Samstag, 11. Februar 2017

KMG 008

Zwergenordnung

Es war einmal eine Zwergenfamilie, die im Wald unter der großen Eiche, nahe der Schonung ihre Höhle gebaut hatte. Sie lebten dort noch nicht lange, vielleicht zweihundert oder dreihundert Jahre und erst in der dritten Generation, was ja für Zwergenfamilien, die sehr sesshaft sind, wenn sie sich irgendwo wohl fühlen, nichts ist.

In der geräumigen Höhle lebten Großeltern, Eltern und Kinder gemeinsam. Der älteste Sohn des alten Zwerg war in der Höhle geblieben, während seine Geschwister sich neue Höhlen suchten oder bauten, als sie heirateten, weil der alte Dachsbau, den der Urgroßvater ausgebaut hatte, nicht groß genug war, dass alle sechs Kinder mit ihren Partnern und Kindern dort leben konnten. Wenn sie etwas zusammengerückt wären, hätte es vielleicht noch irgendwie gepasst und zu den großen Festen, kamen sie ja auch alle wieder, doch dann schliefen immer die Zwergenkinder alle zusammen in der großen Vorratskammer, die dazu extra leer geräumt wurde. Das war nicht so schwer, weil viele Sachen ohnehin in der Küche waren für das Festmahl.

Die Eltern verteilten sich, wenn das Feuer im Kamin erlosch, auf die Kinderzimmer, die Bibliothek, die Werkstatt, die Vater Zwerg zu diesem Zweck immer besonders ordentlich fegte, aber das machte nichts, weil er immer gerne putzte und seine Werkstatt sortierte. Er liebte es, wenn jedes Werkzeug an seinem Platz hing, alle Schrauben fein sortiert waren und keiner mehr die Spuren seiner Arbeit sehen konnte und er lange Geschichten über die Bedeutung der Ordnung erzählen konnte. Im Bergwerk war er auch der Leiter der Werkstatt und hatte eine ganz neue Ordnung eingeführt, nachdem er die Stelle von seinem Vater geerbt hatte.

Ihr Schlafzimmer überließen sie an den Festen immer abwechselnd einem der Geschwisterpaare und nur die Großeltern schliefen wie immer in ihrer Höhle nahe dem Ausgang, damit sie es nicht so weit hatten, wenn sie in der Nacht mal mussten, was ja bei älteren Zwergen durchaus vorkommt. So lag Vater-Zwerg mit seiner Frau vor dem Kamin auf dem warmen Fell, sie schauten in die Flammen und lauschten in die Nacht - von unten aus der Vorratskammer, wo die Zwergenkinder lagen, kam manchmal noch Getuschel, aber ansonsten, war es nun ruhig geworden und sie waren für sich.

“Was war das wieder für ein prächtiges Fest”, sagte Heinrich, der Zwergenvater zu seiner Frau und legte ihr die Hand zärtlich auf ihren große Busen.
“Ja, sie haben tüchtig gegessen und wunderbar gesungen, es wollte gar nicht enden.”
“Ach ja, die alten Zwergenlieder, wie lieb ich sie doch und deine Küche meisterhaft, bin sehr stolz auf dich meine Liebe, wie du es wieder geschafft hast.”
“Gemeinsam haben wir es geschafft, du hast alles so fein dekoriert, die Tafeln perfekt gedeckt und alles war immer sauber und an seinen Platz.”
“Es ist wichtig, dass immer alles seinen Platz hat, damit du es sofort findest, wenn du es brauchst und der Ablauf nicht gestört wird.”
“Ach, wenn etwas gerade nicht da ist, kann ich dich ja fragen mein Schatz, du wirst schon wissen, wo es ist.”
“Habe die Küche wie die Werkstatt nach dem gleichen Prinzip sortiert wie im Bergwerk. Wenn du eine Ordnung hast die funktioniert, kannst du damit alles machen.”
“Deine Ordnung, genau, solange du alles weißt, funktioniert es doch wunderbar mein liebster Zwergenschatz”, bei diesen Worten dreht sich die Zwergenmutter Elfriede mit ihrem im Nachthemd wogenden Busen zu ihrem Heinrich und küsste ihn.

“Aber es ist doch die beste aller möglichen Ordnungen, wie lange habe ich daran gefeilt, nicht wahr mein Schatz?”, unterbrach Heinrich den stürmischen Kuss seiner Frau, er fragte sich gerade, ob sie es ernst meinte und seine Prinzipien auch ganz verstanden hatte oder es nur so sagte, um des lieben Friedens willen.
“Natürlich, ich kenne keine bessere, aber ich habe auch nie mit einem anderen Zwerg zusammengelebt als dir und so ist es meine Welt und ich bin glücklich darin - was braucht es mehr?”
“Habe gehört wie mein Bruder Friedrich sich heute mit Vater unterhielt und ihm seine neue Ordnung erklärte und so begeistert wie Vater war, vermute ich er hat wieder viel von Vater übernommen, um sich Liebkind zu machen.”
“Ach weißt du, soll er doch, sie sehen sich ja nur bei den Festen und sonst hat Vater ja deine Ordnung ganz akzeptiert.”
“So scheint es euch, er gibt sich immer so gelassen und weise, aber heimlich macht er glaube ich Witze mit Mutter und denkt immer noch seine Ordnung wäre viel besser gewesen. Neulich hat er zwei Schraubendreher und vier Muttern nach seiner Ordnung weggeräumt - zum Glück habe ich es noch schnell bemerkt. Nicht auszudenken, wenn das Überhand nimmt und hier jeder nach seiner Ordnung sortiert, da findet doch keiner mehr was und am Ende herrscht völliges Chaos.”
“Ach, er ist schon alt, war bestimmt keine böse Absicht, er wird es nur vergessen haben, lass uns schlafen mein Liebster und nimm mich in den Arm.”

Die beiden kuschelten sich wie Löffel in der Besteckschublade aneinander, wie sie es jede Nacht taten, einmal hatte sie als ihr Bauch mit den Zwillingen so schwer war, auf dem Rücken liegen wollen, was er auch verstanden hatte, er war ja ein sehr fürsorglicher Gatte, aber am nächsten Tag war er völlig unruhig und sie hätten sich beinahe gestritten. Zum Glück war sie dann auf die Idee gekommen, er könne doch die Bibliothek nach seiner Ordnung neu sortieren und das hatte ihn wieder völlig beruhigt und danach schliefen sie nur noch so, wie sie es gewohnt waren und es war gut so. Doch heute Nacht war Heinrich unruhig, die neue Ordnung seines Bruders, glich der des Vaters und war, soweit er es hören konnte, er wollte ja nicht lauschen, sehr effektiv. Friedrich behauptete sie hätte ihn im Bergwerk und in seiner Werkstatt schon so viele Stunden gespart, dass er jeden Abend vor dem Kamin sitzen könnte mit seiner Pfeife und lesen könnte.

“Bestimmt kümmert sich Friedrich nicht groß um seine Ordnung, er war da ja früher schon sehr locker.”
“Aber es war doch alles sehr ordentlich bei ihnen, als wir neulich da waren.”
“Meinst du seine Kinder hätten die Ordnung verstanden?”
“Es schien alles ganz einfach, ja, sie halfen einfach mit, da muss ich bei unseren schon manchmal mehr aufpassen, damit sie in der richtigen Ordnung bleiben.”
“Du meinst seine Ordnung ist einfacher?”
“Genau, sie ist einfacher und deine geniale Ordnung ist eben sehr komplex. Da brauchen die Kinder halt etwas länger.”
“Willst du damit sagen, seine sei effektiver?”
“Aber nein, du hast doch bestimmt die beste aller möglichen erdacht, nur für Kinder ist seine vielleicht einfacher.”
“Was einfach ist und funktioniert, ist gut. Wenn er wirklich zwei Pfeifen raucht und ein Buch am Abend lesen kann, hat er vielmehr Zeit als ich.”
“Er hat ja auch noch weniger Kinder als du und nicht so eine verantwortungsvolle Aufgabe in seinem Bergwerk.”
“Zwar ist seines etwas kleiner als meines, seine Werkstatt nicht so groß und reich ausgestattet, aber er muss doch die gleiche Arbeit verrichten und für Ordnung bei allem Werkzeug sorgen.”
“Vielleicht arbeiten sie bei ihm nicht so hart und er muss nicht so viele Werkzeuge reparieren wie du mein Schatz, lass es gut sein und lass uns schlafen, morgen wird ein langer Tag und wenn alle abgereist sind, müssen wir ja auch wieder aufräumen.”
“Ob ich auch mehr Zeit zum Lesen hätte, wenn ich seiner Ordnung folgte?”
“Aber du hast doch deine und alles ist gut. Wir werden doch jetzt mitten in der Nacht nichts ändern, sonst schläfst du wieder so unruhig.”
“Grüble nur, ob ich wirklich die bestmögliche Ordnung habe, wenn seine soviel effektiver ist und er mehr Zeit zum Lesen hat.”
“Ach mein Schatz, grüble nicht so viel, deine ist für dich am besten und seine für ihn und dann seit ihr beide mit eurer je Ordnung glücklich.”

Da richtete sich Heinrich der Zwerg auf, stemmte die Hände in die Seiten und war empört.

“Aber eine gute Ordnung ist doch keine reine Geschmacksfrage sondern immer etwas objektives. Wie gut eine Ordnung ist, bemisst sich am Grad ihrer Effektivität. Unsere Kinder müssen immer wieder erinnert und ermahnt werden, weil sie die Ordnung nicht verinnerlicht haben. Wenn seine besser ist, muss ich alles ändern.”
“Aber doch nicht jetzt, weit nach Mitternacht, lass uns Schlafen, Wir brauchen Ruhe und Erholung und wir können doch auch Morgen nochmal darüber reden, wenn du möchtest, ich finde alles ganz wunderbar so und bin glücklich mit dir”, redete Elfriede auf ihn ein, streichelte ihn zärtlich und hoffte, er beruhigte sich wieder.
“Wenn es um die Ordnung geht, ist jede Zeit recht und das ist etwas ganz grundlegendes. Eine Ordnung muss so effektiv wie vernünftig sein.”
“Eine Ordnung muss zu dem Zwerg passen, der sie entwirft, deine Ordnung passt zu dir, sie ist perfekt für uns, alle sind glücklich und gerne hier. Nun sind wir beide müde und sollten schlafen.”

Der Zwerg sprang auf und war empört. Wenn seine Ordnung nicht so effektiv war, wie die seines Bruders und dieser mehr Zeit hatte, seine Pfeifen zu rauchen und Bücher zu lesen und dennoch alles in Ordnung bei ihm war, dann machte er etwas falsch, musste das System überdenken und einen neuen Plan entwerfen. Alles hing an der richtigen Ordnung für das Leben einer Zwergenfamilie, wie sollte er seine Kinder noch erziehen, wie ein Vorbild sein, wenn sein kleiner Bruder die effektivere Ordnung hatte und sogar noch Zeit übrig hatte

“Sollte seine Ordnung wirklich objektiv besser sein, muss ich morgen das ganze Haus umstellen und auch für die Werkstatt im Bergwerk neu planen.”
“Du musst überhaupt nichts, wenn alle glücklich sind, ist doch gut. Nur schlafen musst du jetzt, damit du genug Kraft tankst für deine harte Woche.”
“Doch, muss ich, wenn sich ein System als überholt erweist, wie das meines Vaters, muss es geändert werden, damit die Abläufe effektiver werden und es wieder perfekt funktioniert und offensichtlich ist seine Ordnung besser als meine.”
“Du kannst ja morgen mal mit ihm reden oder mit Vater, dann kannst du weitersehen, ob es dich überzeugt oder du einen Fehler darin entdeckst, der deine Ordnung doch besser, effektiver und auf Dauer sicherer macht.

Es gefiel ihm nicht, aber scheinbar war nichts zu ändern - er konnte weder in seine Werkstatt, noch an den Schreibtisch, weil überall Geschwister schliefen und so ließ er es auf sich beruhen, kuschelte sich an seine Elfriede und schlief irgendwann ein, aber es wurde eine sehr unruhige Nacht und der Zwergin schwante schlimmstes nach dem Erwachen. Heinrich tigerte durch die Bibliothek und suchte Bände, die nicht dort standen, wo er es erwartete, was ihn noch nervöser machte.

“Was ist denn los mein Schatz? Du bist ja schon wieder ganz unruhig.”
“Die neue Ordnung, ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht.”
“Bist du auf etwas gekommen?”
“Nein, darum suche ich nun den passenden Band zu den Systemen aber er steht nicht da, wo er hingehört.”
“Du hast doch gerade die Bibliothek umsortiert”, erinnerte sie ihn und hoffte, er hätte es einfach vergessen.
“Natürlich, weiß ich doch, darum wundere ich mich ja.”
“Vermutlich haben die Kinder oder deine Brüder was nachgelesen und deine Ordnung noch nicht verstanden.”
“Aber die ist doch selbst erklärend - es hängen doch auch überall Schilder dazu.”
“Die du nächtelang gemalt hast, während dein Bruder lieber las und Pfeife schmauchte.”

Er war fleißiger, schon immer und sein System war genial, er hatte alles bedacht und wusste auf jede Frage eine Antwort. Wer es einmal verinnerlicht hatte, würde es nie vergessen und nie mehr in die Gefahr der Unordnung geraten. Sie schien ihm die vernünftigste und beste aller Ordnungen.

“Wenn die Ordnung gut wäre, würde sie jeder verstehen und nichts verschwinden.”
“Vielleicht hat es sich einer über Nacht ausgeliehen, um etwas nachzulesen. Es wird sich schon finden. Oder die Kinder haben damit irgendwas gemacht.”
“Hoffentlich hast du Recht, ich zweifle langsam an jeder Ordnung hier -  die Kinder verstehen es nicht von allein, ich bin nächtelang beschäftigt, es für jeden verständlich als beste aller Ordnungen zu erklären und dann verschwinden bei mir Bücher und ich weiß nicht wohin - es müsste dort ein Reiter für das Buch stehen, auf dem derjenige, der es entlieh, schrieb wofür und bis wann, damit jeder weiß, welches Buch sich gerade wo befindet.”
“Das spricht doch sehr für die Kinder, sie können doch noch nicht alle lesen.”
“Was brauchen sie dann einen dicken Band zur Ordnungsphilosophie und Logistik?”
“Nicht zum Lesen vermutlich, sie werden damit gespielt haben.”

Hoffentlich war es so, dachte er und der Band tauchte wieder auf - nicht auszudenken, wenn ein so wichtiges Buch während eines Familienfestes einfach verschwand. Nervös tigerte er noch ein wenig durch die Bibliothek, während seine Frau, die sich angezogen hatte, ihm den Rücken streichelte, um ihn zu beruhigen. Da plötzlich klopfte es an der Tür.

“Herein und guten Morgen”, rief Heinrich, denn Höflichkeit am Morgen ist erstes Gebot der fleißigen und ordentlichen Zwerge. Jeder Gast musste sich so wohl fühlen, dass er am liebsten noch bliebe.
“Guten Morgen mein Junge”, begrüßte ihn sein Vater, “wollte den Band zurückbringen, den ich gestern Nacht entlieh und dachte, ich mach es lieber sofort, bevor du noch unruhig wirst.”
“Du warst das”, platzte es ein wenig empört und zugleich auch erleichtert aus ihm heraus, weil nun alles wieder in Ordnung schien, “warum hast du keinen Reiter ausgefüllt, du kannst das Buch gerne so lange lesen, wie du möchtest, weiß nur immer gerne, wo die Dinge sind.”
“Weil ich keinen Stift bei mir hatte und die Kinder sich den Stift für irgendein Spiel geliehen hatten. Danke, ich brauche es nicht mehr, habe schon alles gelesen, was ich wissen wollte.”
“Du beschäftigst dich mit der Systematik der Ordnungen?”
“Denke manchmal noch gerne über die Welt und ihre Ordnung nach, auch wenn ich nichts mehr ordnen muss, weil ja hier nun deine Ordnung gilt.”

Der Vater spürte die Unruhe seines Sohnes und war ihm darum weit entgegen gekommen, damit keine unnötige Spannung entstand. Er hatte gesehen wie sein Sohn das Gespräch von Friedrich und ihm beobachtet hatte über dessen neue Ordnung.

“Hast du was spezielles gesucht?”
“Habe über Friedrichs Ordnung nachgedacht, die er mir begeistert geschildert hat, die angeblich so effektiv ist.”
“Ist sie es denn?”
“Wollte systematische Fehler prüfen, du weißt ja dein Bruder ist manchmal sehr leichtfertig.”
“Oh ja”, stimmte Heinrich ganz erleichtert zu, “kam mir auch schon komisch vor.”
“Ach, hast du uns zugehört?”
“Natürlich nicht”, versicherte Heinrich leicht errötend, “konnte nur einige Brocken nicht überhören, er erzählt ja schon lange davon - naja, typisch Friedrich, viel erzählen und dann bleibt am Ende nur heiße Luft.”
“Hab ich auch gedacht, darum wollte ich es überprüfen.”
“Und, alles wie immer?”, grinste Heinrich seinen Vater an, vermutlich hatte sein Bruder nur  aufgeschnitten, er hatte sich umsonst Sorgen gemacht.

“Hab noch keinen Fehler entdeckt. Er ging von meinem System aus, hat es überholt und auf eine neue Art angepasst. Er nennt es intuitive Ordnung nach der Natur.”
“Und was sagen unsere Philosophen dazu?”
“Nichts leider, es scheint neu zu sein. Wenn es wirklich funktioniert, wäre es eine Revolution.”
“War ich doch nicht umsonst so unruhig heute Nacht”, sagte sehr leise ein blasser werdender Heinrich.
“Ach mein Schatz, mach dich doch nicht darum verrückt - wenn es gut ist, wird es sich durchsetzen und sonst bleibt hier immer deine Ordnung die beste der Welt wie ich deine Frau bin”, streichelte ihm Elfriede beruhigend den Rücken.
“Aber intuitiv kann nicht vernünftig sein, dass wäre gegen jede Ordnung.”
“Dachte ich auch, aber noch habe ich keinen Fehler gefunden, außer dass es eben nicht sonderlich vernünftig klingt, nur effektiv und perfekt funktioniert, jeder es sofort begreift und er sich um immer weniger kümmern muss.”
“Ach ihr Zwergenmänner und eure geliebte Ordnung, als wäre sie das ganze Glück im Leben - lasst uns erstmal ein tüchtiges Frühstück zubereiten, damit sich die ganze Verwandtschaft gestärkt auf die Wanderung nach Hause machen kann, dann schaffen wir hier wieder deine Ordnung und alles ist gut - mach doch bitte die Eier Heinrich, da bist du perfekt, niemand macht so gute Eier wie du.”
“Du siehst Vater, vorbei die schöne Zeit des philosophierens, die Arbeit ruft und heute müssen auch die Männer an den Herd”, lachte Heinrich seinen Vater an, der ihm auf die Schulter klopfte und im Weggehen seiner Schwiegertochter zu zwinkerte - sehr gut, wie sie ihren Mann einband und ablenkte, nicht auszudenken, wenn er keine Ordnung gefunden hätte.

Am Abend, als die Kinder wieder in ihrem Betten waren und die ganze Zwergenhöhle perfekt aufgeräumt war, saßen Heinrich und Elfriede noch mit den Eltern vorm Kamin in der Bibliothek. Sie tranken einen feinen Beerenwein, rauchten ihre Pfeifen und freuten sich, was für ein schönes und harmonisches Familienfest es wieder gewesen war.

“Wunderbar Heinrich, du bist ein großartiger Gastgeber mein Sohn, alle haben sich so wohl gefühlt und schon im Frühling zur Tag und Nachtgleiche wollen wir uns wieder sehen”, begann der Vater, der die Unruhe des Sohnes spürte, so versöhnlich wie möglich.
“Aber ohne seine Elfriede, wäre das alles nicht so köstlich, du übertriffst alles, was ich je in der Welt der Zwergenküche kosten durfte”, schloss sich die Schwiegermutter dankbar an und streichelte ihr die roten Wangen.
“Es ist deine wunderbare Höhle, die der ganzen Familie Platz bietet und in der sich alle so wohl fühlen, als seien sie hier zuhause”, lobte nun Elfriede ihren Schwiegervater voller Dankbarkeit einerseits und ein wenig besorgt doch um Heinrichs Stimmung.
“Ohne euch wäre all dies unmöglich und das wisst ihr, ich bin euch unendlich dankbar - gerade jetzt, wo wir zur guten Ordnung zurückkehrten”, dankte Heinrich der noch versammelten Familie, wie es die Form gebietet, doch der halbe Nachsatz zeigte an, was wirklich in ihm kochte.
“Nach so einem großen Fest ist doch immer eine Menge zu tun”, merkte die Mutter an und sah mitleidig auf ihre etwas erschöpfte Schwiegertochter.
“Aber das machen wir doch so gerne und genießen es - bald helfen auch die Kinder noch mehr”, antwortete die immer fröhliche Elfriede, die bei solchen Festen richtig aufblühte.

“Heinrich, was ist mir dir? Deine Eltern haben keinen Beerenwein mehr, schenk doch bitte nach”, weckte seine Gattin den grübelnden Zwerg aus seinen Gedanken.
“Entschuldigt meine Lieben, wie nachlässig von mir”, er sprang auf und versorgte alle Anwesenden, einschließlich seiner Frau und sich selbst mit reichlich des guten Beerenweins. Elfriede bekam noch einen galanten Kuss und die Welt schien in bester Ordnung, so lange Heinrich nicht zum Nachdenken kam und den Geboten der Gastfreundschaft und Höflichkeit unter Zwergen genügte. Kaum eines der Völker, die unter der Erde lebten, war so höflich wie die Zwerge, wenn auch ihr pedantischer Ordnungssinn manchmal Außenstehende erstaunte und verwirrte. Doch in der Gastfreundschaft glich ihnen keiner im großen Wald. In Elfriedes Küche hing ein altes Leinentuch, in das die Inschrift gestickt war, 5 sind geladen 10 sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe. heiß alle willkommen und danach lebte sie als die Frau dieser Höhle.

“Was grübelst du mein bester Sohn, es ist doch alles in Ordnung, sogar dein unordentlicher Vater hat alle Bücher wieder zurück gebracht.”
“Ach darum doch nicht, meine Bibliothek ist deine Bibliothek. Es war ein wunderschönes Fest, ich danke euch sehr.”
“Mit dir war es so schön und weil du so ein liebevoller Gastgeber bist”, unterstützte Elfriede den Vater und wollte schnell wieder von dem problematischen Thema ablenken.
“Nur durch die wunderbare Frau an meiner Seite, kann ich das sein mein Schatz”, strahlte Heinrich seine Frau an und küsste ihre kleinen dicken Hände.
“Was haben wir für ein Glück miteinander”, nahm Elfriede den Faden gerne auf.
“Dann ist doch alles in bester Ordnung”, unterstützte sie die Schwiegermutter, die sich auch Sorgen um ihren Sohn machte.

“In Ordnung ist alles wieder hier, ja, es glänzt und jedes Ding ist an seinem Platz. Alles nach Plan und vernünftig und das ist auch gut so”, begann Heinrich versöhnlich und doch hörte, wer ihn kannte auch seinen Trotz heraus.
“Ja, wie immer, nach deiner besten Ordnung, mach dir keine Gedanken um deinen Bruder, ich verstehe auch nicht, wie er das macht, auch wenn es gut klang”, traf der Vater genau den Punkt der Heinrich umtrieb.
“Ach was interessiert uns Friedrich, der war ja schon immer sehr eigen, sein wir froh, dass er es trotzdem zu was gebracht hat”, wollte die Mutter abwimmeln und Elfriede schaute sie dankbar an.
“Er hat mehr Zeit als ich, seine Kinder verstehen sein System und auch im Bergwerk funktioniert es fließend, dabei kann er nicht mal vernünftig erklären wieso”, ließ sich Heinrich nicht von dem Gedanken abbringen, der ihn umtrieb.
“Er verlässt sich auf die Intuition, als wäre es unsere Natur, er hat es schon durchdacht, nur hat er keinen Plan für jede Situation”, entgegnet vorsichtig der Zwergenvater.
“Es ist nicht vernünftig und gefährlich, so planlos vorzugehen. Im nu ist alles in Unordnung und dann?”, erregte sich Heinrich immer mehr.
“Wird er seinen Bruder mit der besten Ordnung der Welt um Hilfe bitten und alles ist wieder so, wie es sein soll”, versuchte Elfriede ganz liebevoll die Situation zu retten.
“Natürlich helfe ich ihm dann gerne”, nahm Heinrich die Einladung seiner Frau an, “ aber ich verstehe nicht, warum es überhaupt funktioniert und er so etwas unvernünftiges riskiert.”
“Nicht alles, was funktioniert ist auch vernünftig mein Sohn”, ergänzte besorgt die Mutter.
“Ach und was soll nicht nach der Natur vernünftig sein?”, fragte empört Heinrich, der sich nicht einfach ablenken lassen wollte.
“Na schau dir die Liebe zu deiner Frau an, ist die vernünftig?”, fragte lächelnd die Mutter.
“Ja, sehr vernünftig, sie ist meine Frau, wunderschön und kugelrund, die beste Köchin im ganzen Wald und die Mutter unserer Kinder - es ist sehr vernünftig, dass ich sie geheiratet habe und bei ihr bleibe.”
“Natürlich ist das vernünftig. Aber die Liebe bleibt trotzdem nur ein Gefühl, die wird nicht vernünftig, auch wenn die Umstände die allerbesten sind”, widersprach ihm die Mutter.

“Verstehe, was er meint, ihn stört es, sich auf die Intuition zu verlassen. Sie kann nicht geplant werden und scheint darum voller Risiken”, lenkte der Vater wieder zurück aufs Thema, was den Damen gar nicht gefiel, die ihn streng ansahen.
“Genau, es geht um das unkalkulierbare Risiko. Eine Ordnung ohne vernünftigen Plan für jede denkbare Situation ist gefährlich, kann funktionieren aber genauso gut auch schief gehen - zum Glück geht es uns dank einer wohl durchdachten Ordnung so gut und wir können dem Chaoten Friedrich dann helfen, wenn er mal wieder in Not ist. Kein Zwerg kann auf Dauer jeden Abend drei Pfeifen vor dem Kamin rauchen, ein Buch lesen und dennoch alles in Ordnung halten.”
“Im Augenblick schafft er es und wenn sich seine Idee durchsetzt, könnte sie manch gutes bewegen”, widersprach der Vater vorsichtig, “warum sollten wir nicht weniger arbeiten dürfen, wenn der Plan so gut ist, es zu ermöglichen?”
“Weil alles in der Natur seine vernünftige Ordnung hat und einen klaren Plan braucht”, widersprach ihm der Sohn.

Da stand Elfriede auf, die das Gefühl hatte, sie müsste jetzt dringend etwas tun, um die gute Stimmung zu retten, ging zu ihrem Mann, umarmte ihn und küsste ihn auf den Mund, damit er sich nicht wieder in seine Unruhe hineinsteigerte und sie zumindest diesmal eine gute Nacht hätten.

“Also ich liebe dich völlig unvernünftig und freue mich bald mit dir wieder in unserem weichen Bett zu kuscheln”, sagte sie, während sie ihn zärtlich streichelte.
“Darauf freue ich mich auch und finde das sehr vernünftig, es ist ja auch ganz natürlich bei so einer wunderschönen kugelrunden Zwergenfrau”, lachte Friedrich sie an.
“Dann wollen wir auch nicht länger stören und lassen euch zwei mal die Nacht genießen”, unterstützte die Mutter ihre Schwiegertochter in der Hoffnung so das anstrengende Thema hinter sich zu lassen, bei dem so viel Unfrieden drohte. Friedrich war schon immer etwas chaotisch gewesen, hatte mal geniale Ideen, wie ein Künstler aber schaffte ungern fleißig nach Plan, wie es in der Natur der Zwerge doch sonst lag. Manchmal hatte sie sich schon gefragt, ob der so ganz echt wäre. Fast benahm er sich wie ein Troll dann und wann, freute sich am Chaos, dass er stiftete.

“Wenn ich nur das noch zum Abschluss sagen darf”, fing der Vater schon wieder an und ignorierte die Blicke der Frauen, die ihn anblitzten, “Friedrich war früher chaotisch, aber er hat sich geändert, sein Plan zielt auf beste Zwergenordnung. Er nutzt nur die intuitive Kraft der Natur, statt eine Ordnung gegen sie aufzustellen.”
“Jede Ordnung muss gegen die Natur erkämpft werden”, wiederholte Heinrich das alte Zwergengesetz.
“Ja, so haben wir es gelernt zu allen Zeiten. Aber glaubst du nicht auch, dass die Natur eine Ordnung hat?”
“In sich vielleicht aber schau dir die Unordnung im Wald an, wenn es hier so aussähe, wäre ich aber ein schlechter Zwerg.”
“Aber auch bei Heinrich war doch alles sehr ordentlich letztes mal und er hat alles sehr ordentlich hier hinterlassen”, versuchte Elfriede zu beruhigen und erreichte genau das Gegenteil damit.
“Ob das nicht eher seine Frau war, lassen wir mal offen. Aber wenn es sein System ist, verstehe ich es noch weniger, wie kann einer ohne Plan Ordnung halten?”, fragte Heinrich und schaute ratlos in die Runde.

“Er hat doch einen Plan, nur leider ist dieser eben ganz anders als deiner, er ist einfach genial, er nutzt die Ordnung in der Natur und die in uns, um es sich selbst zur Ordnung finden zu lassen”, begann der Vater, der dem etwas chaotischen Friedrich nicht ganz traute, ihn aber auch bewunderte und das System scheinbar verstanden hatte.
“Das ist doch kein Plan sondern das Gegenteil davon, er nimmt das Chaos und nennt es Ordnung und fertig ist der Spuk. Kann nur solange gut gehen, wie nichts Unvorhergesehenes eintritt”, erregte sich Heinrich immer mehr und fuhr sich fahrig durch den Bart.
“Nach alter Zwergenlehre ist das kein Plan, da hast du schon Recht mein Sohn. Aber es funktioniert und nutzt die Kräfte in der Natur, statt gegen sie zu kämpfen, mir scheint das nicht unvernünftig. Vielleicht müssen wir neu über Pläne nachdenken”, konterte der Vater und provozierte seinen Sohn, der all seine Pläne über den Haufen geworfen hatte, als er sein Erbe antrat, wenn er sie auch durch neue, sehr durchdachte und der Zwergenordnung entsprechende ersetzte und so war das eben mit der jüngeren Generation und hatte er einst genauso gemacht.

“Kann ein Plan vernünftig sein, der nicht durchdacht ist und nur nutzt, was da ist, statt eine Ordnung zu schaffen, die über den Dingen liegt, wie es uns Zwergen nach alter Sitte entspricht?”, fragte Heinrich schon sehr altväterlich in die Runde.
“Der Plan ist sehr wohl durchdacht. Sicher entspricht es seiner Faulheit, dem Plan die Natur zugrunde zu legen, um möglichst wenig tun zu müssen. Aber es scheint zu funktionieren, es ist sehr effektiv, sein Bergwerk ist sehr zufrieden, er soll befördert werden und der Direktor will ihn mit zum großen Zwergentag nehmen, damit der neue Plan der Öffentlichkeit vorgestellt wird”, widersprach der Vater dem Sohn gerade mit Freude lächelnd.
“Dann kriegt er wohl noch den großen Verdienstorden dafür, dass er mal wieder Chaos stiftet und sein großer Bruder ihn retten darf.”
“Dafür vermutlich nicht. Aber sollte sich seine Idee von Ordnung als tragfähig erweisen, könnt sie unsere Gesellschaft ändern”, provozierte der Vater noch ein wenig.
“Du meinst wir freuen uns künftig am Chaos, werden faul statt immer fleißig und ordentlich, wie es  Zwergenehre seit Generationen gebietet und sind noch stolz darauf?”, empörte sich der Sohn erwartungsgemäß.
“Nein, dein Bruder lebt in guter Ordnung, er nutzt nur Kräfte der Natur, gegen die wir früher kämpften - ist das wirklich unvernünftig?”, reizte er seinen Sohn weiter und wollte ihn zugleich auch nachdenklich machen.

“Wie auch immer, er lebt nach seiner Ordnung, wir nach unserer, die sich mein Mann so genial erdacht hat und alle sind glücklich und feiern schöne Feste, ist doch alles in bester Ordnung in der schönsten aller Welten. Schatz, wollen wir nicht endlich ins Bett gehen? Sonst schlafe ich noch auf deinem Schoss ein”, wollte Elfriede die Diskussion mit ihrer Liebe und ihrer körperlichen Präsenz ganz vernünftig beenden.
“Gerne mein Schatz, aber eins noch, wenn es um die Ordnung im Zwergenreich geht, ist damit nicht zu spaßen und nur weil mein genialer kleiner Bruder mal wieder eine seiner Ideen hat, werden wir nicht unsere gute und vernünftige Ordnung über den Haufen werfen”, wollte Heinrich einen Schlusspunkt setzen.
“Jede neue bessere Ordnung beseitigt die alte Ordnung, als du die Höhle und die Herrschaft übernahmst, hast du meine Ordnung über den Haufen geworfen und deinen Plan dagegen gesetzt. Er ist sehr gut, funktioniert und es geht uns allen gut damit. Auch ich habe mich ohne Widerworte gefügt, wie es Zwergensitte ist, wenn nun dein Bruder eine neue bessere Ordnung hat, wird sie das alt Denken erledigen.”
“Du glaubst doch nicht, dass ich mich je ins Chaos stürze, um drei Pfeifen am Abend zu rauchen und in Ruhe zu lesen?”
“Bestimmt nicht, fleißig wie du schon immer warst, wirst du neue Reichtümer in der gewonnenen Zeit anhäufen, deine Schatzkammer füllen und noch größere Feste feiern und deine ganze Familie wird dich dafür lieben”, gab sich der Vater versöhnlich.
“Das ist doch ein schönes Schlusswort, was auch passiert, mein Sohn wird immer der fleißigste Zwerg sein, großzügige Feste feiern und so wollen wir nach diesem Fest friedlich zur Ruhe gehen”, sprach die Mutter sehr entschieden, wenn auch liebevoll das Schlusswort und die Beteiligten fügten sich, was Heinrich umso leichter fiel, da Elfriede bereits mit ihrer Hand zwischen seine Beine gewandert war, um ihn abzulenken.
“Gute Nacht liebe Eltern, lass uns weiter darüber reden Vater, damit wir einen guten Plan haben, wie es auch kommt.”
“Das werden wir mein Sohn und ich vertraue auf deinen Fleiß.”

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann planen sie noch heute.
jens tuengerthal 10.2.2017

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