28./29. September 2000
Geburtstagsglücksspiel
Hatte meine Traumfrau zum Bahnhof Zoo bestellt, auch wenn sie meinte der Ostbahnhof sei näher, wie ihr eine Freundin gesagt hätte und wie sie es meist besser wusste, auch diesmal zugegeben, den ich aber wie überhaupt die große Stadt noch gar nicht kannte und so fuhr ich am Alex vorbei Unter den Linden entlang, durch das Brandenburger Tor auf den 17. Juni, diesen herunter, um den Stern herum und am nächsten Stern nach links, um von der Redaktion aus pünktlich am Gleis zu stehen, wenn meine Prinzessin kam.
Sie stieg mit ihren schwarzen kurzen Locken aus dem Zug, ich stand mit dem breitesten Lächeln der Welt als gefühlt glücklichster Mann auf dem Bahnsteig des häßlichen Vorstadtbahnhofs, der nur durch Christiane F.s Roman traurige Berühmtheit erlangte, ansonsten heute weitgehend abgehängte Station zur Durchfahrt nur noch ist. Im Vorort Charlottenburg eben, das alte West Berlin, was noch um seine künftige Rolle im irgendwie noch nichts ein wenig überaltert ringt. Zu behaupten, sie sei so glücklich gewesen wie ich, als wir uns endlich in den Armen lagen, wäre wohl ein wenig übertrieben. Der leidenschaftlich, stürmische Typ war sie ohnehin nicht, eher ein wenig schüchtern, aber ich war guter Hoffnung diese Leidenschaft in aller Ruhe zu wecken und es ging ja auch eher um Liebe als bloße Lust, dachte ich, ohne zu wissen, was sie dachte oder wollte. Konnte mir auch nicht vorstellen, was sie wollen sollte, außer wie ich verliebt glücklich zu sein, was sollte Frau sonst wollen, dachte ich vielleicht noch in der völlig irren Anmaßung, die meint, Mann wüsste, was Frau wollte. Zum Glück verliert sich zumindest dieser Wahn mit der Zeit ein wenig.
Fuhr sie mit meiner Staatskarosse auf dem königlichen Weg wieder zurück durch die Stadt. Mit Begeisterung schaute sie aus dem Fenster, kommentierte, wo sie arbeiten wollte, wie wir zusammenziehen würden, Kinder bekämen und alles was verliebte Paare so säuseln. Freute mich schon sehr auf das Machen der Kinder, zu sehr vielleicht, denn ihre verliebten Äußerungen bezogen sich weniger auf den Vollzug der Ehe als das Ankommen in der Hauptstadt, deren Schönheit sie kundig kommentierte, wie sie überhaupt immer sehr feste und sichere Urteile hatte, so absurd und ahnungslos diese auch teilweise waren.
So wischte sie meine Hand, die während der Fahrt zwischen ihre Beine rutschte, den Urgrund der ihrerseits geplanten Familie erkundend, ein wenig empört weg und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie nun nur spielte, den Reiz erhöhen wollte oder wirklich ein wenig prüde war. Diese Unsicherheit blieb das bestimmende Gefühl. Zuerst, bevor wir in mein noch Wohnsilo im Wedding fuhren, wollte sie die neue Wohnung sehen, die ich ihr zu ihrer riesigen Enttäuschung aber nur von außen zeigen konnte, da ich den Schlüssel an den Typen gegeben hatte, der die Böden abschliff und mich neben den 14h mindestens täglich in der Redaktion noch nicht weiter um diese, wie sie plötzlich sagte, unsere Wohnung zu kümmern, es war mir egal gewesen, kein Thema, bis sie fertig war. Nun aber wollte meine Prinzessin I. unser Liebesnest sehen, wie sie es nannte, war mit der Straße einverstanden, fand sie zwar etwas tief, die hohen Decken mit dem Stuck von außen aber sehr ansehnlich und alberte gleich wieder, dort werde sie einziehen.
Die Hoffnung sie würde, kaum schlösse sich die Tür hinter uns, vor Leidenschaft entflammen und wir würden es tun, noch bevor wir Essen gingen, trog. Sie war, auch da ganz die angekündigte Katholikin, eine Meisterin der Verzögerung - Sex interessierte sie noch gar nicht - sie inspizierte die Räume, fand sie hässlich, was ich mit der schnellen nötigen Wahl quasi über Nacht entschuldigte, die sie gnädig nochmal gewährte. Jedenfalls wollte sie schnell wieder weg von dort, damit wir Essen gehen könnten und ich machte mich mit ihr auf den Weg zum Kollwitzplatz, wo ich im Gugelhof mit ihr Essen gehen wollte, wie vor uns schon Schröder und Clinton, was ich nicht unterlassen konnte zu erwähnen, um den Elsässer am Platz anzupreisen.
Es war noch sehr warm für Ende September, wir saßen draußen und sie bestand darauf, mir gegenüber zu sitzen - “sonst komme ich ja gar nicht zum Essen, wenn du dauernd an mir rumfummelst und knutschen willst, ne ne ne, das fangen wir gar nicht erst an…” - wimmelte sie mein sehnsüchtiges Bedürfnis nach Nähe noch ab und erhöhte damit die Spannung. Was ich an dieser Frau fand und warum ich sie außer ihres Studiums der Literaturwissenschaft wegen so traumhaft fand, rätsel ich bis heute. Zumindest schaffte sie auf ihre gut katholische Art durch dauernde Entziehung ihrer Reize, deren Wert umgekehrt dialektisch zu erhöhen und meine Lust stieg, gemessen am realen Angebot, überproportional und nur meine hingebungsvolle Liebe hielt sie noch irgendwie im Zaum.
Sie hatte die schnelle Lust nach dem Ankommen in der, wie sie sagte, Absteige, sofort verweigert, ich müsste mich doch noch auf etwas an meinem Geburtstag freuen und ich gehorchte, als sei die Lust ein einseitiges Geschenk ihrerseits an mich und nicht eine gegenseitige Freude, wovon sie aber scheinbar bisher wenig Ahnung hatte. Beim letzten mal, hatte sie noch aus unerfindlichen Gründen ihre Eingänge alle verschlossen gehalten, zumindest für das Eindringen meines Schwanzes, auch wenn sie es vorher noch wagemutig angekündigt hatte, verließ sie beim ersten Versuch der Mut dabei schnell und sie ließ sich anstatt nur genüsslich von mir lecken, ohne aber auf die Idee zu kommen, dass Sex doch logisch etwas gegenseitiges sein müsse und ich hatte es hingenommen, weil sie mir vorher schon vom Tod ihrer Mutter, dem Nichtverhältnis zum Vater erzählt hatte und ich sie ja lieben wollte, nicht nur vernaschen, sie mir leid tat, ich der große Kümmerer mit dem noch größeren Herz sein wollte, der alles für sie tat.
Dies ist übrigens eine Rolle, die ich immer wieder gern, ich weiß nicht aus welchen Gründen, bei Frauen einnahm und schon immer eingenommen hatte mit relativ leidlichen Erfolg, so lag die Zahl derer, die sich bei mir ausheulten lange deutlich höher als die derjenigen, mit denen ich ins Bett ging. Erst als ich von meinem Vater erfuhr, dass es ihm genauso ging, begann ich mich einerseits mit der wohl natürlichen Anlage abzufinden und andererseits die Taktik mit mäßigem Erfolg zu ändern - so schloss sich Fummeln und Kümmern nicht immer grundsätzlich aus und es entstanden zeitweise seltsame Mischformen, die damals aber noch kein Thema waren.
Über einen Monat hatten wir uns nun nicht gesehen. Die Sehnsucht war meinerseits auch im körperlichen schon so groß geworden, dass nicht mal das gewollte tiefe Gefühl der großen Liebe sie noch lange ausbremsen konnte und dennoch geduldete ich mich weiter. Wir plapperten fröhlich, sie plante nach Berlin zu ziehen, irgendwann bald, oder hier zu arbeiten, es gäbe ja doch viel bessere Lektüre in der Hauptstadt und ich freute mich auf ein gemeinsames Leben. Der Riesling zum Essen und der Champagner zum Geburtstag, als ich schließlich wirklich 30 war, ließen ihre Laune steigen und sie machte schon Andeutungen auf die Freude, die mich gleich erwartete.
War gespannt, was sie meinte und was mich tatsächlich nun erwarten würde, was sie sich zum Geburtstag ausgedacht hatte als große Überraschung. Sie hatte einen kleinen Kuchen meiner Mutter und deren Geschenke überbracht - das Hauptgeschenk aber wolle sie selber auspacken, wie sie sagte, die bisher jeden weiteren Versuch ihr körperlich nahe zu kommen, verweigert hatte. Sie gab mir genaue Anweisungen, was ich zu tun hätte und die ich ahnungslos, was mich nun erwartete, getreu befolgte.
Grübelte leicht erregt, ein wenig beschwipst und in großartiger Geburtstagslaune ein wenig, was sie wohl plante, fügte mich aber ohne Widerspruch, legte mich so ins Bett, wie ich schlafen ging, also nackt und als sie sich darüber empörte, zog ich dann doch die Boxer noch an und wartete, was nun käme. Sie löschte das Licht, machte Musik an und begann sich auszuziehen. Wollte aufstehen und ihr dabei zur Hand gehen, denn was ist schöner, als eine Frau auszuziehen, einen BH zu öffnen und vieles mehr, aber ich durfte nicht, streng wies sie mich, fast wie eine Domina an, im Bett zu bleiben, die Überraschung käme, wenn es soweit sei.
Schließlich, nachdem sie sich auch, nicht wirklich tänzerisch aber doch ein wenig sinnlich ihrer letzten eher mädchenhaften denn erotischen Wäschestücke entledigt hatte, rief sie: “Tatata - ein Tusch für das Geburtstagskind - hier ist dein Geschenk!”
Dabei drehte sie sich, präsentierte ihren nackten Körper, verbot mir aber durch Zeichen immer noch aufzuspringen und den in meinen Augen traumhaften Anblick endlich anzufassen. Machte ihr in meiner Begeisterung, vom längst hoch erregten Schwanz gesteuerte Komplimente, die vermutlich vor Superlativen nur so strotzten und so völlig überladen, natürlich um so unglaubwürdiger waren, aber sie war selbstbewusst genug, gelassen zu erwidern, ja, er sei schon ziemlich perfekt ihr zarter Körper, nur die Brustwarzen, die noch nach innen gingen an dem winzig süßen Busen, seien der einzige Makel, aber das ändere sich ja vielleicht mit der Schwangerschaft, zwinkerte sie mir zu und kam endlich zum Bett.
Wieder bestimmte sie das Tempo, wies jeden Versuch zurück, mich mit Leidenschaft auch ihrem wunderbar runden Po zu widmen - was ich denn da wolle, der ginge mich gar nichts an, das käme nie in Frage, sei Tabu, nein niemals, lachte dabei aber und so wusste ich wieder nicht, ob sie nur spielte oder es ernst meinte und begnügte mich irgendwann nach genüsslichem Vorspiel endlich wirklich in sie einzudringen, auf die ich so lange gewartet hatte. Voller Lust und Glück tauchte mein Schwanz zwischen die kleinen engen rosa Lippen unter dem süßen schwarzen Busch, ganz vorsichtig dabei, als sei sie eine Jungfrau, was sie längst nicht mehr sei, wie sie mehrfach betonte, auch wenn sie sich benahm, als sei es das erste mal.
Es wurde für sie sehr leidenschaftlich und schön, zwischendurch ließ sie mich auch in Momenten höchster Lust ihren Po berühren, kam dann ganz überraschend und unangekündigt und war erstmal erschöpft, brauchte eine Pause und ich ließ sie ihr, in Erwartung der nächsten Tage und Stunden, immer noch unbefriedigt, immerhin 30 mit der erschöpften Frau meiner Träume im Arm, wollte ich mich gedulden, wir hatten ja ein lustvolles Leben vor uns, dachte ich.
Erregt erwachte ich in der Nacht, versuchte ihr meinen Schwanz zwischen die Beine zu schieben, was sie dann empört zurückwies und ich war wieder unsicher, ob dabei gespielt. Nun sei doch Nacht und müsse geschlafen werden. Argumentierte noch, dass ineinander einschlafen doch am schönsten sei, doch davon wollte sie nichts hören und ich hätte doch schon mein Geschenk bekommen, biss mich und küsste mich danach, als ich empört Aua ausrief. So ganz verstand ich sie noch nicht, was sie wollte, wann sie spielte, ob sie wirklich dachte, dass wäre es mit dem Sex, nachdem sie einmal gekommen war. Auf Nachfrage hin, sagte sie mit voller Überzeugung, natürlich, das reiche für diesen Monat, sie sei doch keine Maschine, lachte dann wieder, küsste mich, drehte sich in meinen Arm und wollte schlafen und ich nahm es, glücklich diese wunderbare Frau im Arm zu haben, einfach hin, vielleicht hoffend, es sei ihr Humor.
Am Morgen weckte uns der Kohlelaster im harmonischen Zusammenklang mit dem Schrottplatz vor meinem Fenster, doch statt die Zeit zu ausgiebiger Lust am Morgen zu nutzen, nannte sie den Gedanken völlig abwegig, Sex am Morgen, sei ja wirklich pervers und sie sei doch katholisch und aus dem Münsterland, aber wir könnten ja noch zusammen duschen. Wusste nie wie ernst oder ironisch sie meinte, was sie sagte, nahm es aber einfach hin und ging mit ihr in die zumindest riesige Dusche in der kleinen Wohnung im Wedding. Dies in der Hoffnung, dass unter der Dusche doch einiges möglich sei, manches besser flutsche und sie mir vielleicht zum Geburtstagsmorgen nun ihren gestern streng verschlossenen Po schenken könnte.
Welch Illusion, unter der Dusche ging das Spiel weiter, sie wollte keinesfalls zu viel Nähe und bloß keinen Sex und mein Ansinnen auf ihren Hintern, fand sie völlig pervers und sagte mit diesem Lachen, bei dem ich nie wusste, wie ernst sie es meinte, sie hätte mir doch gestern schon gesagt, der sei tabu, sie sei Katholikin, aus dem Münsterland und daran würde sich nie etwas ändern. Nahm es frustriert und immer noch unbefriedigt hin, hoffte heute Nacht besser zum Zug zu kommen, immerhin war es mein Geburtstag - dies auch wenn sie mir sagte, ich hätte doch mein Geschenk nun gehabt, es sei genug Sex für diesen Monat und wenn ich es nicht genutzt hätte, sei das ja nicht ihr Fehler - ich könne ja jetzt nicht um jede Uhrzeit kommen und Sex haben wollen, wo solle das nur hinführen, schließlich sei sie Münsterländer Katholikin.
Sie sagte dies mit einem schelmischen Lachen unter ihren süßen schwarzen Locken, dass ich nie wusste, wie ich darauf reagieren sollte, ob sie hoffte, ich würde mich darüber hinwegsetzen, sie einfach packen und nehmen und richtig durchvögeln, bis ihr der Katholizismus mit meinem Sperma aus den Hirnwindungen geschwemmt wird, sie also auf eine dialektische Reaktion meinerseits hoffte, nur provozierte oder dann ernsthaft empört wäre und ich, wohlerzogen wie ich war, den Willen einer Frau achtend, kannte nur solche Frauen, vermutlich meist protestantisch, die wussten, was sie wollten oder auch nein meinten, wenn sie nein sagten, was ich einigermaßen zu akzeptieren gelernt hatte.
Diese I. aber war anders, noch beim Frühstück reizte und provozierte sie mich einige mal, um sich danach wieder um so weiter zu entziehen. Später sollte ich noch lernen, dass diese Dialektik im Wesen für Katholikinnen nicht untypisch ist. Eine von mir sehr geliebte leider immer nur Liebhaberin, die nebenbei Mutter und Ärztin war, beherrschte diese perverse Kunst auch bis zur Perfektion und irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir auch daran letztlich scheiterten, weil ich nie begriff, was sie wirklich wollte. Allerding war es mit dieser ein Traum im Bett verglichen zu meiner mädchenhaften Literaturwissenschaftlerin, die aber auch schon um die dreißig damals vermutlich war. Auch über ihr wahres Alter sprach sie ganz damenhaft lieber nicht.
Ist es das unterschiedliche Weltbild von Katholiken und Protestanten, was eine Annäherung beim Sex und eine Verständigung nahezu unmöglich machte, fragte ich mich. Sprach in allen meinen Beziehungen immer offen und gerne über Sex, damit beide es so sehr wie möglich genießen konnten Das war mit I nicht möglich. Allerdings ergab sich ja auch nur in zwei Nächten die Gelegenheit überhaupt, aber dazu später.
Wir frühstückten schön, dabei riefen noch meine Eltern an, die herzlich zum Geburtstag gratulierten, dann ging ich ins Büro und freute mich dort vielleicht auch irgendwie gefeiert zu werden, schließlich wussten meine Mitarbeiter ja, dass mein Schatz zu meinem Geburtstag gekommen war und insgeheim hoffte ich auf eine kleine Geburtstagsüberraschung, als ich in die Redaktion kam.
Die gab es wirklich, allerdings ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Praktikanten hatten sich über mich beschwert. Angestachelt von dem zuletzt eingestellten Sachsen aus Dresden, der sich sehr freundschaftlich bei mir eingeschleimt hatte und mit dem ich manches zu viel an langen Abenden nach dem Büro besprochen hatte. Seine Liebe saß in Dresden, meine in Heidelberg, also hatten wir immer noch nach langer Arbeit in der Redaktion Zeit, auf ein Bier umme Ecke. Er hatte alles, was ich ihm vertrauensvoll erzählt hatte und was ich kritisches über die beiden jungen Praktikanten sagte, weitergegeben und die Stimmung angeheizt.
Sie meinten, sie arbeiteten zuviel, bekämen zu wenig dafür und wollten nicht mehr von mir angemeckert werden, dass sie ihre Arbeit nicht vollständig machten.Sie täten ja, was sie könnten und viel mehr als sie müssten. Es war mein 30. Geburtstag, ich hatte auf eine kleine Feier und eine freundliche Begrüßung gehofft und bekam eine Mahnung von jemandem, der eigentlich nicht mein Vorgesetzter war, sondern nur dem Vertrieb vorstand, dem die Redaktion aber rein formal unterstellt worden war, weil ja alles irgendwie in die Unternehmenshierarchie passen musste und der Vorstand sich nicht vorstellen konnte, dass eine Redaktion vom Wesen her frei und unabhängig sein musste.
Verteidigte meine Kritik und knickte dennoch halb ein, weil ich mich alleine, immer noch unbefriedigt, an meinem 30. Geburtstag einer Wand gegenüber sah. Das Vertrauen war zerstört, eigentlich. Hätte drei meiner vier Praktikanten sofort entlassen müssen, wie es im Rahmen meiner Kompetenz möglich gewesen wäre, was allerdings bedeutet hätte, dass ich in der Zeit, in der mein Schatz da war, nur noch in der Redaktion sitzen würde, um die Sendungen zu gewährleisten. Sie wussten das, hatten die Situation geschickt genutzt und so stand ich irgendwie wehrlos einer Wand gegenüber und gab nach, suchte einen Kompromiss. Wollte doch heute früher gehen, um mit meinem Schatz ins Konzert zu gehen, Zeit mit ihr zu verbringen.
Hatte die Wochen vorher mehr gearbeitet, damit ich an diesen Tage frei nehmen könnte, schließlich ging es um die Liebe meines Lebens, da könnten meine Mitarbeiter doch mal ein Wochenende lang mehr tun und der Sachse hatte mir noch, volle Kooperation zugesichert, damit ich viel Zeit mit meinem Schatz hätte - “nu klor, is doch verschtändlich…”
Ergebnis dieser Konferenz am Morgen meines Geburtstages war, die Praktikanten durften nur noch so lange arbeiten, wie sie bezahlte wurden, keine Überstunden mehr und nie mehr als 6h oder höchstens 8h. Falls der Vorstand es genehmigen würde, bekäme ich noch neue Praktikanten aber erstmal müsste ich den Ausfall übernehmen und sehen, wie ich die Sache zum Laufen brächte. Wochenendarbeit bräuchte einer besonderen Vereinbarung und gäbe es nicht automatisch, sondern nur nach Einigung und gegen mehr Freizeit in der sonstigen Zeit.
Damit war die schöne Zeit, die ich mit meiner Liebsten geplant hatte, eigentlich gestorben, dachte ich und freute mich darauf meinen 30. Geburtstag vermutlich allein bis Mitternacht in der Redaktion zu verbringen. Weil meine Praktikanten keine Unmenschen seien, sagten sie mir noch ganz versöhnlich, für heute, meinen Geburtstag würden sie noch mal eine Ausnahme machen, damit ich zum Konzert könne wie geplant. Die Rollen hatten sich verkehrt, sie erwiesen mir Gnade und ich hatte dankbar zu sein. Eine Revolution in der Redaktion unterstützt von einem ahnungslosen Vertriebler, der nur zufällig in der Hierarchie zuständig war und ihnen ahnungslos half, aus formalem Gerechtigkeitsempfinden mir das Messer in den Rücken zu stoßen.
Weltmeister im Verdrängen, redete ich mir dennoch die Dinge schön und es musste ja weitergehen. Die Prozesse mussten optimiert werden, damit die gleiche Arbeit in der Hälfte der Zeit von weniger Leuten geleistet werden konnte, wenn ich nicht alles alleine machen wollte. Begann strategisch nachzudenken und suchte, schließlich war es ja mein Geburtstag, das versöhnliche Gespräch. Sie gaben sich einsichtig und zu Zugeständnissen unter Bedingungen bereit, erklärten, dass es nicht gegen mich ging, sondern sie sich durch die unverhältnismäßige Ausbeutung in diesem Unternehmen wehren mussten und irgendwie musste ich ihnen innerlich Recht geben. Sie waren ausgebeutet worden, klar, wie ich auch - nur bekam ich das zehnfache für die gleiche Arbeit, Leben eben.
Während ich plante und überlegte, wie ich angesichts, dieser katastrophalen Niederlage nun noch einige Stunden freie Zeit mit meiner Traumfrau verbringen sollte, klingelte das Telefon und I. war dran. Sofort zauberte ihre Stimmen ein Lächeln auf mein Gesicht, die große Katastrophe schien vergessen, würde schon alle werden und zumindest hätte ich ja noch einige Stunden in der Nacht mit ihr, dachte ich, bis sie zu reden begann und mir das Lächeln im Gesicht gefror.
“Wollte dir nur, weil ich so fair bin, Bescheid geben, habe dir hier auch einen Brief hinterlassen, bin nicht mehr da, Danke für alles, mach es gut.”
Das war es, kurz korrekt, höflich, sonst nichts. Fragte sie, was wäre, wie sie das meine, verstand die Welt nicht mehr, aber sie hatte schon aufgelegt und war nicht mehr erreichbar und ich beschwor den Anrufbeantworter mit verzweifelter Liebe, den Tränen nah und meine Mitarbeiter saßen und schauten innerlich grinsend zu. Wollte wegrennen und ihr hinterher, aber ich konnte ja nicht weg, ich musste arbeiten, viel arbeiten, damit ich heute Abend - heute Abend, mein Geburtstag - ach verflucht - meine Praktikanten sahen, wie mir das Gesicht runtefiel und danach musste ich mich erstmal für eine Zigarette nach nebenan verabschieden.
Die Traumfrau hatte mich verlassen, ohne Gründe zu nennen oder irgendwas zu erklären - nach einem zärtlichen Abschied am Morgen und ich verstand die Welt nicht mehr, die über mir zusammenbrach. Wozu sollte ich noch arbeiten, wozu Geld verdienen, wenn jene, für die ich all dies wollte, weg war. Das Leben hatte keinen Sinn mehr. Leider befand sich das Büro nur im dritten Stock - auch bei einem Hechtsprung aus dem Fenster wäre mir der Tod nicht sicher gewesen und zu feige so etwas zu tun, war ich ohnehin. Zu denken, dass eine Frau, die mich so schnöde an meinem Geburtstag verließ, dies nicht verdiente, kam mir nicht in den Sinn. Es war einfach nur schrecklich.
Der stolze Redakteur, der es geschafft hatte, gutes Geld verdiente, ein schöne Wohnung im Szene-Kiez hatte, war plötzlich ein Nichts, ein armer verlassener Arsch, dessen Leben keinen Pfifferling mehr wert schien. Wie hatte ich das nur verdient - ein Aufstand der Mitarbeiter, die versuchten mich aus dem Unternehmen zu mobben, nicht ahnend, dass sie es tatsächlich versuchten und noch viel mehr hinter dieser Sache steckten, als ich mir vorstellen konnte. Die ganze Bösartigkeit dieser Aktion wurde mir erst Monate später durch einen Zufall klar, als ich meinen Anrufbeantworter am neuen Anschluss installierte und sich daraufhin die alten eigentlich gelöschten Nachrichten nochmal abspielten und ich hörte, wie die eine Paktikantin in einer Nachricht vom 29.9.2000 um 9.15h auf das Band sprach, meine Freundin aufforderte ran zu gehen, sie müsse ihr etwas wichtiges erzählen, von Frau zu Frau. Was die beiden zu besprechen hatten, was sie ihr sagte, weiß ich bis heute nicht - habe später nochmal versucht I. zur Rede zu stellen, doch sie verweigerte jeden Kontakt und bevor mich die Polizei von vor ihrer Wohnungstür in Heidelberg entfernte, setzte dann doch wieder mein Verstand ein und eine liebe Freundin half mir dabei.
Davon ahnte ich an diesem Tag nichts, ich verstand die Welt nicht mehr, versuchte freundlich zu bleiben, erledigte meine Arbeit, schickte meiner Mitarbeiter nach Vorschrift nach Hause und verließ irgendwann spät das Büro, alleine, einsam und als einer der letzten überhaupt. Das war mein 30. Geburtstag - die netten Vertriebler hatten noch gefragt, ob ich mit einen Trinken gehen wollte, als sie vor Stunden verschwanden, aber ich hatte ja zu tun, dank der Revolution meiner Praktikanten. Was für ein beschissener Tag. Mein 30. Geburtstag war wirklich ein Tag zum Vergessen, dachte ich.
Ging dann doch noch kurz zu den netten Kollegen vom Vertrieb, die immer so gut drauf waren und gerne Späßchen machten, Vertriebler eben, deren Berufung es ist, andere zu beschwatzen, damit sie kauften, was sie nicht wollten oder brauchten, trank ein Bier mit ihnen und verzog mich dann aber lieber, mir war nicht nach feiern - meine Traumfrau hatte mich verlassen und das Leben war einfach furchtbar geworden. Gerade dann, sagten sie zu mir, eine ist keine, vergiss die Alte, viele Mütter haben schöne Töchter, lass dich nicht runterziehen und ich gab mich stark. Als mich einer von ihnen hinter vorgehaltener Hand fragte, ob denn der Sex mit der so Granate gewesen wäre, dass sie der Trauer wert war, führte dies leider nicht zu meinem Erwachen sondern zu noch viel tieferer Trauer - es wäre nicht um Sex gegangen, ich hätte sie geliebt, wir wollten eine Familie gründen - und wie lange wart ihr schon so, fragte er mich, die seriösen Absichten bewundernd. Sein breites Grinsen als ich sagte, naja ein Monat oder so, wir hätten uns ja erst zweimal vorher gesehen, sprach bereits Bände, er klopfte mir auf die Schultern, meinte, komm, war doch nix, vergiss sie, besauf dich, kotz an die nächste Laterne und gut ist.
Vielleicht wäre das gut gewesen, aber ich wollte ja noch ihren Brief lesen, von dem sie am Telefon sprach und der mir in diesem Moment plötzlich wieder einfiel. Wie angestochen, stürzte ich mein Bier hinunter, zahlte und eilte geschwinden Schrittes nach Hause, gespannt, was mir der Brief offenbaren würde.
‘Sei nicht traurig, dass es vorbei ist, freu dich, dass es war. Gruß I.’
Das war alles, was sie einen Brief nannte, die Erklärung auf die ich hoffte, waren elf knappe Worte, die nichts erklärten. Den riesigen Strauß Rosen hatte sie umgekehrt zum Trocknen aufgehängt und ich entsorgte ihn bald im zentralen Müllschacht, den mein Etablissement im Wedding noch neben dem Aufzug hatte und der Besucher schon mit einem unangenehmen Duft beim Verlassen des Fahrstuhls begrüßte, wenn irgendeiner der Nachbarn in morgendlicher Eile, wie gewöhnlich den Schacht nach dem Entsorgen nicht richtig verschlossen hatte.
Nichts war das, ich saß vor dem Nichts und sie hatte meinen Anrufbeantworter gelöscht und abgeschaltet, bevor sie ging es erwarteten mich also auch keine sonstigen guten Wünsche. Fragte mich, ob es sich lohnte von diesem Balkon zu springen oder ich mich lieber vor eine Bahn werfen sollte. Dann erinnerte ich mich an den Dreck den das machte und wie ich selbst früher bei der Feuerwehr solche zerstückelten Leichen kilometerlang aufsammeln musste. Das wollte ich niemand zumuten. Eine Knarre hatte ich nicht, taugliches Gift auch nicht, nur das langsam wirkende der Zigaretten, sagte ich mir und rauchte noch eine, als dann doch kurz vor Mitternacht noch das Telefon klingelte.
Es war J. mein lieber ungarischer Freund aus Heidelberg, der mir zum Geburtstag gratulieren wollte und dem ich die ganze Katastrophe erzählte und dem ich sagte, ich hätte nun echt genug und wolle einfach nicht mehr. Irgendwie baute er mich mit seinem Humor wieder auf, wir blödelten einige Stunden am Telefon, er sagte er würde mir beim Umzug helfen und käme zum Aufbauen nach Berlin - wir sollten meine Einzugsparty planen - wenn schon der Geburtstag so ein Reinfall gewesen wäre, würde das der große Hit. Er wollte drei liebe Freundinnen von mir mitnehmen und sie wollten alle irgendwie bei mir übernachten.
Nun, dachte ich, Frau weg und die Mitarbeiter haben mich vorgeführt aber ich habe ja zumindest noch Freunde und es gab etwas, auf das ich mich freuen konnte - er hatte mir von seinen Scheidungen, seinen Kindern und seinen Katastrophen mit Frauen erzählt, mit denen verglichen meine gerade noch harmlos eigentlich war. Das Leben ging also weiter irgendwie und noch ahnte ich ja nicht, wie weit der Verrat dieser Mitarbeiter ging, die mich loswerden wollten und was mir in den folgenden Monaten noch bevorstand, erstmal freute ich mich auf meine erste Party in Berlin, die ich noch dazu selber gab, ohne irgendwas von Berlin bisher zu kennen. Vielleicht hat J. mir in dieser Nacht das Leben gerettet, aber all das hört sich etwas groß an, zumindest gab es eine Perspektive vor der nächsten Katastrophe.
jens tuengerthal 23.2.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen