Dienstag, 26. August 2014

Vom glücklichen Leben

Es ist Spätsommer in Berlin, der Himmel noch relativ blau geworden, dämmere ich nach zweieinhalb Stunden Schlaf durch den Tag, sehe beim Einkaufen für das Abendessen die Menschen in den Cafés und höre die Kinder auf den Spielplätzen am Platz. Einen Moment auf einer Bank in der Sonne sitzen, den Vögeln lauschen, eine schmerzvolle Nachricht schreiben und eine Schöne beobachten, die mit ihrem Hund vorüber geht und sich unbeobachtet wähnend die Augen wischt, sie schluckt neue Tränen sichtbar runter und gefesselt schaue ich, mich fragend, was sie wohl umtreibt und so sehr berührt.

Sie bemerkt doch irgendwann den Blick, spürt ihn wohl, ist inzwischen an meiner Bank vorbei und dreht den Kopf nochmal, wir lächeln uns für einen kurzen Augenblick an, dann schaut sie nach ihrem Hund und geht still weiter. Kein Wort fiel, aber es schien, als gäbe es eine Brücke zwischen uns und ich frage mich wieviele in der großen Stadt sich wohl so wortlos verstehen.

Schaue ihr nach, lange Beine in geschmackvoll bedruckten Leggings und ein übergeworfener Pulli, auf den einige Locken ihrer hochgesteckten Haare fallen, die sich unbändig lösten. Ein schöner Anblick, denke ich, sehe die Gestalt und schaue nicht auf ihren Po,vermutlich war er auch schön, ich weißt es nicht mehr und es war auch völlig unwichtig, der kurze Blick hatte uns über den üblichen Blicken verbunden.

Vermutlich werde ich nie erfahren, worüber sie so traurig war, was sie rührte - aber irgendwie hatten wir für einen Moment das gleiche Gefühl und wussten darum, freuten uns am Verständnis in all dem Lärm, sonst nichts.

Ist das schon Glück?

Schweren Herzens, wie wir halt so sagen, wenn uns die Gefühle warum auch immer umtreiben, nicht allein zu sein, relativiert das Unglück seltsam schön. So gesehen ist es ein Glück irgendwie unglücklich, einen anderen zu sehen, dem es genauso geht.

Vermutlich, hätte ich länger als die wenigen Minuten auf der Bank im Halbschatten noch gesessen, wären mir noch mehr aufgefallen, denen es genauso geht oder gehen könnte, die es hinter starrer Miene verbergen, weglächeln oder sich unbeobachtet auch dem einfach Schmerz hingeben. Unbeobachtet scheint wichtig, weil wir ja lieber fröhlich oder doch zumindest gelassen scheinen wollen, nicht verletzlich und dabei ist es doch so ein Glück, den Schmerz darum zu teilen und sei es auch nur in einem Blick im Vorübergehen.

Ist dabei wichtig, ob ihr vielleicht nur ihre Kontaktlinse verrutscht war und sie gerade nur in Gedanken eine neue Rolle einübte, während ihr Hund an den Brunnen mit dem Bären oben pinkelte?

Gerne lebe ich in der Illusion, wir hätten uns verstanden und unser Sekundenlächeln wäre wirklich ein sich verstehen gewesen und es macht mich irgendwie glücklich in diesem Moment, auch wenn das völlig idiotisch ist, wir nichts voneinander wissen und in verschiedene Richtungen später verschwanden auf dem Platz, den wir vielleicht umwohnen.

Wenn geteiltes Unglück also Glück wird, könnten wir uns fragen, was eigentlich Glück überhaupt ausmacht. Ist es die Chance, zu teilen, oder doch ein Wert an sich, der messbar ist und an bestimmte Kriterien einer Art Glücksbarometer gebunden ist.

Der heute seinen Rücktritt verkündende regierende Bürgermeister von Berlin, hatte das Glück, dies noch selbst zu entscheiden, nicht abgewählt worden zu sein, noch sich zu flüchten, auch wenn viele diesen Abgang bejubeln und ihm häßlich böse Worte hinterherwerfen, wie es immer leider üblich ist bei Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und die ihn als Versager verspotten, der, wie sein Flughafen, dessen Aufsichtsratsvorsitz er auch niederlegen wird, vermutlich nicht mal mit dem Rücktritt fertig wird und in der politischen Arena fletschen womöglich schon die Nachfolger die Zähne. Aber das muss ihn nicht tangieren, er hat seine Arbeit gemacht, die Stadt verändert, manch Worte geprägt, die typisch für die Stadt wurden, nicht nur arm aber sexy, und geht nun aus freien Stücken, für manche überraschend aber darum eben noch stark und von sich aus, eine glückliche Entscheidung, so gesehen und das “endlich” mancher Zyniker kann dagegen dahinstehen, wenn er damit so glücklich sein kann.

Das Glück ist hier selbstbestimmt, auch wenn vielleicht der Verlust von Macht, Amt und Würde ein Unglück für einen sein mag, der das Bad in der Öffentlichkeit liebte und gerne zeigte, wie er feiern konnte, die Bilanz gegen Ende hin nicht mehr positiv ausfiel, sich viele Wähler in Umfragen zumindest, was immer davon zu halten ist, längst abwandten. Er hat entschieden, zumindest machte er den Eindruck und kann so als glücklicher Mensch aus dem Amt und der Politik scheiden, sicher noch mit den dabei üblichen Blumen bedacht.

Ist Glück also vielleicht die Herrschaft über den eigenen Zustand und die eigene Befindlichkeit oder kommt es dabei, wie die bösen Kommentare zum Thema zeigen könnten, mehr darauf an, wie wir ihn jeweils betrachten, wäre Glück also Ansichtssache?

Mit vielleicht feuchten Augen, verwirrt über das eigene Unglück nachzudenken, wenn es mal wieder nicht einfach glücklich sein sollte und dabei genau auf die eigenen Fehler zu schauen, die notwendig in dieses Unglück führen mussten, ist die sicherste Art am Unglück zu leiden. Vielleicht liegt darin die Chance, wie es die Alten den Jungen so gern sagen, etwas für das nächste mal zu lernen, aber vermutlich kann aus dem Unglück nichts gelernt werden, wächst nur der Widerwille gegen den Zustand, denn dann müssten wir uns ja auf das Unglück konzentrieren, was zumindest sicher ihn vom Glück ablenkt.

Ich weiß nicht, was glücklich macht, weder allgemein noch meist, was mich betrifft - ich spüre, wenn es da ist und merke schmerzhaft, wenn es plötzlich lapidar und eher wortlos verschwindet. So gesehen wohl ein Träumer, der nicht mal sein Glück planen kann, genieße ich die kleinen Momente desselben um so mehr. Frage mich also, kann glücklich sein, wer es weder benennen noch beziffern kann?

Es gibt den lange Martinus von Biberach, der angeblich 1498 bei Heilbronn starb, zugeschriebenen Spruch:

Ich leb und waiß nit wie lang,
ich stirb und waiß nit wann,
ich far und waiß nit wahin,
mich wundert das ich [so] frölich bin.

Andere meinen, es sei viel älter und es gibt Nachweise noch vor Kaiser Maximilian I., dem sogenannten letzten Kaiser, der ihn angeblich als Wahlspruch hatte und es hätte denselben auf der Decke einer Kirche zu Heilbronn gegeben, die im 16. Jahrhundert vernichtet wurde. Viele schreiben ihn auch Angelus Silesius zu, der noch rund 200 Jahre nach Biberach lebte, es gibt einen ähnlichen Spruch auch auf einer Säule im Münster zu Freiburg, der auf einen der Baumeister zurückgeführt wird, was die Datierung angesichts der Bauzeit von 1200-1513 noch unpräziser macht, alt zumindest scheint er zu sein und die Erinnerung daran, dass im Evangelium des Johannes 8, 14 in dem Jesus im Zusammenhang ähnliches gesagt haben soll, spricht auch nicht unbedingt gegen das Alter dieser Weisheit.

Der Spruch ist also ziemlich alt und definiert Glück als relativ unabhängig von allem, auch wenn uns das wundert, wir es eben nicht begreifen können, scheint die Option des Glücks etwas unerklärliches einerseits zu haben und andererseits allein eine Frage der Betrachtung zu sein, in der wir eine Haltung zum Leben einnehmen, das wir sogar, wie ganz im Anfang im Park beschrieben, im Unglück, durch teilen desselben, plötzlich Glück erkennen.

Macht also sozialer Kontakt glücklich, der ja in vielem unvorhersehbar und unbestimmt bleibt?

Wohl nicht allein, wie die vielen glücklichen Einzelgänger beweisen, aber im Unglück kann sicher die Relativierung durch Ablenkung oder Teilung desselben und sei es für Sekunden phantasierter Augenblicke, viel Glück im sozialen Kontakt liegen, wenn wir es so betrachten wollen, denn ich hätte ja auch etwa auf die glücklich Kinderwagen schiebenden Paare schauen können oder die schwangeren Mütter und dem verlorenen Traum vom geteilten Glück hinterhertrauern können, aber ich sah und konzentrierte mich auf gerade die eine, von der ich vermutete, es könnte ihr ähnlich gehen, beobachtete sie, bis sich unsere Blicke wie oben beschrieben trafen und war damit glücklicher als zuvor. Maßstab dieses Glücks ist also nicht eine abstrakte Größe an Glück oder der Wert des Verlorenen, sondern die Möglichkeit im nur Verständnis ein Glück zu sehen.

Auch wenn ich immer noch nichts verstehe, nicht weiß warum es so kam oder woher, noch wo es hingeht, wundert es mich dennoch nicht, wie glücklich ich bin, wenn ich mich schlicht an dem freue, was ist, denn mehr wird vermutlich nie sein, als die Option zum Glück in der nur Gegenwart lieber zu betrachten, als sich zu grämen über Dinge, die ich nicht ändern kann und so gesehen ist die Möglichkeit, die kleinen Lichtblicke im Halbschatten auf einer Bank wahrzunehmen, vielleicht wirklich die Option zum Glück und auf was sonst, kann es noch ankommen, um glücklich zu sein?

Vom glücklichen Leben schreiben und unglücklich sein, ist der beste Weg, den Blickwinkel zu wechseln, scheint es mir, um das wenige, was sein kann oder noch kommt, ganz zu genießen. Verstehe von nichts etwas wirklich, noch weiß ich etwas sicher über das Glück, aber allein die Betrachtung ist ein Glück und so freue ich mich an ihr und vergesse das reale Unglück  immer mehr, da ich so gesehen doch ein glücklicher Mensch bin, die Dinge so betrachten zu können.
jt 26.8.14

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