Sonntag, 26. Februar 2017

Berlinleben 004

Oktober - Dezember 2000

Berlinbesucher

Wie lange würde es dauern, bis diese fremde Großstadt meine würde, wann kannte ich sie wirklich und wieviele Jahre würde ich noch fremdeln, fragte ich mich nach dem netten Abendessen mit der zauberhaften rothaarigen Opernsängerin aus der französischen Schweiz  - gerne hätte ich mehr versucht und wäre der Schönen näher gekommen, doch leider ging es nie über die Bisous zu Abschied und Willkommen hinaus, sie war von Familie, unsere Familien waren irgendwie befreundet, für einen nur Flirt zu riskant und dann dieses strahlende Selbstbewusstsein einer wundervollen rothaarigen Opernsängerin - schien mir einige Nummern zu groß für mich, auch wenn ich noch hauptstädtischer Redakteur war.

Wieder verfuhr ich mich auf dem Rückweg irgendwo zwischen KaDeWe und Bundesallee und diesem Tunnel, hatte ich keine Ahnung mehr, wo ich war - folgte schließlich der Beschilderung zur Autobahn, fuhr über die völlig verwirrenden Auffahrten am leer stehenden Kongresszentrum beim westlichen Messegelände auf, natürlich in die falsche Richtung erstmal, drehte dann nach einigen Kilometern bei der nächsten Ausfahrt und fuhr wieder über den Wedding in den Prenzlauer Berg - über jene Brücke, die 1989 als erster Grenzübergang geöffnet wurde. Dabei war es doch eigentlich ganz einfach, wenn ich es auf den Plan anschaute - brauchte wohl seine Zeit, bis ich mich aus dem Gefühl schon auskannte, wie es mir in Bremen ging, wo ich keinen Plan brauchte, auch keinen im Kopf hatte und dennoch intuitiv richtig durch die Stadt fand, weil ich nur zufällig da geboren und ein Jahr nicht mal dort gelebt hatte.

Noch fremdelte ich mir der Stadt, war nur ein Besucher irgendwie, hatte nichts gesehen, während N, die fabelhafte Opernsängerin vom Genfer See wie zuhause schien - lag vielleicht auch daran, dass sie hier schon studiert hatte, viele aus der Anthroposophen Szene kannte, war sie nicht selber auch auf solch einer Schule gewesen irgendwo am See, fragte ich mich. Ob das wohl automatisch aufhörte und ich nur eine Berliner Freundin bräuchte, fragte ich mich. Zumindest war ich offen nun eine solche zu finden, die Arbeit in der Redaktion spielte sich ein, es wurde etwas ruhiger - zwar immer noch sieben Tage die Woche aber nicht länger täglich mehr als 14h.

Begann statt mit der wunderbaren, rothaarigen Opernsängerin einen Flirt mit einem Mädel, die in der Firma am Empfang saß. Freche Westberliner Schnauze und irgendwie ganz sexy angezogen, zumindest ihre Weiblichkeit betonend, schien sie mir eine nette Abwechslung nach der frigiden I und wie immer hatte ich natürlich ganz ernste Absichten und träumte vom Himmel auf Erden, zumindest ein wenig. Ihr schien dieser irgendwie seriöse Redakteur zu gefallen und sie lud mich auf einen Wein in ihre Wohnung ein im 2. Hinterhof der Kantstraße, also wieder tief im Westen, aber da die Straßen wirklich nur geradeaus führten, fand ich es diesmal ohne größere Verwirrung. Geküsst hatten wir uns ja schon mehrfach sehr leidenschaftlich im Raucherraum, wenn keiner da war und sie schien zu wissen, was sie wollte und wie das mit der Lust ging, zumindest hatte sie schon lustvoll an die richtigen Stellen gefasst und mir ins Ohr gehaucht, ich will dich.

Kam natürlich mit Blumen und Champagner, sie erwartete mich im neckischen Negligé, das, so schien es mir, doch eindeutige Absichten erhoffen ließ. Sie lümmelte sich gelangweilt auf ihrem Bett, gab mir ein Bussi, wehrte aber jeden weiteren Versuch der Annäherung ab, bis sie auf die Idee kam, darüber zu jammern, wie sehr ihr Busen weh tat, weil der Bügel so eingeschnitten hätte - sie zeigte mir die Stelle, ließ sich bedauern, dann auch meinerseits die Stelle berühren und den armen Busen darüber sogar küssen. Einen Moment entwickelte sich etwas wie echte Leidenschaft, sie rieb sich an meinem Oberschenkel und als meine Hand zwischen ihre Beine schließlich wanderte, fand sie das erhoffte Feuchtgebiet dort, die sie aber nur sehr kurz streifen durfte. Danach drehte sie sich beleidigt spielend um und warf mir vor, wir Typen wollten ja immer nur das eine, gleich vögeln und dann sei Frau wieder vergessen und nichts wert, ne, ne, ne - so eine sei sie nicht, sagte sie mit dem Brustton tiefster Überzeugung aus ihrem mädchenhaften Busen und klemmte die Beine zusammen.

Versuchte es erst vernünftig, dann flehend und verstand die Welt nicht mehr - es war doch eindeutig, sie erwartete mich in sexy Unterwäsche, ließ mich ihren Busen küssen, stöhnte beim Griff zwischen ihre Beine und wollte mir dann eine Szene machen, weil alle Männer nur das eine wollten, sie nicht so eine sei und überhaupt - irgendwann war es mir zu blöd, ich vergaß meine Lust, erinnerte meinen Stolz und verabschiedete mich höflich, was ihr aber auch nicht zu passen schien - was, du gehst schon wieder, war ja ein kurzer Besuch - als ich darauf sagte, bisher sei ja auch jeder Versuch der Annäherung unerwünscht gewesen, dann könne ich ja auch wieder gehen, bekam ich noch ein schnipppisches - typisch die Kerle, wenn se dich nicht gleich flach legen können, ziehen se beleidigt wieder ab. Man könnte sich ja auch mal einfach nett unterhalten, aber nein, Sex oder weg. War ob dieses Wortschwalls einer echten Berlinerin, der für mich nichts mit der gefühlten Realität zu tun hatte, so perplex, dass ich noch versuchte, mich zu rechtfertigen, von den Küssen im Büro sprach und ähnliches, worauf sie blitzschnell konterte, na und, watt willste, bischen knutschen ist ja nicht gleich mehr, aber das kapiert ihr Kerle eben nicht, was eine Frau wirklich will, es geht um  G E F Ü H L  buchstabierte sie mir wie einem Analphabeten, der vermutlich auch beim letzten Wort nur noch an die ersten vier Buchstaben dachte

Nein, ich verstand nicht, was diese völlig ungebildete Frau mit einer Wohnung ohne Bücher, in der pausenlos der Fernseher lief, wirklich wollte - einige Monate später kam sie mit dem Finanzvorstand zusammen, wurde schwanger und heiratete ihn nach Gerüchten, die mir einer der beruflich natürlich geschwätzigen Vertriebler erzählte, als ich ihn mal in einem Café traf - genau das hatte sie also gesucht und gefunden. Ihr Maß der Zuwendung zu mir hatte plötzlich rapide abgenommen, nachdem ich ihr erzählt hatte, was am Vormittag in der Firma für ein wieder empörender Skandal passiert war, der endgültig der Anfang von meinem Ende dort war, was ich noch nicht verstanden hatte. Sie war weder gebildet, noch sonderlich intelligent, aber sie wusste genau bescheid, wie es ablief, wie sie Männer steuerte und sich hielt, welche lohnten und welche nicht, sie war unglaublich gewitzt in ihrem sonst eher schlichten Gemüt und ich, der noch nie eine solche Frau näher kennenlernte, merkte nichts davon, war harmlos, vertrauensvoll und bekam die erwartbare Quittung.

Ganz locker hatte ich von dem Mobbing erzählt, dass meine Praktikantin nun gestartet hatte und aus dem die Personalerin einen riesen Skandal machte, den ich absolut lächerlich nur fand in Verkennung der wahren Wirkung solcher Dinge in Unternehmen, die gerade über Dinge, die unter tiefstem Stillschweigen erzählt werden, am meisten redeten. Das Mädel vom Empfang meinte nur, na du gehst ja schon ganz schön ran, wundert mich nicht und ich dachte nur noch, es wird Zeit, den Ausgang zu finden.

Die Kleine war nach dem Krankenhausaufenthalt mit ihrem Freund tränenüberströmt zur Personalerin gegangen, hatte dort weiter geheult und behauptet, ich hätte sie belästigt, begrapscht und versucht zu vergewaltigen und sie hätte sich dem nur fast mit Gewalt entziehen können. Ein Witz war das und so nahm ich es auch zuerst - eine ihrer Drogengeschichten - ja, musste ich dann irgendwann zugeben, ich war alleine mit ihr bei mir, ja, es gab keine Zeugen, aber es war doch absolut lächerlich, weil es umgekehrt gelaufen war. Die sehr blonde Personalerin schaute mich an und sagte nur, da steht jetzt Aussage gegen Aussage. Da steht nun wohl ein offizielles Verfahren an. Weiß nicht, ob wir die Polizei einschalten müssen.

Da rutschte mir plötzlich das Herz in die Hose, was vermutlich auch meinem Gesicht in diesem Moment anzusehen war - wieso Polizei? - aber da war doch nichts, sie hätte es versucht, ich wollte nicht, ich war doch verliebt in meine Freundin in Heidelberg und wollte von keiner anderen etwas. Ob diese Freundin für mich aussagen könnte, fragte die Personalerin mich wie ein Detektiv aus. Mir brach der Schweiß aus - verfluchter Mist, einen Teufel würde die blöde Ziege vermutlich tun, dachte ich - hatte sich denn alle Welt gegen mich verschworen - das Gespräch war der Horror, bis mein Freund J, der mir den Job vermittelt hatte dazu kam, das Gespräch unterbrach und von einem Skandal sprach, den sie da inszeniere, was Folgen haben würde, er wäre mit dem Vorstand im Gespräch.

Er hat mich da rausgehauen und dankbar für dieses Glück, fragte ich ihn auch, als wir später einen Trinken waren, um Rat, was ich nun tun sollte. Kündigen sagt er, schnellst möglich kündigen, damit du es noch selbst kannst, bevor mehr daraus wird. Aber warum denn, erwiderte ich fassungslos - ich hab doch nichts getan. Erzählte ihm nochmal die ganze Geschichte, er hörte geduldig zu, nannte mich einen Deppen, weil ich so naiv wäre. Er glaubte mir, meinte, er vermute auch, dass ich den Vorstand wohl überzeugen könnte, aber der Dreck würde an mir kleben, solange ich in der Firma wäre - für die Entlassung der Personalerin würde er sorgen, die Rache gönnte er mir und die Praktikantin würde keinen Tag länger in der Firma arbeiten, wollte sie aber wohl ohnehin nicht.

Hörte auf ihn und kündigte zum 1. Dezember und wurde mit sofortiger Wirkung auf eigenen Wunsch freigestellt bei Fortzahlung des Gehalts bis Februar, die gesetzlichen drei Monate eben. Die Mitglieder des Vorstandes bedauerten den Verlust gegenüber mir sehr, wo sie doch gesehen hätten, wie engagiert ich arbeitete, das übliche nette Blabla ohne Folgen. Nun hatte ich viel Zeit. Würde sich schon bald was neues finden, meinte J, hier boome es ja gerade im Internetbereich.

Ausschlafen, viel lesen, im Sessel sitzen, meinen Nachbarn durch die Wand beim Vögeln lauschen und ab und zu ins Café oder zum Griechen - nach Monaten, ohne Erholung gönnte ich mir erstmal die Pause und hatte gedacht, ich könnte sie lustvoll mit der Kleinen vom Empfang ein wenig füllen. Sie entschied sich für die größere Sicherheit, ließ sich vom jungen und sehr netten Finanzvorstand schwängern und hatte damit ausgesorgt. Die wunderbare A traf ich nochmal, aber wieder war ich irgendwie unentschlossen und auch bei N wusste ich nicht, ob ich es innerlich wieder wagen sollte, mich ganz darauf einzulassen, nachdem ich das letzte mal so schmerzvoll baden ging und halb oder mal probieren ginge da ja nicht, also hielten sich meine Bemühungen in überschaubaren Grenzen.

Irgendwann hatte ich in dieser innerlich unklaren Phase noch Besuch von meinem früher besten Freund J, der mittlerweile im Schwarzwald liiert war mit einer gemeinsamen Freundin, eigentlich die Dritte oder vierte, mit der ich vorher etwas hatte oder anfing und die er dann übernahm, doch schien es ihm diesmal ganz ernst - er fühlte sich wohl im Schwarzwald und mit seinem bald Schwiegervater. Der früher radikale Linke, der das autonome Zentrum in Heidelberg mitgegründet hatte, war dabei in die dortige Narrenzunft einzutreten, gab sich großmäulig und bot mir irgendeinen Hilfsjob an und war ansonsten wie immer. Eigentlich nett, ohne echte eigene Meinung, ziemlich gebildet und neugierig, für jeden Blödsinn zu haben, ein irgendwie unklarer Typ dennoch, der bei diesem sicheren Fisch fürs Leben im engen Schwarzwaldnest nun zugegriffen hatte und ich fragte mich, wie lange er das wohl aushalten würde, ob Geld ihn glücklich machte, Golfspielen geistige Betätigung ersetzte.

Keine Ahnung, was aus ihm wurde, er hat tatsächlich geheiratet, wurde Vater, wenn auch einige Zeit nach mir, er musste ja vorher ordnungsgemäß verheiratet sein, hat ein Haus von seinem Schwiegervater zur Hochzeit bekommen, sitzt für die CDU im Gemeinderat und hat wohl eine Arztpraxis. Mein Interesse, den Kontakt wieder aufzunehmen, hält sich in überschaubaren Grenzen und ich wüsste auch nicht mehr, worüber ich mit ihm reden sollte. So verfliegt wohl manches entbehrliches im Leben irgendwann, Welten trennen sich oder bleiben für immer verbunden, je nachdem, was an Energie oder Eigeninterese dahinter steckt. Habe es noch einige male überlegt, war auch zu seiner Hochzeit eingeladen, als meine Freundin hochschwanger war - konnte mich aber nicht durchringen, dort hinzufahren.

Er hatte mich mehrfach bestohlen gehabt, mit drei meiner Ex geschlafen, was ich völlig ok fand und die geheiratet, bei der ich, als ich seiner dann Frau einmal ziemlich nahe war, die Flucht ergriff, weil mir dieser schwarzwäldische Geist zu eng war, ich zu ersticken, mich fürchtete. Wir lebten in verschiedenen Welten, gönnte ihm seine Urlaube in der Villa der Schwiegereltern im Tessin und seine Golftouren, nur wollte ich nichts mehr damit zu tun haben - eigentlich merkte ich das schon bei seinem Besuch an seinen Bemerkungen und der Art unseres Umgangs - aber weil wir uns da ja schon bald 15 Jahre kannten, rang ich noch sehr der Hochzeit wegen mit mir. Aber fragte ich mich ehrlich, war mir seine Mutter innerlich näher, mit dem ich mich irgendwann einmal nach einem Kinobesuch rumgeknutscht hatte.

Wir trugen den gleichen Vornamen, sonst verband uns wenig vom Wesen, denke ich heute, vermisse nichts und lächelte neulich darüber, als ich bei facebook las, wie seine kleinste Schwester, die ich noch als Babysitter betreut hatte, nun Lehrerin und bildhübsch wurde. Geschichte und Deutsch unterrichtet sie und ich wäre wirklich neugierig, wäre sie nicht seine kleine Schwester und ich möchte nicht über eine Fortsetzung des Verhältnisses nachdenken - ähnlich ist es mit seinem Besuch damals, den ich fast vergessen hätte - er kam irgendwann, blieb einige Tage, wir waren einmal zusammen bei IKEA, kauften das Falsche, er beleidigte und erniedrigte mich auf eine vermeintlich kumpelhafte Art, alles übrige, habe ich längst vergessen und das ist auch gut so. Vermutlich waren wir auf diversen Flohmärkten und erlebten dies und das, aber ich weiß nichts mehr davon, was mir als Aussage zu diesem einmal besten Freund heute genügt.

Ein aufregenderes, typisch berlinerisches Erlebnis hatte ich dafür mit dem kleinen Bruder meines Freundes aus dem Studium, der schon länger in Berlin war und mich auf eine heiße Party mitnahm, bei der schöne Models erotischen Schmuck vorführten. Es war irgendwo tief im Westen und am heißesten wurde die Rückfahrt, bei der ich mich heute noch frage, wie es kam, dass ich dieses eine Rennen unbeschadet überstanden habe, auch wenn alles dagegen sprach, nach meiner Erfahrung. Aber der Reihe nach.

L, der aus einer uralten für Preußen sehr bedeutenden Familie stammte, hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte und wir hatten uns da getroffen. Die ganze Show war sehr sinnlich, auch wenn wir von den wirklich intimen Teilen des Intimschmucks nichts zu sehen bekamen und die jungen Damen, die ihn vorführten noch relativ züchtig bekleidet waren. Dafür wurden die Gespräche daneben um so heißer. Es war zu einem Teil Westberliner Erotik-Schikeria und zum anderen Neugierige und eben einige der sehr schlanken schönen Modelle, die aber den Abend über noch beschäftigt schienen.

Die ganze Veranstaltung fand im ersten Stock eines Gebäudes statt, das ich als eher aus einem Industriegebiet stammend in Erinnerung habe, auch darum vielleicht dachte ich an die Bordellbesuche, zu denen mich ein Mainzer Freund einige male eingeladen hatte, bis ich feststellte, dass mir der gekaufte Sex nicht wirklich Freude machte. Die Gastgeberin war eine sehr weiblich gebaute und sehr blonde Dame in den mittleren vierzigern oder fünfzigern wohl, die ihre Rundungen gut zur Geltung brachte und munter mit ihren Gästen plauderte, sie zum Kauf animierte und die Vorführungen sehr geschäftstüchtig kommentierte.

Sie war schon reizvoll, wenn auch kein Vergleich zu ihren Modellen, doch da diese eben beschäftigt waren, mit Vorführen oder Umziehen, was aufgrund der intimen Details des Schmuckes, die wir leider nicht sahen, relativ lange dauerte, so tanzte ich zwischendurch mit ihr und irgendwann standen wir leidenschaftlich knutschend in einer Ecke, wie auch einige der anderen Gäste wenig Scheu kannten, sich ihrer Lust dort hinzugeben, wo sie gerade standen und da ich nicht schüchtern erscheinen wollte, die Gastgeberin wohl ihrer Vorbildrolle auf dieser Werbeshow, die langsam zu einer Orgie wurde, gerecht werden wollte, taten wir uns keinen Zwang an.

Es kam jedoch über verschiedene Berührungen an den üblichen Orten nicht weit hinaus, da auch ihr Geschlecht mit einem besonderen Schmuck verziert und so quasi für Eindringlinge verschlossen war, was ich etwas frustrierend fand, mich aber vor weiteren Peinlichkeiten verschonte, dann waltete sie wieder ihres Amtes, kümmerte sich auch um ihre Gäste und wir verloren uns aus den Augen. Überlegte nicht lange, ob ich das nun bedauern sollte, sondern freute mich lieber mit L darüber, dass nun die Modelle erschienen, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen und wir lernten gleich eine kennen, die, wenn sie nicht als Modell für Intimschmuck oder sonstiges arbeitete, Logopädin war. Eine nicht nur schöne, sondern auch gebildete und kultivierte Frau, die nebenbei noch ein Schmuckteil trug, zu dem wir sie detailliert befragten und sie antwortete zwar sicher auftragsgemäß aber doch immer noch auf eine besondere Art keusch und cool.

Sie gefiel uns beiden gut und wir rangen nun um ihre Gunst. L schlug nach einiger Zeit vor noch nach Mitte zu fahren, in irgendeine Bar, die gerade ein Geheimtipp war, von der im übrigen schon Joseph Roth schrieb, also eher wieder ein Geheimtipp war, wie so vieles hier in wechselnder Beleuchtung. Nun begann das männliche Balgen um ihre Gunst, was mich immer an Quartettspielen erinnerte. Wer ist größer, stärker, reicher, toller, cooler - vor allem bei letzterem hatte ich keine Chance gegen L - dafür war ich etwas beredter, was aber auch nicht immer zielführend war - da wir mit zwei Wagen da waren, musste sie sich für einen Fahrer entscheiden und schließlich war es L, der sich ja schon besser auskannte und vorfahren sollte.

Wie sein Vater in früheren Zeiten, war auch L beim Fahren ein echter Herrenreiter. Ob er tatsächlich beabsichtigte mich abzuhängen oder nur mit Spaß und seiner unwiderstehlichen Collness durch die Stadt raste, die er schon lange so gut kannte und also genau wusste, wo er rasen durfte und wo nicht, weiß ich nicht. Mein zwar riesiger Audi der leider völlig untermotorisiert war, hatte Schwierigkeiten sein Tempo zu halten, ganz abgesehen von mir und meinem Gewissen. War es als korrekter Bürger gewohnt in der Stadt höchstens 50 zu fahren, vielleicht mal 55 aber mehr nur mit schlechtestem Gewissen. Nun rasten wir teilweise mit 90 oder schneller den 17.  Juni hinunter und dann die Linden, dass ich mich heute noch frage, wie es kam, dass wir niemanden umfuhren oder keinen Unfall bauten.

Heftete mich möglichst eng an Ls Stoßstange, um ihn nicht zu verlieren, blendete alle Verkehrsregeln aus - nun ging es nur noch darum L mit dieser traumhaften Frau auf der Spur zu bleiben. Beinahe hätte ich ihn mehrmals verloren, doch unter ebenfalls Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln und bei Überfahren auch dunkelroter Ampeln, schaffte ich es, die Verfolgungsjagd heil zu überstehen - nur froh, dass ich mir dabei nicht auch noch in die Hose gemacht hatte, nass geschwitzt und völlig erschöpft war ich dagegen schon, der nicht zum Rennfahrer gemacht ist, während L mit seiner zumindest scheinbar immer Gelassenheit lächelnd aus dem Auto stieg, ihr die Tür öffnete und nur meinte, ah, da bist du ja auch schon...

Sie hatte sich ja noch für keinen ihrer Verehrer entschieden und die Bar war zumindest näher an meiner Wohnung als an seiner, dachte ich noch hoffnungsfroh. Wir plauderten dann ein wenig im Keller jener Bar an der Alten Schönhauser, sie spielte mit beiden, doch irgendwann schien eindeutig, dass er das Glück haben würde, sie nach Hause zu bringen, das Spiel gemacht hatte und ich zog mich unter besten Wünschen für die Nacht dezent und nur mäßig frustriert zurück.

Einige Zeit später heiratete L dann wie ich von seinem Bruder meinem Freund M erfuhr, eine ehemalige Logopädin, die nun Jura studierte, inzwischen Richterin ist - kenne ihn und seine wunderschöne Frau, wir sehen uns manchmal an Geburtstagen des Bruders oder sonstigen Familienfeiern, habe es noch nie geschafft, ihn zu fragen, woher sie sich eigentlich kennen... - ist vielleicht auch in diesen Kreisen besser so, denke ich - jedenfalls bin ich nie wieder so schnell von Charlottenburg nach Mitte gekommen, habe es allerdings auch nie wieder versucht und auch meine Karriere als Herrenreiter endete nach Abschaffung des letzten Wagens, den ich noch selbst fuhr, relativ bescheiden.

So vergingen die Monate - einmal war ich noch mit L auf einer Fisch sucht Fahrrad Fete im Zelt am Schlossplatz, was aber auch vor der zuerst erzählten Geschichte gewesen könnte, was logisch passte, aber egal ist, da sie ohnehin relativ erfolglos endete, die anwesenden Damen keinen von uns zu großen casanovaesken Herausforderungen animierte und dann ergab sich ja manches anderes und ich verschwand für viele Jahre vom großen Markt der Singles in der Großstadt.

Für Anfang Dezember hatte ich die Einladung zum 60. eines meiner besten Freunde aus Mainz, die ich gerne wahrnehmen wollte und beschloss, da der Job sich ja erledigt hatte, schon etwas früher als Weihnachten in die alte Heimat zu fahren. Was dort dann im Dezember alles passierte, wie ich mich wieder zum Narren machte, gehört natürlich nicht zum Berlinerleben, sondern nur zu meinem, was vermutlich keinen weiter interressiert, dennoch werden ich es in den folgenden Kapiteln erzählen, weil es teilweise bis Berlin weiter wirkte und neue Verwirrungen auslöste, die am Ende einen neuen Höhepunkt fanden.
jens tuengerthal 26.2.2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen