Samstag, 4. Februar 2017

KMG 003

Märchenglaube

Es war einmal ein alter weiser Mann, der lebte in einer Hütte im Wald und die Menschen aus den Dörfern nahe dem Wald brachten ihm Essen in sein Heim, so dass es ihm an nichts mangelte. Besonders die Bauern suchten ihn gern auf, wusste er doch aus dem Gefühl, wie das Wetter würde, ob Unwetter drohten und wie lange sie das Heu stehen lassen konnten. Meist hat er richtig gelegen mit seinem Gefühl und die wenigen Ausnahmen galten als Gottes Wille, gegen den auch ein alter weiser Mann nichts tun konnte.

So sagte er über Jahre immer wenn die Bauern kamen, was seine Knochen ihm sagten, wie das Wetter würde, bekam dafür von den Bäuerinnen oder Mägden gutes Essen gebracht auch im Winter, wo es seine Vorhersagen nicht brauchte, weil keiner aufs Feld ging. Die Höfe in den Dörfern wechselten sich ab mit ihrem Besuchen und wenn die Bauern zwischendurch eine Auskunft brauchten, kamen sie selbst vorbei und tranken einen Schnaps mit dem alten weisen Mann, der immer fühlte, wie das Wetter würde.

Eines Tages kam es aus heiterem Himmel zu einem schlimmen Unwetter, das fast die gesamte Ernte zerstörte. Wut und Entsetzen in den Dörfern war groß. Wovon sollten sie nun leben, womit ihren Zehnten bezahlen, wenn es nicht mal zum überleben noch reichte. Und so vergaßen sie auch für einige Tage, während sie ihre Dörfer aufräumten und vom Schlamm befreiten, den Alten. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und schleppte sich auf Krücken in das nächste Dorf.

Weil der Alte schon lange nicht mehr so weit gelaufen war und wirklich schon sehr alt war, brauchte er lange. So wurde es schon dunkel als er die ersten Häuser erreichte und dort an die Türen klopfte. Und da keiner an ihn dachte und ihn keiner mehr hatte laufen sehen seit vielen Jahren, erkannten sie ihn nicht gleich, denn es kannten ihn ja viele nur aus den Erzählungen der Bauern und Mägde. So erschraken die Menschen vor dem wilden bärtigen Alten, der an Krücken gehumpelt kam und die Knechte jagten ihn mit den Hunden davon, bis eine Bäuerin es sah, ihn erkannte, sich ein Herz nahm und ihn in ihr Haus bat.

Sie hatten ihn alle vergessen und wenn sie einen Moment daran dachten, hofften sie, die anderen würden für ihn sorgen. So bekamen manche nun ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren guten Alten fast hätten verhungern lassen und sie teilten das wenige, was ihnen nach dem schlimmen Unwetter geblieben war mit ihm und hofften auf bessere Zeiten.

Einige aber fragten ihn, warum er ihnen das Unwetter nicht vorausgesagt und so schlimmeres verhindert hätte. Ihnen sagte er immer wieder, ich sah und fühlte es nicht, der Wechsel war so plötzlich, es kam aus heiteren Himmel und war nicht spürbar.

Dann war das eben so, dachten die Bauern, sonst lag er ja meist richtig und war ein wichtiger, guter Ratgeber für sie und dabei beließen sie es und beschlossen, ihn weiter zu versorgen. Für Unglücke konnte keiner was.

Da ließ der König, zu dessen Ländereien auch die Dörfer gehörten in denen es so schlimme Verwüstungen gegeben hatte, dass sie um Erlass ihres Zehnten gebeten hatte, der ihnen gewährt wurde, die klügsten Männer seiner Universitäten kommen und fragte sie, ob sie wüssten, wie ein solches Unglück künftig zu verhindern sei.

Sie berieten sich lange und kamen dann wieder zum König. Drucksten lange mit Anreden herum, weil sie nicht weiter wussten.

“Hochverehrter König”, begann der eine, “aller vererhungswürdigste Majestät”, fiel der nächste ein, “gottgleiche Hoheit, die wir so verehren”, wollte der Dritte noch die Vorredner übertreffen aber der König hatte genug von diesen eitlen Spielchen und winkte ab - sie sollten zur Sache reden und da begannen die Professoren zu stottern. Sie waren trotz aller Forschungen und auch in Anbetracht der hunderte, nein tausende, vielleicht sogar Millionen Bände, die sie durchforscht hatten, leider zu dem Schluss gekommen, am Wetter ließe sich nichts ändern. Es könnte ein wenig wolkenähnlicher Rauch gemacht werden, aber auch die früheren Versuche Wetterfronten abzulenken mit militärischen Mitteln waren alle gescheitert und sie seien, trotz genauester Kenntnisse des Atoms, sogar auf subatomarer Ebene und der neuronalen Netzwerke des menschlichen Gehirns, dessen Windungen sie just noch erforschten, kein Stück weiter gekommen, gestanden sie zerknirscht, denn das Wetter ließ sich nicht ändern.

Da lachte der König laut: “Da bezahle ich die besten Universitäten und Professoren der Welt, lasse sie alle gemeinsam forschen und sie machen riesig viel Wind, nur um mir zu sagen, was ich schon vorher wusste - natürlich kann keiner das Wetter ändern. Wissen wollte ich, ob ihr solche Katastrophen künftig präzise mit meteorologischen Methoden vorhersagen könntet.”

Ach so, waren die Professoren ganz erleichtert, “ja präzise Vorhersagen können wir treffen, bis zur dritten Stelle hinter dem Komma”, meinte der Erste, “vielleicht sogar, genau geprüft, bis zur sechsten”, wollte ihn der Zweite übertreffen und als der Dritte ansetzte, auf Ort, Zeit und präzise Koordinaten zu schwören, winkte der König ab - “Na dann machen sie, bauen wir im ganzen Königreich einen Wetterdienst auf, der den Bauern sagt, wenn Katastrophen drohen und wie sie darauf reagieren sollen.”

“Ach, sollten wir das den Bauern nicht lieber selbst überlassen”, wandte besorgt der eine Professor ein, der nichts von der Landwirtschaft verstand.
“Natürlich sollen die Bauern, die Dinge der Bauern entscheiden und die Professoren die Sachen der Professoren. Die Bauern wissen schon, was sie zu tun haben, wenn sie nur wissen, wie das Wetter wird”, beruhigte der König den aufgeregten Professor, der langsam genug von diesen weltfremden Professoren hatte und er fragte sich, wer diesen Wetterdienst organisieren könnte, damit er funktioniere und der weder Bauer noch Professor war.

Da fiel ihm einer der jungen Mönche ein, der klug redete, die Professoren verstand, aber auch seine Wurzeln nicht vergaß und dem Volk in seiner Sprache predigte, so dass sie ihm an den Lippen hingen und taten, was er sagte.

Diesen Mönch also ließ nun der König kommen und befragte ihn, wie er den Wetterdienst für die Bauern einrichten wollte und was er davon halte.
“Ach Majestät, es ist eine hervorragende Idee von Eurer königlichen Hoheit, aber, was wird dann aus den Alten in den Wäldern, die bisher das Wetter meist richtig vorhersagten?”, wandte der gebildete Mönch ein, der die Verhältnisse vor Ort gut kannte.

“Nun, wir werden, ihnen eine königliche Rente geben, damit sie nicht hungern müssen.”
“Hoheit sind so großzügig und ich traue mich kaum, meine beinah albernen Einwände noch vorzubringen, gegen Majestät großartige soziale Idee”, begann der Mönch mit dem großen Bogen, der Widerspruch vor einem König begann, war dieser doch ein Herrscher von Gottes Gnaden, den auch Mönche schon darum respektierten und dennoch hatte er das Gefühl, er müsse ihn auch korrekt beraten und jeden Widerspruch aufzeigen.

“Er rede, darum hab ich ihn rufen lassen, nicht damit er in Floskeln wie alle redet, sondern mir sagt, was ich vergaß.”
“Die Bauern glauben dem Alten und seinen Knochen, die ihn fühlen lassen, meist hat er Recht, Unwetter wie das letzte kann er nicht vorhersagen, weil sie überraschend kommen - so ging es unserem königlichen Wetterdienst im übrigen auch. Wenn der Dienst gut besetzt ist, würden wir vielleicht das Unwetter bemerken aber mehr auch nicht, dann könnten wir mit viel Glück noch ein Dorf vorwarnen, mehr wäre, so schnell wie es aufzog, unmöglich, sagten mir die Meteorologen.”

“Aber ein Dorf gerettet, ist mehr als kein Dorf und keine Ernte”, wandte der König da ein.
“Es stiftete Unfrieden, wenn wir da nicht wehrlos wären und es geschehen ließen als eben Gottes Wille, sondern es berechenbar ankündigten - warum die und nicht wir, würden die Bauern der anderen Dörfer fragen, es käme zu Unruhen.”
“Aber wenn die Wissenschaft doch weiß, wie das Wetter entsteht und auch wenn es aufgrund der zu vielen Gründe nicht geändert werden kann, warum sollten wir dann nicht der Vernunft den bestmöglichen Weg ebnen?”
“Ihr seid, königliche Hoheit unser Herrscher von Gottes Gnaden. Dies liegt doch jenseits aller Willkür für uns und wer wollte es infrage stellen noch...”, begann der Mönch sehr vorsichtig.

“Spar er sich die langen Anreden und das Drumherum, wir sind unter uns. Was hat das mit dem Wetter und der Rente für die Männer im Wald zu tun? Hat jedes Dorf im Reich so einen Alten - wollen wir ein zentrales Heim in der Hauptstadt für alle alten Weisen eröffnen?”
“Euer Gemeinsinn Hoheit übertrifft alle Erwartungen und das Volk sollte in ewiger Dankbarkeit für eure Gnade leben, vielleicht tut es das dann auch für einige Jahre…”
“Ihr meint, sie werden undankbar sein, wenn ich zu gnädig bin?”, fragte der König, der noch nicht ganz begriff, was der kluge Mönch wollte, warum er beschloss mit diesem nun ganz offen zu reden - “Es soll dieser Wetterdienst von euch geleitet werden und ich würde euch fürstlich entlohnen dafür - dann könntet ihr selbst entscheiden, ob ihr weiter mönchisch lebt und alles euren Brüdern gebt oder ein Beamter meines Hofes werdet.”
“Wie verdient euer unscheinbarer Diener nur so viel Gnade?”
“Weil  ihr klug seid und wie ich hoffe ehrlich - was spricht gegen diesen Dienst, der euch zu einer sicheren Karriere mit allem, was den Mann erfreuen kann, verhelfen würde?”
“Wo wir den Glauben infrage stellen, ohne mit Wissen sicher zu sein, stellen wir die Macht eurer Majestät infrage - warum sollten die Menschen euch noch folgen, einen Zehnten abgeben, wenn sie Bürger ihres eigenen Reiches sein könnten?”
“Gibt es solch aufrührerische Gedanken in meinem Volk? Ihr seid als Prediger nah bei ihm - was sprechen die Leute?”
“Noch nicht, sie klagen über das Schicksal, dass ihnen die Ernte verdarb und hoffen auf eurer Majestät Gnade, des Zehnten wegen, nehmen es als Schicksal und göttliche Fügung hin, wie sie es gewohnt sind, weil sie genug mit Aufräumen zu tun haben, keine Zeit für Unruhen bleibt.”

“Aber nächsten Winter und wenn sie Zeit hätten und ein anderer Prediger käme, der sie einte... - verstehe - aber wäre es darum besser, ihnen die Wahrheit vorzuenthalten? Sie im Aberglauben an die Knochen des Alten zu lassen?”
“Das Gefühl der Alten in den Wäldern ist so präzise wie unsere Vorhersagen, es gäbe da keinen Fortschritt, wenn wir einen Dienst einrichteten, der sie aber überflüssig und zu Kostgängern eurer Majestät machte.”
“Aber es ist doch nur Aberglaube, ohne jede Präzision und Wissenschaft.”
“Doch ein Glaube, mit dem sie zufrieden mit den Elementen leben, die eben walten, wie der Herr es will - auch wenn wir manches davon vielleicht berechnen könnten.”
“Verstehe langsam, ihr meint, der Gewinn einer solchen Wettervorhersage, wäre gering gegenüber dem bisher Aberglauben, mit dem alle gut leben, es kostete nur, dafür würde das Risiko von Unruhen steigen, weil der Herrschaftsanspruch meiner Majestät logisch infrage gestellt würde?”
“Eure königliche Hoheit, haben es präziser gesagt, als ich es je könnte…”

“Ach was, er schwätze nicht schön, sein wacher Geist erst brachte mich auf den Gedanken, warum es besser sein könnte, manchmal weniger zu tun, als wir meinen, dass gut sein könnte. Wollt ihr mein erster Berater werden - als Premierminister oder freier Rat am Hofe, ihr könntet heiraten und ein gutes Leben führen?”
“Danke für das Angebot, aber ihr wisst, ich habe meinen Eid auf den Herrn geleistet, es ist nicht an mir, über mein Leben zu entscheiden, dass ich schon einer höheren Aufgabe widmete - auch wenn die Ehre natürlich sehr groß ist und…”
“Ihr wollt lieber nur Mönch bleiben, weil ihr einmal einen Eid leistetet? Auch wenn ich euch zum Geheimen Rat machte mit gutem Lohn und einem Gut eurer Wahl?”
“Was ist schon, was ich will oder zu wollen meine, der ich meine Aufgabe im Dienst der Schöpfung so erfülle, wie ich es kann? Geht es um mich oder sollte ich mich nicht zurücknehmen lieber, um dem Werk des Herrn zu dienen, der es schuf? Wie unbescheiden wäre es, wenn ich weltlichen Verlockungen beim ersten Ruf folgte, für welches Amt qualifizierte solche Verführbarkeit?”, erwiderte der Mönch ganz ruhig.

Der König spürte, er spielte nicht, um sich bestmögliche Konditionen bei seinem Gönner zu erhandeln - hier hatte er einen Mann vor sich, der aus Überzeugung handelte und ihr entsprechend in sich ruhte. Vielleicht war genau das die Wurzel seiner Weisheit - würde er als Beamter am Hof nur so bestechlich wie alle, ließe sich von schönen Frauen verführen, wenn er dürfte, folgte Glücksspiel und Jagd, wie es alle Herren taten?

“Lasse euch alle Freiheit, die ihr euch wünscht, wenn es euer Weg ist, Mönch zu bleiben, dann bleibt es, nur beratet ab und an euren König, der eures scharfen Verstandes häufiger bräuchte, um weise zu handeln.”
“Ach Majestät, wer klug handelt, ist damit noch lange nicht weise, glaube ich und fern bin ich davon, anzunehmen, das eine oder andere zu sein. Stehe immer zu eurer Majestät Verfügung und solange ich ein Habenichts und Mönch bleibe, könnt ihr sicher sein, der Rat war unbestechlich noch.”
“Weltliche Güter reizen euch nicht?”
“Vergänglicher Tand könnte ich sagen, doch will ich mich nicht über das erheben, wovon andere träumen - jeder träumt von irgendwas, mich reizt es, frei zu sein und als Habenichts dennoch gehört zu werden, weil es meinem Wort mehr Gewicht gibt als alles Geld der Welt.”
“So sei es, ihr werdet königlicher Berater ohne Amt und Würden, unsere Treffen bleiben unter uns und euer Rat wird diesen Staat wohl künftig mehr lenken als alle meine geheimen Räte es bis dato taten.”

“Hoffe Majestät brauchen meinen geringen Rat nicht oft, denn ich weiß doch nichts zu sagen, als euch die Vernunft selbst lehrt.”
“Ihr, ein bescheidener Mönch, beruft euch auf die Vernunft, wenn ihr mir ratet, von einem Wetterdienst abzusehen, um das Volk nicht in seinem Aberglauben zu stören, damit es nicht auf revolutionäre Ideen kommt?”
“Genau, alles andere schiene mir unvernünftig und nicht im Interesse des Glücks der größten Menge, nach dem zu streben unsere bescheidene Aufgabe doch ist.”
“Wie kann die Vernunft den Aberglauben verteidigen, wie ein kluger und gebildeter Mönch den Naturhokuspokus aus den Wäldern?”
“Weil alles, was wir anstatt zu bieten hätten, bis jetzt unvernünftiger wäre, weniger glücklich machte. Die Wettervorhersage, könnte in kritischen Fällen nicht helfen, wäre sonst auch nicht präziser als die Knochen der Alten - wozu Ruhe und Glauben erschüttern?”
“Aber soll nicht die Vernunft siegen gegen den Aberglauben auch auf dem Land?”
“Wer es nicht besser kann als der Aberglaube, kann es auch lassen, schaut euch die Ärzte an, was sie alles tun und die Menschen sterben an Tumoren als hätte sich nie etwas geändert. Doch alle fordern, wir müssten auf die moderne Medizin hören, die so oft nicht weiter weiß als die Kräuter der alten Weiber.”
“Sollten wir nicht mehr forschen?”
“Forschung und Suche nach Erkenntnis scheint mir immer gut, königliche Hoheit, doch heißt zu suchen, noch nicht da zu sein, sondern sich auf einer Reise zu befinden.”
“Alles wissen wollen, aber nicht über alles reden?”
“Über alles reden, was wir wissen - aber, was wissen wir schon?”
“Die Meteorologen wissen doch eine ganze Menge, scheint mir und warum sollen sie nun schweigen?”
“Keiner will sie zum Schweigen bringen, sie sollen forschen und wenn sie Katastrophen präzise voraussagen können, stehe ich Hoheit sofort zur Verfügung, einen Unwetterwarndienst für unsere Bauern aufzubauen - solange sie mutmaßen wie alle Gläubigen in einem Moment, der entscheidender Grund für ihre Arbeit wäre, sind sie keine Bereicherung auf dem Land, wo es gut ohne sie geht.”

“Verstehe, ihr seid wirklich weise, scheint mir, nur über das reden und das ändern, was nötig ist, damit die größt Menge so glücklich wie möglich leben kann.”
“Sollte das nicht das Ziel aller Regierungen sein?”, fragte der Mönch so milde lächelnd, dass der König den Spott überhörte, der darin gehört werden könnte.
“Scheint manchmal auf der Suche nach Wahrheit, etwas unterzugehen, alle wollen Recht haben und sich auf dem Markt der Berater als die Besten durchsetzen, buhlen um meine Gunst und also um Aufträge und Geld.”
“Warum ich mich davon fern halte, wenn ich irgend kann.”
“Womit könnte ich euch eine Freude machen, wenn ihr mir so sehr helft in eurer Freiheit?”
“Mit nichts, als mir diese zu lassen - habe meine Zelle, eine wunderbare Bibliothek und guten Wein und Essen genug. Was bräuchte ein Mensch je mehr?”
“Ihr klingt wie Epikur, der sich nur ein Brot und einen Käse wünschte.”
“Wenig brauchen, heißt viel haben.”

“Gibt euch euer Glaube so viel Weisheit und Sicherheit?”
“Wer nicht am Glauben auch zweifelt, hat keinen sondern Wissen und wer nicht an diesem immer wieder zweifelt, ist ein Narr. Halte mich weder für weise, noch bin ich sicher, bin nur der, der ich bin, manchmal auch närrisch, nie mehr und damit zufrieden.”
“Weil ihr nicht mehr sein wollt, als ihr seid und zufrieden mit dem, was ihr habt, seid ihr weiser, als alle, die es sein wollen, scheint mir - wie fandet ihr euren großen Glauben?”
“Glaubte ich nach dem Buch, fand er mich, wie es dem Herrn gerade gefiel.”
“Und was glaubt ihr wirklich?”
“Wer wäre ich, zu denken, der Herr, hätte nichts zu tun, als meinen Eltern bei der Zeugung zur Seite zu stehen, besonders da mein Vater dabei vermutlich wieder betrunken war, frage ich mich, wem ich diese Anwesenheit wünschen sollte. Wer wäre ich, zu glauben, der allerhöchste Herrscher müsste sich mit allen Kleinigkeiten seiner Schöpfung ständig abgeben und wie anmaßend wäre es, glaubte ich seine Schöpfung wäre nicht vollkommen?”
“Ihr kennt euren Epikur gut, scheint mir, was sagte wohl der Herr in Rom dazu?”
“Menschliche Gedanken sind menschlich und was menschlich ist, ist gut da Teil der Schöpfung, egal ob ich annehme Gott sei ein ständiger Nachtwächter und Babysitter für alle  menschlichen Sorgen oder nur die Idee als Prinzip verehre, kann ich doch glücklich mit ihr leben, wie es mir entspricht.”
“Ihr dient dem Gott, an den ihr nicht glaubt? Was seid ihr für ein Mönch?”
“Wer kann ihn nennen, wer ihn bekennen…”
“Ihr antwortet faustisch, der Doktor war auch eher ein Atheist und schloss einen Pakt mit dem Teufel - wollt ihr das?”
“Nichts liegt mir ferner und doch ist die Suche nach den Gründen menschlich und so schauen wir in die Natur.”
“Die Natur ist auch ohne Gott. Gibt es überhaupt noch einen solchen?
“Wer wäre ich, den Herren zu bezweifeln je? Halte ihn nur für keinen Kindergärtner und Hausmeister seiner Schöpfung - so ich ihn als vollkommen ansehe, wird es sein Werk es doch auch sein und alles seinen guten Weg gehen gehen, dächte ich”, der Mönch lächelte den König bei diesem Satz so vertrauensvoll an, dass dieser allen Widerspruch vergaß.

“Seid ihr sicher im Glauben, weil nichts sicher ist?”, versuchte der König seinen bescheidenen Ratgeber doch noch auf das Glatteis der Philosophie zu locken, damit er zugab, dass er an keinen Gott glaubte und es sich nur im Orden bequem machte.
“Letzteres zumindest ist sicher, ersteres habe ich nie behauptet - wäre ich auf täglicher Suche, wenn ich nicht auch zweifelte? Aber, was weiß ich schon, woher soll eurer Majestät bescheidener Diener wissen, was wirklich ist?”
“Ihr als Mönch bezweifelt die Realität Gottes?”, sprang der König sofort darauf an, der hoffte den Mönch zum Minister und Komplizen zu machen, sah er doch die Kirche eher kritisch und hatte den Epikur wie den Lukrez gern gelesen.

“Nichts bezweifle ich Majestät, wie käme ich dazu? Ist doch auch eure Herrschaft gottgewollt.”
“Und wie wirklich ist der Herr für euch?”
“Die Idee des Guten sicher auch und vieles mehr, wenn wir es wagen, seinen Pfaden zu folgen, scheint mir sehr  real.”
“Glaubt ihr an die Schöpfung oder die Evolution?”
“Ach, schließt sich das heute noch aus für manche? Rom hat doch längst seinen Frieden mit der Natur gemacht.”
“Ist Gott für euch nicht mehr als eine Idee?”
“Welche Idee war je mehr und bewegte Menschen auf der ganzen Welt zu größerem?”

“Gibt es den Gott des Volkes, den sie in Heiligen und Reliquien anbeten für euch überhaupt?”
“Es gibt so viele Bilder von Gott, wie es Menschen gibt und jeder findet das, was seinem Wesen am ehesten entspricht. Alles was es für Menschen gibt, ist für sie real und wer wäre ich, mit meinem beschränkten Horizont an der Realität anderer zu zweifeln?”
“Und was ist die Wahrheit, der Gott des Volkes oder die Rede von der Idee der Philosophen?”
“Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, immer, weil kein Mensch die ganze Wahrheit je kennen kann, sondern immer nur über die Schatten auf der Wand seiner Höhle spricht, die er für die Wirklichkeit hält, wie Platon es uns beschrieb.”

“Sind also auch die Worte des Papstes keine Wahrheit?”
“Solange er menschlich redet, ist er fehlerhaft und beschränkt wie alle Menschen, spricht er aber rituell, verkündet er den Willen Gottes und was sonst sollte aus menschlicher Sicht die Wahrheit sein?”
“Als Mensch nicht, aber als Papst schon, verstehe ich das richtig?
“Das Amt bringt es mit sich, den Menschen über sich hinaus wachsen zu lassen.”
“Wie konnte es dann solche Verbrecher wie den Borgia Papst Alexander VI. geben?”
“War dieser im Amt oder als Mensch fehlbar und wer wäre ich, darüber zu urteilen?”
“Kann ein Mensch je unfehlbar sein?”
“Nein und um es abzukürzen, egal in welchem Amt, als Mensch nie, darum ist es dennoch logisch, dass einer als Stellvertreter Gottes im Amt handelt und damit natürlich unfehlbar sein muss, denn wer wäre ich, Gott zu unterstellen, er mache Fehler, die doch menschlich sind.”
“Es scheint mir dies System geschlossen und keiner Vernunft  zugänglich mehr - wie kann es da noch lebendig sein?”
“Im Glauben der vielen, alle auf ihre Art.”

“Ist doch nur Volksaberglaube”, raunte ihm der König zu, “aber so unter uns - die  Idee ist  doch erstarrt, wo lebt sie philosophisch noch, wollen wir die Schöpfung nach oder vor dem Urknall verorten, ist der Herr eher ein weißer Riese oder ein schwarzes Loch?”
“Wie wir reden, zeugte eher für die Lebendigkeit des Glaubens, der auf neue Fragen, neue Antworten suchen muss. Wenn der Herr alles ist, erübrigt sich die Frage - was alles ist, ist aber rein logisch auch das Nichts umfassend und mehr als dies, was immer dann bliebe.”
“Wenn wir den Gott also groß genug wählen, stört er unsere Kreise nicht mehr?”
“Die Gnade des Schöpfers dankbar betrachten und darin nach eigener Fasson zu wirken, scheint mir eine schöne Aufgabe und Pflicht für das Leben.”
“Aber wozu dann überhaupt noch so einen Schöpfer erfinden?”, platzte aus dem König heraus, der den Mönch nicht zu greifen bekam.

Diese Worte waren Blasphemie und könnten in einem anderen Königreich und zu einer anderen Zeit einen Menschen den Kopf kosten. Beide wussten das und sahen sich mit etwas erschrockenen Augen an.

“Weil es der Ordnung entspricht, mit der wir leben und wer möchte, dass alles bleibt, wie es  ist, muss  es ständig ändern und der Wirklichkeit anpassen Majestät. Eure Hoheit ruht auf der Gnade dieses Herrn, wer wäre ich, sie in Frage zu stellen, doch kann was wir denken, jeder andere auch denken und so fragt sich eher, wie leben wir am glücklichsten.”
“Gott spielt keine Rolle in der Planung?”
“Wer in allem und über allem ist, muss nicht noch wegen jeder Kleinigkeit belästigt werden, so gesehen heißt, ihn zu würdigen, auch ihm seinen Freiraum zu geben.”

Der König überlegte, wie er diesen Mönch zu fassen bekam, der sich ihm immer wieder entwand. Sie waren vermutlich in den meisten Dingen einer Meinung, nur warum ließ er sich nicht im Glauben festlegen, dass ihn Gott nicht tangierte und seine Ethik rein humanistisch darum war?

“Wäre aber eine Welt, in der die Menschen nach dem kategorischen Imperativ handelten, nicht eine, in der Gott entbehrlich wäre?”
“Kant schließt die Existenz Gottes in seiner Moralphilosophie nirgendwo aus.”
“Natürlich nicht, aber er macht ihn für das moralische Handeln entbehrlich.”
“Wer alles tut, muss sich nicht mit jeder Kleinigkeit beschäftigen, darum ist es gut, dass Kant ein solches immer passendes System erdachte.”
“Wenn aber dies System ohne Gott höchste Moral ist und immer funktioniert, wozu brauchen wir dann noch einen Gott, um moralisch zu handeln, wenn doch das menschliche Gewissen allein genügt?”
“Der Königsberger hat den Herrn sehr weitgehend entlastet, stimmt schon, vermutlich in Anerkennung der Vollkommenheit seiner Schöpfung. Wenn das Geschöpf also selbständig sich der Vollkommenheit nähert, was bewiese uns besser die Vollkommenheit seines Schöpfers? Und ist der kantsche Imperativ nicht ziemlich nah am Ideal? Der Herr wird seine Freude an dieser Idee gehabt haben”, lachte der Mönch laut bei den letzten Worten.

Damit konnte Gott sein oder nicht sein, es war egal, solange die Menschen moralisch nach ihrem Gewissen handelten. Gott störte die Ordnung hier nicht und ob er sie geschaffen hat oder nicht, bliebe reine Glaubensfrage in völliger Freiheit. Der König bekam den Mönch nicht zu fassen, warum er beschloss, es von einer anderen Seite her zu versuchen.

“In meinem Reich gilt die Glaubensfreiheit. Also auch die Freiheit, nichts mehr zu glauben. Wenn dies aber frei ist und wahr sein kann, wie soll dann noch ein Glaube je wahr sein?”
“Die Gleichberechtigung aller in der Ökumene ist ein hehres Ziel und es ist gut, wenn sich der Staat in Fragen der Glaubenswahrheit heraushält. Es gibt da keine juristisch bessere Antwort.”
“Ist also logisch kein Glauben ganz wahr, müssen sich alle tolerieren, wie Lessing es in der Ringparabel den Nathan erzählen lässt?”
“Lessing sagt, den wahren Glauben erkennt ihr an seinen Handlungen.”
“Also kommt es weniger auf den Glauben als die Taten an und es ist egal, wie wir das nennen, was auf der Mogelpackung steht.”
“Weder Lessing noch sein Freund Moses Mendelssohn hätten es je so formuliert.”
“Wer den Glauben relativiert, kann ihn auch gleich aufgeben, entweder es ist die Wahrheit oder es ist überflüssig und Aberglaube.”
“Wie stark muss ein Glaube sein, der jede Relativierung in seiner Absolutheit rein übersteht?”
“Sind ihnen die guten Taten oder der gute Geist wichtiger?”
“Zwischen Bonhoeffer und Lessing gibt es geistige Parallelen in der Frage der Toleranz und der Ethik, denke ich.”

“Wie halten sie es mit dem Aberglauben?”, fragte der König den Mönch weniger kontrollierend als philosophisch.
“Kenne keinen Aberglauben oder nur solchen, denn wer wäre ich, über den anderen Glauben zu richten, wenn in eurer Hoheit Reich Glaubensfreiheit herrscht?”
“Dann wäre der wahre Glaube der heiligen katholische Kirche ein Aberglaube?”
“So ich einen anderen so nennen würde, was ich vermeide, müsste ich das konsequent sagen. Diese Unterscheidung dient der Abgrenzung. Suche eher Brücken zu bauen, darum ist sie für mich irrelevant.”
“Der Hokuspokus und die Magie sind nicht gefährlich in euren Augen, sollten wir nicht gegen diesen Unsinn im Reich vorgehen?”
“Nicht gefährlicher als die Taufe von Kindern, die noch nicht wissen können, was sie tun.”

Nach diesem Satz schluckte der König dreimal. Erst hatte er ihn billig provozieren wollen, wie er das heilige Sakrament der Taufe so schänden könnte, dann hatte er gemerkt, wie doppelsinnig diese Aussage war, wie unbedacht dieser Kommentar wirken könnte und so schien ihm bald jede Erwiderung lächerlich. Gefährlich war für ihn weniger, was Menschen ohne Verstand an Unsinn taten, es war menschlich. Der Glaube war ihm ein Schutzwall seiner Freiheit und er lebte hinter dieser Mauer so frei wie jeder Atheist, musste sich nur nicht dafür rechtfertigen, da er offiziell im Schoß der Kirche als ihr Diener lebte. Ob einer Gläubiger, Agnostiker oder Atheist sich nannte, war ihm weniger wichtig, als die Freiheit der Gedanken und für diese hatte er in seinem Orden den für ihn besten Ort gefunden und andere, gingen andere Wege unter anderen Umständen.

Der König und der Mönch spielten miteinander, wussten oder ahnten jeder auf seine Art, wie nah sie sich in ihrer Meinung wohl waren und doch ließ der Mönch sich zu keinen Zweifeln an der offiziellen Lehre verleiten, bis der König nicht mehr weiter wusste.

“Wie kann ein Mensch, der so klug ist wie sie mein lieber Mönch, diese Albernheiten mitmachen, an Unfehlbarkeit glauben, von heiliger Dreifaltigkeit einfältig säuseln?”, stieß der König wütend hervor.
“Was weiß ich schon mein lieber König, dessen Majestät nur auf dem Respekt vor diesem Gott beruht, und warum sollte ich Traditionen infrage stellen, nur weil ich sie nach meinem Horizont nicht mehr verstehe? Bin nicht klug, wenig gebildet nur und lasse die Dinge, wie sie sind, damit es der größten Menge gut geht damit. Wenn sich die Dinge ändern, können wir über anderes reden, solange sie sind, wie sie sind, genieße ich, was ist, um es so schön wie möglich zu haben, da ich mir mehr nicht zutraue.”
“Kann noch viel von ihnen lernen lieber Mönch, zuerst vielleicht den Glauben an Gewissheiten zu verlieren, um freier im Denken zu werden.”

Und wenn nicht irgendwann die Königin gekommen wäre und dem König ihre neue Unterwäsche hätte vorführen wollen, woraufhin sich der Mönch lieber verabschiedete, was die Königin allerdings sehr bedauerte, die sich gerne zeigte, wäre es noch stundenlang so weiter gegangen und wenn sie nicht gestorben sind, dann reden sie noch heute.
jens tuengerthal 4.2.2017

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