Adel verpflichtet
Wenn assoziatives
Vorgehen auch chronologisch wird, passt eins zum anderen, scheint es -
oder bin ich dann nur offenbar Gefangener meines linearen Denkens in der
Erinnerung?
Vielleicht weist sich dies erst, wenn wir noch
weitergehen und sehen, wie sich eins zum anderen findet und so wird die
Abfolge dann zum bloßen Zufall, der manches gedanklich zusammenhängen
lässt, was scheinbar fern liegt.
Meine erste Verlobte, deren es
drei in Summa brauchte, um endlich anzukommen, war von Familie und ich
lernte sie gemeinsam mit meinem besten Freund, der noch viel mehr von
Familie war, als Träger eines berühmten Namens, beim Repetitor kennen.
Das
Studium neigte sich dem Ende zu, bevor ich es wirklich genossen hatte,
die längste Zeit in einer Beziehung verbracht, die schon beschrieben
wurde, schneller als nötig alle Scheine erjagt, ohne bleibende Folgen
durch das Uni-Repetitorium gespurtet, quasi zum Aufwärmen, immer noch
ohne große Liebe zu meinem Studienfach der Jurispudenz, ging ich nun zum
klassischen Repetitor, wie es Juristen eben so machen, um mir den
Examenstoff einprügeln zu lassen, was martialischer klingt, als es war
und doch das Ende des selbständigen Denkens aufzugeben, um des Agierens
nach Schema willen.
Sie war zart, fein und blond, wirkte jung,
geradezu mädchenhaft und gefiel mir sofort. Keine der strahlenden
Schönheiten, die sich präsentierten, sonden eine kleinere, eher
unauffällige auf den ersten Blick, deren Schönheit erst beim genaueren
Hinsehen offenbar wurde. Geschmackvoll gekleidet, ein wenig damenhaft
aber dezent, wie es in diesen Kreisen üblich ist und wie Prinz
Wossen-Asferate es so wunderbar spöttisch und doch liebevoll in seinem
Buch Manieren beschrieb. Eine, die sich zu benehmen wusste, auf Familie
wert legte und stolz auf ihre Abstammung war, der Adel etwas bedeutete,
auch wenn das so keiner sagte. Es war spürbar und so erkannten sie sich,
wollte sie erkannt werden, was anhand der Unterschriftenlisten die
durch die Reihen gingen, dort leichter war als im Supermarkt zumindest.
Sie
war erst in späteren Semestern nach Heidelberg gekommen und lebte in
einer WG mitten im Zentrum, der Altstadt, quasi der alten und berühmten
Universitätsbibliothek gegenüber. Sie bewohnte das mit Abstand größte
Zimmer der Wohnung, in dem verkehrsumtosten Haus, hatte sich eine kleine
Insel dort eingerichtet, einen Rückzugsort, den sie brauchte, wenn die
rauhe Welt dort draußen zu unfreundlich war, ihr Angst machte. In dieser
Insel stand ein dungelgrüner Ohrensessel, in den ich mich sofort fast
so sehr verliebte, wie in sie, mehr vielleicht sogar, der passte einfach
perfekt, stilvoll, ein wenig englisch, auch wenn vielleicht von IKEA,
bei ihr wurde er mehr, weil sie es war, die lange auch in London bei
einem Freund lebte, einem Bänker dort, Honkongchinese, auch von Familie,
Nachfahre berühmter Vorfahren, was sie mir sehr bald erzählte, der sie
geliebt und verehrt hatte, den sie aber, so sagte sie, nicht lieben
konnte.
Obwohl auch blond, war sie das Gegenteil in vielem ihrer
Vorgängerin, die zwar auch aus einem, wie manche sagen und in Heidelberg
gab es mehr manche als ich ihnen sonst später noch begegnete, guten
Stall stammte, als Professorentochter, aber eben nicht von Adel war und
als Walküre mit ihrem lauten Lachen und ihrer offenen Art das genaue
Gegenteil dieser eher verschlossenen, leicht depressiven Frau, die alle
meine Retterinstinkte weckte, die ich glücklich machen wollte und noch
viel mehr und die ja, ohne Frage, eine sehr gute Partie wäre, was auch
in Heidelberg wohl für mehr eine Rolle spielte als etwa in Berlin, es in
diesem Kontext zu denken, spricht schon Bände, scheint mir.
Sie
war, wie mein noch viel adeliger bester Freund im Studium und ich auf
meine Art auch, ein wenig aus der Zeit gefallen, liebte Teestunden,
schöne Gesrpäche und die Sissi-Filme, die sie alle auf Video hatte. Ganz
ohne Frage war sie eine Dame auf ihre Art, mit Eigenarten, aber das
passte ja und wenig großer Leidenschaft außer in ihrer existentiellen
Angst.
Das erste mal war bei ihr. Wir waren noch bei einem
Vortrag in einem Verbindungshaus gewesen, meine ich, ganz kultiviert,
hatte ihre Hände dabei berührt und sie hatte vorsichtig darauf reagiert.
Viel kam nicht von ihrer Seite dabei, aber das könnte auch ein Zeichen
ihrer Nobilität und Zurückhaltung sein, dachte ich und ergriff leicht
die Initiative und sie ließ es geschehen. So blieb es all die Jahre,
keine große Leidenschaft aber eine gewachsene Liebe, die vernünftig
schien und ihre Zurückhaltung machte sie ja auch begehrenswert und
erhöhte meine Leidenschaft, wie es eben mit der Dialektik zwischen Mann
und Frau leicht und gerne funktionierte.
Alles machte sie mit und
Lust konnte sie auch entwickeln, wenn ich sie streichelte oder dort
küsste, dann konnte sie immer, auch mehrfach hintereinander, sogar auf
dem Beifahrersitz von mir fahrend nebenbei gestreichelt, dann kam sie
mit einem dezenten Stöhnen, etwas lauter noch als der dabei schon ein
wenig zumindest beschleunigte Atem und leicht erhöhter Feutigkeit
inmmitten. Das ging schnell und immer bei ihr, damit hatte sie schon als
Kind angefangen, wie ich später von ihren Schwestern erfuhr, die sie
dafür bei der Mutter verpetzten, die sie aber wohl gewähren ließ, nicht
schimpfte, es waren die 70er und alle waren bereits relativ entspannt.
Sie
war, wie sich später herausstellte, zwei Jahre älter als ich, damals
schon eher Ende zwanzig als ich knapp deren Mitte überschritten hatte,
aber sie hätte auch jünger sein können, mit ihrem süßen mädchenhaften
Gesicht mit den leicht geschlitzten Augen und der nahezu perfekten
Figur. Sie war eher klein, etwas über 1,60m, mehr nicht, mit zierlichen
Füßen, einer schlanken Tallie, einem wunderschönen, runden Po, der die
perfekte Mitte zwischen fest und doch weiblich anschmiegsam hatte, einem
festen, nicht zu kleinen aber auch nicht großen Busen, der, sehen wir
von ihrer sonst Länge ab, Modellmaße hatte. Es war später, ein leichtes
mit ihr Wäsche und anderes auch von der Stange in Frankreich zu kaufen,
es passte wie für sie geschneidert und es machte Spaß, mit ihr einkaufen
zu gehen.
Ihre Eltern waren Ärzte, ihr Vater auch Chefarzt, ihre
Mutter bei drei Kindern Hausfrau, wie meine und wie im Westen in
unserer Generation noch üblich. Über ihre Familie, ihre Geschwister und
ihre sonstigen Verwandten, könnten noch lange Geschichten erzählt werden
oder auch nicht, vieles war genau, wie Wossen-Asferate es beschrieb.
Als junges Mädchen war sie mit ihren Schwestern und anderen adeligen
Mädchen von Schloß zu Schloß mit dem Rad gefahren, Adel auf dem Radel
nannte sich das und hatte Kontakte geknüpft, was später irgendwie auch
ihr Beruf wurde, aber da gingen wir schon wieder getrennte Wege. Als sie
jugendlich war, wurden aus den Radtouren dann Feste und Bälle auf
selbigen, ländlich gelegenen Schlössern in der Umgebung ihres
Heimatortes tief im Westen.
Sie war in einer behüteten Welt groß
geworden, wie ich und doch ganz anders, mit Adel hatte ich bis auf die
Freundinnen meiner Großmutter und ihre alte Freundin die Prinzessin nie
viel zu tun gehabt, kannte diese Welt - und es ist eine Welt für sich,
eine Parallelgesellschaft quasi - noch nicht und lernte sie entdecken -
teil begeistert und schwärmend, dachte an Goethe und seinen Herzog und
wie Goethe von der Stein in die Kreise eingeführt wurde, teil ein wenig
spöttisch und dann und wann mich vorsichtig bei meinem besten Freund
erkundigend, der sich ja auskannte, den ich lange und gut kannte und bei
dem ich ja in einem Sommer mal gewohnt hatte, wie ein Sohn der Familie,
was schon eine große Auszeichnung bei dieser Familie mir war, denn er
trug ja wirklich einen berühmten Namen, für den er auch nichts konnte,
der mir aber in der Tradition meiner preußisch gesinnten Großeltern -
also eigentlich meiner einen preußisch gesinnten Großmutter
mütterlicherseits und meinem preußisch gesinnten Großvater
väterlicherseits, der preußischer Kadett war und darauf immer noch stolz
- viel Respekt zollte und mein bester Freund entsprach diesem
preußischen Ideal in so vielem, stand für all das, was an Preußen gut
und wertvoll war und nicht die aus guten Gründen militärische Seite und
das trotz seiner langen psychischen Krankheit oder vielleicht auch
gerade wegen, fragte ich mich manchmal. Konnte der gute Geist des alten
Preußen nur in einem heute als psychisch krank definierten Menschen noch
so rein überleben, weil, was war, nicht mehr ist?
Fragen mit
denen ich mich infolge dieser Beziehung mehr beschäftigte und die bei
meinen bisher Freunden und bei meinem Stammtisch den Anonymen
Akademikern auf völliges Unverständnis stießen, bis auf einen Freund,
der mütterlicherseits auch von Familie war, darauf wert legte, wie bei
meinem besten Freund auch auf die Nähe zum Widerstand während der
Nazi-Herrschaft. Dieser erzählte mir manches, was ich später bei
Wossen-Asferate auch las, den er auch kannte über seinen Onkel, so war
das eben bei denen, erklärte mir einiges und auch wenn ich ihn manchmal
komisch fand mit seinem Spagat zwischen den Welten, er immer angestrengt
auch wirkte, nirgendwo zuhause, waren wir uns vermutlich näher in
dieser Phase als all die anderen, auch wenn wir uns irgendwann völlig
aus den Augen verloren.
Er lobte meine Wahl, nannte sie eine
wundervolle, feine Frau, was sie war und immer noch ist, wie ich vor
kurzem auf der Hochzeit des besten Freundes feststellen durfte, auf der
wir uns wiedersahen und leider nur wenige Worte wechselten, uns nicht
nah kamen, weil ich auch nichts dafür tat. Da war sie vom Mädchen zur
älteren Dame in mittleren Jahren vermutlich ohne Übergang geworden.
Immer noch schön wie ehedem, mit ihren rätselhaften leich geschlitzten
Augen, ihrer hohen, oben etwas zitternden Stimme aus der ich noch ihre
Unsicherheit herauszuhören meinte und ihrer guten Figur, die nur um die
Hüften etwas mehr geworden war, wie es Frauen eben manchmal so geht. Sie
wäre immer noch jede Sünde wert, dachte ich im ersten Moment und
zauberhaft und zugleich auch war sie mir unnahbar geworden und ich
fragte mich, ob wir uns je nah waren oder sie nur meinem Weg eine
zeitlang gefolgt war, bis sie alleine weiter ging.
Wir waren
beide ohne Partner bei diesem Fest, es hätte sich angeboten zu reden
oder sich näher zu kommen, und es war eine bezaubernde Hochzeit auf
einem alten Gut der Familie natürlich und wenn der Adel etwas kann dann
ist es Hochzeiten feiern, baute doch auf dieser Tradition
jahrhundertelang all ihre Macht, erhielt sie und schloss die Reihen -
aber wir blieben uns fern, ich wagte es nicht mich ihr zu nähern und sie
kam natürlich nicht.
Auf dem Rückweg unterhielt ich mich mit
einem neuen Freund, ihrem wohl Tischherren, der sie erkannte, als zarte,
feine Knospe in all ihrer Verletzlichkeit und beschrieb, wie sie
merklich bei meiner Rede zusammenzuckte, als ich unsere einmal Liebe
erwähnte.
Als wir noch zusammen waren, kam sie immer, wenn ich es
darauf anlegte, also zum Höhepunkt, entweder vor mir oder nach mir,
dazwischen konnte ich tun oder lassen, was ich wollte und sie machte es
mit dezenter Aktivität und gebotener Höflichkeit aber ohne große
Leidenschaft mit, sonst nichts. Wir kamen nie zusammen und ich versuchte
alles, dies zu erreichen, es ging nicht, es gab nur einige ganz wenige
Momente, wo sie dabei Leidenschaft und Lust empfand, ihr hätte vom Sex
eigentlich das Streicheln genügt und der orale Sex, nun gut, sie konnte
es genießen, aber sie brannte nicht dafür, wie ich es tat auf der Suche
nach der großen Erfüllung und nach dem mir bekannten Glück der völligen
Gleichzeitigkeit.
Wir stritten uns über manches sehr
leidenschaftlich, sie brauchte lange, bis sie explodierte und sauer
wurde, aber sie konnte es auch und wenn ich zurückdenke, glaube ich
inzwischen, dies manchmal provoziert zu haben, um ihre Leidenschaft zu
wecken. So etwas kannte ich nicht, eine leidenschaftslose Frau, die
immer konnte, mehrmals hintereinander kam, nie die Lust daran verlor,
aber es auch ohne Bedauern lassen konnte. Es machte mich wahnsinnig, was
sollte daraus werden mit einer Frau ohne Leidenschaft, hoffte es könnte
an ihrer Depression liegen, würde sich bessern, wenn sie in ihrer
Beziehung glücklich war, aber es blieb konstant.
Ein halbes Jahr
nachdem wir uns kennengelernt hatte, setzte ich, mit Hilfe ihrer
Schwestern bei den Eltern durch, in deren Haus wir Sylvester feiern
wollten in deren Abwesenheit mit den Geschwistern und Freunden, dass wir
dort in einem Zimmer schlafen durften - eine Neuheit, die den
konservativen Vater viel Überwindung kostete und so bemühte ich mich für
das Entgegenkommen dankbar und stolz mich durchgesetzt zu haben,
zugleich um gutes Wetter bemüht, darum dafür zu danken und tat es mit
den Worten, wir wollten ja nun auch bald der Beziehung den gehörigen
legitimen Charakter geben, der diese Genehmigung vorab ex post
rechtfertigen würde - wir würden uns also verloben.
Das war nicht
ganz abgesprochen, ein wenig schon, und so hielt ich bei ihrem Vater um
ihre Hand an und da ich damit der erste war, reagierte er sehr gerührt
und die Dinge nahmen ihren Lauf. Wir planten unsere Verlobung und
parallel die Hochzeit, ich ließ von einer Verflossenen, die inzwischen
Goldschmiedin und Schmuckdesignerin geworden war, die Ringe schmieden,
wozu wir sie noch zusammen im nahen westlichen Hügelland aufsuchten.
Abgeholt
habe ich sie dann alleine und dabei nachgeholt wozu es mit der
Verflossenen nie gekommen war, in die ich mich beim Besuch in
Konzentrationslager verliebt hatte und von der ich noch zwanghaft
chronologisch bereits erzählte. Wir landeten voller Leidenschaft im
Bett, während ich die Verlobungsringe abholte und ich merkte, was mir
bei der, die doch die Liebe meines Lebens irgendwie werden sollte,
völlig fehlte, echte Leidenschaft. Es blieb bei dieser einmaligen,
nochmaligen Begegnung, ich war ja so gut wie verlobt, wir holten ja nur
nach, was wir damals verpassten, weil ich mich, bevor es passierte in
die Walküre verliebt hatte, für die ich die später Goldschmiedin wieder
verließ, die eine gute Liebhaberin geworden war und so fuhr ich mit
schlechtem Gewissen und schönen Ringen nach Hause. Es musste wohl so
sein, da war noch etwas offen gewesen.
Die Verlobung, die meine
Eltern veranstalten wollten, um ihren Vater, der schon die prächtig
geplante Hochzeit auf sich nahm, zu entlasten, wurde nett, auch wenn
sich die Familien nicht wirklich innig nahe kamen, mochten sich meine
Eltern und ihre doch irgendwie. Nach der Verlobungsfeier stritten wir
uns hochdramatisch und fürchterlich, beschlossen die sofortige Trennung
und fanden uns doch einen Tag später wieder relativ friedlich zusammen
und machten halt weiter.
Wir versandten die offiziellen Karten in
denen unsere Verlobung bekannt gegeben wurde, die vom Text her sich
nicht sehr von gleichen Anzeigen des 19. Jahrhunderts oder meiner
Großeltern unterschied, was mir als Bürger und Bewunderer Thomas Manns
aber auch nicht völlig unsymphatisch war, es gehörte sich eben so und
dann machten wir eben, was in diesen Kreisen üblich war, was ich von
meinen Eltern kannte und sollten doch die Freunde ein wenig lächeln, ich
verlobte mich eben mit einer besonderen Frau von Familie.
Die
Planung der Hochzeit hieß Schlösser und Luxushotels der Umgebung
besuchen, in der die Eltern wohnten, auf der einen Seite von diesem
etwas ungewohnten Luxus fasziniert, auf der anderen Seite doch
befremdet. Wir sollten in der Kirche heiraten in der auch ein von mir
sehr geschätzter früherer Bundespräsident geheiratet hatte, wofür ich
sogar dieses kirchliche Ritual billigte, das beim gottgewollten Adel
eben dazugehörte und dann in einem noblen Wasserschloss oder Hotel
unserer Wahl feiern. Gemeinsam mit ihr entschieden wir uns für die
bescheidenste Variante, die immer noch sehr luxuriös war aber zumindest
nur eine Villa statt eines Schlosses wählte, wir waren uns einig, dass
sie meinen Namen tragen würde, da ich es unmöglich fände mir einen Adel
anzuheiraten im Namen und wir beide Doppelnamen eher lächerlich fanden,
gerade für die schon geplanten Kinder.
Am Anfang unserer
Beziehung, als wir erst wenige Wochen zusammen waren, nach meinem
sogenannten Freischuß, wie der Freiversuch des 1. juristischen
Staatsexamens damals hieß, machten wir eine vierwöchige Grand Tour mit
meinem Auto, mit dem Zelt durch ganz Frankreich.
Beginnend in
Straßburg, wo wir bei Logenbrüdern von mir residierten, was auch eine
eher historische Anekdote wäre, die hier aber keine weitere Rolle
spielte und darum als eine Floskel aus meinem Märchen zu sehen ist, es
passte zumindest als Geschichte zum Geist Goethes und Lessings, der mein
Namensvater für meinen Spitznamen in Studentenzeiten wurde, weil ich
irgendwann in einer Diskussion fallen ließ, bei der Religion halte ich
es mit Lessing, und darum ist es auch egal, was wirklich war, wir ließen
es uns gut gehen und fuhren bald weiter auf dem Weg durch Frankreich
über Dijon an die Ardéche nach Orange und von dort in die Camargue, wo
wir ein wenig verliebt bei Flamingos und Wildpferden im frühen Herbst
auf einem Campingplatz mit letzten Hippies verweilten, über Cébere an
der spanischen Grenze, wo wir den Bürgermeister und Schwiegervater einer
anderen lieben Freundin besuchten, von der ich schon erzählte, auf den
Spuren Walter Benjamins nach Cadaquez, wo letzterer nicht mehr ankam und
von dort nach einigen Tagen sonnigen Mittelmeers mit sogar
leidenschaftlichem Sex am Strand, bei der sie seltsamerweise die
Möglichkeit der Beobachtung eher reizte als beschämte, wie mir schien,
an den Pyrenäen entlang durch die Gascogne, das Denkmal des Cyrano
suchend nach Bourdeaux und die Loire hinauf Schlösser bestaundend bis
nach Paris zu jener Freundin, deren Schwiegervater wir besucht hatten,
ging es über Metz zurück in unsere Studienstadt voller Eindrücke und mit
Liebe zum Land. Ein wenig hatte ich bedauert bei dieser Reise, dass sie
nie mit mir in der Wildnis an einem einsamen See, am Meer oder sonst
irgendwo Zelten wollte, sondern immer auf einen Campingplatz mit einer
Dusche und einer Steckdose für ihren Lockenstab bestand, doch hatte ich
es nach anfänglichen Versuchen schließlich resigniert aufgegeben, sie
zum Glück der Wildnis überreden zu wollen - sie war eine Dame, ich
konnte froh sein, dass sie sich auf das Zelt zum ersten mal in ihrem
Leben einließ und nicht auf Schloßhotels bestand, die wir uns nicht
leisten konnten.
Wir waren uns in manchem fremd geblieben und es
sollte noch Jahre dauern, bis ich wertschätzen lernte, was an ihr alles
wunderbar war und merkte, wie unwichtig war, was ich für störend hielt,
weil ich mit ihr auch die Abenteurerin haben wollte, die die Wildnis
liebte, wie meine Walküre es tat, an der ich immer die Dame gesucht
hatte, die ich nun an meiner Seite hatte.
Konnte es mir eine
recht machen oder fehlte mir immer das andere und wollte ich alles in
einer, was sich nicht vereinen ließ - sie reizte mich immer irgendwie,
was an ihrer Schönheit so sehr lag wie an ihrer Damenhaftigkeit und auch
wenn ich mir immer mehr Leidenschaft und gemeinsame Erfüllung gewünscht
hätte, unglücklich war ich nicht. Es passte auch familiär irgendwie
ganz gut, wir würden uns arrangieren und wohl nicht unglücklich sein -
aber war das, die Frau mit der ich den Rest meines Lebens verbringen
wollte, reichte mir diese unerfüllte Sexualtität und würde ich mir den
befriedigenden Sex eben woanders holen, ins Bordell gehen, wie ich es
von manchen meiner älteren Freunde kannte?
In der Zeit dieser
Beziehung luden sie mich auch das eine oder andere mal dorthin ein,
worüber an anderer Stelle noch zu berichten sein wird, weil jede für
sich gewürdirgt werden soll, der ich begegnen durfte von den
geheimnisvoll bewunderten Wesen, die ich so liebte. Hatte dabei kein
schlechtes Gewissen gegenüber meiner Freundin, es war ja nicht gegen sie
und eigentlich stellte ich nur fest, es wäre nichts, wofür ich Geld je
ausgäbe, es lohnte nicht, für etwas zu zahlen, was umsonst noch immer,
naja gut, fast immer leidenschaftlicher war und was gekauft mir
irgendwie billig erschien, aber dazu später, es hat hier nichts zu
suchen und gehört sich nicht in Gegenwart einer Dame.
Sie hätte
meine Frau werden können und ich begehrte sie sehr, bedauerte nur ihre
Leidenschaft, nicht wecken zu gönnen, weil es wohl doch nicht so ganz
passte, ich nicht ihr Typ war, sie eher auf dezente, ruhigere und
zartere Männer als mich stand der ich mit 1,86m und breiten Schultern
eher nicht androgyn bin, aber vermutlich ist es gut, dass sie es nicht
wurde und wir nicht leidenschaftslos eine Familie gründeten und ich
musste noch fast zwanzig Jahre älter werden, um zu erfahren wie schön
fraglose gegenseitige Liebe und das völlige Ankommen beieinander sein
kann.
Als ich sie auf jener Hochzeit wieder sah, ich jongliere
nun assoziativ sehr durch die Jahrzehnte, hatte ich mich gerade von der
nächsten Verlobten getrennt oder, um der Wirklichkeit genüge zu tun, sie
sich eher von mir, mit der ich sexuell das gleiche Erlebnis hatte und
dennoch beinah in den Hafen der Ehe gesteuert wäre, als gehörten
langweiliger leidenschaftsloser Sex und fehlende große Gefühle mit der
Ehe logisch zusammen, sollten wir, was ewig halten soll, mit Vernunft
statt mit Leidenschaft wählen, was im Ergebnis so lau wurde, wie es sich
liest, aber dazu beizeiten, auch wenn dies vielleicht bald sein könnte
und ich die 120 dazwischen einfach der Form halber überspringe, um die
Verlobten zusammenzubringen, die sich dennoch so gar nicht glichen.
Aber,
ermahne ich mich im Plaudern, ich schweife ab - ich kann und will
nichts schlechtes über meine Verlobte von damals sagen, sie war und ist
vermutlich eine wunderbare Frau, auch humorvoll, wenn es passt,
intelligent, in Maßen gebildet und interessiert mit einem traumhaften
Körper, der genau richtig war und doch endete es einfach, wie in dem
Erich Kästner Gedicht von dem Paar, das zusammen im Café sitzt und sein
Liebe verloren hat, wie andere Leute ihren Stock oder Schirm und gar
nicht weiß, wie ihm dabei ist, sich freundlich benimmt und es im übrigen
dabei beläßt.
Betrachte ich diese Liebe nun geistig, frage ich
mich, ob es für die arrangierte Ehe nicht gerade Ideal wäre, wenn die
großen Gefühle fehlten, die sich im Streit doch manchmal offenbarten und
wie wohl das erstrebte Glück bei uns ohne geteilte Welten ausgesehen
hätte. Bescheiden glücklich oder irgendwie glücklich sich in das finden,
was sich eben fand, um zu genießen, was ist, weil zumindest die Suche
ein Ende hatte und wir sicher und gut beieinander aufgehoben waren.
Weiß
nicht, was das große Glück ist, ahne was große Liebe bedeutet
inzwischen und bin froh, weiter gesucht zu haben, so schmerzvoll es noch
manchmal wurde, aber doch glücklich nicht beim kleinen Glück stehen
geblieben zu sein, das noch um Welten größer war als das mit der
nächsten Verlobten geteilte, aber doch nur halb irgendwie, weil Liebe
eben auch die Leidenschaft braucht und lauwarm nie heiß wird.
Verneige
mich am Ende vor der, die mir so fern wurde, dass wir nur Höflichkeiten
beim unvermeidbaren Treffen austauschten, bei dem sie auch erstmals
meine riesige Tochter sah, die sie schon weit überragte, sie war eine
wunderbare Frau für mich, von der ich viel lernte, von heute betrachtet,
der ich sicher oft nicht gerecht wurde, die ich vermutlich verletzte
und die ich gerne glücklich gemacht hätte, um sie aus der Gefangenschaft
ihrer Depression und Angst zu retten, die ich inzwischen selbst in
dunklen Zeiten so gut kennenlernte. Über alles übrige schweige ich als
ein Gebot der Höflichkeit als gälte noch Adel verpflichtet.
Ist das Leben also, was wir daraus machen oder was sich findet, wenn zwei sich zufällig treffen und es eben probieren?
Um
am Ende den Kreis zum Anfang zu schließen, ich besuchte meine Verlobte
noch in Paris, wo sie eine zeitlang im Schlößchen eines Bekannten lebte
und wir verbrachten einige wunderbar romantische Tage dort, was nichts
an meinem vorher Bild von der Stadt und dem Gefühl der Fremdheit
änderte, die nicht nur sprachlich bedingt war, wir gingen sehr fein auch
mit ihren Eltern essen, ich lernte so einige der berühmtesten
Restaurants kennen und dachte bisher nichts verpasst zu haben, aber dies
kleine Schlößchen ihres Freundes aus dem Besitz der Familie natürlich
mit dem Blick über ganz Paris, das uns zu Füßen lag, bei dem jedes
Zimmer einen anderen farbigen Marmorkamin hatte und in dem wir zu ihrem
30. ein großes Fest feierten, bei dem sehr hoher Adel aus regierenden
Häusern noch zufällig vorbeikam, wir ab 2h im November unter Sternen auf
der Terrasse tanzten, der Paris zu Füßen lag, bis sich der Nachbar ein
bekannter mir sehr unsympathischer französischer Politiker beschwerte,
der tagsüber mit seiner Tochter im Garten spazierte, laut fluchend, das
hatte schon was - auch unser tatsächlich einige mal leidenschaftlicher
Sex bei geöffneten Vorhängen mit Blick auf den Eifelturm und Sacre Coeur
im Hintergrund, ist etwas, was ich, auch wenn irgendwas fehlte bei uns,
nie vergessen oder missen möchte und so bleibt doch immer etwas. Paris
verband beide Geschichten, die sich in der Leidenschaft und dem vollen
Gefühl so unterschieden und doch am Ende wieder glichen, als sich alles
im Nichts verlor.
jens tuengerthal 26.2.16
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