Montag, 6. Februar 2017

KMG 004

Weltvernunft

Es war einmal ein alter König, der viele Schlachten geschlagen und die meisten gewonnen hatte, warum er in dem Ruf stand unbesiegbar zu sein. Er hatte den Gerüchten ihren Lauf gelassen, weil sie verhinderten, dass neidische Nachbarn ihn angriffen. Die Schatzkammern des Reichs waren voller Gold und gefüllt mit den seltensten Kuriositäten aus aller Welt. Der König verbrauchte fast nichts, weil er nur noch eine winzige Armee brauchte, nachdem er als unbesiegbar galt. Auch liebte er seine Frau, mit der er vier Kinder hatte, so sehr, dass er neben ihr keine Mätressen mehr wollte, die mit ihren Wünschen noch bei seinem Vater den halben Haushalt aufzehrten, dafür das Kunsthandwerk in seinem Reich zu hohem Ruhm gebracht hatten. Davon profitierte sein bescheidener Sohn nun sehr.

Sein Reich lieferte Schmuck und Porzellan, sowie Uhren und andere an den Höfen geschätzten Feinheiten, mit denen die Mätressen aller Orten konkurrierten und um deretwegen sich manche Herrscher in größere Ausgaben stürzten, als sie einnehmen konnten und darum bei den Banken Schulden machten. Der einzige Luxus, den sich unser alter König manchmal gönnte, waren schöne Bücher, doch musste er sie selten bezahlen, weil ihm seine Königskollegen zur Begleichung ihrer enormen Schulden immer schon als Anzahlung oder auch nur, um ihren Gläubiger milde zu stimmen, ihre prächtigsten Bände schenkten und die königliche Bibliothek war längst mit den kostbarsten Schätzen gefüllt, die ein Liebhaber schöner Bücher, sich nur denken konnte und wenn der König das Gefühl hatte, nun sei es genug, ließ er einige der kostbaren Bände auf die kleineren Bibliotheken seines Landes zur Ausstellung verteilen oder sie verkauften zehn alte Bücher für fünf Uralte, für die sie wiederum im Tausch zwei kostbare Handschriften erhielten und so erhöhte sich der Wert bei reduziertem Umfang, was dem sparsamen König gefiel.

Nie war er geizig gewesen, wie jener Soldatenkönig nebenan, der am Essen geizte und an allem auch für seine Kinder sparte, nur in seine langen Kerls unendlich viel investierte. Es war alles so gut und vornehm, wie es von einem König erwartet werden konnte. Kamen Staatsgäste, wurden sie auf das beste bewirtet und blieb etwas übrig, ließ der König es unter den Armen auf der Straße verteilen, damit alle satt würden. Doch wenn er nicht repräsentieren musste, hatte er mit seiner Frau und den Kindern in einem kleinen Landhaus gelebt, wo sie sich aus ihrem Garten auch ernähren konnten und die Königskinder auch das einfache Leben kennenlernten. So wurde das große Schloss nur an ganz wenigen Tagen geheizt und der König sparte in seiner bescheidenen Art immer mehr, was er als verantwortungsvoller Vater und Landesvater gut und sicher anlegte, statt Schulden zu machen.

Nach wenigen Jahren schon, hatte der König die Schulden seines Vaters getilgt und konnte nebenbei noch die Armee verkleinern, weil er mit allen Nachbarn, die ihn als tapferen Feldherren aus dem großen Krieg kannten und fürchteten, in Frieden lebte und behielt so immer mehr übrig, was er wiederum von seinem weisen jüdischen Bankier gut investieren ließ. Diesen zu vertrauen, hatte sich als weise und wertvoll erwiesen. So wuchs das Vermögen des Reichs immer mehr. Er investierte in Gold und Wertpapiere, kaufte auch Schuldscheine von Nachbarstaaten, die ihm gefährlich schienen in ihren Absichten, um sie damit im Notfall ruhig halten zu können.

Alles war auf das Beste bestellt im Reich. Es gab neue Straßen und Schulen, die Bewohner waren gebildeter, als die der Nachbarländer und fertigten so zwar etwas teurere aber auch langlebigere und bessere Produkte, warum auch die Exporte ständig wuchsen. Gleichzeitig hatte der König mit wachsendem Vermögen die Steuern immer weiter gesenkt, weil er ja nicht unendliche Überschüsse bräuchte und die Menschen lieber mehr Geld in den Händen halten sollten, statt es zu sparen, es auf den Markt bringen würden.

So geschah es also und die Wirtschaft florierte nach Innen wie nach Außen, die Lage war ruhig, die Versorgung der kommenden Generationen durch verantwortungsvolle Rücklagen gesichert, alles schien in diesem Reich in bestmöglicher Ordnung. Der König herrschte aufgeklärt, ließ sein Volk sich auf den meisten Ebenen selbst verwalten und belohnte gute Ideen und Engagement mit Steuernachlässen oder erhöhtem staatlichen Einkommen.

Diese Idee war ihm irgendwann gekommen, als allein durch den nur Zinsdienst der Nachbarländer auf ihre Schulden, die Schatzkammern schon überfüllt waren und die Exporte immer noch so viel größer waren als die Importe und der Konsum in seinem Land. Seine Ökonomen hatten ihm geraten, hier für Ausgeglichenheit zu sorgen, um die Stabilität auf Dauer garantieren zu können.

So hatte jeder Bürger des Reichs ein Grundeinkommen von seinem König, wer mehr verdiente, zahlte bis zu diesem Betrag keine Steuern und sparte im übrigen für schlechte Zeiten, in denen dann ausgeglichen wurde. Dadurch kauften die Leute mehr ein, waren fröhlicher und gönnten sich gerne etwas auch in den feinen Geschäften der Hauptstadt. Es ging ihnen ja gut, sie hatten genug, der Staat war sparsam und bescheiden, wie es ein Staat mit fremdem Geld immer sein sollte, dachte der König, der dies alles ganz normal und nicht der Rede wert fand.

Manchmal versuchten die einen oder anderen Firmen, den König zu ganz großen Investitionen zu überreden. Eine Chance hatten sie nur, wenn sie einen realen Gewinn brachten und nicht nur kosteten. Der König haushaltete in seinem Land wie eine schwäbische Hausfrau, wie seine Spötter zu sagen pflegten - aber er tat es so gut und sicher, dass alle davon in den Jahrzehnten seiner Herrschaft profitiert hatten. Es war alles gut, vernünftig und wohl geordnet und die Untertanen wünschten sich, es möge noch die nächsten hundert Jahre so weitergehen.

Doch der König wurde älter und älter, seine Augen ließen nach und er bekam immer schlechter Luft, wenn er in den Turm seiner Privatbibliothek stieg, brauchte er immer eine Pause zwischendurch und hatte sich darum einen Stuhl mit Büchern auf jede Zwischenetage stellen lassen. Sein Herz schlug noch, aber manchmal nicht mehr so, wie es sollte, darum musste er überlegen, wie es nach seinem Tod weiterginge und was er noch dafür tun konnte, dass alles in bester Ordnung blieb, wie es war.

Seine jüngste Tochter schien ihm am besten geeignet. Sie lebte wie er, liebte die Bücher mehr als den Luxus, war mit wenig zufrieden und im ganzen Volk beliebt. Doch nach dem alten Hausgesetz, nachdem auch er schon vom Vater erbte und dieser von seinem und so seit unendlich vielen Generationen im ganz frühen Mittelalter, erbte der älteste Sohn zuerst und wenn es keinen Sohn gab, immer die ältere Tochter vor den jüngeren Töchtern.

Die beiden großen Schwestern und der älteste Sohn waren auch gute Kinder, nur waren sie nicht bescheiden und sparsam, sondern liebten auch den Luxus, wie es viele Königskinder auf der Welt tun. Auch in der Wirtschaft, die der Sohn an großen Universitäten studiert hatte, sahen sie vieles ganz anders als die Jüngste, von der sie immer sagten, sie verstünde es nicht.

Schulden seien gut und notwendig, um in die Zukunft zu investieren, zahlten sich später aus und so verplanten sie auch ihr privates Geld weit über ihre Mittel, ließen anschreiben bei den Händlern im Reich. Diese wussten, irgendwann bekämen sie ihr Geld, war nur noch eine Frage der Zeit und Gläubiger des Kronprinzen zu sein erhöhte ihre Chancen Hoflieferant zu  werden deutlich, was ihnen noch mehr Prestige gäbe als nun schon als Lieferanten des Kronprinzen, dessen Wappen sie aus Dank für ihre Großzügigkeit zu Werbezwecken benutzen durften.

Der König wollte keine Schulden machen, sah den Schatz als Sicherheit für alle in der Zukunft an, die sein Sohn mit seinen neumodischen Ideen nun zu gefährden schien. Im Volk war der Kronprinz beliebt, weil er sehr großzügig mit dem Geld war, dass er noch nicht hatte, versprach viel zu investieren, wenn er erst König wäre und in der Hoffnung dabei bedacht zu werden, beschenkten ihn viele Unternehmen großzügig, was sein Vater nie angenommen hätte, um frei zu bleiben in seinen Entscheidungen.

Natürlich konnte der König als König sein Testament ändern, die jüngste Tochter als Erbin einsetzen und die anderen enterben, doch müsste er dafür begründen, warum er vom alten Recht abweicht und warum die anderen es weniger als die  Jüngste verdiente, die doch dem Recht nach erst an letzter Stelle zum Zuge käme als Erbin.

Keinesfalls wollte er Streit unter seinen Kindern säen und wusste doch, täte er, was er einzig für vernünftig hielt, würde er drei für eine vor den Kopf stoßen und er liebte doch alle seine Kinder gleichermaßen, dachte er zumindest, sollten sie jedenfalls denken, wollte er doch immer gerecht sein.

Eine schwierige Situation für den König, er wusste nicht, wie er sich nun entscheiden sollte. Eigentlich ging es ihn ja nichts mehr an, wenn er tot war, was sollte er sich Sorgen machen, sagte er sich. Er hatte seine Pflicht getan und was nach ihm kam, ging ihn nichts mehr an. Doch er konnte nicht so denken, sie trugen seit Jahrhunderten Verantwortung für dies Reich - müsste er doch nicht sterben, dachte der König, könnte er noch dreißig Jahre leben, löste die Natur vielleicht all seine Probleme von alleine, war doch die jüngste Tochter fast zwanzig Jahre jünger als ihr ältester Bruder.

Doch waren dies nur Märchenträume, er würde bald sterben, weil er schon alt war und es war müßig, weiter auf ein Wunder zu hoffen. Entweder er hörte auf, sich Gedanken über die Zeit nach seinem Tod zu machen, weil sie ihn nichts mehr anging und er alles so gut wie möglich gemacht hatte, oder er suchte sich Hilfe.

So ließ er den Mönch rufen, der ihn schon beim Wetterdienst so weise beraten hatte und schilderte ihm seine Lage, die ausweglos schien, zum Wohle des Landes und nach seinem Gewissen, müsste er sich in seinen letzten Tagen mit seiner Familie überwerfen, die er doch über alles liebte und der er nie böse wollte.

“Was soll ich also tun, wenn Pflicht und Gefühl verschiedene Wege gehen und ich doch auch weiß, es geht mich nichts mehr an, was nach mir kommt?”
“Ihr kennt sicher die Sage vom weisen Nathan, die er dem Sultan erzählt, als dieser nur einem seiner Söhne, den Ring vererben kann, der beliebt und glücklich macht und ihn zu einen guten Herrscher macht?”
“Wie er die drei gleichen Ringe fertigen lässt, die kein menschliches Auge mehr unterscheiden kann?”
“Genau die Majestät.”
“Aber ich habe nur eine Krone und ein Reich und kann es nicht in vier Teile teilen, das wäre gegen das Recht und nutzte niemandem.”
“Ihr könnt aber die Krone demjenigen vererben, der sich als weisester Herrscher erweist und der als bester daran erkannt wird, dass er vom Volk am meisten geliebt wird.”

Der König schaute den Mönch an, als hätte er den Verstand verloren und schüttelte den Kopf, dachte aber noch einen Moment nach, bevor er weitersprach. Wie hatte der Mönch das nur gemeint, fragte er sich und da kam ihm eine Idee, die allerdings ähnlich absurd schien.

“Ihr meint ich soll Wahlen zum König abhalten lassen und das Volk, ließe sich nicht von den Versprechungen meines Sohnes verführen?”
“Was würde euch glücklich machen, solange ihr lebt?”
“Mit meiner Familie in Frieden leben und mein Reich in guter Sicherheit zu übergeben.”
“Aber das tut ihr doch, wenn ihr nichts ändert, was macht ihr euch also Sorgen?”
“Weil ich weiß, dass mein Sohn mit den großen Schwestern bald die Finanzen ruiniert, weil  er und die älteren Schwestern unbescheiden sind.”
“Geht euch noch etwas an, was nach euch kommt, wenn ihr nicht mehr seid?”
“Dann nicht mehr, auch der Tod geht mich nichts an, wir kennen unseren Epikur - aber ich treffen jeden Tag Entscheidungen, die länger wirken können und sollen, als ich lebe. Jede dieser Entscheidungen, will ich so treffen, dass sie das Beste für mein Reich und mein Volk ergibt und danach, müsste ich mein Testament ändern, womit ich nicht mehr in Frieden gehen könnte.”

Er schaute den Mönch fassungslos an, hatte er alles vergessen, was sie in den letzten Jahren schon zur Sicherheit geplant hatten, dennoch versuchte er, ruhig zu bleiben, um es ihm nochmal zu erklären. Warum nur verstand ihn keiner mit seinen Sorgen, grübelte er dabei.

“Habe es längst in die Verfassung schreiben lassen, dass wir unser Vermögen weiter mehren wollen und der Staatsschatz nicht angerührt werden darf.”
“Aber weil euer Sohn versichern wird, seine Pläne würden für erste Schulden den Reichtum um ein vielfaches erhöhen, könnte er jedes Gesetz umgehen und schauen wir auf die Gewinne der Börsen und Banken, wird er viel Zustimmung finden.”
“Wie gut, ihr versteht mich doch noch.”
“Weiß ich nicht, denn ich sehe keinen Grund zur Sorge für euch, wenn ihr alles getan habt, was ein Mensch in seinem Leben tun kann, habt ihr es gut gemacht und könnt in Frieden gehen, wenn es soweit ist.”
“Aber ich erwarte von mir, dass ich mein Reich denen überlasse, die es so weiterführen, wie ich es tat und unseren Reichtum mehren, damit weiter alle in Frieden leben können. Auch meine jüngste Tochter, die ich gerne als Königin hätte, erwartet nichts von mir, keiner außer euch weiß von meinen Sorgen.”
“Eben und also steht  ihr vor der Wahl, ob ihr die Macht abgebt, damit andere sie in eurem Sinne weiterführen, solange ihr lebt oder euch nicht weiter, um das was nach euch kommt, zu kümmern.”
“Die Macht abgeben?”, der König rang um Worte, so erstaunt war er über den Vorschlag, “Aber was bliebe dann von meinem Erbe? Wäre es nicht, als enterbte ich meinen Sohn doch, wäre nur zu feige, es zu sagen?”
“Ihr müsst tun, was ihr meint, tun zu müssen, ob ihr es zu Lebzeiten offenbart, ist eure Entscheidung. Euer Sohn könnte König werden und dennoch keine Entscheidungen mehr über Finanzen treffen, wenn ihr diese Aufgaben delegiert und das Reich zu einer Republik mit König machtet.”
“Wer sagt mir, dass sich das Volk nicht dennoch zur falschen Finanzpolitik verführen ließe?”
“Ist es leichter ein ganzes Volk oder einen Menschen zu verführen?”
“Natürlich ist es leichter, wenn es nur um einen geht.”
“Wäre eure jüngste Tochter darum für die Verführung der Ideen ihres Bruders nicht gefährdeter als das ganze Volk?”

Der König dachte nach und merkte, wie ihm Zweifeln kamen. Er dachte an die Populisten und wie leicht die Masse verführbar war, wenn ihnen nur einer das blaue vom Himmel versprach und sein Sohn konnte gut reden. Doch warum seine eine Tochter, sich stärker gegen die Verführung mit den Ideen ihres Bruders wehren sollte, als ein ganzes Volk mit vielen klugen und nachdenklichen Menschen, konnte er nicht beantworten.

“Ihr vertraut der Masse mehr, als ich meiner Jüngsten trauen soll?”
“Sie ist eine, wenn es auf eine allein ankommt, kann viel passieren. Das Risiko ungewollter Veränderungen nimmt ab, um so mehr darüber bestimmen dürfen.”
“Soll ich also am Ende meiner Herrschaft mein Königreich aufgeben und die Macht dem Volk geben, meinen Sohn damit enterben? Wie soll ich da in Frieden mit meiner Familie gehen - so vernünftig die Idee sein mag, löst sie meinen doch Konflikt nicht. Diese Menge mit vielen völlig ungebildeten Menschen, soll klüger als mein Kind sein?”
“In der Masse sind die klügsten wie die dümmsten gleich und alle wollen glücklich und in Frieden leben - wem, wenn nicht einem ganzen Volk, wollt ihr vertrauen, wenn es um die Zukunft gehen soll, in der sie leben?”

Die Ideen waren revolutionär, eigentlich nicht erwünscht am Hof, aber sie waren klug und einleuchtend und er vertraute dem Mönch schon lange als Ratgeber. Dennoch versuchte er die für logisch erkannte Idee ein wenig einzuschränken.

“Sollte ich vielleicht erstmal nur die Professoren wählen lassen?”
“Es änderte nichts und machte das System nur anfälliger als die Demokratie.”
“Aber dann raube ich meinem Sohn die erhoffte Macht und meine Familie wird mir zürnen. Dann ginge ich in Streit und Unfrieden.”
“Es sei denn euer Sohn selbst, führt als euer Erbe die Republik ein, weil ihr ihn dafür einsetzt.”
“Er soll sich vom absoluten Herrscher freiwillig zum Repräsentanten machen lassen, all seine Pläne aufgeben?”
“Vielleicht könnte er die republikanische Bewegung sogar anführen, er ist ja modern, jung und aufgeschlossen für viele neue Ideen, auch wenn ihr nicht alle davon schätzt.”

So hatte er es noch nicht betrachtet. Nur würde sich sein Sohn an die Vorgaben halten, die Republik einzuführen, konnte er sicher sein, dass ein Parlament seine sparsame Haushaltspolitik voller Verantwortung für kommende Generationen weiter trug - er wusste es nicht und ihm fehlte das Vertrauen in die Intelligenz der Masse, die es schon richtig machen würde, weil sie träge war und jeder wollte, dass es ihm so gut wie möglich ginge.

“Aber schaut euch an, wie leicht sich Massen verführen lassen, wo soll das nur hinführen?”
“Besteht diese Gefahr in der Monarchie weniger?”
“Bei einer klugen sparsamen und bescheidenen Königin nicht.”
“Ihr glaubt immer noch, eine die ihr kennt, sei klüger als die Summe aller und weniger auch von ihren großen Geschwistern verführbar, denen ja keiner böse will, als ein ganzes Volk, dass sich seiner Freiheit als Geschenk bewusst ist?”

Der König zögerte einen Moment - ja, er dachte seine Tochter, würde es besser machen und wäre weniger verführbar als die Masse, die manipulierbar war. Nur war die Masse genauso manipulierbar, wenn er seinen Sohn enterbte, der ja sehr beliebt war, eine Revolution auslösen könnte, genau wie andere Bewegungen im Volk, die es ja auch längst gab, die nur nie zu einer Gefahr oder Mehrheit wurden, weil es allen gut ging, wie es war.

“Soll ich meinem Sohn die Macht übergeben, damit er die Republik einführt? Wird er das machen und wollen?”
“Wenn die Leute das beste Boot bauen sollen, musst du nicht ihnen nicht die besten Bücher dazu geben, sondern sie die Sehnsucht nach dem Meer lehren.”
“Ja, ich kenne das Zitat von Saint Ex’, aber wie soll ich ihm die Sehnsucht danach geben, seine Macht aufzugeben?”
“Wollen wir nicht alle immer das Beste und in Frieden leben, wie wir es nur können?”
“Aber warum sollte er aufgeben, wonach er sich schon so lange sehnt, um alles verändern zu können in seinem Sinne?”
“Weil er begeistert die demokratische Bewegung mittragen, euch die Republik abringen und sich großartig fühlen wird, wenn er von sich sagen kann, er hat seinem Volk die Freiheit geschenkt.”

Die Zweifel und der Widerstand in ihm schwanden, vielleicht wäre das eine Idee - plötzlich kam ihm ein Verdacht, was, wenn der Sohn längst Teil einer großen Verschwörung gegen ihn wäre, sein Vertrauter vielleicht auch, sie ihn zur Aufgabe der Macht nur überreden wollten, all die Sorgen, die jeden Mächtigen umtreiben.

“Ist er schon in der demokratischen Bewegung?”
“Sicher nicht direkt aber das wären Kleinigkeiten und mit diesem Kopf an ihrer Spitze, würde sie schnell das ganze Reich begeistern.”
“Ja, begeistern kann er die Leute, auch wenn ich von seinen Plänen bisher nicht viel hielt.”
“Würde der Berater seines Vaters, ihn im Vertrauen an die Spitze dieser Bewegung stellen, die sich gegen eure Herrschaft richtet und bei der ein Mann, der viel mit dem Volk spricht, ihn zum Führer macht, würde die Flamme der Demokratie bald im ganzen Land brennen.”

Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er nicht doch Opfer einer Verschwörung wurde und auf etwas reinfiel, was von langer Hand erdacht war, selbst zum Instrument wurde - aber, wenn es so wäre, bliebe es dennoch der vernünftigste Weg und um was ging es als seinen Frieden?

“So muss ich den eigenen Sohn in den Kampf gegen meine Herrschaft hetzen, damit ich in Frieden gehen kann?”
“Dann erst könnt ihr in Frieden gehen und ihm die Macht übergeben, der die Demokratie im Rechtsstaat einführte. Für den Rest und die Kontinuität wird der Wohlstand aller sorgen, den sie gern behalten wollen und die gute Bildung, die ihr schon lange eurem Volk schenkt.”
“So würde ich zum Anstifter der Revolution gegen meine Herrschaft.”
“Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.”
“So sagt es der Neffe zum Leoparden in Tomasi di Lampedusas genialen Roman Der Leopard, ich weiß, ihr zitiert es gern - etwas wehrt sich in mir noch dagegen, aufzugeben, was ich von den Vorfahren erbte - aber ich widerspreche euch nicht und wenn mein Sohn als Revolutionär kommt, werde ich nicht gegen ihn kämpfen, sondern den Dingen ihren Lauf lassen.”
“Vielleicht seid ihr damit der weiseste Herrscher aller Zeiten und erlangt viel mehr Unsterblichkeit, als ihr euch verzweifelt wünschtet…”

Der König schaute den Mönch fassungslos an, woher kannte dieser jeden seiner geheimsten Gedanken, die er nie geäußert hatte -  er wusste es nicht, vermutlich konnte er in ihm lesen wie in einem Buch.

“Woher wisst ihr, ich meine, wie kommt ihr darauf?”, begann er fast stotternd.
“Weil jeder Mensch, es in eurer Situation  denken würde, es liegt ja nahe.”
“Dann macht, was ihr für nötig haltet, werde mich dem fügen und kann dann in Frieden gehen, ohne etwas entschieden zu haben - wenn das Weisheit sein soll, nehme ich es hin.”
“Die Dinge nicht ändern und weiter beherrschen und kontrollieren zu wollen, zeugt von großer Weisheit. Was mehr könnte ein Mensch, sich zum Abschied wünschen als die große Freiheit, gehen zu können, wenn es soweit ist?”
“Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert. Ja, lassen wir die Dinge ihren Lauf nehmen, mehr kann ich nicht entscheiden.”
“Verneige mich vor eurer Weisheit und werde mich nach Kräften bemühen.”

So beschlossen der König und der Mönch die Revolution, für die sie nichts taten, als der Freiheit ihren Lauf zu lassen und wenn sie nicht gestorben sind, blieb alles, wie es ist, weil sich alles veränderte.
jens tuengerthal 5.2.2017

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