetenz und Anerkennung eröffnen kann. Das Stigma der Scheidungskinder wird zur besseren Chance der Kinder in Patchworkfamilien, die früh eine höhere Flexibilität erlernen.

So werden alte Begriffe, den Anforderungen der Lebenspraxis entsprechend umgedeutet und helfen so das alte Familienmodell der neuen Zeit anzupassen, womit es wider Erwarten besser am Leben gehalten wird, als viele Kulturpessimisten lange unkten, die transparentale Elternschaft und Hausmänner schon als den Anfang vom Untergang des Abendlandes sahen. Dieser Tonfall, insbesondere noch aus Kreisen der AfD, des früher FN in Frankreich oder der Anhänger von Trump ist ein typisches Beispiel für Fake-News, den die Praxis der letzten Jahrzehnte immer deutlicher widerlegt. Vor allem die gesunkene Scheidungsrate, auch aufgrund höherer Sozialkompetenz der Beteiligten, weist auf eine positive Entwicklung des eigentlich konservativen Familienmodells unter neuen progressiven Vorzeichen hin.

Inwieweit diese positive Entwicklung durch Migration von Personen aus traditionell konservativeren Regionen, die noch stärker religiös geprägt sind, verändert werden könnte, ist nicht bekannt. Der Anteil ist allerdings so gering, verglichen zur Gesamtbevölkerung, dass es vermutlich nicht deren langfristige Entwicklung verändern wird. Jedoch ist auch bei Migranten der zweiten und dritten Generation eine immer stärkere Übernahme der lokalen Gewohnheiten, die dann mit einem sozialen Aufstieg einhergehen, zu beobachten. Zwar wird vermutlich jeder Ausnahmen kennen, die jedoch diese bleiben und auf die Entwicklung keine gravierende Bedeutung haben. Dabei wird auch verstärkte Bemühung um Integration wichtig sein, mit der auch staatlicherseits die gewünschte Entwicklung unterstützt werden kann. Im Gegenteil zu den Vermutungen der Schwarzmaler, werden die Migranten vermutlich eher die Emanzipation in ihren Heimatländern voranbringen, als die hiesige zurückdrehen.

Auch wenn ich selbst die Erfahrung machen konnte, dass die Partnerschaft mit jemandem, der einem traditionellen Millieu entstammt und die hiesigen Werte teilweise ablehnt, zwar zu einer Stagnation der eigenen Entwicklung führte, weil ich als Mann, von Natur aus träge, gerne wieder auf das alte Modell umschwenkte, solange es gefragt war, aber irgendwann auch feststellen musste, dass diese Art des Miteinanders langfristig keine Zukunft hatte, weil das, was heute Partnerschaft ausmacht, die wechselseitige Übernahme von Aufgaben und Erleichterung im Alltag, sich so nicht realisieren ließ eher Konfrontation und Konflikte alltäglich wurden, die vorher überwunden waren.

Das Rad lässt sich zwar scheinbar und zeitweise, wie es die USA unter Trump gerade noch erleben, zurückdrehen oder zumindest anhalten aber für die langfristige Entwicklung haben solche Ausreißer keine Auswirkung, sie werden historisch bedeutungslose Versuche, die keine Zukunft mehr haben. Vor allem hat sich das alte Modell hinsichtlich der Stabilität der Familien nicht bewährt. Im Gegenteil haben die neuen Modelle zu mehr Konstanz und weniger Trennungen geführt, weil die Aufgabenteilung das Miteinander verbessert.

Wie schnell sich diese Veränderungen im Gehirn manifestieren werden, sich die bei Männern erst sozial zu aktivierenden Mutterareale nachweisen lassen, wird die Forschung in Zukunft ergründen können. Sofern dauerhafte Übung sich wohl auch auf das Erbgut auswirken kann, die frühere Annahme einer klaren Trennung von Anlage und Erziehung ist insoweit wohl auch hinfällig, könnte die geänderte Praxis langfristig zu einer Veränderung der Sozialstruktur der Gesellschaft führen, weil sich die sozialkompetenteren Menschen auch im Miteinander anders verhalten, mehr Lösungen suchen, als Probleme wälzen, die Entwicklung sehr konstruktiv sein könnte.

Insoweit stimme ich Christina von Braun in ihrem positiven Resümé zur Zukunft der Familie zu und das dies auch an der Einführung der homosexuellen Ehe liegt, die gleichfalls zu einer stärkeren Stabilisierung der sozialen Verhältnisse geführt hat, halte ich auch für naheliegend. Widersprechen möchte ich ihr aber am Ende bei ihrer absurden These die Psychoanalyse, jene von Freud begründete postreligiöse Sekte, sei ein gutes Modell zum Verständnis sozialer Prozesse der Zukunft. Ganz im Gegenteil halte ich die Jünger des Unterbewusstseins eher für vorgestrig und das System, so gute und wichtige Beobachtungen es brachte, für ungeeignet einen konstruktiven und bewussten Prozess der sozialen Transformation in Gang zu bringen oder zu begleiten.

Wem nutzt an dieser Stelle ein erfundenes Unterbewusstsein, das den Analytikern eine priesterartige Stellung bei der Auslegung des eigenen Seins gibt, die der katholischen Dogmatik nicht unähnlich ist?

Die Veränderung der Familie infolge höherer Gleichberechtigung und die Entwicklung der transparentalen Elternschaft, in der beide bewusst beide Aufgaben übernehmen, braucht keine Auslegung des Seins aus dunklen Gründen des Unterbewussten, was primär auf die Sexualität mit ödipalen Modell schaute, was auch Christina von Braun kritisiert. Dennoch hält sie als Wissenschaftlerin das unwissenschaftliche Modell der Psychoanalyse, das auf dem nur geglaubten Unterbewusstsein als Einflussträger aufbaut, für geeignet, eine bewusste Gestaltung der neuen Freiheit zu begleiten. Das ist im besten Falle vorgestrig, so gut und bereichernd ihr Buch bis dahin war, ist dieses Ende ein wenig unwürdig und kaum zeitgemäß, zumindest nicht einer freieren Zukunft zugewandt.

Die Psychoanalyse ist das Gegenteil von Aufklärung im kantschen Sinne. Sie wühlt in dunklen Löchern, die sie mit ihrer Dogmatik in das unfrei machende Unterbewusstsein projiziert. Damit ist kein aufgeklärt, emanzipiertes und gleichberechtigtes Verhalten langfristig erreichbar, im Gegenteil. Die Entscheidung für die Familie der Zukunft sollte bewusst erfolgen und ist nur dann ethisch gut und richtig, wenn sie aus dem Bewusstsein frei gestaltet wird. Die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung entsprechend der natürlichen Gleichheit soll bewusst gelebt werden, nicht aus erfundenen Abgründen des Unterbewusstseins abgeleitet werden, die nicht weiterführen als zur Sekte der Psychoanalyse, die eben genau nicht konstruktiv gestaltet, sondern nur Probleme aus unklaren Gründen konstruiert.

jens tuengerthal 11.9.20

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