Samstag, 27. Februar 2016

Frauenliebe 025

Adel verpflichtet

Wenn assoziatives Vorgehen auch chronologisch wird, passt eins zum anderen, scheint es - oder bin ich dann nur offenbar Gefangener meines linearen Denkens in der Erinnerung?

Vielleicht weist sich dies erst, wenn wir noch weitergehen und sehen, wie sich eins zum anderen findet und so wird die Abfolge dann zum bloßen Zufall, der manches gedanklich zusammenhängen lässt, was scheinbar fern liegt.

Meine erste Verlobte, deren es drei in Summa brauchte, um endlich anzukommen, war von Familie und ich lernte sie gemeinsam mit meinem besten Freund, der noch viel mehr von Familie war, als Träger eines berühmten Namens, beim Repetitor kennen.

Das Studium neigte sich dem Ende zu, bevor ich es wirklich genossen hatte, die längste Zeit in einer Beziehung verbracht, die schon beschrieben wurde, schneller als nötig alle Scheine erjagt, ohne bleibende Folgen durch das Uni-Repetitorium gespurtet, quasi zum Aufwärmen, immer noch ohne große Liebe zu meinem Studienfach der Jurispudenz, ging ich nun zum klassischen Repetitor, wie es Juristen eben so machen, um mir den Examenstoff einprügeln zu lassen, was martialischer klingt, als es war und doch das Ende des selbständigen Denkens aufzugeben, um des Agierens nach Schema willen.

Sie war zart, fein und blond, wirkte jung, geradezu mädchenhaft und gefiel mir sofort. Keine der strahlenden Schönheiten, die sich präsentierten, sonden eine kleinere, eher unauffällige auf den ersten Blick, deren Schönheit erst beim genaueren Hinsehen offenbar wurde. Geschmackvoll gekleidet, ein wenig damenhaft aber dezent, wie es in diesen Kreisen üblich ist und wie Prinz Wossen-Asferate es so wunderbar spöttisch und doch liebevoll in seinem Buch Manieren beschrieb. Eine, die sich zu benehmen wusste, auf Familie wert legte und stolz auf ihre Abstammung war, der Adel etwas bedeutete, auch wenn das so keiner sagte. Es war spürbar und so erkannten sie sich, wollte sie erkannt werden, was anhand der Unterschriftenlisten die durch die Reihen gingen, dort leichter war als im Supermarkt zumindest.

Sie war erst in späteren Semestern nach Heidelberg gekommen und lebte in einer WG mitten im Zentrum, der Altstadt, quasi der alten und berühmten Universitätsbibliothek gegenüber. Sie bewohnte das mit Abstand größte Zimmer der Wohnung, in dem verkehrsumtosten Haus, hatte sich eine kleine Insel dort eingerichtet, einen Rückzugsort, den sie brauchte, wenn die rauhe Welt dort draußen zu unfreundlich war, ihr Angst machte. In dieser Insel stand ein dungelgrüner Ohrensessel, in den ich mich sofort fast so sehr verliebte, wie in sie, mehr vielleicht sogar, der passte einfach perfekt, stilvoll, ein wenig englisch, auch wenn vielleicht von IKEA, bei ihr wurde er mehr, weil sie es war, die lange auch in London bei einem Freund lebte, einem Bänker dort, Honkongchinese, auch von Familie, Nachfahre berühmter Vorfahren, was sie mir sehr bald erzählte, der sie geliebt und verehrt hatte, den sie aber, so sagte sie, nicht lieben konnte.

Obwohl auch blond, war sie das Gegenteil in vielem ihrer Vorgängerin, die zwar auch aus einem, wie manche sagen und in Heidelberg gab es mehr manche als ich ihnen sonst später noch begegnete, guten Stall stammte, als Professorentochter, aber eben nicht von Adel war und als Walküre mit ihrem lauten Lachen und ihrer offenen Art das genaue Gegenteil dieser eher verschlossenen, leicht depressiven Frau, die alle meine Retterinstinkte weckte, die ich glücklich machen wollte und noch viel mehr und die ja, ohne Frage, eine sehr gute Partie wäre, was auch in Heidelberg wohl für mehr eine Rolle spielte als etwa in Berlin, es in diesem Kontext zu denken, spricht schon Bände, scheint mir.

Sie war, wie mein noch viel adeliger bester Freund im Studium und ich auf meine Art auch, ein wenig aus der Zeit gefallen, liebte Teestunden, schöne Gesrpäche und die Sissi-Filme, die sie alle auf Video hatte. Ganz ohne Frage war sie eine Dame auf ihre Art, mit Eigenarten, aber das passte ja und wenig großer Leidenschaft außer in ihrer existentiellen Angst.

Das erste mal war bei ihr. Wir waren noch bei einem Vortrag in einem Verbindungshaus gewesen, meine ich, ganz kultiviert, hatte ihre Hände dabei berührt und sie hatte vorsichtig darauf reagiert. Viel kam nicht von ihrer Seite dabei, aber das könnte auch ein Zeichen ihrer Nobilität und Zurückhaltung sein, dachte ich und ergriff leicht die Initiative und sie ließ es geschehen. So blieb es all die Jahre, keine große Leidenschaft aber eine gewachsene Liebe, die vernünftig schien und ihre Zurückhaltung machte sie ja auch begehrenswert und erhöhte meine Leidenschaft, wie es eben mit der Dialektik zwischen Mann und Frau leicht und gerne funktionierte.

Alles machte sie mit und Lust konnte sie auch entwickeln, wenn ich sie streichelte oder dort küsste, dann konnte sie immer, auch mehrfach hintereinander, sogar auf dem Beifahrersitz von mir fahrend nebenbei gestreichelt, dann kam sie mit einem dezenten Stöhnen, etwas lauter noch als der dabei schon ein wenig zumindest beschleunigte Atem und leicht erhöhter Feutigkeit inmmitten. Das ging schnell und immer bei ihr, damit hatte sie schon als Kind angefangen, wie ich später von ihren Schwestern erfuhr, die sie dafür bei der Mutter verpetzten, die sie aber wohl gewähren ließ, nicht schimpfte, es waren die 70er und alle waren bereits relativ entspannt.

Sie war, wie sich später herausstellte, zwei Jahre älter als ich, damals schon eher Ende zwanzig als ich knapp deren Mitte überschritten hatte, aber sie hätte auch jünger sein können, mit ihrem süßen mädchenhaften Gesicht mit den leicht geschlitzten Augen und der nahezu perfekten Figur. Sie war eher klein, etwas über 1,60m, mehr nicht, mit zierlichen Füßen, einer schlanken Tallie, einem wunderschönen, runden Po, der die perfekte Mitte zwischen fest und doch weiblich anschmiegsam hatte, einem festen, nicht zu kleinen aber auch nicht großen Busen, der, sehen wir von ihrer sonst Länge ab, Modellmaße hatte. Es war später, ein leichtes mit ihr Wäsche und anderes auch von der Stange in Frankreich zu kaufen, es passte wie für sie geschneidert und es machte Spaß, mit ihr einkaufen zu gehen.

Ihre Eltern waren Ärzte, ihr Vater auch Chefarzt, ihre Mutter bei drei Kindern Hausfrau, wie meine und wie im Westen in unserer Generation noch üblich. Über ihre Familie, ihre Geschwister und ihre sonstigen Verwandten, könnten noch lange Geschichten erzählt werden oder auch nicht, vieles war genau, wie Wossen-Asferate es beschrieb. Als junges Mädchen war sie mit ihren Schwestern und anderen adeligen Mädchen von Schloß zu Schloß mit dem Rad gefahren, Adel auf dem Radel nannte sich das und hatte Kontakte geknüpft, was später irgendwie auch ihr Beruf wurde, aber da gingen wir schon wieder getrennte Wege. Als sie jugendlich war, wurden aus den Radtouren dann Feste und Bälle auf selbigen, ländlich gelegenen Schlössern in der Umgebung ihres Heimatortes tief im Westen.

Sie war in einer behüteten Welt groß geworden, wie ich und doch ganz anders, mit Adel hatte ich bis auf die Freundinnen meiner Großmutter und ihre alte Freundin die Prinzessin nie viel zu tun gehabt, kannte diese Welt - und es ist eine Welt für sich, eine Parallelgesellschaft quasi - noch nicht und lernte sie entdecken - teil begeistert und schwärmend, dachte an Goethe und seinen Herzog und wie Goethe von der Stein in die Kreise eingeführt wurde, teil ein wenig spöttisch und dann und wann mich vorsichtig bei meinem besten Freund erkundigend, der sich ja auskannte, den ich lange und gut kannte und bei dem ich ja in einem Sommer mal gewohnt hatte, wie ein Sohn der Familie, was schon eine große Auszeichnung bei dieser Familie mir war, denn er trug ja wirklich einen berühmten Namen, für den er auch nichts konnte, der mir aber in der Tradition meiner preußisch gesinnten Großeltern - also eigentlich meiner einen preußisch gesinnten Großmutter mütterlicherseits und meinem preußisch gesinnten Großvater väterlicherseits, der preußischer Kadett war und darauf immer noch stolz - viel Respekt zollte und mein bester Freund entsprach diesem preußischen Ideal in so vielem, stand für all das, was an Preußen gut und wertvoll war und nicht die aus guten Gründen militärische Seite und das trotz seiner langen psychischen Krankheit oder vielleicht auch gerade wegen, fragte ich mich manchmal. Konnte der gute Geist des alten Preußen nur in einem heute als psychisch krank definierten Menschen noch so rein überleben, weil, was war, nicht mehr ist?

Fragen mit denen ich mich infolge dieser Beziehung mehr beschäftigte und die bei meinen bisher Freunden und bei meinem Stammtisch den Anonymen Akademikern auf völliges Unverständnis stießen, bis auf einen Freund, der mütterlicherseits auch von Familie war, darauf wert legte, wie bei meinem besten Freund auch auf die Nähe zum Widerstand während der Nazi-Herrschaft. Dieser erzählte mir manches, was ich später bei Wossen-Asferate auch las, den er auch kannte über seinen Onkel, so war das eben bei denen, erklärte mir einiges und auch wenn ich ihn manchmal komisch fand mit seinem Spagat zwischen den Welten, er immer angestrengt auch wirkte, nirgendwo zuhause, waren wir uns vermutlich näher in dieser Phase als all die anderen, auch wenn wir uns irgendwann völlig aus den Augen verloren.

Er lobte meine Wahl, nannte sie eine wundervolle, feine Frau, was sie war und immer noch ist, wie ich vor kurzem auf der Hochzeit des besten Freundes feststellen durfte, auf der wir uns wiedersahen und leider nur wenige Worte wechselten, uns nicht nah kamen, weil ich auch nichts dafür tat. Da war sie vom Mädchen zur älteren Dame in mittleren Jahren vermutlich ohne Übergang geworden. Immer noch schön wie ehedem, mit ihren rätselhaften leich geschlitzten Augen, ihrer hohen, oben etwas zitternden Stimme aus der ich noch ihre Unsicherheit herauszuhören meinte und ihrer guten Figur, die nur um die Hüften etwas mehr geworden war, wie es Frauen eben manchmal so geht. Sie wäre immer noch jede Sünde wert, dachte ich im ersten Moment und zauberhaft und zugleich auch war sie mir unnahbar geworden und ich fragte mich, ob wir uns je nah waren oder sie nur meinem Weg eine zeitlang gefolgt war, bis sie alleine weiter ging.

Wir waren beide ohne Partner bei diesem Fest, es hätte sich angeboten zu reden oder sich näher zu kommen, und es war eine bezaubernde Hochzeit auf einem alten Gut der Familie natürlich und wenn der Adel etwas kann dann ist es Hochzeiten feiern, baute doch auf dieser Tradition jahrhundertelang all ihre Macht, erhielt sie und schloss die Reihen - aber wir blieben uns fern, ich wagte es nicht mich ihr zu nähern und sie kam natürlich nicht.

Auf dem Rückweg unterhielt ich mich mit einem neuen Freund, ihrem wohl Tischherren, der sie erkannte, als zarte, feine Knospe in all ihrer Verletzlichkeit und beschrieb, wie sie merklich bei meiner Rede zusammenzuckte, als ich unsere einmal Liebe erwähnte.

Als wir noch zusammen waren, kam sie immer, wenn ich es darauf anlegte, also zum Höhepunkt, entweder vor mir oder nach mir, dazwischen konnte ich tun oder lassen, was ich wollte und sie machte es mit dezenter Aktivität und gebotener Höflichkeit aber ohne große Leidenschaft mit, sonst nichts. Wir kamen nie zusammen und ich versuchte alles, dies zu erreichen, es ging nicht, es gab nur einige ganz wenige Momente, wo sie dabei Leidenschaft und Lust empfand, ihr hätte vom Sex eigentlich das Streicheln genügt und der orale Sex, nun gut, sie konnte es genießen, aber sie brannte nicht dafür, wie ich es tat auf der Suche nach der großen Erfüllung und nach dem mir bekannten Glück der völligen Gleichzeitigkeit.

Wir stritten uns über manches sehr leidenschaftlich, sie brauchte lange, bis sie explodierte und sauer wurde, aber sie konnte es auch und wenn ich zurückdenke, glaube ich inzwischen, dies manchmal provoziert zu haben, um ihre Leidenschaft zu wecken. So etwas kannte ich nicht, eine leidenschaftslose Frau, die immer konnte, mehrmals hintereinander kam, nie die Lust daran verlor, aber es auch ohne Bedauern lassen konnte. Es machte mich wahnsinnig, was sollte daraus werden mit einer Frau ohne Leidenschaft, hoffte es könnte an ihrer Depression liegen, würde sich bessern, wenn sie in ihrer Beziehung glücklich war, aber es blieb konstant.

Ein halbes Jahr nachdem wir uns kennengelernt hatte, setzte ich, mit Hilfe ihrer Schwestern bei den Eltern durch, in deren Haus wir Sylvester feiern wollten in deren Abwesenheit mit den Geschwistern und Freunden, dass wir dort in einem Zimmer schlafen durften - eine Neuheit, die den konservativen Vater viel Überwindung kostete und so bemühte ich mich für das Entgegenkommen dankbar und stolz mich durchgesetzt zu haben, zugleich um gutes Wetter bemüht, darum dafür zu danken und tat es mit den Worten, wir wollten ja nun auch bald der Beziehung den gehörigen legitimen Charakter geben, der diese Genehmigung vorab ex post rechtfertigen würde - wir würden uns also verloben.

Das war nicht ganz abgesprochen, ein wenig schon, und so hielt ich bei ihrem Vater um ihre Hand an und da ich damit der erste war, reagierte er sehr gerührt und die Dinge nahmen ihren Lauf. Wir planten unsere Verlobung und parallel die Hochzeit, ich ließ von einer Verflossenen, die inzwischen Goldschmiedin und Schmuckdesignerin geworden war, die Ringe schmieden, wozu wir sie noch zusammen im nahen westlichen Hügelland aufsuchten.

Abgeholt habe ich sie dann alleine und dabei nachgeholt wozu es mit der Verflossenen nie gekommen war, in die ich mich beim Besuch in Konzentrationslager verliebt hatte und von der ich noch zwanghaft chronologisch bereits erzählte. Wir landeten voller Leidenschaft im Bett, während ich die Verlobungsringe abholte und ich merkte, was mir bei der, die doch die Liebe meines Lebens irgendwie werden sollte, völlig fehlte, echte Leidenschaft. Es blieb bei dieser einmaligen, nochmaligen Begegnung, ich war ja so gut wie verlobt, wir holten ja nur nach, was wir damals verpassten, weil ich mich, bevor es passierte in die Walküre verliebt hatte, für die ich die später Goldschmiedin wieder verließ, die eine gute Liebhaberin geworden war und so fuhr ich mit schlechtem Gewissen und schönen Ringen nach Hause. Es musste wohl so sein, da war noch etwas offen gewesen.

Die Verlobung, die meine Eltern veranstalten wollten, um ihren Vater, der schon die prächtig geplante Hochzeit auf sich nahm, zu entlasten, wurde nett, auch wenn sich die Familien nicht wirklich innig nahe kamen, mochten sich meine Eltern und ihre doch irgendwie. Nach der Verlobungsfeier stritten wir uns hochdramatisch und fürchterlich, beschlossen die sofortige Trennung und fanden uns doch einen Tag später wieder relativ friedlich zusammen und machten halt weiter.

Wir versandten die offiziellen Karten in denen unsere Verlobung bekannt gegeben wurde, die vom Text her sich nicht sehr von gleichen Anzeigen des 19. Jahrhunderts oder meiner Großeltern unterschied, was mir als Bürger und Bewunderer Thomas Manns aber auch nicht völlig unsymphatisch war, es gehörte sich eben so und dann machten wir eben, was in diesen Kreisen üblich war, was ich von meinen Eltern kannte und sollten doch die Freunde ein wenig lächeln, ich verlobte mich eben mit einer besonderen Frau von Familie.

Die Planung der Hochzeit hieß Schlösser und Luxushotels der Umgebung besuchen, in der die Eltern wohnten, auf der einen Seite von diesem etwas ungewohnten Luxus fasziniert, auf der anderen Seite doch befremdet. Wir sollten in der Kirche heiraten in der auch ein von mir sehr geschätzter früherer Bundespräsident geheiratet hatte, wofür ich sogar dieses kirchliche Ritual billigte, das beim gottgewollten Adel eben dazugehörte und dann in einem noblen Wasserschloss oder Hotel unserer Wahl feiern. Gemeinsam mit ihr entschieden wir uns für die bescheidenste Variante, die immer noch sehr luxuriös war aber zumindest nur eine Villa statt eines Schlosses wählte, wir waren uns einig, dass sie meinen Namen tragen würde, da ich es unmöglich fände mir einen Adel anzuheiraten im Namen und wir beide Doppelnamen eher lächerlich fanden, gerade für die schon geplanten Kinder.

Am Anfang unserer Beziehung, als wir erst wenige Wochen zusammen waren, nach meinem sogenannten Freischuß, wie der Freiversuch des 1. juristischen Staatsexamens damals hieß, machten wir eine vierwöchige Grand Tour mit meinem Auto, mit dem Zelt durch ganz Frankreich.

Beginnend in Straßburg, wo wir bei Logenbrüdern von mir residierten, was auch eine eher historische Anekdote wäre, die hier aber keine weitere Rolle spielte und darum als eine Floskel aus meinem Märchen zu sehen ist, es passte zumindest als Geschichte zum Geist Goethes und Lessings, der mein Namensvater für meinen Spitznamen in Studentenzeiten wurde, weil ich irgendwann in einer Diskussion fallen ließ, bei der Religion halte ich es mit Lessing, und darum ist es auch egal, was wirklich war, wir ließen es uns gut gehen und fuhren bald weiter auf dem Weg durch Frankreich über Dijon an die Ardéche nach Orange und von dort in die Camargue, wo wir ein wenig verliebt bei Flamingos und Wildpferden im frühen Herbst auf einem Campingplatz mit letzten Hippies verweilten, über Cébere an der spanischen Grenze, wo wir den Bürgermeister und Schwiegervater einer anderen lieben Freundin besuchten, von der ich schon erzählte, auf den Spuren Walter Benjamins nach Cadaquez, wo letzterer nicht mehr ankam und von dort nach einigen Tagen sonnigen Mittelmeers mit sogar leidenschaftlichem Sex am Strand, bei der sie seltsamerweise die Möglichkeit der Beobachtung eher reizte als beschämte, wie mir schien, an den Pyrenäen entlang durch die Gascogne, das Denkmal des Cyrano suchend nach Bourdeaux und die Loire hinauf Schlösser bestaundend bis nach Paris zu jener Freundin, deren Schwiegervater wir besucht hatten, ging es über Metz zurück in unsere Studienstadt voller Eindrücke und mit Liebe zum Land. Ein wenig hatte ich bedauert bei dieser Reise, dass sie nie mit mir in der Wildnis an einem einsamen See, am Meer oder sonst irgendwo Zelten wollte, sondern immer auf einen Campingplatz mit einer Dusche und einer Steckdose für ihren Lockenstab bestand, doch hatte ich es nach anfänglichen Versuchen schließlich resigniert aufgegeben, sie zum Glück der Wildnis überreden zu wollen - sie war eine Dame, ich konnte froh sein, dass sie sich auf das Zelt zum ersten mal in ihrem Leben einließ und nicht auf Schloßhotels bestand, die wir uns nicht leisten konnten.

Wir waren uns in manchem fremd geblieben und es sollte noch Jahre dauern, bis ich wertschätzen lernte, was an ihr alles wunderbar war und merkte, wie unwichtig war, was ich für störend hielt, weil ich mit ihr auch die Abenteurerin haben wollte, die die Wildnis liebte, wie meine Walküre es tat, an der ich immer die Dame gesucht hatte, die ich nun an meiner Seite hatte.

Konnte es mir eine recht machen oder fehlte mir immer das andere und wollte ich alles in einer, was sich nicht vereinen ließ - sie reizte mich immer irgendwie, was an ihrer Schönheit so sehr lag wie an ihrer Damenhaftigkeit und auch wenn ich mir immer mehr Leidenschaft und gemeinsame Erfüllung gewünscht hätte, unglücklich war ich nicht. Es passte auch familiär irgendwie ganz gut, wir würden uns arrangieren und wohl nicht unglücklich sein - aber war das, die Frau mit der ich den Rest meines Lebens verbringen wollte, reichte mir diese unerfüllte Sexualtität und würde ich mir den befriedigenden Sex eben woanders holen, ins Bordell gehen, wie ich es von manchen meiner älteren Freunde kannte?

In der Zeit dieser Beziehung luden sie mich auch das eine oder andere mal dorthin ein, worüber an anderer Stelle noch zu berichten sein wird, weil jede für sich gewürdirgt werden soll, der ich begegnen durfte von den geheimnisvoll bewunderten Wesen, die ich so liebte. Hatte dabei kein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Freundin, es war ja nicht gegen sie und eigentlich stellte ich nur fest, es wäre nichts, wofür ich Geld je ausgäbe, es lohnte nicht, für etwas zu zahlen, was umsonst noch immer, naja gut, fast immer leidenschaftlicher war und was gekauft mir irgendwie billig erschien, aber dazu später, es hat hier nichts zu suchen und gehört sich nicht in Gegenwart einer Dame.

Sie hätte meine Frau werden können und ich begehrte sie sehr, bedauerte nur ihre Leidenschaft, nicht wecken zu gönnen, weil es wohl doch nicht so ganz passte, ich nicht ihr Typ war, sie eher auf dezente, ruhigere und zartere Männer als mich stand der ich mit 1,86m und breiten Schultern eher nicht androgyn bin, aber vermutlich ist es gut, dass sie es nicht wurde und wir nicht leidenschaftslos eine Familie gründeten und ich musste noch fast zwanzig Jahre älter werden, um zu erfahren wie schön fraglose gegenseitige Liebe und das völlige Ankommen beieinander sein kann.

Als ich sie auf jener Hochzeit wieder sah, ich jongliere nun assoziativ sehr durch die Jahrzehnte, hatte ich mich gerade von der nächsten Verlobten getrennt oder, um der Wirklichkeit genüge zu tun, sie sich eher von mir, mit der ich sexuell das gleiche Erlebnis hatte und dennoch beinah in den Hafen der Ehe gesteuert wäre, als gehörten langweiliger leidenschaftsloser Sex und fehlende große Gefühle mit der Ehe logisch zusammen, sollten wir, was ewig halten soll, mit Vernunft statt mit Leidenschaft wählen, was im Ergebnis so lau wurde, wie es sich liest, aber dazu beizeiten, auch wenn dies vielleicht bald sein könnte und ich die 120 dazwischen einfach der Form halber überspringe, um die Verlobten zusammenzubringen, die sich dennoch so gar nicht glichen.

Aber, ermahne ich mich im Plaudern, ich schweife ab - ich kann und will nichts schlechtes über meine Verlobte von damals sagen, sie war und ist vermutlich eine wunderbare Frau, auch humorvoll, wenn es passt, intelligent, in Maßen gebildet und interessiert mit einem traumhaften Körper, der genau richtig war und doch endete es einfach, wie in dem Erich Kästner Gedicht von dem Paar, das zusammen im Café sitzt und sein Liebe verloren hat, wie andere Leute ihren Stock oder Schirm und gar nicht weiß, wie ihm dabei ist, sich freundlich benimmt und es im übrigen dabei beläßt.

Betrachte ich diese Liebe nun geistig, frage ich mich, ob es für die arrangierte Ehe nicht gerade Ideal wäre, wenn die großen Gefühle fehlten, die sich im Streit doch manchmal offenbarten und wie wohl das erstrebte Glück bei uns ohne geteilte Welten ausgesehen hätte. Bescheiden glücklich oder irgendwie glücklich sich in das finden, was sich eben fand, um zu genießen, was ist, weil zumindest die Suche ein Ende hatte und wir sicher und gut beieinander aufgehoben waren.

Weiß nicht, was das große Glück ist, ahne was große Liebe bedeutet inzwischen und bin froh, weiter gesucht zu haben, so schmerzvoll es noch manchmal wurde, aber doch glücklich nicht beim kleinen Glück stehen geblieben zu sein, das noch um Welten größer war als das mit der nächsten Verlobten geteilte, aber doch nur halb irgendwie, weil Liebe eben auch die Leidenschaft braucht und lauwarm nie heiß wird.

Verneige mich am Ende vor der, die mir so fern wurde, dass wir nur Höflichkeiten beim unvermeidbaren Treffen austauschten, bei dem sie auch erstmals meine riesige Tochter sah, die sie schon weit überragte, sie war eine wunderbare Frau für mich, von der ich viel lernte, von heute betrachtet, der ich sicher oft nicht gerecht wurde, die ich vermutlich verletzte und die ich gerne glücklich gemacht hätte, um sie aus der Gefangenschaft ihrer Depression und Angst zu retten, die ich inzwischen selbst in dunklen Zeiten so gut kennenlernte. Über alles übrige schweige ich als ein Gebot der Höflichkeit als gälte noch Adel verpflichtet.

Ist das Leben also, was wir daraus machen oder was sich findet, wenn zwei sich zufällig treffen und es eben probieren?

Um am Ende den Kreis zum Anfang zu schließen, ich besuchte meine Verlobte noch in Paris, wo sie eine zeitlang im Schlößchen eines Bekannten lebte und wir verbrachten einige wunderbar romantische Tage dort, was nichts an meinem vorher Bild von der Stadt und dem Gefühl der Fremdheit änderte, die nicht nur sprachlich bedingt war, wir gingen sehr fein auch mit ihren Eltern essen, ich lernte so einige der berühmtesten Restaurants kennen und dachte bisher nichts verpasst zu haben, aber dies kleine Schlößchen ihres Freundes aus dem Besitz der Familie natürlich mit dem Blick über ganz Paris, das uns zu Füßen lag, bei dem jedes Zimmer einen anderen farbigen Marmorkamin hatte und in dem wir zu ihrem 30. ein großes Fest feierten, bei dem sehr hoher Adel aus regierenden Häusern noch zufällig vorbeikam, wir ab 2h im November unter Sternen auf der Terrasse tanzten, der Paris zu Füßen lag, bis sich der Nachbar ein bekannter mir sehr unsympathischer französischer Politiker beschwerte, der tagsüber mit seiner Tochter im Garten spazierte, laut fluchend, das hatte schon was - auch unser tatsächlich einige mal leidenschaftlicher Sex bei geöffneten Vorhängen mit Blick auf den Eifelturm und Sacre Coeur im Hintergrund, ist etwas, was ich, auch wenn irgendwas fehlte bei uns, nie vergessen oder missen möchte und so bleibt doch immer etwas. Paris verband beide Geschichten, die sich in der Leidenschaft und dem vollen Gefühl so unterschieden und doch am Ende wieder glichen, als sich alles im Nichts verlor.
jens tuengerthal 26.2.16

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