Montag, 7. September 2020

Materincertinum

Wird auch die Mutter heute unsicher?

Das Kontinuum bei aller Betrachtung der Familie war, dass im Sinne der Blutlinie, die Mutter als sicher galt. Ihr wurden, neben dem natürlichen Stillen, was Männer nie übernehmen konnten, außer mit der Flasche, lange Zeit viele Aufgaben aus diesem Bereich zugewiesen, mit denen sie dann als natürlich verbunden galt, womit sich die diese Geschichte schreibenden Männer des größten Teils häuslicher Aufgaben entledigte. Frauen identifizierten sich lange Zeit mit diesem Aufgabenkreis und sahen ihn als natürlich ihren an.

Dies galt zu einer Zeit, als Kinder meist noch natürlich in einer ehelichen Verbindung gezeugt wurden. Das hat sich bis heute sehr verändert. Die Veränderung ging einher mit der Möglichkeit zur In-vitro-fertilisation (IVF) ab 1978 wie der Entwicklung der Leihmutterschaft und der parallel immer stärkeren Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen. Zur IVF kamen noch andere Methoden hinzu, die eine größere Sicherheit gaben.

Erst 1930 war der weibliche Zyklus und sein Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit erforscht und erkannt worden. Die weibliche Sexualität und ihr Zusammenhang mit dem nervus pudendus ist erst seit wenigen Jahren bekannt. Bis dahin waren weibliche Lust und deren möglicher Zusammenhang mit der Befruchtung eine black box über die viel gemutmaßt und wenig wissenschaftlich gewusst wurde. Inzwischen ist bekannt, dass, neben dem monatlichen zyklischen Eisprung, auch in Ausnahmefällen ein solcher durch hohe Erregung ausgelöst werden kann. Nicht bekannt ist, welche Faktoren dabei noch eine Rolle spielen könnten. Für viele Menschen ist die weibliche Sexualität noch eine black box, die weiterer Aufklärung bedarf und nicht wenige Frauen haben sich damit abgefunden, beim Sex keine Befriedigung zu finden und sehen die Mutterrolle noch immer als ihre natürliche Aufgabe an, betrachten Sexualität nur als notwendiges Mittel oder Übel zu diesem Zweck, der immer wieder auch ihr Leben gehfährdete. 

Seit Erfindung genügend starker Mikroskope Mitte des 19. Jahrhunderts, wissen die Menschen theoretisch genau, wie die Befruchtung der verhältnismäßig riesigen Eizelle mit dem winzigen Spermium abläuft, aber vieles dabei blieb noch Theorie. Schlussfolgerungen daraus werden erst ganz langsam gezogen und die Rolle der Frau veränderte sich im folgenden Jahrhundert auch aufgrund des Beharrungsvermögens vieler Männer nur langsam,

Seit eine befruchtete Eizelle, von wem auch immer, einer Leihmutter eingesetzt werden kann, steht die reale Mutter der intentionalen gegenüber, was eine spannende auch juristische Diskussion beginnen ließ, die bisher meist zugunsten der intentionalen Eltern entschieden wurde, die in der Regel wohlhabender und gebildeter waren, während Leihmütter, die ihren Bauch auch aus pekuniären Gründen zur Verfügung gestellt hatten, häufig aus sozial schlechteren Verhältnissen kamen.

Doch fragt sich, wer nach der Natur mehr Recht an dem Kind hat und es stärker prägte. Ob die Prägung durch die Monate der Schwangerschaft, in der ein einfacher Zellhaufen zum Mensch wird, nicht stärker ist, als die bloß genetische Verbindung auf der aber die patrilineare Theorie der Blutsverwandtschaft aufbaut, der unser Rechtsverständnis zugrunde liegt. In Deutschland ist die Leihmutterschaft derzeit verboten. In den Niederlanden, in Dänemark, Spanien oder den USA ist sie erlaubt. Doch weigerten sich deutsche Ämter schon, intentionale Eltern, die ihr Kind in den Vereinigten Staaten von einer Leihmutter hatten austragen ließen, als juristische Eltern eintragen zu lassen und sahen nur die Möglichkeit der Adoption vor, die an andere juristische Hürden gebunden ist, erzeugten so für Eltern und Kind eine Situation rechtlicher Unsicherheit, die schwer erträglich ist.

Ist eine Mutter also auch Mutter, wenn sie das Kind nicht ausgetragen hat aber ihre Eizelle mit einem Spermium des Vaters befruchtet wurde, wird dabei eine wichtige Frage sein, die viel über das Verständnis von Elternschaft aussagt. Nach dem alten Verständnis, wären sie es genauso wie Eltern, deren Kind in vitro gezeugt wurde. Verhält es sich anders, könnte nun fraglich sein, wenn die Mutter oder der Vater unfruchtbar sind und eine fremde Eizelle mit einem Spermium der intentionalen Eltern befruchtet wurde oder umgekehrt, bei häufigerer väterlicher Unfruchtbarkeit, eine Eizelle der Mutter mit einem Spermium von einem Dritten befruchtet wurde.

Hier stehen die intentionalen und sozialen Eltern, den natürlichen gegenüber und wie weit sind diese natürlich, wenn das Kind im Labor gezeugt und der Leihmutter bereits als so gezeugtes Lebewesen eingesetzt wird. Ob damit ein Samenspender immer verantwortlich und Vater ist oderer die Verantwortung für die Verwendung seines Spermas und die Folgen mit der Spende abgibt, bleibt unklar. Inwieweit haben Kinder einen Anspruch darauf, ihre natürlichen Eltern kennenzulernen, was das deutsche Recht bejaht, das amerikanische teilweise verneint, und wie wichtig ist es für ihre Persönlichkeit und ihr Heranwachsen, zu wissen, welche genetische Prägungen sie erfuhren, über deren Auswirkungen wir noch ganz wenig wissen, wird in Zukunft immer häufiger fraglich sein.

Es ist schön, wenn unfruchtbare oder teilweise unfruchtbare Eltern, sich so den Kinderwunsch erfüllen können. Doch wer darüber entscheiden darf, ob Kinder einen Anspruch haben, ihre natürlichen Eltern kennenzulernen, wird künftig geklärt werden müssen. Wie es sein wird, wenn Kinder vollständig im Reagenzglas und im Brutkasten heranwachsen und wem das Kind zugeordnet wird, wenn der genetische Anteil nur von einem Teil stammt, könnte strittig werden, spätestens, wenn es zu Trennungen kommt. Darauf ethische und philosophische Antworten im Sinne der Kinder zu finden, dürfte für die Zukunft wichtig sein.

Soziale Elternschaft spielt damit eine immer größere Rolle und die amerikanischen Gerichtsentscheidungen deuten daraufhin, dass den intentionalen Eltern ein Vorrang vor den natürlichen eingeräumt werden könnte. Aber noch schwimmen wir hierzulande, wo die Leihmutterschaft noch verboten ist, im rechtlich relativ freien Raum. Dürfen Kinder, die etwa in den USA nach Leihmutterschaft als natürliche anerkannt sind, in Deutschland anders behandelt werden oder wäre das eine Ungleichbehandlung, wird letztlich vermutlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden und dabei wird auch das aktuelle Rechtsempfinden, also ein relativ unklarer Faktor eine Rolle spielen und wer nun wirklich die Mutter ist, worauf es dabei ankommt, wird angesichts neuerer Technik immer weiter verschwimmen.

So bewegen wir uns hin zu einer immer größeren Gleichberechtigung, die auch bei der ganz großen Mehrheit längst im Rechtsgefühl angekommen ist, wissen aber noch nicht, wie wir welche Rollen künftig ausfüllen werden und ob es noch auf diese ankommt. Wie ist es, wenn intentionale Eltern das optimalste gesundeste Spermium für ihren Nachwuchs im Katalog auswählen und es dann mit einer ebenso gesunden gespendeten Eizelle im Reagenzglas zu ihrem bestmöglichen Kind vereinen lassen, was in der intentionalen Mutter oder im Labor heranwächst, könnte schon ganz bald real fraglich sein. Dann besteht keinerlei genetische Verwandtschaft, was in manchen Konstellationen empfehlenswert sein kann, wenn etwa beide Partner einen genetischen Defekt aufweisen. Genügt dann ein Vertrag mit dem tätigen Unternehmen, was die Befruchtung durchführt, Elternschaft rechtlich zu begründen, verhält es sich anders, wenn die intentionale Mutter das Kind dennoch austrägt oder wäre eine solche Ungleichbehandlung eine Diskriminierung, die unzulässig sein muss, werden bald wohl Gerichte entscheiden müssen.

Sollte es eine Priorität der sozialen Elternschaft gegenüber der natürlichen geben in Fällen der künstlichen Befruchtung, könnte damit das soziale Elternmodell das natürliche rechtlich verdrängen. Dies könnte auch im Interesse der Kinder sein, denen es sicher am besten bei denjenigen geht, die diese als eigene wollten. Allerdings würde dann diesen Kindern der Bezug zu ihren natürlichen Wurzen fehlen, was auch seltsam klingt und zu weiteren paradoxen Ergebnissen führen könnte. Fraglich könnte infolge auch sein, inwieweit das Adoptionsrecht noch verfassungsgemäß ist.  Weitere rechtliche Unsicherheit über ihre Eltern, wäre sicher nicht im Interesse der Kinder und so stehen in dieser Frage wohl künftig schwer lösbare Entscheidungen an, die weite Auswirkungen auch auf das Verständnis der Gesellschaft haben.

Für eine prioritäre Behandlung der sozialen Elternschaft spricht auch der alte lateinische Rechtsgrundsatz des pacta servanda sunt, dass Verträge stets einzuhalten sind. Allerdings könnte fraglich sein, ob ein Vertrag, der die natürlichen Elternschaft benachteiligt oder ausschließt nicht sittenwidrig wäre. So sind am Ende mal wieder viele Fragen offen und es wird schwer hier eine einheitliche Antwort zu finden, weil unsere Technik längst weiter ist, als es das Recht verantworten oder regeln kann und vermutlich habe ich dabei noch viele kritische Fragen übersehen.

Zumindest ist die früher sichere Rolle der Mutter dabei immer weiter und unsicherer zu werden, so auch in den Fällen, wo zusätzlich noch von einer dritten Person etwa die Mitochondrien geliefert werden, weil bei einem der Beteiligten insofern ein Mangel besteht. Ob wir hier eher ausschließen oder einschließen sollten, könnte für die Zukunft wichtig sein. Vielleicht ist es dann falsch, davon auszugehen, dass ein Kind immer nur zwei Eltern hat, sondern es auch viele sein können, wie es bei sich neu vereinenden Eltern schon vorkommt, die gemeinsame und fremde Kinder zusammen als Familie erziehen. Im Sinne der Kinder wäre hier ein Gebot der Gleichbehandlung ganz wichtig. Dies kann jedoch auch zu einer weiteren Aufspaltung der Mutterrolle im Rahmen der künstlichen Befruchtung führen. Inwieweit diejenigen, die im Labor die künstliche Befruchtung vorgenommen haben, dann auch noch zu den erweiterten natürlichen Eltern zu zählen sind, wird auch diskutiert werden müssen, denn eigentlich sind sie es, die das neue Leben herstellen und damit sind sie, so abstrus es klingt eigentlich die natürlich verantwortlichen Eltern, auch ohne jede Blutsverwandtschaft, womit der Begriff der Mutter und der Elternschaft jenseits der sozialen Eltern sehr weit wird, was nicht zum Schaden der Kinder sein muss.

Bin gespannt, wie offen wir damit künftig umgehen werden, wie viele alte religiöse Dogmen in diese Diskussion hineinspielen werden, welche Rolle die Mütter sich suchen und was dann noch als sicher gelten wird. Insofern befinden wir uns gerade am Anfang eines Weges, dessen Ende wir noch nicht absehen können. Es wird unsere Aufgabe sein, aus mehr Optionen mehr Freiheit zu machen, statt uns an alten Mustern festzuhalten, die gegen die normative Kraft des Faktischen unnötig einschränken. Es einfach laufen zu lassen, wäre naiv. Genauso falsch aber wäre es, zu meinen, wir könnten dies abschließend regeln und feste ethische Normen dafür aufstellen, wie es die Bundesrepublik derzeit noch versucht. Wir stoßen in vielem an die Grenzen des Regelbaren und müssen es neu denken, um für neue Entwicklungen, taugliche Antworten zu finden, ohne unseren Horizont in zu enge Grenzen einzubinden. Auch die Mutter ist nicht mehr sicher, wichtig ist nur, dass die Kinder das Gefühl haben, sicher eine zu haben, auf die sich verlassen können.

jens tuengerthal 7.9.20

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