Die Kulturmärchengeschichte
Versuch einer Einleitung
Es war einmal beginnen Märchen, mit es war einmal, beginne auch ich, um zu erzählen, wie Kultur wurde, was sie ist. Wird dies nun ein Märchen oder ein neues Geschichtsbuch?
Wie erzähle ich heute Kulturgeschichte, fragte ich mich, wo fange ich an, wann hört es auf und geht es eher um Fakten oder um Anekdoten, zählt nur die Wahrheit und was kann ich noch dazu sagen, nach all den potenten Vorgängern von Herodot über Burckhardt bis Friedell.
Fakten kann jeder nachschlagen oder besser googeln, Wiki gibt umfassend Auskunft über das was war und viele längst tragen dieses unerschöpfliche Register des Wissens auf ihrem Telefon ständig bei sich.
Braucht es da noch eine neue Betrachtung der Kulturgeschichte, wenn wir auch die alten Geschichten jederzeit in der Kurzfassung nachschlagen können, schnell sehen, wo die Alten irrten, was von ihnen blieb?
Wohl kaum, dachte ich und wollte schon aufgeben, bevor ich begonnen hatte - doch wohin kommt der Autor, der sich nur nach Trends und dem Wunsch der Leser richtet?
Selten über die erste Seite hinaus, die er jeden Tag neu schreiben könnte, um sie den immer neuesten Moden anzupassen, was in den sozialen Netzwerken gerade mit mehr Gefühl als Wissen diskutiert wird, viele Klicks und einige Leser vielleicht zu finden. Ein müßiges gehetztes Vorhaben, was zwar in eine temporeiche Zeit passte, aber kein Ende fände, nicht bleibendes schuf. Nur hektisch und nervös für mich klingt.
Noch jede Zeit sagte über die aktuelle, es sei alles so hektisch geworden, es gäbe keine Ruhe mehr und die guten alten Sachen gingen verloren. Aus den guten alten Sachen wurde schon ein erfolgreiches Geschäft gemacht, bei dem die Leute teuer kaufen, was sie vorher bei den Großeltern noch auf den Sperrmüll brachten und dann geht wieder das Klagen los und die Rufe nach der guten alten Zeit.
Glaube nicht, dass eine solche Haltung je zur Zufriedenheit beitragen kann. Im Gegenteil werden Menschen, die über ihre Zeit klagen, um der guten Vergangenheit nachzujammern, immer unzufrieden sein mit ihrer unerfüllten Sehnsucht. Dennoch wünscht sich so mancher laut die alten Zeiten zurück und tut manches, um das Gefühl zu haben, wieder so zu leben.
Das fängt bei der Outdoor-Erfahrung an und endet noch nicht auf Mittelaltermärkten oder beim sehnsüchtigen Erzählen von Omis alten Rezepten. Manche gehen ins Museum, um ein Gefühl dafür zu bekommen oder lesen möglichst gut recherchierte historische Romane, damit sie ein Gefühl für die Zeit bekommen, in der sie gerne statt jetzt mal wären.
Auf Nachfrage hin meist nur für einen Ausflug oder wenn sie diese oder jene Errungenschaft mitnehmen oder dort neu erfinden könnten. Von der Waschmaschine zum Telefon und wer kann sich noch vorstellen dauerhaft ohne Internet zu leben, auf Neuigkeiten vom Hörensagen angewiesen zu sein, sein Essen nur zu jagen und am Lagerfeuer zuzubereiten?
Die große Fraktion der Grillfreunde wird jetzt jubelnd schreien wir, allerdings fragt sich, wie viele davon übrig blieben, wenn sie ihr Grillgut nicht mehr in der Kühltruhe fänden sondern nur mit Glück in der Natur bei egal welchem Wetter, die Gewürze für die Saucen erst via Kamel über die Seidenstraße kämen, wenn die Händler nicht von Mongolenhorden vorher aufgehalten wurden, was die Dinge, die noch bei uns ankamen, teurer machte als vergleichbar modernste Smartphones, ein Privileg nur der Superreichen waren, während sie statt mit Kultur jeden Tag ausreichend mit der Essensbeschaffung beschäftigt wären.
So hätte jeder seine Kleinigkeit, die er gern mitnähme und die ihm bei einer Zeitreise unentbehrlich wäre, ansonsten aber bleibt der Wunsch nach den alten Zeiten und ich spürte ihn selbst genug, ob ich nun mit dem Kanu tagelang in der Wildnis war, alte Märkte besuchte oder über eingeborene Völker las. Ging nur mit einer Zeltbahn und sonst möglichst wenig auch im Winter in die Wildnis, trug alles, was ich zu brauchen meinte bei mir und fühlte mich dann innig der Natur verbunden, meinte meinen Wurzeln nachzuspüren, wenn ich auf selbigen im Wald lag, auf einem Bett aus Reisig, vom Lagerfeuerrauch hustend, halb verkohlte Sachen mit großem Appetit dank vieler frischer Luft verschlang.
War ich da erst Mensch, wie Goethe es über die österlich zum Volksfest jubelnde Menge meinte oder wurde ich wieder zum unkultivierten Barbaren auf Zeit?
Vielleicht ist diese Form des Zeitreisens eine, die unserer Natur entspricht, zumindest meiner eine zeitlang entsprach, auch wenn ich mich heute frage, warum ich ein piekendes Nadelbett meinem trockenen und warmen noch vorziehen sollte, was mich menschlicher macht, wenn ich statt bei Bachs Cello Sonaten im Sessel lesend, zwischen Bibbern und Schwitzen am Lagerfeuer in feuchter Natur hustend hocke. Kultivierter scheint es mir, durch ein Museum zu gehen, nach Laune einen Band aus meiner Bibliothek zu nehmen und über die Welt lieber zu lesen, als sie auf den Spuren der Abenteurer zu durchstreifen. Aber vielleicht bin ich auch nicht mehr genug Steinzeitmensch.
Zurück zur Natur und zu den eigenen Wurzeln ist immer wieder in Mode, schon Rousseau hat aufgrund seiner Inkontinenz gerne davon gesponnen, doch was sind diese Wurzeln überhaupt und womit fing es an?
Über den Anfang der Kultur wissen wir wenig, auch wenn immer mehr archäologische Spuren das Bild der Vergangenheit, die alles andere als romantisch meist war, heute genauer zeichnen als noch vor hundert Jahren.
Wer kann sagen, was Steinzeit Adam und Eva dachten und fühlten, als sie merkten, dies Essen macht Lust auf mehr, jenes schmeckt so gebraten besser und zufällig das Kraut passte perfekt zum herben Geschmack der erlegten Wildsau?
Doch weiß ich darum, was der Ötzi dachte, als er in sein eisiges Grab fiel?
Habe ich den Hauch einer Ahnung, was Steinzeitmenschen glücklich machte und wo sie tiefe Befriedigung fanden?
Weiß ich, ob derjenige, der die Venus von Willendorf einst aus Stein schlug, an die erfundenen Götter dachte, etwas heiliges aus dem Stein schlagen wollte oder seine nackte Geliebte vor sich sah, einfach geil war und an nichts höheres dachte, sondern nur Sex im Kopf hatte?
Weiß ich, ob die alten Griechen mit den Anekdoten, die Homer schön in Versen ausschmückte, eher eine historische Erzählung verbanden, was sie ja in Teilen fraglos sind oder kleine zeitaktuelle politische Spitzen in der Art des Kabaret, die nur aus taktischen Gründen in eine sagenhafte historische Erzählung aus den trojanischen Kriegen gepackt wurde, sie eher Kabarett auch waren als Märchen oder war es eher die antike Form des Newstickers?
Waren Verse nur gut, weil sie eingängiger waren als schlichte Prosa, sich besser gemerkt und weitererzählt werden konnte?
Habe keine Antwort auf all diese Fragen, es gibt dazu wechselnde Thesen, die wenn aktuell meist als unumstößlich gelten, aber eigentlich mutmaße ich im Kern der Sache nur. Was macht uns als Menschen dabei aus, frage ich mich und habe das Gefühl, dass wir über den entscheidenden Punkt immer noch nichts wissen und es nie erfahren können, weil mit den Menschen ihr Gedächtnis stirbt, all ihre Gedanken endgültig verloren sind.
Kultur beginnt da, wo der Mensch über sein Sein nachdenkt und es sich schöner machen will, um zu genießen, was ist, auch wenn der Genuß durch manch zwanghaften Aberglauben immer wieder eingeschränkt wird, als brächte erst die Entsagung das Glück an sich zurück.
Wovon wir nichts wissen, sollten wir schweigen, lehren uns die Philosophen und spekulieren schon damit munter weiter.
Kann es eine glaubwürdige Kulturgeschichte geben oder immer nur aktualisierte Spekulationen, die heute eben am besten als Ticker neue vermeintliche Fakten liefert?
Vor Gericht gibt es die noch aus religiösen Wurzeln stammende Eidesformel, nichts als die Wahrheit zu sagen. Habe mich auch schon in dieser Situation gefragt, was ich darauf antworten soll. Kenne die Wahrheit nicht, nur Ausschnitte dessen, was mir als Wirklichkeit erscheint, wie nah dies auch immer der Wahrheit ist. Der Richter meinte, als ich genau das erwiderte, ich solle halt wahrhaft sagen, was wirklich gewesen wäre. Wäre es kein Richter gewesen, hätte ich noch erwidert, dazu kann ich nur sagen, was ich meine, denn wie wirklich ist schon die Wirklichkeit, die immer nur als ein Schatten meiner Erinnerung mir erscheint, die wiederum von all meinen Meinungen getrübt ist und so kann ich auch unter Eid nicht mehr als Propaganda für meinen beschränkten Horizont machen.
Wer das für die Wahrheit hält, hat einen erstaunlich beschränkten Begriff davon. Könnte mir viel mehr vorstellen, als ich zu wissen meine und warum ist gerade der glaubwürdiger, der sich für wissend hält?
Ist nicht der Zweifler, der darum weiß, wie wenig er wissen kann, immer glaubwürdiger, weil sein Denken uns reflektierter erscheint?
Der Satz des Sokrates, der sogar behauptete, er weiß, dass er nichts weiß, gilt in unserer Kultur als weise. Dennoch schwören täglich Menschen vor Gericht nichts als die Wahrheit zu sagen, von denen die meisten nicht unbedingt weiser als Sokrates sein werden. Halte schon diese Aussage eigentlich für zu weitgehend, denn ich weiß nicht, dass ich nichts weiß, woher sollte ich sicheres Wissen haben, was ist und was nicht, das über meinen Horizont hinaus geht?
Weiß also nicht mal, ob ich nichts weiß oder vielleicht die Welt wirklich ist, wie sie mir scheint, weil ich alles sehe, wie es ist und richtig erkenne, auch wenn das zugegeben ziemlich unwahrscheinlich ist, angesichts meiner Faulheit und meines beschränkten Horizontes. So scheint mir zu Anfang die Frage des Michel de Montaigne angemessener - was weiß ich schon?
Worauf ich nur ehrlich antworten kann, ich weiß es nicht, meine nur, was mir gerade so scheint und morgen völlig anders sein kann. Wenn ich die Geschichte erzähle, wie ich meine, wie sie war, könnte dies Morgen durch neue Entdeckungen oder mit weiterem Horizont als meinem, der ich die Welt kaum kenne, noch begreife, schon völlig anders im selben Moment aussehen.
So geschehen ist alle Geschichtsschreibung eigentlich nichts als ein Kommentar in einer Zeitung, wie eine Glosse, die als Meinung des Kommentators gilt, auch wenn sie gerne so tut, als würde sie die Wahrheit erzählen. Es gibt die Meinung wieder, die gerade in einer Kultur herrscht, wie die Dinge aus deren Sicht gewesen sein sollen. So etwas hat keinen Anspruch auf Wahrheit und schon die Wirklichkeit zu schildern wäre unangemessen, was wir schon daran merken können, wenn wir bedenken wie unterschiedlich selbst Zeugen, die dabei waren, in ihren Aussagen ein und dieselbe Wirklichkeit wahrnahmen.
Ob daraus zu folgern wäre, dass Richter, die meinen ein Urteil fällen zu können, immer anmaßend sind oder nur einen ungenauen Sprachgebrauch haben und eigentlich nur einem kulturellen Ritus der Befriedung dienen, in dem es weniger um Wahrheit als um Rechtsfrieden geht, wäre auch kulturhistorisch spannend und wird sicher ein Thema sein, führte hier jedoch zu weit. Denke, sie denken häufig, sie tun ersteres, meinen nach bestem Wissen und Gewissen, die Wahrheit zu suchen, um ein gerechtes Urteil zu fällen, was auf Fakten beruht und tun doch eigentlich nichts, als einen rituellen Akt zu vollziehen, der dem Rechtsfrieden dient, weil keiner wissen kann, was wirklich war und nichtmal jene, die dabei waren, sich dessen einheitlich sicher sind.
Eine Geschichte schreiben zu wollen, so wie sie war, wäre also anmaßend, was meiner Eitelkeit vielleicht nicht fern läge, mich aber nur unzufrieden und ständiger Kritik anfällig machte. Epikur folgend, dass es im Leben nur darum geht, so glücklich wie möglich zu sein, möchte ich die drohende Unzufriedenheit, die vermeintlich wahrhafter Geschichtsschreibung logisch folgte, lieber vermeiden und erzähle nur, was ich meine und mir dabei denke.
Könnte es genauso gut ein Märchen nennen und als solches erzählen, fiel mir während der gedanklichen Vorarbeit ein. Viele Menschen lieben Märchen. Konnte sie früher eher nicht ausstehen, genau wie ich Phantasy gähnend langweilig fand, auch den Herrn der Ringe auf der Hälfte abbrach, weil es mich anödete. Habe es durch eine Liebe, die sie vorgelesen haben wollte, lieben lernen, weil sie diese so liebte und so glücklich in Märchenwelten war und wenn du liebst das Glück des anderen deines werden kann.
Es geht mir nicht darum, ob alle Märchen einen Kern an Wahrheit enthalten, oder wie die Sammlung der Gebrüder Grimm psychoanalytisch zu deuten wäre, auch von dieser postreligiösen Sekte halte ich mich lieber fern. Was weiß ich schon, steht über all dem, denn mehr als Märchenerzähler weiß ich eigentlich auch nicht. Sogar wenn ich versuche, die mir bekannten Fakten nur aufzuzählen, was gähnend langweilig wäre, gäbe, wenn überhaupt, nur einen Ausschnitt, dessen was meine Zeit zu wissen meint in den engen Schranken ihres an Fakten orientierten Horizontes.
Wenn ich schon Meinung mache und eigentlich nur einen Kommentar zu meiner Sicht der Geschichte schreibe, wie es so viele Autoren schon besser vor mir taten, fragt sich, warum ich es nicht auch so sage und erzähle, als Märchen aus unserer Zeit über andere Zeiten. Mehr wird es nicht, mehr kann es nie sein und doch, wenn es als solches lesbar ist, könnte es länger bleiben als manche Faktensammlung, versuche ich schon wieder an die Unsterblichkeit der Dichter zu denken - eines Herodot oder Homer und vieler mehr.
Überlegte darum zunächst es gleich einem Epos in Versen zu erzählen, was mir als Dichter wohl läge, aber dafür als Denker ein wenig unangenehm wäre, scheint mir doch das große Wort schon zu unbescheiden, für mein kleines Vorhaben, ein wenig Geschichte als Märchen zu erzählen. Benutze nur den Stil der Volksmärchen, um zu zeigen, auch wenn ich erzähle, was wir zu wissen meinen, bleibt es doch nur Meinung und könnte genauso Märchen sein. Vielleicht ist die Wahl des Märchens auch eine Art Liebeserklärung an die Herzensgröße aller, die Märchen lieben, statt nur auf die Wirklichkeit und Fakten zu pochen.
Was wir aus Liebe tun oder zumindest mit, scheint uns ein wenig märchenhaft schon von allein. An Gefühl scheint genug vorhanden, mehr als an Wissen, das nur auf einige kleine Inseln zurückgreift, und so erzähle ich das Märchen von der Kultur und wie sie wurde, was sie ist, weil einmal was war, von dem ich nichts wissen kann.
Weiß nicht, ob dies der Gipfel des möglichen sein könnte, hoffe es nicht, es ist halt, was ich gerade versuchen kann. Voltaire war sich noch in seiner Geschichtsschreibung sicher, dass es eine ständig fortschreitende kulturelle Entwicklung des Menschen gäbe und stand damit im Geist der Aufklärung, als deren heraushagender Geist er gilt und sehe ich von seiner Persönlichkeit ab, die auch intrigant und gierig war, spricht wenig dagegen, ihm dies zu gönnen. Er sah ein stetes Streben nach dem Höheren als menschlich an. Schiller war aufklärerischen Geistes aber immer auch Literat, der Geschichte erzählte. Mit Herder, der ja teils noch Aufklärer war und andernteils der Romantik zugehörig, kam der Volksgeist in die Kulturgeschichte und so sah er jedes auch unbewusste Schaffen als dem zugehörig. Dann kamen die Geschichtsphilosophen wie Toynbee und Oswald Sprengler, dessen Untergang des Abendlandes heute wieder für Furore sorgt, weil er einfache Antworten mit vermeintlichen Fakten gibt, auf gerade modisch postfaktiche Weise Geschichte erzählt. Ein Golo Mann machte Geschichtsschreibung auch zur literarischen Kultur, was vor ihm schon Burckhard meisterhaft plaudernd tat, wie es sein Onkel Heinrich in seinem Henry IV. so wunderbar romanhaft machte nur war Golo eben etwas professoraler und faktensicherer.
Alle die vielen Großen vor mir, vor denen ich mich ehrfurchtsvoll verneige, wollten Geschichte schreiben und taten es erfolgreich, gingen als Historiker in die Geschichte ein. Da reihe ich mich nicht ein sondern halte ein wenig Abstand. Bin kein Historiker, was weiß ich schon überhaupt, will nur über Geschichte plaudern und diese als Märchen erzählen, um sich an solche zu erinnern und im Plaudern über die Gefühle der Menschen, die sie erlebten, nachzudenken. Was daraus wird, weiß ich natürlich auch nicht, folge nur meiner Natur und einem tiefen Gefühl, tue also das beste, was ich kann, ohne zu wissen warum. Wem solches interessant erscheint, der möge es lesen, alle anderen halten sich besser an Fakten, davon verstehe ich nur zu wenig.
jens tuengerthal 1.2.2017
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