Mittwoch, 21. April 2021

Steinwurf

Steinwurf

Jedes Leben meint Paul Valéry in seinen
Cahiers sei ein emporgeworfener Stein
Der beim Herabfallen manchmal eine
Schöne Frucht vom Baum im Garten
Eden herabholt was viele Gedanken
Zugleich weckt und dazu vielfältige
Möglichkeiten der Auslegung gibt
Die ein ganzes Universum von
Assoziationen wecken kann warum
Sich hier auf den Wortlaut beschränkt
Sei der schon weit genug greift wie ich
Beim Nachdenken darüber feststellte
Und so frage ich mich mit Erstaunen
Ist der Fall des Lebens bereits der
Anfang vom sicheren Ende was mit
Dem kometengleichen Aufstieg begann
Wer wirft wenn das Leben oder hebt
Dies sich am eigenen Zopf empor
Muss ich für den Wurf eine dritte
Höhere Kraft imaginieren die über
Allem Sein als Werfer steht wie es
Das Bild vom Paradies nahe legt
Wie der Garten griechisch heißt
Ohne genaue Kenntnis über die
Botanik dieses Gartens weiss ich nicht
Welche Bäume alle dort wuchsen
Um welche Frucht es sich handelt
Es nun Evas Apfel war den eher
Die Europäer als die Afrikaner dort
Vermuten würden aus ihrem Horizont
Sicher aber ist Valéry verwendet den
Singular für Baum nicht zufällig hier
Der fragliche Baum dürfte daher
Gerade jener der Erkenntnis sein
Von dem zu essen verboten war
Damit die Gläubigen es blieben
Ohne lästige Fragen zu stellen
Die das kritische Bewusstsein bringt
Ist dieses genau die schöne Frucht
Die wir emporgeworfen fallend nun
Noch bewusstlos herunterreißen um
Unabsichtlich Bewusstsein zu erhalten
Was eine Ethik erst möglich macht
Folgen wir Kant allein moralischem
Handeln seine Grundlage gibt aber
Was bedeutet dieses Bild vom Mensch
Der nur der Erdanziehung folgend
Also stärkerer Natur zu seinem alle
Moral begründenden Bewusstsein kam
Sind wir also nur zufällig intelligent
Kommt was wir vom Baum reißen
Weniger auf unser Bewusstsein an
Als dass es den Naturkräften folgt
Gibt es dann Schuld dafür noch
Oder wäre die Erbsünde damit
Gleich doppelt lächerlich wie die
Folgende Vertreibung aus dem
Paradies völlig ungerechtfertigt
Was den ungerechten Gott noch
Fragwürdiger macht weil für ihn die
Uns auferlegte Moral nicht gälte
Er willkürlich vertrieben hätte wie
Schon die Assoziation des Paradies
Als Raum ohne Bewusstsein wie
Unfähig gut und böse zu scheiden
Eher nach schwachsinnigem Albtraum
Klingt als nach Wunschvorstellung für
Ein Wesen das erst durch seinen Geist
Wurde was es ist und also sich auch
Diverse Sekten im Aberglauben erfand
Den Himmel überließ Heinrich Heine
Der konvertierte Jude schon in seinem
Deutschland ein Wintermärchen lieber
Den Vögeln um hier zu genießen doch
Zurück zu Valéry frage ich mich was
Wenn das Bewusstsein ein Abfallprodukt
Nur wäre den Menschen noch ausmacht
Dabei wird mir klar wie fern mir der Wurf
Als Beschreibung des Seins liegt weil
Die Entscheidung uns ausmacht auch
Wo wir immer Teil der Natur bleiben
Ist die Möglichkeit der bewussten Wahl
Was unser Sein bestimmt wie unser
Überleben in der Natur sicherte warum
Der Gedanke ans bewusstlose Paradies
Eine absurde Vorstellung mir scheint
Noch dazu wenn ich historisch weiss
Die Erfindung des Paradieses wie
Der Schöpfungsgeschichte ist klar
Eine Reaktion der Juden auf den
Gilgamesch Epos der Babylonier
Die sie gefangen genommen hatten
Womit sich vieles erklärt wie die
Religiöser Elite eines Nomadenstammes
Sich von einer Stadtkultur abgrenzen will
Die wesentlich zivilisierter schon war
Um den inneren Zusammenhalt zu stärken
Dabei zugleich den allmächtigen Gott
Der bekanntlich rachsüchtig strafte
Was Gehorsam über Angst forderte
Als allem überlegen und gut darstellte
Weil der Mensch der nachdenkt also
Ein kritisches Bewusstsein hat schon
Ein gefallenes verlorenes Kind ist
Womit der Gehorsam auch dem
Völligen Unsinn gegenüber noch
Eingefordert wird und die Macht
Des Aberglaubens unendlich wird
All dies ist logisch das Gegenteil
Dessen was Aufklärung ausmacht
Die Befreiung aus der Unmündigkeit fordert
Der sich der Gläubige unterwirft der den
Zustand ohne Bewusstsein paradiesisch
Nennen soll oder mit Valéry meint das
Bewusstsein sei quasi ein Abfallprodukt
Des Wurfes zum menschlichen Leben
Beidem widerspreche ich entschieden
Zwar fällt bei Valéry die Erbschuld weg
Die ohnehin ein absurder Begriff ist
Der nur von Unfreiheit zeugt wie sie
Religionen zumeist entspricht auch
Ist die Benennung der Frucht als schön
Der Versuch es ironisch zu betrachten
So ist der Satz von Valéry für mich
Von typisch französischem Humor
Der auch die Götter verspottet aber
Darüber hinaus doch zu sehr im
Absurden traditionellen Bild stehend
Was den Menschen menschlich macht
Ist mehr als nur ein Abfallprodukt der
Schwerkraft unseres Seins sondern
Vielmehr ein bewusster Akt

jens tuengerthal 20.4.21

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