Sonntag, 26. Februar 2017

Berlinleben 003

Umzugschaos

Vor dem rauschenden Fest in meiner wunderbaren Altbauwohnung im Winskiez stand noch der Umzug - auch wenn Partys in leeren Räumen ja viel haben, war mein Plan gerade ein anderer, obwohl ich eigentlich, seit mich die eine große Liebe verließ, schon keinen Plan mehr hatte, wie das Leben werden sollte, machte ich einfach mal weiter und so lief es halt irgendwie.

Das Warum hatte ich mit dem Traum von der großen Liebe, für die ich sorgen wollte, verloren - ging es also ohne Grund weiter und das war vielleicht ganz gut so, denn wozu brauchte das Leben einen Grund oder Sinn, es war ja genug zu tun mit der Tatsache an sich überhaupt fertig zu werden oder war es eine Katastrophe, einfach zu genießen, was ist, ohne auf mehr Sinn oder sonstiges zu hoffen?

Diese Fragen stellte ich mir erst viel später wieder und es sollte dann noch etwas dauern, bis ich eine vernünftige Antwort darauf fand, wenn es überhaupt eine solche geben kann, Epikur kannte ich noch nicht und den guten Lukrez hatte ich nie gelesen, gerade arbeitete ich wie ein Verrückter, um alles vor dem Umzugswochenende zu schaffen und dies zumindest frei zu haben. Die Zeit des mobilen Office war noch nicht wirklich angebrochen und den mobilen Zugang ins Firmennetzwerk, diskutierten wir gerade erst theoretisch in der Firma, es würde wohl noch etwas dauern - das modernste Mobiltelefon kam damals von Nokia und hatte noch Tasten, die Revolution wartete noch auf ihren Ausbruch auf dem Markt.

Manchmal kommt es mir vor, als schriebe ich aus fernster Vergangenheit, wenn ich daran denke, dass ich völlig ohne Mobiltelefon und Computer groß wurde - hatte nicht mal einen Atari, noch interessierten mich Computerspiele je, außer den kleinen Partien Strip-Poker, die  wir vor dem Fernseher meines besten Freundes von dreizehn bis fünfzehn spielten und auch da interessierte mich der Anblick einer nackten Frau mehr als das Computerspiel, warum ich mich irgendwann entschloss, lieber mehr Zeit mit dem Original zu verbringen, als mein Können bei solchen Spielen zu perfektionieren und so hatte ich lange vor meinen mehr spielenden Freunden auch Freundinnen und Geliebte, was ich immer noch interessanter als alles andere finde, außer ich habe sie bereits, dann verkehrt es sich manchmal, besonders direkt danach oder wenn sie etwas von mir erwarten.

Während ich erlebte, worüber ich hier nun schreibe, dachte ich meist wenig nach, was so gar nicht meine Art ist, eigentlich. Arbeitete, plante und erledigte, was zu erledigen war - auf der Bahnfahrt hatte ich einen Moment zum nachdenken, den ich aber, völlig erschöpft von den Wochen davor, fast verschlief. Fuhr diesmal mit dem Zug gen Heidelberg, um den Rückweg mit einem mit meinen Möbeln und Habseligkeiten beladenen Kleinlaster anzutreten. Musste meine alte Wohnung im Seitenflügel des Hauses meiner Eltern mit all ihren Büchern ausräumen, dabei waren es eigentlich noch wenige damals, denke ich gerade, zumindest verglichen zu heute, aber egal, mit schien es wahnsinnig viel und ich wusste kaum wo hinten und vorne war, wie ich das alles erledigen sollte.

Am nächsten Abend sollte ich nach langer Autobahnfahrt mit meinem Kleinlaster wieder in  Berlin ankommen - hatte einen Bekannten und den Freund meiner Mitarbeiterin mit seinen Pfadfindern organisiert, mir zu helfen. Weiß nicht, wie ich auf diese idiotische Idee kam, nach all dem, was vorher schon lief - aber ich kannte ja keinen in Berlin, außer der Theologin und dem Bruder eines Freundes, also war es vielleicht doch verständlich, dass ich ihr Angebot annahm, als sie es mir, wohl mit schlechtem Gewissen im Büro vorschlug. Hätte Männer mieten sollen, die diese Arbeiten professionell erledigen, die ich angemessen wie vereinbart bezahle und gut wäre es gewesen, sage ich mit viel Abstand, in der Situation war ich froh, dass es irgendwie lief.

Doch zu erschöpft, zu lesen, träumte ich halb wach im Zug, von dem, was mir nur bevorstand und der Horror wuchs mit jedem Kilometer, dem ich mich dem Ziel näherte. Als ich schließlich ankam und von meinen großartigen Eltern abgeholt wurde, schien alles vergessen. Diese hielten mir, wie sie nur konnten, den Rücken frei, weiß gar nicht, ob ich das schon mal gebührend gewürdigt habe, aber, wenn ich die Geschichten von anderen so höre, hatte ich wirklich mehr als Glück mit meiner Familie. Sie unterstützten, wo sie konnten, halfen so viel wie nötig und hielten sich aber ansonsten völlig raus, neigten also nicht dazu, plötzlich als Eltern wieder bestimmen zu wollen, was meist die Ursache größter Konflikte ist. Das ist weder alltäglich noch normal, wie ich inzwischen weiß, denn entweder, es gibt diese Eltern eher gar nicht und sie kümmern sich überhaupt nicht mehr um ihre Kinder, weil sie so mit ihren Hobbys beschäftigt sind, dass keine Zeit bleibt, sind einfach desinteressiert, außer sie erwarten etwas von ihnen, oder sie tun zu viel des Guten, fallen voll in die Elternrolle und lieben es, wenn ihre Kinder sie immer brauchen und bloß nicht zu selbständig werden.

Auch diesmal fanden sie das genau richtige Mittelmaß, was dafür sorgte, dass ich die ganze Zeit beschäftigt war, meinen Auszug mit Freunden organisierte und so nicht viel Zeit, zum nachdenken hatte, was gut so war. Mein lieber ungarischer Freund J leistete wieder enormes und auch einige andere der Heidelberger Freunde standen bereit, es klappte alles besser als gedacht und so fuhr ich am Sonntagmorgen mit dem voll beladenen Kleinlaster aus der Kurpfalz in die neue Heimat, von der ich eigentlich noch nichts gesehen hatte. Die Freunde, die fragten - und, wie ist Berlin so, was geht ab? - musste ich alle enttäuschen, geht bestimmt viel ab, nur ich hatte keine Ahnung, außer meinem Büro und einigen Kneipen um den Kollwitzplatz oder auf dem Weg in den Wedding, hatte ich noch nichts gesehen - von meinem Liebesglück erzählte ich auch, mit gehöriger Selbstironie und alle bestätigten mich darin, dass die Frau wohl etwas verrückt war, noch wusste ja keiner, mich eingeschlossen, warum sie gegangen war.

Eigentlich weiß ich es immer noch nicht, es ist zwar inzwischen egal, die Ahnung, die mir kam, als ich den Anrufbeantworter ungeplant abhörte, genügte, nichts mehr hören zu wollen, sagte ich mir noch, während ich beim Packen ganz locker darüber redete - die Freunde meinten nur - du bist Redakteur in Berlin, du siehst gut aus, was zeigt, es waren wirklich liebe Freunde, die sogar bereitwillig logen, die stehen doch bald wieder Schlange bei dir, kennen wir doch schon. Kannte es zwar nicht, wusste auch nicht so genau, was sie damit meinten, aber ich nahm es mal so hin und fühlte mich großartig von meinen Freunden gestärkt, so lange ich beschäftigt war.

Das erste mal im Leben einen Kleinlaster von Heidelberg nach Berlin zu fahren, noch dazu eigentlich ohne räumliches Sehvermögen, also halbblind, was ich damals zum Glück noch nicht so genau wusste, auch wenn die Praxis es mir schon oft genug bewies, war ein Abenteuer für sich, was dann doch relativ problemlos und ohne zu große Schäden verlief und die kleinen, die eben mal so passieren, glichen dann irgendwie die großzügigen Eltern aus, ohne dass ich mich je weiter darum gekümmert hätte. Kann dazu  also nichts weiter erzählen und denke, es ist wohl auch besser so. Manchmal hat der Mensch eben Glück im Leben, denke ich, wenn ich mich daran erinnere - in der Liebe zu den Frauen war mein Glück eher vielfältig als nachhaltig, in der meiner Eltern habe ich dafür immer im Leben etwas gehabt, auf das ich mich verlassen konnte, was mehr wert ist, als alles und so nehme ich die kleinen oder größeren Katastrophen meines Lebens inzwischen mit relativ stoischer Gelassenheit hin, obwohl ich doch aus Überzeugung Epikuräer bin, dafür hatte ich eine wunderbare Kindheit und großartige Eltern, die das genau richtige Mittelmaß zwischen Freiheit und Kümmern fanden - auch wenn es bis dahin doch mancher Kämpfe brauchte, weil kein Mensch perfekt geboren wird. Zumindest habe ich mir vorgenommen, es wäre gut, wenn meine Tochter ähnliches irgendwann über mich sagen würde.

Tatsächlich waren die Pfadfinder und der Freund mit meiner Praktikantin, die auch noch ihre Hilfe angeboten hatte, auf die ich gern verzichtet hätte, aber in der Not war jede Hand willkommen und so nahm ich es, wie es kam, ganz pünktlich da und erwarteten mich schon. Außerdem kam ein weiterer Bekannter aus dem Westen der Stadt und so entluden wir den randvoll beladenen Kleinlaster relativ zügig. Kein besonders spannendes Ereignis im übrigen, wer jemals umzog, wird es kennen. Kisten rein, Kisten raus, Treppe rauf, Treppe runter, Treppe rauf - die Sachen waren gut beschriftet, glaube J hatte die geniale Idee, kann mir nicht vorstellen, dass ich in meiner real existierenden Kopflosigkeit darauf gekommen wäre und da es nur zwei Räume, einen Keller und eine Küche gab, hielt sich das Chaos in Grenzen.

Plötzlich dann wurde meiner Mitarbeiterin, die mich in der ersten Berlinerleben Geschichte so stürmisch küssen wollte, schwindlig und sie musste sich einen Moment hinsetzen. Kannte das ja schon von ihr, war also erstmal nicht zu sehr verwundert. Dann kippte ihr der Kreislauf weg und ich musste mich real als Lebensretter bewähren, konnte aber dabei von meiner jahrelangen Erfahrung im Krankenhaus  und als Sanitäter eiin wenig zehren. Ganz abgesehen davon, dass ich es ja schon von ihr kannte, war diesmal auch ihr Freund dabei, der sich kümmern könnte. Sie bekam wahnsinnige Magenkrämpfe, krümmte sich, als wollte sie sterben und ihr Freund wurde immer aggressiver und aufgeregter, während ich, seltsamerweise, der ich Stress eigentlich nicht ausstehen kann, in solchen Situationen immer ganz ruhig werde, sie hinlegte, ihren Puls öffnete, den Freund ihre Hose öffnen ließ, wie gut, dass er diesmal da war, und einen Rettungswagen rief.

Etwas weltfremd dachte ich nur, sie hätte wohl Regelschmerzen oder zuwenig gegessen, während die Kollegen aus dem Vertrieb im Büro, als ich ihnen die Geschichte am nächsten Tag erzählte, nur meinten, sie wären ja mal neugierig, welche Pillen die wohl geschluckt hat und auf welcher Droge sie jetzt war, ob ich der noch nie in die Augen geschaut hätte - musste zugeben, dass ich noch nie auf die Idee gekommen war und mir auch nichts aufgefallen war - wer einmal Jane Austen las, weiß, manche Frauen fallen eben immer mal auch gerade passend um.

Ob Jane Austen nun der beste Ratgeber zum Umgang mit vielleicht Drogen affinen jungen Frauen im Berlin der Gegenwart ist, kommen mir heute  manchmal Zweifel, so wie die Ratschläge des Hausarztes der Buddenbrooks heute auch nicht mehr unbedingt lege artis wären - “etwas Franzbrand, etwas Porter, ein wenig Taube, das wird schon…” Aber, war wären wir ohne die große Literatur noch, denke ich immer und zweifel lieber an der Tauglichkeit der meisten Ärzte, solange ich es kann.

Der Moment passte natürlich überhaupt nicht, mit großem Tatütata kamen der Notarzt und der Rettungswagen, versperrten die ohnehin schon schmale Straße und so wurde ich im ganzen Haus als erstes als der bekannt, bei dem der Notarzt war - bestimmt Drogen hätte sie schon vermutet, meinte eine Nachbarin, die ich später kennenlernte, man kenne das ja - ich stritt das erstmal ab, die Praktikantin auch, die fast eine Woche im Krankenhaus blieb, vollkommen durchgecheckt wurde und nach ihrer Auskunft dabei ohne jeden Befund blieb.

Vielleicht nahm sie Drogen und ich war nur zu blöd, es zu merken, ist vermutlich am realistischsten und auch sonst sehr wahrscheinlich, vielleicht war es ihr auch psychisch zu viel mit ihrem Chef, den sie übel verleumdet hatte, was ich noch nicht wusste, den sie geküsste hatte, ohne dass er es wollte, was ich lieber verdrängte und ihrem Freund, der innerlich zu kochen schien, als sei es meine Schuld, wenn seiner Süßen der Kreislauf wegkippt und als hätte ich sie aufgefordert, mir beim Einzug zu helfen. So schaute er mich an und so behandelte er mich, bis die Sanitäter kamen, mit denen ich dann wie mit Kollegen sprechen konnte, ihnen den Status der Patientin schilderte und nüchtern professionell blieb, während ihr Freund eher nichts auf deren Fragen hin zu sagen hatte, schüchtern auf die Drogenfrage stotterte, er wisse von nichts.

Danach war er etwas freundlicher, der Notarzt und die Sanis hatten mich völlig übertrieben so überschwänglich gelobt - ist ja selten, dass einer mal alles richtig macht, klasse und dabei so ruhig bleibt - dass er ihm wohl nichts mehr einfiel, warum er mich nun hassen sollte, was immer sie ihm über mich erzählt hatte. Nach dem Ausräumen, zeigte sich nochmal das hässliche Gesicht dieses Pfadfinders, als er plötzlich fast das doppelte verlangte, wegen Gefahrenzulage und so. Hatte keine Lust auf Diskussionen, war immer noch günstiger weggekommen als mit Profis, wenn auch nicht viel vermutlich und wollte nur meine Ruhe.

Die Art wie ihr Freund sich verhielt und um das Geld in einer Ecke mit mir verhandelte, so dass die Jungens seines Stammes nichts davon hören konnten, hätten vermutlich bei jedem kritisch und vernünftig denkenden Menschen den Verdacht geweckt, dieser habe etwas mit Drogen zu tun - die beiden jungen Vertriebler, waren sich da auch sicher, machten mir klar, der habe mich übers Ohr gehauen und das hätten sie mir billiger organisiert -  all solche tollen Ratschläge, die hinterher immer besonders gut helfen, da sie am Abend selbst leider schon ganz lange verplant waren. Die beiden rieten mir ohnehin, die Alte, wie sie das Mädchen nannten, rauszuschmeißen, die sei doch nicht ganz koscher, das gäbe nur Ärger und die brauchst du doch nur anzuschauen, um zu merken, dass sie auf Drogen ist.

Stritt es ab, sagte ich sei Pfadfinder gewesen, die machen so etwas nicht, er hätte halt verhandelt um mehr rauszuholen, wäre ja legitim, vielleicht war es ja für einen guten Zweck und sie interessiere sich eher für Lyrik als für Drogen. Könnte mir das nicht vorstellen. Sie war doch so nett, hatte mir von ihren Eltern in Hamburg erzählt und ihrer Liebe zu Goethe und ihrem Freund - den Ohnmachtsanfall auf meinem Balkon verschwieg ich lieber, ging ja keinen was an und hätte sie vermutlich noch bestätigt. Die Vertriebler blieben dabei, schmeiß sie raus, solange sie nicht da ist, die macht nur Ärger, die Drogis würden dir sonstwas vorlügen und erzählen, auch der Freund, der mir den Job besorgt hatte, äußerte sich ähnlich und sagte, Vertrauen sei ja schön und gut aber manchmal sei Misstrauen einfach gesünder.

Hatte keine Argumente, nur Überzeugungen und ein hohes Gerechtigkeitsempfinden. Einen feuern, der krank ist, kam nicht infrage. Erledigte ihre Arbeit noch mit, musste ich halt doppelt so viel tun, war egal, mich erwartete ja keiner, außer meine Wohnung voller Zeug, dass ich irgendwann aufstellen und einräumen musste, wovor mir schon wieder ein wenig grauste. So kündigte ich ihr nicht, behielt auch die anderen Praktikanten, zog keinerlei vernünftige Konsequenzen, weil ich naiv und blöd war und zu viel damit zu tun hatte, die Dinge zu erledigen, die eben zu erledigen waren und froh war, wenn es einigermaßen lief - ich managte nicht, ich versuchte irgendwie neben dem inneren Chaos und meiner Bude, den Sender am Laufen zu halten.

Ein großer Lichtblick, nur getrübt von meiner noch posttraumatischen Blödheit, war dafür die  Hilfe der A., die mich eines Abends, wie verabredet im Büro abholte, mit mir in die neue Wohnung ging, damit schon was steht, bevor am Freitag die Freunde aus Heidelberg kämen, die mir helfen wollten, damit am Samstag meine erste große Party in Berlin steigen konnte, zu der ich auch das halbe Büro, vor allem die netten Vertriebler mit den guten Ratschlägen, auf die ich leider nie hörte, eingeladen hatte. Sie war zwar klein, aber unglaublich stark und patent und wir schafften richtig viel, bauten Regale auf, räumten Kisten aus und es sah schon ziemlich eingerichtet aus, als wir schließlich erschöpft einen Wein zusammen tranken.

Natürlich landeten wir dann doch noch zusammen im Bett, oder lass es auf dem Sofa gewesen sein, es war, egal wo, wild und schön, freute mich an ihrem riesigen Busen, ihrer lauten Lust und der geteilten Leidenschaft, die am Ende beide erfüllte. Eigentlich wäre A., die intelligent war, liebevoll, wunderbar Cello spielte, als Theologin auch sehr gebildet und neugierig, deren Eltern ein kleines Weingut hatten, die ideale Frau, hätte ich so etwas je vernünftig ausgesucht. Befriedigt und glücklich lag sie in meinen Armen und freute sich darauf, dass wir uns nun die Nacht aneinander kuscheln würden. Und nichts liebe ich eigentlich mehr, angekuschelt mit einer Frau zu schlafen, zärtlich umschlungen, finde die nächtliche Nähe, fast wichtiger als Sex. Doch da überkam mich plötzlich Panik, ich dachte an die Liebe zu I., mit der ich zuletzt so innig irgendwie nach unbefriedigendem Sex gekuschelt hatte und ich konnte nicht, ließ sie sogar allein auf dem Bettsofa schlafen und verzog mich in mein noch relativ uneingerichtetes Schlafzimmer.

Sie nahm mir das verständlicherweise übel, es war ja auch ein völlig idiotisches Verhalten, noch dazu dieser Ziege wegen, mit der ich nicht einmal schönen Sex genießen durfte und die mich an meinem 30. so schändlich verließ, die vermutlich nie in ihrem Leben so schönen, wilden Sex haben würden wie A. und ich nur mal so nebenbei ohne weitere Absichten, aber ich spielte innerlich wieder den Werther, das geknickte Pflänzlein, nachdem der Schwanz wieder hing und wollte für mich sein und sie nahm es, wenn auch deutlich knurrend, hin und half mir dennoch weiter, weil sie eine tolle und zuverlässige Frau war.

Bedaure manchmal, wie sich der Kontakt zu solch wunderbaren Menschen wie A. völlig verlor, die irgendwann zu ihren theologischen Examina wieder in die Pfalz zog und vermutlich irgendwo dort gelandet ist. Wie gerne hätte ich sie nochmal Cello spielen gehört voller Leidenschaft wie damals, als wir das erstemal noch in Heidelberg Sex hatten und ich leider noch verlobt war, warum ich auch da nie das Bett für eine Nacht mit ihr teilte, sondern nur mal ab und an mit schlechtem Gewissen meinerseits, der auch damals, wie ich es später, seltsam genug, noch wiederholt tat, mit einer sexuellen Schlaftablette verlobt war.

Vielleicht hätte sie mehr gewollt, wären wir zusammen glücklich geworden, wir konnten wunderbar diskutieren, teilten geistige Welten, auch wenn mir ihr Glaube relativ fern war - es hätte in ganz vieler Hinsicht wunderbar werden können, wenn ich es gewagt hätte, die Chance zu ergreifen, die sich dort bot und vermutlich wäre ich damit so glücklich wie möglich geworden. Aber, sie war klein, leicht alternativ, nicht besonders schick - kein Vergleich zur rothaarigen Opernsängerin aus der Schweiz, von der ich aber eher nur träumte, und sie hatte Lust auf mich, was vermutlich für viele Männer das sexuell abschreckendste überhaupt ist, weil die Lust immer noch ein idiotisches Paradoxon ist und Typen wie ich solch frigiden, katholischen Germanistinnen wie I. hinterherheulen, statt sich an der echten Lust, dem klugen Geist und der Natürlichkeit einer A. genüsslich zu freuen.

Vermutlich sind Idioten wie ich, die solchen Frauen wie den Is dieser Welt ihr Herz schenken, der Grund, warum es schon immer so viele Bordelle gab und diese Branche nie aussterben wird, weil die Männer in diesen Beziehungen ewig frustriert sind, während wahrlich gute Liebhaberinnen wie A. viele Männer in die Flucht schlagen mit ihrer echten, natürlichen Lust, die sie einfach leben. Zumindest lebte ich die Lust mit ihr und ging nicht ins Bordell und so hatten wir zumindest für Momente ein kleines Glück, von dem ich mich aber bald wieder zu sehr ablenken ließ, weil ich eben nicht sonderlich lernfähig bin.

Ob das, wie eine meiner anderen großen Lieben meinte, am Geschlecht liegt, also genotypisch ist, weiß ich nicht, wenn ich andere Männer reden höre, verhält sich kaum einer so idiotisch wie ich - aber auch ich erzähle solche Geschichten natürlich nicht in Männerrunden, wenn es wie früher beim Quartettspielen um das gegenseitige sich überbieten geht, was wohl auch große Jungens nie ablegen. Dieses Muster wird noch in einige Geschichten auch dialektisch wiederholt auftauchen, denn auch Frauen reagieren nicht ihrer natürlichen Lust entsprechend, hab ich das Gefühl, sondern wollen auch wirken und kämpfen um ihre Achtung, als sei die keusche Jungfer ein Ideal unserer Zeit und ihrer Natur. So scheinen mir manche Sitten unserer Kultur zutiefst atavistisch und noch immer von den kranken Sitten des Aberglaubens geprägt, als hätte es nie eine sexuelle Revolution gegeben.

Die Freunde aus Heidelberg kamen dann wie versprochen, drei Frauen und J in seinem roten BMW Cabrio schon etwas älteren Baujahrs, wie der Fahrer auch. Von den Damen halfen besonders J, die auch in Heidelberg meine Liebhaberin neben der sexuell etwas frustrierenden Verlobten war, eine hochgebildete Kunsthistorikerin, die noch dazu alte italienische und französische Literatur studierte und eine in jeder Beziehung wunderbare Frau war, auch wenn sie aus Bayern stammte, was mir eher fern innerlich lag und darum auch immer Kinesen sagte und dann noch C, die einige Jahre vor mir auch an meiner Schule Abitur gemacht hatte, zeitweise auch meine Liebhaberin war und eine vielfältig wunderbare Frau und gute Freundin einfach blieb.   Der J und die C übertrafen sich gegenseitig in ihrer Leistung, er als Handwerker, der unermüdlich anpackte und alles hinkriegte und sie, als sie mein Bad putzte, was danach nie wieder so schön aussah, wie an jenem Abend der Party.

Habe mich schon manchmal gefragt, ob Frauen ein besonderes Gen zum Badputzen haben, dass uns Männern einfach fehlt, doch genug männliche Profis im Putzen beweisen dabei leicht das Gegenteil dieser chauvinistischen These, wenn ich auch in meinen Beziehungen die Erfahrung gemacht habe, dass es besser ist, diesen Bereich, den Frauen zu überlassen und sie dabei dann auch über alle Maße zu loben. In der jahrelangen Beziehung mit der Mutter meiner Tochter, war ich für das Bad und die abendliche Küche zuständig, was zwar funktionierte aber mich dauernd so nervte und frustrierte, dass ich heute noch manchmal denke, dies könnte der Grund unseres Scheiterns gewesen sein, auch wenn es vermutlich noch viele andere gab.

Die Party, für die ich kistenweise guten Bordeaux bei Aldi besorgt hatte und auch ein wenig Bier, das übliche Knabberzeug, sei hier nicht erwähnt, tatsächlich zauberten die Damen in meiner überschaubaren Küche zum Hinterhof noch etwas Schönes zum Dippen und tunken, wurde ein voller Erfolg. Die neuen Bekannten aus dem Büro kamen relativ zahlreich zeitweise, auch der Bruder eines meiner besten Freunde aus dem Studium und unterhielten sich angeregt. Alle schienen es, gut zu finden, wie es war, nur ich war nicht so ganz sicher, hatte ich mich doch mit kaum jemand richtig unterhalten, nur mal hier und dort etwas Smalltalk und dann zogen die anderen weiter in Clubs oder zum nächsten Fest irgendwo in der großen Stadt, was mir seltsam vorkam, ihnen aber völlig normal erschien.

War Feste gewohnt, bei denen du von Anfang bis Ende zusammenbleibst und irgendwann ins Bett fällst, wenn der letzte Gast ging in der Morgendämmerung betrunken ging. War hier wohl anders - hier tauchst du irgendwann auf der einen Party auf, entschuldigst dich, dass bei dieser oder jener oder mehreren Einladungen es doch länger gedauert hat, trinkst etwas, plauderst und ziehst weiter um die Häuser oder in Clubs. Hatte nichts damit zu tun, ob es ihnen bei mir gefiel oder nicht, lag einfach nur daran, es gab immer so viel und jeder war immer irgendwo eingeladen oder kannte jemanden, der jemanden kannte, der gerade etwas neu aufmachte, was du unbedingt sehen musstest und keiner wollte ja was verpassen.

Vermutlich waren die drei bis vier Stunden, die sie tatsächlich bei mir waren sogar ziemlich lang und als der größere Teil der Meute abgezogen war, merkten wir verbliebenen, wie erschöpft wir von der Arbeit bis zur letzten Minute waren.

Es gab ein Bettsofa und mein 1m breites Bett für 5 Personen, von denen die eine noch mit einem Freund durch die Clubs zog und irgendwann am Morgen kommen wollte. Da mein Freund J meinte, er schnarche, beschlossen meine beiden früheren Liebhaberinnen C und J mit mir in meinem 1m breiten Bett zu schlafen, während J bis die andere käme alleine auf dem 2m breiten Bettsofa schlafen sollte, da diese seine Ex war, kannte sie sein Schnarchen und käme vermutlich so trunken und müde wieder, dass wir uns über sein Schnarchen ihretwegen keine Sorgen machen mussten.

Eine nicht sehr logische oder sinnvolle Raumaufteilung, aber es wurde eine wunderbare Nacht, von der ich leider dank der Menge des vorher genossenen Rotweins, der gute Bordeaux von Aldi wirkte nachhaltig, nicht viel erinnere. Es war zärtlich, kuschelig, wunderschön vertraut, ich glaube, hätte mich jemand in diesem Moment gefragt, hätte ich gesagt, ich liebe sie alle beide und bin der glücklichste Mensch. Wir schliefen irgendwie wechselnd über Kreuz und im Arm, aneinander gekuschelt, sich streichelnd, kichernd und irgendwann tatsächlich - die schönste Nacht in meiner neuen Wohnung, obwohl ich keine Erinnerung habe, ob wir tatsächlich erfüllenden Sex hatten, nur darüber flüsterten, wer wen streichelte, wann und wo und überhaupt - am Morgen zwinkerten wir uns zu und ich tat auch so, als wüsste ich wovon die Rede war, tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was in dieser Nacht in meinem Bett alles passiert ist, aber ich kann mir viel schönes vorstellen und das reicht an dieser Stelle wohl auch.

So endete meine erste Party sehr glücklich, wenn auch überraschend nah und anders als gedacht und gerne dachte ich bei den kommenden Katastrophen an diese wunderbare Nacht, auch wenn ich immer noch aus voller Überzeugung sagen würde, Sex zu Dritt lohnt nie, kommt immer einer zu kurz, ist eher sportlich und überhaupt - aber da ich nicht mehr weiß, was passierte, was auch sehr gut so ist, habe ich eine angenehm wohlige Erinnerung und denke es war wohl alles gut so.
jens tuengerthal 25.2.2017

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