Donnerstag, 6. August 2020

Beziehungslust

Wie und wo bleibt in Beziehungen die Lust?

Beziehungen gehen wir ein, um die Liebe zu leben. Im Idealfall verbinden sie Liebe, Erotik und Lust. In der Praxis bleiben über die Bewältigung des Alltags Lust und Erotik meist eher auf der Strecke, die Liebe soll alles bewältigen und darunter leiden Lust und Erotik, es sei denn sie finden eine neue eigene Form, mit der sie dennoch erhalten bleiben können.

Der Sexentzug als Strafe für nicht Wohlverhalten des Partners ist eine Variante, die zum Ende der Lust führt und den so Bestraften häufig nach Alternativen suchen lässt, die Strafenden genauso bestraft und also Gründe genug liefert, welche viele Beziehungen scheitern lässt, weil wir für gewöhnlich in monogamen Beziehungen von Ausschließlichkeit ausgehen trotz des bekannten Risikos der Frustration dabei. 

Dazu wären offene Beziehungen eine Alternative, die allerdings häufig mit dem Ideal der Liebe kollidieren und zur Verletzung von einem der Partner führen, der sich nicht mehr geliebt, weil nicht mehr begehrt fühlt, als bestünde zwischen Lust und Liebe ein notwendiger Zusammenhang.

Im Gegenteil sind wir in der Lust nach unserer Natur Egoisten, die nach Befriedigung streben und sorgen uns nur dank der Liebe und trainierten Sozialverhaltens auch um die Lust des Partners. Dagegen ist die Liebe etwas altruistisches, ein Gefühl, was dem anderen gut will, was mit dessen sexueller Aktivität in keinerlei Konfrontation stehen müsste. Tut dies aber immer wieder, da wir den Konventionen entsprechend, in denen wir aufwuchsen leben und den Sex auch mit Liebe verbinden, obwohl ihr eigentlich wissen, dass wir dabei natürlicherweise zu Tieren werden, die nach Befriedigung ihrer Lust streben, den Sex also von der Liebe trennen sollten.

Die Erotik als Moment der Spannung, der Lust auf Sex macht und die langsame Annäherung beschreibt, sollte vom Sex und der Liebe eigentlich getrennt betrachtet werden, wird aber, wie oben beschrieben, meist mit dem Wunsch nach Ausschließlichkeit vermischt, was seit Jahrtausenden, bis auf seltene Ausnahmen, zu den bekannten Problemen zwischen Paaren führt, auch weil ein erotischer Reiz unabhängig von Liebe und Beziehung ausgelöst werden kann.

So wir der Lust folgen, obwohl unser Herz anderweitig gebunden ist, sehen wir uns meist, vor uns selbst verpflichtet, uns auch zu verlieben, weil wir mit dieser konventionellen Verbindung aufgewachsen sind. Eine eigentlich natürliche Trennung dieser Bereiche gilt in unserer, vom Christentum und seinen Werten wie Monogamie und ewiger Liebe geprägten Gesellschaft noch als unkonventionell und sogar unnatürlich.

Insofern es Männer leichter hatten dem Bedürfnis zu folgen und Frauen in klassischen Strukturen ohne eigenes Vermögen und Selbständigkeit gefangen waren, war die Mehrzahl der Ausbrecher männlich. Frauen, die beim gewöhnlichen Sex häufig keine Befriedigung fanden, stellten ihre sexuellen Bedürfnisse zugunsten der Familie zurück. Doch taten es die ausbrechenden Männer immer auch mit Frauen, die ihren Bedürfnissen folgten, also Liebhaberin sein wollten. Teilweise taten sie dies zur sexuellen Befriedigung, häufiger wohl um soziale Bestätigung zu erhalten. 

Männer strebten meist mit ihrem schlichteren Sexualorgan nach Befriedigung und kümmerten sich weniger häufig, um die Befriedigung ihrer Frauen oder wenn sie es am Anfang von Liebe getrieben taten, gaben sie es oft im Laufe einer Beziehung auf, weil das Bemühen entweder nicht zielführend war, sie an ihrem eigenen Streben nach Befriedigung hinderte oder andere Gründe dagegen sprachen, zu denen auch das Vorspielen der Frauen gehörte. Viele Frauen spielen ihren Männern beim Sex auch Lust vor, um ihnen Zufriedenheit zu schenken, ihre Ruhe vor weiteren Nachfragen zu haben, nicht lange diskutieren zu müssen, weil sie sich selbst dabei schlecht oder unvollständig fühlten, ihre andere Natur einfach hinnahmen und die Befriedigung beim Sex als männliches Privileg betrachteten. Frauen die Befriedigung beim Sex fanden, galten anderen Frauen oft als verdächtig, wurden als sexsüchtig bezeichnet und sozial ausgegrenzt.

So entstand über Jahrhunderte und viele Generationen ein Sexualverhalten, mit dem wir heute noch leben und das auch in uns zu überwinden, vielen schwer fällt. Manche Frauen entdecken ihre natürlich größere Potenz erst, nach dem Ende ihrer Fruchtbarkeit, weil sie sich zuvor auch zu stark in konventionelles Verhalten mit erwartbar enttäuschten Erwartungen einbanden.

Betrachteten wir die Bereiche Erotik, Liebe und Sex unabhängig voneinander, könnten wir leichter zu unserem natürlichen Sexualverhalten finden. Was dieses ist und wohin es führen könnte, wird eine für die Struktur der Gesellschaft in Zukunft spannende Frage. Sie wird sich auf die Art der Beziehungen beeinflussen, die wir führen, wird die Struktur der Familien verändern und die Einzelnen mehr oder weniger glücklich machen, je nachdem wie sie sich in der Art, wie sie leben, verwirklichen können.

Beziehung braucht Liebe, sollte Lust haben, die möglichst Befriedigung miteinander findet, was am besten geht, wenn es eine fortdauernde erotische Spannung zwischen den Partnern gibt aber viel mehr braucht sie die Fähigkeit miteinander Probleme des Alltags zu bewältigen, sich gut zu tun, die eigenen Kräfte zu stärken und sich in den Schwächen zu unterstützen und genau das macht auf Dauer eine gute Partnerschaft aus und nicht allein die Frage, ob du mit dieser oder jener guten und wilden Sex hast, dir einmal im verliebten Wahn ein ewiges Leben voller Liebe versprochen hast oder andere konventionelle Antworten, die für die Tauglichkeit einer Beziehung nichts besagen.

Liebe ist der Glaube an ein Gefühl. Er fängt bei sich an und ist schön, wo er geteilt wird. In diesem Falle ist er aber noch viel stärker nur Glaube an das geäußerte Gefühl eines anderen, was nicht sachlich überprüfbar ist. Es gibt keinen tauglichen Beweis für die Liebe oder nicht mehr Liebe. Zwar finden sich Indizien aber diese sind meist in einen konventionellen Rahmen eingebunden und haben mit dem tatsächlichen Empfinden, von dem wir uns dank konventioneller Zwänge immer weiter entfernen, nichts zu tun. Vergesse also lieber alle Liebesbeweise, sie taugen nichts und verlasse mich allein auf das Gefühl, was ist, was es ist und nichts sonst und dessen kann ich mir nie sicher sein, ich kann nur daran glauben, als wäre es sicher und beweisbar, was es aber nie sein sollte. In diesem seltsamen Spannungsfeld wächst Liebe und vergeht sie wieder, als wäre sie nie da gewesen.

Wer der ständigen Beweise der Liebe braucht oder diese dauernd kontrollieren will, liebt nicht eigentlich, sondern will besitzen und sein Leben über diese Kontrolle in eine bestimmte Ordnung fügen, in der zusätzlich noch das Gefühl des anderen beweisbar erzwungen werden soll, was im Ergebnis das Gegenteil von Liebe wird, krank macht und konsequent nur zum Wahnsinn führen kann, weil wir etwas unerreichbares wollen, was wir durch den Versuch der Kontrolle und die untauglichen Beweise nur zerstören.

In einer solchen Konstellation habe ich mal zwei Jahre lang versucht zu leben wie zu lieben und bin im Ergebnis tatsächlich fast wahnsinnig geworden, wobei das fast vermutlich einige bestreiten würden, mich eingeschlossen aber das ist wiederum ein weites Feld, da der Wahnsinn meist nur eine Abweichung vom normalen Durchschnitt beschreibt und wie wahnsinnig dieser eigentlich ist, wäre eine andere Frage, es war also eine unmögliche Konstellation, obwohl es viele positive Punkte gab, die eine Beziehung traumhaft erscheinen ließen, die betreffend ich nichts schlechtes je sagen könnte und wollte und doch heilfroh bin, es inzwischen philosophisch betrachten zu können.

Vertrauen ist die Basis einer guten Beziehung und jeder Liebe. Funktionalität im Alltag, soweit er geteilt wird, ist die andere. Diese beiden sind unabdingbar, wo es an ihnen mangelt, kann der Versuch einer Beziehung nur scheitern. Vertrauen kann nur, wer sich seiner selbst und seines Weges sicher ist. Fehlt es schon daran, mangelt es meist am Vertrauen mit erwartbar traurigen Folgen, die zu Misstrauen und Hass führen, also das Gegenteil der Liebe erzeugen und keinem gut tun.

Vertrauen ist auch die Basis schöner, geteilter Lust, weil du dich fallen lassen können musst, um dich ganz aufeinander einzulassen. Wie jemand sich in der Lust fallen lassen kann, der nicht vertrauen kann, ist mir bis heute ein Rätsel, auf das ich keine Antwort habe und das mir eher die Frage stellt, wie wirklich die Wirklichkeit noch sein kann, wenn es am Vertrauen mangelt, was die innere Basis echter Gemeinsamkeit ist, aber manches muss ich zum Glück weder verstehen noch beurteilen, sondern kann es als Vergangenheit verwundert betrachten.

Sich etwas vorzuspielen, ist mir so fremd, wie mich mit fremden Federn schmücken zu wollen. Für das geliebt oder bewundert zu werden, was du tust oder kannst, scheint mir dagegen natürlich und gut. Ein Bedürfnis für das wir Menschen alle irgendwie leben. Manche werden dafür gut bezahlt, weil ihre Fähigkeit im zufälligen Interesse einer bestimmten Gruppe liegt, die dafür bezahlen kann. Andere, wie ich etwa, machen es einfach, ohne sich darum zu kümmern, was daraus werden könnte, weil sie wissen, was ihr Weg ist. Vermutlich die meisten tun etwas, weil sie etwas tun müssen, werden dafür irgendwie bezahlt und leben so. Entsprechend führen viele ihre Beziehungen relativ unaufrichtig, befriedigen ihre Bedürfnisse anderweitig, weil die Beziehungen dazu nicht mehr passen aus verschiedensten Gründen und am Ende scheitern sie mit beidem und fragen sich, wozu sie noch leben, wovon sie sich mit erneuter Beschäftigung lieber ablenken, was selten zielführend ist, aber relativ lange besser funktioniert als alles andere und wohl die Mehrheit gut beschreibt.

Lust ist in der Beziehung schön aber nicht nötig, um eine gute Beziehung zu führen, sofern Liebe, also Vertrauen und Funktionalität im Alltag vorhanden sind. Weil Vertrauen aber auch die Basis echter Lust ist, liegt es nahe, sie auch in der Liebe zu suchen, die schon das Vertrauen damit hat. Aber es ist nur eine Variante in der wir unsere Beziehungen führen, noch dazu eine sehr konventionelle, die sich nicht wirklich erfolgreich bewährt hat, im Gegenteil scheitern die meisten Beziehungen genau daran, was eigentlich unnötig wäre, wenn sich die Beteiligten über den Kern einig sind.

Vermutlich täte es den meisten Beziehungen besser, wenn Partner ohne Infragestellung ihrer Liebe, der Lust nachgehen könnten und würde langfristig sogar die erotische Beziehung wieder verbessern können aber es fehlt die breite empirische Basis solche Vermutungen zu belegen. Darum sei es hier beim Gedankenmodell belassen, was ohnehin wichtiger ist, weil Liebe und Freiheit im Kopf anfangen und enden.

Ob Prostitution dazu ein geeignetes Mittel ist, scheint mir eher zweifelhaft, da es dabei meist nur um konventionell einseitige Befriedigung geht, die gerade nicht der Lust der anderen dient und auch keinen Fortschritt bringt, sondern nur das falsche Modell verstetigt, was zu einer Perpetuierung der gegenseitigen Frustration führt. Huren suchen keine Befriedigung sondern machen ihren Job für Geld. Männer, die sich in ihnen befriedigen, wissen das, auch wenn sie insgeheim davon träumen einmal eine Hure wirklich zu befriedigen und lassen sich diesbezüglich gerne etwas vorspielen, was sie nur in falschen Mustern und Rollen bestätigt aber keinen Fortschritt bringt.

Beziehung hat viele Elemente und nicht alle müssen immer zugleich und zu gleichen Teilen vorhanden sein, um mit dem Bestand einer Beziehung glücklich leben zu können. Was fehlt kann intern oder anderweitig ausgeglichen werden, was immer dann funktioniert, wenn zwei einander sicher sind. Genau diese Basis aus Vertrauen und Funktionalität aber ist es, die unabdingbar ist, für ein gutes Auskommen miteinander, alles andere könnte relativ flexibel sein, doch bin ich mir sicher, wer sich vertraut und gut miteinander lebt, kann auch wieder gemeinsame Wege der Lust entdecken, egal in welchem Alter, auch wenn echtes Vertrauen wohl eine gewisse Reife verlangt, deren Mangel jugendliche Schönheit und Potenz nur zeitweise scheinbar ausgleichen können, worauf nach meiner geringen Erfahrung lieber keiner auf Dauer vertrauen sollte aber dabei ist es, wie so oft im Leben, es kommt auf die Beteiligten und ihr Gefühl miteinander an, womit wir wieder beim Vertrauen als Schlüssel jeder Beziehung und echter Lust sind und was auch die Frage nach der Qualität des Sex mit Huren, so technisch gut sie fraglos sein mögen, für mich abschließend beantwortet.

jens tuengerthal 6.8.20

Mittwoch, 5. August 2020

Autoritätsaberglaube

Tief im Westen werden sie
Jetzt wieder autoritär um die
Bürger zu disziplinieren die
Sich regelwidrig dort nicht
Maskieren wie vorgeschrieben
Was besonders komisch ist in
Den dort Karnevalshochburgen
Aber vermutlich nicht zwischen
Aschermittwoch und 11.11.
Sie sollen Strafe bezahlen
Was einerseits albern klingt
Aberglaube an Autorität zeigt
Andererseits mich grinsen lässt
Angesichts kommender Demos
Der Coronaleugner egal wo
Die gute Einnahmequellen dann
Für unser seuchengeplagtes
Gemeinwesen sein könnten dann
Dummheit im Sinne der Aufklärung
Auch ihren Preis endlich hätte
Obwohl es ebenso dumm ist
Zu glauben autoritäre Maßnahmen
Würden die Verantwortung stärken
Aus der Unmündigkeit befreien
Die sie nur lächerlich verlängern
Ist bestenfalls naiv zu nennen
Realistischer aber ist es vermutlich
Zu glauben klare Regeln schüfen
Den Rahmen für die Mehrheit
Nicht kritisch denkender Wesen
Es braucht noch viel Aufklärung
Sapere aude bleibt das Motto
Für den strafbewehrten Maskenball

jens tuengerthal 5.8.20

Krankheitsglaube

Wie Michel de Montaigne rät
Sich nicht krank zu stellen weil
Die Krankheit wirklich werden
Den der nur krank spielte ergriffe
Dies mit schönen Anekdoten
Aus seinen Schatz an Lektüre
Von Römern und Griechen stützt
Schien mir seltsam und fast dem
Aberglauben verfallen wie früher
Den Kindern erzählt wurde als
Warnung die Augen könnten beim
Schielen aus Spaß stehen bleiben
Doch ist es wie so oft beim Meister
Aus dem Perigord nur die Tarnung
Für eine viel tiefere Weisheit die
Vom Wert der Philosophie kündet
Indem er verdeutlicht wie wenig
Mit sich nur beschäftigte Menschen
Die Fehler bei sich erkennen können
Sie lieber im Gegenüber suchen
Meister darin sind zu erklären wie
Wenig sie für etwas können lieber
Viele Gründe suchen warum sie
Nicht anders könnten als sie tun
Weil die Umstände wären wie sie
Sind und sie damit dazu zwängen
Was ihnen eigentlich nicht entspräche
Wir alle darum besser daran täten die
Ursache unserer Krankheit in uns
Lieber zu suchen als bei anderen
Vor allem da uns mit der Philosophie
Das beste Heilmittel zur Verfügung
Stünde die Verblendung zu überwinden
So meint Montaigne die Heilung fiele
Viel schwerer weil wir die Ursachen
In uns aus Gewohnheit ignorierten
Wer kennt nicht die Geschichten
Von den widrigen Umständen die
Einen so oder so werden ließen
Bei den einen ist es die Familie
Andere nehmen die Umstände
Unter denen sie aufwuchsen
Als taugliche Entschuldigung
Die von jeder Verantwortung befreit
Es konnte ja nicht anders gehen
Statt uns die Freiheit zu nehmen
Verantwortung zu übernehmen
Für unser Handeln und die Folgen
Womit es erst in unserer Hand liegt
Sich mithilfe der Philosophie künftig
Besser oder gesund zu verhalten
Was mir beim ersten Lesen noch
Als eine falsche Botschaft schien
Die Unterbewusstsein wie Analyse
Als Beschäftigung mit dem Problem
Auf das wir schauen sollen vorwegnimmt
Wurde am Ende zu einem Plädoyer
Für die Gewissensfreiheit die uns
Eben die Chance gibt Verantwortung
Für uns zu übernehmen uns also wie
Kant 200 Jahre später erst schrieb
Aus selbstverschuldeter Unmündigkeit
Nachhaltig zu befreien indem wir für
Unser Handeln niemand anderen als
Das eigene Gewissen verantwortlich
Machen was echte Freiheit bedeutet
Die dabei sogar konstruktivistisch fast
Auf die eigenen Stärken schaut die
Sich die Befreiung von den ewigen
Ausreden ermöglicht um darauf
Künftig verantwortlich zu reagieren
So erkannte Montaigne schon vor
Bald 500 Jahren wie nah viele
Lösungen bereits in uns liegen
Wagten wir hinzusehen statt die
Üblichen albernen Ausrede zu suchen
Womit er sich zugleich bestätigt
Dass die Philosophie in allem hilft
Las es staunte und stimmte zu
Begeistert von der Tarnung im
Aberglauben die Zustimmung
In Vorurteilen scheinbar fordert
Um dann zum Gegenteil einfach
Über einen kleinen Salto zu gelangen
Der den Geist der Aufklärung dort
In der späten Renaissance trägt
Verneige mich voller Bewunderung
Vor Meister Michel der gänzlich
Ohne moralischen Zeigefinger
Dafür mit eleganter Verbeugung
Vor dem Unsinn lachend mich
An meine Verantwortung erinnert
Die Bedingung der Freiheit ist
So stelle ich mich dem Leben
Mit all seinen Untiefen gerne
Mache keine Dritten verantwortlich
Für Mängel meines Charakters
Weil genau das meine Freiheit ist
Die weiter führt als der Aberglaube
An Krankheiten die uns deantworten
Über die Kant später in seinem Essay
Was Aufklärung sei so treffend spottet
Freiheit und Verantwortung führen weiter
Als Vollkasko im Pauschalurlaub

jens tuengerthal 5.8.20

Dienstag, 4. August 2020

Liebeswahrheit

Gibt es die wahre Liebe und Wahrheit in der Liebe?

Habe schon früh gedacht, dass ich mit dieser oder jener für immer zusammen bleiben wollte, wir heiraten, glücklich werden und bis ans Ende unserer Tage wunderbaren Sex haben würden. Habe dieses Versprechen schon viermal formell in eine Verlobung, also ein Eheversprechen überführt und dies tatsächlich immer mit dem Willen zu heiraten, obwohl schon Menge und Wiederholung mich hätten stutzig machen können, ob der wahren und einzigen Liebe, wollte ich immer wieder an die große Liebe glauben, besonders bei meiner letzten Liebe, die mir auch einst versprach und mir dies schriftlich gab, für immer bei mir bleiben zu wollen, was nach der realen Trennung aber keinerlei magische Wirkung entfaltete, im Gegenteil führte meine Erinnerung daran bei ihr nur dazu, mich für völlig verrückt zu erklären, womit sie zu diesem Zeitpunkt sicher nicht völlig unrecht hatte.

Wahnsinn aus Liebe - kein zu seltener Befund und dazu müssen wir nicht mal den Werther oder Romeo und Julia bemühen, es würde vermutlich auch ein kurzer Besuch in der nächsten Psychiatrie reichen. Heute, mit 18 Monaten Abstand, sehe ich es anders und habe zum Glück wieder die Fähigkeit zur realistischen Relativierung gewonnen, den tollen Frauen dazwischen sei dank.

Spannender aber als mein Wahnsinn oder ihrer, mich wahnsinnig tollen Mann nicht mehr lieben zu wollen, worüber es bestimmt verschiedene Auffassungen geben würde, stellte ich es zur Diskussion, worauf ich aber, um meines Selbstwertes willen, der manchmal auf dünnem Eis nur steht, wie es wohl relativ menschlich ist, lieber verzichten möchte, ist die Frage, ob sie die Wahrheit sagte, als sie mir ewige Liebe versprach oder mich immer anlog, weil sie es weder konnte noch wollte, weil ohnehin nichts für die Ewigkeit ist und nur ich verliebter Narr, den Mädchenmorgenblütenworten traute.

Habe ihr genauso oder zumindest ähnlich lebenslange Liebe versprochen und es auch tatsächlich so gemeint, auch wenn meine Vernunft mir eigentlich längst sagte, das konnte nicht gut gehen, fühlte ich mich doch noch sehr lange innerlich an dies ewige Versprechen gebunden, wollte nie wieder eine andere, was die Realität inzwischen erledigte und dennoch frage ich mich immer wieder, was es mit der wahren Liebe auf sich hat, ob sie je endet, es sie nur einmal gibt, Versprechen aus Liebe gehalten werden müssen oder nie, weil sie eben nur eine relative Gültigkeit haben, solange wir unter der hormonellen Droge des Gefühls stehen und keines klaren Gedankens mehr fähig sind, von der sie sich spürbar schneller befreite als ich oder die sie zumindest schon ganz bald wieder auf den nächsten natürlich noch perfekteren Mann ihres Lebens projizieren konnte, womit der Alte, also ich, erledigt war.

Das ist alles gut und normal und eben der Lauf des Lebens und das normale Risiko alternder Männer, die sich mit zu jungen Damen einlassen. Kann darüber inzwischen lächeln und denke ich an die wunderbaren Frauen, denen ich begegnen durfte danach, kann ich nur voller Dankbarkeit sein, verlassen worden zu sein, um befreit zu leben. Doch immer wieder treibt mich die Frage um, ob es die wahre große Liebe gibt, es Wahrheit war, was wir uns versprachen, wir es so meinten oder beide logen, weil kein Mensch vernünftigerweise solchen Unsinn versprechen kann, zumal einen die Realität ja schon nach nichtmal zwei Jahren eines besseren belehrte, die letzte Verlobung sich erledigt hatte und ich, der immer meinte, mich um sie kümmern und sorgen zu müssen, mich von ihr aus gutem Realismus für verrückt erklären lassen musste, immer noch an ihr zu hängen.

Gibt es in der Liebe nur eine relative Wahrheit, die an zufälliger Koinzidenz hängt?

Aller Realismus spricht dafür und es lebt sich besser über die gegenseitigen wahnsinnigen Versprechen und ihre Geburtstagskarten und ähnliche ewige schriftliche Liebesschwüre so zu lachen wie über die gleichen Verfluchungen danach, alles nicht so furchtbar ernst zu nehmen, weil die Liebeserklärungen von jungen Damen Anfang 20 eben nur eine beschränkte Haltbarkeit haben und flexibel austauschbar sind. Dagegen spricht aber der Absolutheitsanspruch der Liebe, die nie enden sollte, die Treue zu eigenen Versprechen und fortbestehender Wahnsinn.

Las heute in Alain Badious Lob der Liebe über genau diese Frage der Wahrheit der Liebe, der das ganze wunderbar philosophisch betrachtet, sich dabei aber auch typisch französisch auf das Glatteis echter Empfindungen begibt, statt deutsch kantianisch Abstand zu halten, wie ich es mit dem falschen Anschein der Nüchternheit hier vorspiele. Es beginnt schon mit der Liebeserklärung, die einen großen Anspruch auf Wahrheit hat und doch nur, vernünftig betrachtet, ein relativ gültiger Gefühlsausdruck ist, den vernünftige Menschen, der am besten passenden Situation anpassen.

Haben wir uns beide angelogen oder nur sie mich, meinte sie, was sie schrieb, als sie ewige Liebe versprach?

Über sie kann ich nichts sagen und also beschränke ich mich auf meine Sicht der Dinge. Nach meinem Gefühl waren wir beide in dem Moment von dem Wahnsinn, den wir verkündeten überzeugt und wollten diesen Weg gehen. So hat in dem Moment keiner gelogen, wir wollten es vermutlich beide so, wie wir es uns auch öffentlich in sozialen Netzwerken versprachen, weil wir eben so verrückt wie nur möglich waren und das war auch gut so. Das war also in diesem Moment gefühlt für beide wahr. Keiner hat da gelogen und ich will auch nichts anderes denken.

Später war es nur noch für mich wahr aber für sie nicht, was eine gewisse beinah tödliche Tragik für mich hatte aber, was soll ich dazu nun sagen, so spielt da Leben eben mit unvernünftigen älteren Herren kurz vor fünfzig, damit sie ihre Grenzen kennenlernen, die doch natürlich eher bescheiden sind, wie es die Zeit eben mit sich bringt. 

Inzwischen ist es wohl für keinen mehr wahr und aller Wahrscheinlichkeit nach, wird sich daran auch nichts im Leben mehr ändern aber wer wäre ich, dem Ende vorgreifen zu wollen, das kommen soll, wie es ihm gefällt und mich in der Gegenwart nicht weiter tangiert.

Die Liebe ist ein Glaube, praktisch irreal und nur auf einem Versprechen fußend. Solange sie besteht sind ihr entsprechende Versprechen ihre Wahrheit. Wo der Glaube aneinander fehlt, gibt es nichts mehr, was verbindet außer vielleicht die Sehnsucht nach einer verlorenen Vergangenheit, die der erfahrene Mann lieber schnell vergisst, weil es immer müßig ist als Mann dabei etwas zu wollen, was Frauen ohnehin nach ihrem Gefühl gestalten.

Habe mich ja nun schon nach diesem mich dem Wortlaut nach mein Leben lang bindenden Versprechen mehr als einmal wieder dem Glauben an neue Liebe hingegeben, wenn auch nicht so extrem und lieber etwas vernünftiger, womit logisch Leidenschaft fehlte aber auch viel weniger täglich gelitten wird, doch überzeugt, es zu können. Zwar spielte mir noch manchmal die Erinnerung einen Streich, ließ mich glauben, ich könnte nur diese eine lieben und nie wieder eine andere und versprochen wäre versprochen aber zum Glück relativiert die Nähe zu vernünftigen Frauen und ihre Anziehung alles.

Interessant ist hier die sprachliche Nähe von versprochen zu versprochen als dem Versprechen oder dem Versprecher, der bedeutungslos weil nicht gewollt sein soll und doch scheint manches Versprechen wie ein Versprecher und bindet mancher Versprecher mehr als heiligster Eid, weil Sprache sich seltsam nah kommen kann.

Habe lang gebraucht, um für mich zu merken, wir haben es vermutlich beide so gemeint, also die Wahrheit gesagt in dem Moment, es aber aus erwartbaren Gründen nicht miteinander hinbekommen, womit sich die vorige Wahrheit erledigt hat, weil ihr die praktische Basis fehlt, was eigentlich ganz logisch und einfach klingt, auch wenn emotionale Umsetzung und theoretische Erkenntnis zwei Paar Schuhe sind.

Am lustigsten daran ist, warum ich die wahre Liebe und die Wahrheit hoch hielt, was ich bei klarem Verstand schon immer für Unsinn halte, weil die Wahrheit eben die Erfindung eines Lügners ist, wie es der kluge Heinz von Foerster noch so treffend auf den Punkt brachte im gleichnamigen Buch. Die Anmaßung der Wahrheit ist, was auch Badiou völlig übersieht, eine totalitäre Besitzergreifung und jeder Vernunft fern, Ausdruck von Aberglaube höchstens noch, weil keiner die Wahrheit kennen kann und so bleiben immer nur verschiedene von unterschiedlichsten Komponenten abhängige relative Wahrheiten, die also keine sind, in der Wirklichkeit eines kleinen Moments.

Denke über dies Versprechen von großer Liebe, dass wir beide es wollten und ernst meinten, aber die Umstände eben nicht für eine Realisierung sprachen, woran immer alle Betroffenen beteiligt sind und sehe es als eine zeitweise totalitäre Verirrung, die meinem freien Geist sonst eher fremd ist. Auch wenn ich natürlich immer noch gerne ankäme, erfüllt von großer Liebe und dem Gefühl mit einer glücklich zu bleiben aber vielleicht braucht die Liebe auch diese etwas absurden und eigentlich totalitären Ansprüche, um den anderen gewöhnlichen Unsinn miteinander zu ertragen.

Was weiß ich schon, denke ich mit Montaigne, auch über die Liebe und bin mir zumindest sicher, da waren zwei einen Moment lang verrückt genug daran zu glauben und irgendwann war die Vernunft wieder stärker und wenn sie nicht gestorben sind lieben sie weiter irgendwen, bis ans Ende ihrer Tage und nur ich rede seltener von wahrer Liebe.

jens tuengerthal 4.8.20

Erotisches

Was ist wirklich erotisch, ist es je etwas?

Bei der Beschäftigung mit der Frage, was eigentlich erotisch ist, taucht die Unterscheidung zwischen Liebe und Lust wieder auf und bekommt einen neuen Gehalt. Die Erotik baut den Reiz auf, die sinnliche Anziehung, die in der erfüllten Lust am Höhepunkt gipfelt, von dem sie aber als quasi Vorspiel noch weit entfernt ist.

Frage ich mich,  ob es erotischer ist am Strand einer Nackten zwischen die Beine oder auf die Brüste zu schauen, die dort eher inflationär sichtbar herumliegen, oder den Ansatz von nur Strümpfen am leicht verrutschten Rock einer Dame im Café zu sehen oder den Träger eines BHs irgendwo ungeplant hervorblitzend zu genießen, weiß ich genau, die natürliche Nacktheit kann schön anzuschauen sein, hat aber wenig Reiz im Gegensatz zum halb enthüllten, was nur etwas ahnen lässt und genau damit Spannung und Reiz aufbaut. So gesehen dienen die knappen Textilien an den Textilbadestränden allein dem mehr an Erotik und nicht der vorgeblichen Keuschheit aber das ist ein anderes Kapitel.

Pornografische Nacktfotos können schnell allen erotischen Reiz verlieren, weil sie zu sehr offenbaren, was aus dem Versteck erst sinnlich hervorschaut. Sie können geil sein, ihren Zweck erreichen, aber mehr selten, weil es dabei um Sex und nicht um Erotik geht.

Liebte es meine Liebsten nackt zu fotografieren, bei welcher Gelegenheit auch immer, um mich an ihrer Schönheit zu freuen, aber es verlieren auch die heißesten selbstgedrehten Pornos mit der Liebe schnell allen Reiz, kamen mir immer schon im Moment ihrer Entstehung eher komisch vor, auch wenn die Telefone heute beste Filmqualität liefern, fehlt Pornos ohnehin meist jede Erotik, weil es dabei nur noch um den Vollzug geht und nicht mehr um den langsamen Aufbau einer Spannung, die nur langsam genossen werden kann. Insofern verlorene Liebe und ähnliches dem erotischen Befinden eher abträglich ist, taugen solche Bilder nicht mal als Onaniervorlage, warum sie genauso gut gelöscht werden können, da ohne jede weitere Bedeutung.

Finde Bilder weiblicher Geschlechtsteile sehr reizvoll und sie bewirken bei der Betrachtung eine sexuelle Erregung, warum das Frauen mit dem männlichen Glied so geht, erschließt sich mir weniger, aber ich muss ja auch nicht alles verstehen, geschweige denn meinen, Frauen überhaupt verstehen zu können. Fand schon in Kinderzeiten die Betrachtung einer Vagina im Brockhaus oder in einem der medizinischen Lehrbücher meines Vaters erregend. Aber erotisch würde ich den Blick aufs Geschlecht nie nennen.

Es gab einmal bei Zweitausendeins den Bildband Vulvas, den ich nur leicht verschämt anfänglich aber dann voller Genuss durchblätterte, der verschiedenste Scheiden in all ihrer Unterschiedlichkeit mit oder ohne Frisur präsentierte und die Vielfalt der Möglichkeiten der Natur in diesem Bereich offenbarte. Später gab es auch solche Bände für Pos und Brüste, die ich gleichfalls mit Freude leicht erregt durchblätterte aber nie einen erwarb, auch wenn ich Kunstbände mit Aktfotos habe, war der pure Vulva-Bick nichts, was ich im Regal stehen haben wollte.

Es gibt auch erotische Bilder völlig nackter Menschen, deren Geschlecht sichtbar ist, doch sind diese für mich eher die Ausnahme. Erotische Spannung entsteht vielmehr aus dem noch nicht, was unsichtbar bleibt, bloß ahnen und hoffen lässt. Ein Porno oder pornografische Bilder erfüllen den Zweck sexueller Erregung aber mehr nicht, sie bauen keinerlei erotische Spannung auf, sondern zielen auf den schlichten sexuellen Vollzug, während die Erotik scheinbar in einem Zwischenbereich des noch nicht aber mit zarter Hoffnung auf ein beinahe doch Zuhause ist.

Sehe ich ein Bild einer Frau, der ich teilweise unter ihren Rock oder zwischen ihre Beine schauen kann, entsteht damit, wo es gut komponiert ist, eine erotische Spannung. Die grässlichen Up-Skirt-Bilder dagegen, bei denen notgeile Typen Frauen ungefragt unter den Rock fotografieren, fand ich noch nie erotisch sondern immer eher abstoßend. Allein das Element des Verbotenen des Spanners kann hier eine gewisse Spannung erzeugen. Brüste die sich in ihrer Form, wie auch immer dabei gehalten, gepusht oder nach der Natur, abzeichnen erzeugen Spannung, während die schwingenden Brüste der Beachvolleyballspielerinnen am FKK-Strand frei von jeder Erotik waren, wie ich es auch nicht sonderlich reizvoll fand, zwischen nackte unverhüllte Beine, die sich präsentieren zu schauen, außer für den Moment der kleinen sexuellen Erregung.

Wie das Frauen mit dem männlichen Glied und dessen mehr oder weniger schrumpeligen Anhängseln geht, kann ich nicht beurteilen.

Früher waren im deutschen Playboy im Gegensatz zum französischen oder amerikanischen nie Schamlippen zu sehen, was mit der Unkultur der Nacktrasur schwierig wurde, die auch jede Erotik dem Schoß raubt, der dann nur als Objekt der Begierde übrig bleibt, ein quasi pornografisches Objekt wird, zur Stimulation von Wesen mit pädophiler Neigung, ungesund eben. Dieses nicht sehen oder nur ahnen hatte einen besonderen Reiz und die heute gefallene Unterscheidung zwischen Aktfoto und Pornografie sorgte zumindest für einen höheren erotischen Reiz, der den bearbeiteten Bildern schon lange fehlt.

Während sich heute Frauen Schamlippen wie Brüste absurd formen lassen und damit meist nur deren Funktion massiv beeinträchtigen, noch sonst einen erkennbaren Gewinn davon haben als normative Anpassung an ein Ideal des Durchschnitts, dem nur gefallen will, wer selbst sich nichts wert ist, was aber zur Kultur der Nacktrasur passt, die eben genau damit hinschauen lässt, was früher zumindest einen Rahmen von Haaren noch hatte, wundern sich viele ernsthaft über den Verlust jeder Erotik im Zeitalter frei verfügbarer Pornografie, was fast katholisch klingt aber eher aus Sorge um echte Lust geschrieben wurde.

Nichts gegen Pornos, wenn sie fair und gut gedreht sind, die Beteiligten gut behandelt wurden. Aber alles dagegen, wenn die Porno-Industrie ihre Machwerke erotisch nennt, was sie nahezu nie sind, auch nicht sein sollen, weil es nur um den geschlechtlichen Akt geht, der im Vollzug mit mehr oder weniger Vorspiel präsentiert wird.

Fragte mich jemand, welche Literatur ich wirklich erotisch fand, fiele mir neben Proust immer Thomas Mann ein, der die Spannung perfekt inszenieren konnte, ohne je wirklich über Sex zu schreiben, zumindest seltenst ausdrücklich. Dagegen sind Henry Miller oder Aeneis Nin bloß mehr oder weniger gute Beschreibungen der Technik des Sex gelungen, aber selten wirklich erotische Momente, auch wenn Henry sich in stille Tage in Clichy darum teilweise ernsthaft bemüht. Tucholsky hat in Rheinsberg und Schloss Gripsholm höchst erotische Texte geschaffen, ohne dabei je ins Detail zu gehen. Borchardt hat im Weltpuff Berlin wunderbar erotische Elemente neben und zwischen dem vielen Sex versteckt, der selten je erotisch aber immer reizvoll und höflich beschrieben ist.

Miteinander wild zu werden, sich stöhnend einander hinzugeben mit allen dabei möglichen Verrenkungen und Spielarten kann wunderbar lustvoll und geil sein - wie schön, wenn es passt und ein beide bereicherndes Ende findet aber für mich ist da die Erotik schon vorbei, die wenn im Moment davor, im Spiel um den Reiz relevant ist, der sie langsam wachsen lässt und ihr das wunderbar knisternde Moment gibt.

Sex kann sehr erotisch sein, auch wenn das selten der Fall ist, da meist beide, oder wieviele Beteiligte auch immer, geil aufeinander nach dem Vollzug streben und sich zu vereinen suchen, um den Gipfel ihrer Natur nach zu genießen.

Das sinnliche Element der Spannung, die noch nicht zum Ziel kommt, reizt aber nicht erreicht, ist die Basis der Erotik und die kann auch beim Sex spielerisch eingesetzt werden, indem etwa die Stimulation der entsprechenden Organe plötzlich unterbrochen wird, um den Reiz noch zu erhöhen, ein erotisches Theater zu inszenieren, was aber auch gehörig schief gehen kann und Anfängern nicht unbedingt zu empfehlen ist.

Erotisch ist das nicht ganz, ein wenig verhüllt aber reizend, ein noch nicht, was aber alles daran setzt, das Wollen zu steigern. Sie hat etwas spielerisches und ist damit sehr menschlich. Der Sex im Vollzug dagegen, wo jeder mit seinem Ego nach Befriedigung strebt, will zum Ziel, eindringen oder aufnehmen, sich überschwemmen und sich am Ende miteinander selig erschöpfen. Die Erotik baut die Spannung auf, die spätere Lust stehen und fließen lässt, warum ich, wie ich Sex und Liebe unterscheide, die nichts miteinander zu tun haben, zumindest nicht in dem Moment, auf den es am Ende ankommt, sondern nur beim Vorspiel bemerkbar sein können auch Sex und Erotik unterscheide, was leider im alltäglichen Sprachgebrauch nicht der Fall ist, warum Erotik-Center meist die denkbar unerotischsten Orte sind, so professionell gut auch die dortigen Werktätigen ihrem Job nachgehen, da es dort bloß um Sex und seinen Vollzug und nicht um Erotik geht, wie Pornos eben keine erotischen Filme je sind oder wenn nur zufällig nebenbei.

Ob der Sex im erotischen Umfeld viel besser wird, als im rein sexuellen ist strittig. Finde die Erotik ein wunderbares Vorspiel, um die Spannung langsam zu schaffen, auf der die Erregung fußt, die guten Sex ausmacht. Aber es kann auch mal schneller, wilder Sex, der direkt zur Sache kommt, statt lange zu spielen in manchen Fällen passend und schön sein, wenn es allen Teilnehmern so gefällt. Nur sollten wir wie bei der Liebe auch die Erotik nicht mit dem Vollzug der Lust vermischen, bei der wir gerne auch ungehemmt, laut oder sonst ungewöhnlich uns verhalten dürfen, was zur Erotik eher weniger passte, sie schnell zerstörte und dem dabei natürlichen Egoismus einen unangenehm primitiven Beigeschmack gäbe.

Natürlich spielt im Idealfall alles ineinander und schafft so einen erotischen Raum, in dem die Lust sich natürlich vollzieht, doch ist selten wirklich alles ideal sondern passiert die Lust manchmal auch zufällig nebenbei und dann ist es gut, um Enttäuschungen zu vermeiden, die Welten voneinander zu trennen. Wenn die Liebste mit verzerrtem Gesicht auf mir reitet und sich zum Höhepunkt stöhnt, sieht das, auch mit großer Liebe gefilmt, nie erotisch aus, es ist halt Sex und den kannst du als solchen miteinander genießen, was wunderbar ist und Teil unserer Natur aber wer Erotik und Sex vermischt, läuft beständig Gefahr vom einen oder anderen frustriert zu sein und kann keines für sich genießen. Der Sex sei Sex, die Erotik sei Erotik, die Liebe sei Liebe, alles hat seinen Platz zu seiner Zeit. Beständige Vermischung führt nur zu emotionalem Chaos und Unfähigkeit in allem, weil nichts mehr ganz genossen wird, wie es ist.

Sagt mir eine Frau im erotischen Vorgeplänkel fick mich, ich bin so geil auf dich, stößt das eher ab, weil es zu weit geht, umgekehrt vermute ich ähnliches, sagt sie es beim Sex, heizt es die Stimmung noch an und hebt die Lust - ein ich liebe dich vor dem Orgasmus kann diesen eher ausbremsen und sollte sich darum gespart werden. Wo wir viehisch wild und geil übereinander herfallen, sollen wir auch so sein, wo wir uns voll erotischer Sinnlichkeit verehren, um uns zu begehren, wäre dieser Ton völlig fehl am Platz und so ist es mit den Worten wie mit den Berührungen, die immer der Situation angepasst sein sollen, nach meinem Gefühl, weil Frau nicht einen Sexknopf hat, sondern ein komplexes eng mit dem Geist verbundenes Organ, was in verschiedenen Situationen unterschiedliche Berührung und Intensität dabei verlangt, was mit dem simpleren männlichen Organ nicht vergleichar ist, warum so viele Männer immer nach dem einen Knopf bei Frau suchen und über diesen wilde Theorien aufstellen.

Es gibt diesen so wenig, wie das immer richtige Rezept zum guten Sex, der an ganz vielem hängt und eben sich auf die Situation sensibel einstellen muss, was Männer bei der Kommentierung von Fußballspielen häufig besser gelingt als beim Umgang mit den weiblichen Sexualorganen aber vielleicht hilft es ja, darüber zu reden, hier eine für beide erfreulichere Bewegung in Gang zu setzen. Das weibliche “Glied”, der nervus pudendus eben, liegt nach innen und so kommt es auch auf innere Harmonie im Ganzen an.

Dieser scheinbar mechanische letzte Punkt führt wieder zur Erotik und ihrer entscheidenden Bedeutung für schönen Sex, weil diese eben die Spannung aufbaut, die spätere Berührung wünschenswert erscheinen lässt und auch das manchmal der Natur nach etwas grobmototischere männliche Verhalten bei der Stimulation dann als genau richtig erscheinen lässt. So spricht auch aus männlicher Sicht sehr viel dafür, eine schöne erotische Spannung langsam aufzubauen, um mit seinen beschränkten Fähigkeiten dennoch etwas erreichen zu können, was beiden irgendwie Freude macht. Aber das alles ist natürlich ein weites Feld und wie gut kenne ich auch die vielen Frauen, die behaupten ganz anders als alle Frauen zu sein, dies oder das nie zu wollen, was sie dann nur insgeheim enttäuscht doch erwarten, wie inzwischen auch die Männer, die ohne ein sinnliches Vorspiel nicht mal mehr einen hoch kriegen und sich dafür so schämen, dass sich das Risiko von mal zu mal sogar potenziert und wie gut es tut, darüber wie über sich zu lachen, ist auch eine Frage der Liebe, die bekanntlich alles kann aber dazu im nächsten Essay über die Liebeswahrheit.

jens tuengerthal 4.8.20

Montag, 3. August 2020

Liebessuche

Lässt sich Liebe suchen
Taugt das Netz je dazu
Einen Partner zu finden
Das Herz zu verlieren
Glücklich zu werden
Könnte ich mich fragen
Der beides dort fand
Große Liebe wie infolge
Schlimmsten Liebeskummer
Auch wenn auf realer Basis
Kann das Gefühl doch schon
Im virtuellen Raum seine ersten
Wurzeln schlagen aus denen
Liebe schönste Blüten treibt
Was mir de Frage stellte wie
Realistisch die Liebe noch ist
In Zeiten des Online-Dating
Ist sie eine virtuelle Illusion
Produkt unserer Phantasie
Oder ist sie unverändert stets
Weil der elektronische Brief
Nichts am emotionalen Inhalt
Verändert und sich in Worte
Wie zwischen Zeilen zu verlieben
Was könnte Dichtern näher liegen
So hardern zwar manche immer
Mit dem Online-Dating als einer
Völlig unrealistischen Begegnung
Doch denke ich sich in Worten
Die zuvor geschrieben wurden
Zu begegnen kommt sich näher
Als manch reale Begegnung je
Geht tiefer dabei weil es uns als
Schreibende mit Gefühl offenbart
Auch wenn manche wortlos dabei
In Zeichen als Ersatz flüchten die
Beliebig und schnell austauschbar
Während Verse und Worte genau
Zum Gegenüber gesucht werden
So denke ich es lässt sich manches
An Gefühl bereits virtuell entdecken
Füreinander auch physisch gefühlt
Feuer und Flamme werden sofern
Frau sich Mann ausgesucht hat
Er ihre Phantasien damit erfüllt
Was mehr als einmal gelang wo
Eine mich für interessant befand
Selten oder nie jedoch wenn ich
Meinte wählen zu wollen wer doch
Perfekt zu mir passen müsste was
Eher in Enttäuschung endete weil
Auch im Netz gilt Damenwahl hat
Stets Vorrang vor Männerträumen
Habe es aufgegeben zu kämpfen
Freue mich wo ich gewollt werde
Nehme es dankbar entgegen und
Tue das zum Schein der Eroberung
Nötige auch wenn jeder weiß es ist
Stets die Dame die wählt während
Der Gentleman sich dazu verbeugt
Um es zu genießen wie es sein soll
So sage ich heute die Suche nach
Liebe ist völlig unsinnig für Männer
Aber wird von Frauen erfolgreicher
Betrieben und als eben nur Mann
Erkenne ich die Natur als solche an
Suche nicht sondern lasse finden
Auch wenn Damen zu gerne das
Gegenteil dabei beteuern sogar
Den ersten Schritt in fast allem
Immer noch von uns erwarten
Weil wir in Liebesdingen doch so
Schrecklich konventionell bleiben
Es ist wie es ist mit der Liebe
Nahezu immer das gleiche nach
Einer gewissen kleinen Erfahrung
Frauen suchen sich Männer die dann
Ihre Rolle entsprechend spielen dürfen
Will mich nicht darüber beklagen nur
Sollte sich keiner für Don Giovanni
Halten sondern lieber wie Casanova
Alle verehren und diejenige die ihn will
Wird ihn schließlich doch wählen
Am Spiel der Liebe ändert sich nichts

jens tuengerthal 3.8.20

Büchersammler

Sammler sind eigentümliche Wesen
Freuen sich an vollständigen Reihen
Jagen dafür auch Einzelstücken nach
Zahlen Unsummen für eine Hoffnung
Lieben was sie ihre Sammlung nennen
Habe verschiedene Sachen gesammelt
Als Kind Briefmarken vom Großvater
Dazu angestiftet wie beschenkt doch
Seine Leidenschaft hielt nicht lange
So wenig wie die für Wiking-Autos
Frauen ersetzten beide sehr schnell
Was ich bis jetzt nie bereut habe auch
Wenn manche lebensgefährlich wurde
Oder größte Schmerzen verursachte
Doch ohne Risiko bleibt kein Reiz aber
Die Liebe ist keine wirkliche Sammlung
Vor allem hast du selten diese noch
Gemeinsam da es meistens viel eher
Um Ausschließlichkeit dabei geht was
Zwar bei Einzelstücken der große Kick
Des Sammelns ist aber zu den Lieben
Doch irgendwie nicht passt zumal jede
Zumindest doch einige als Unikate die
Natürlich jede für sich schon war auch
Für die Ewigkeit gedacht war die nur
Real bescheideneres Maß hatte als
Das Lebe im übrigen warum ich nie
Frauen sammelte im Gegenteil nur
Die eine wahre stets für immer wollte
So illusorisch es auch war gab es
Dem vielfältigen Lebensweg noch mehr
Hoffnung als Realismus gut täte aber
Bücher die ich schon sehr früh liebte
Sammel ich immer noch irgendwie
Fraglich nur ob ich ein Sammler bin
Kann selten genug davon bekommen
Wenn der arme Poet ausnahmsweise
Selten genug Geld hat gibt er es zu gern
Für Bücher wieder aus und könnte also
Ein Büchersammler sein fehlte mir nicht
Das Jagd-Gen dabei genauso wie der
Absolute Wunsch nach Vollständigkeit
Habe einige Bände der Anderen Bibliothek
Doch möchte ich weder alle unbedingt
Manche interessieren mich gar nicht
Noch strebe ich wieder ein Abo an was
Der Lustleser in mir eher stressig fand
Mag es gerne etwas unvollkommen nur
Schön gebunden natürlich am liebsten
Einige Reihen aber ohne jede Leidenschaft
Alle davon haben zu müssen sondern nur
Jene die mich gerade besonders reizen
Auch ein Jäger der auf Flohmärkten wie
Angestochen Exemplare entdecken muss
Bin ich nie gewesen würde vielleicht wenn
Einiges für Diderots Enzyklopädie zahlen
Aber tue nichts dafür und vermisse nichts
Ohne diesen großen Schatz der Aufklärung
So fehlt mir das fiebrige des Sammlers ganz
Den eine Entdeckung zur nächsten treibt
Bin lieber mit dem zufällig ergänzten Bestand
Als Spiegel des Geistes relativ zufrieden um
Glücklich mit dem was ist sein zu können
Was ich wichtiger finde als ein unbedingtes
Haben wollen was mir völlig abgeht mich
Als Konsumwahn eher anwidern würde
Wie mir der sportliche Ehrgeiz völlig fehlt
Mit anderen es um die Wette zu tun übt
Keinerlei Reiz mehr auf mich aus weil
Die Zufriedenheit mir viel wichtiger ist
Warum auch die ewigen Verrenkungen
Zum immer mehr mir fremd bleiben
Was in der Liebe genauso stets war
Fände sich eine die es auch aushält
Mit dem ehrgeizlosen Genießer dem
Große Gefühle wie geistige Bewegung
Vollkommen zum Glück genügen ganz
Abgesehen von der gelegentlichen
Gemeinsamen Bewegung als Paar
Aber auch da inzwischen ohne jeden
Ehrgeiz die Sammlung zu vergrößern
Eher mit dem Wunsch nach Bestand
Der manchen vermutlich fremd bleibt
So bin ich wohl kein Büchersammler
Bloß ein Liebhaber schöner Exemplare
Als hoffentlich immer Genießer denn
Auf was sonst käme es schon an

jens tuengerthal 3.8.20

Bücherleben

Lebe mit Büchern zusammen
Sie sind die zuverlässigsten Freunde
Treffe sie nach jeweiliger Stimmung
Wir unterhalten uns immer angeregt
Wird mir eines langweilig lasse ich es
Solange liegen bis die Lust kommt
Darin weiter zu lesen weil es nun
Gerade zu meinen Gedanken passt
Früher las ich Bücher nacheinander
Kam ich in einem nicht mehr weiter
Las ich so lange eben nicht mehr
Infolge natürlich viel weniger auch
Heute nehm ich einfach ein anderes
Aus den mich umgebenden Stapeln
In denen sich immer etwas findet
Falls ausnahmsweise doch nicht
Gehe ich an die Regale um dann
Nach Laune eines zu nehmen
Was gerade gut zu mir passt
Lektüre muss nicht erledigt werden
Sie ist eine mich bereichernde Lust
Die früher Scheu bloß nicht zu viele
Bücher auf einmal zu lesen habe ich
Durch die Lektüre von Montaigne
Verloren der ebenso eklektisch 
Nach Laune auswählt was gefällt
Seinen Gedanken nützlich ist
Weil Bücher für mich Reisen sind
In die dort beschriebenen Welten
Wechsel ich Ort Stimmung und Geist
Nach dem was mir gerade entspricht
Schlage ich dann ein Buch wieder auf
Beginnen wir die Unterhaltung dort
Wo wir beim letzten mal unterbrachen
So lebe ich mit den Büchern und sie
Zugleich nach meinen Launen mit mir
Nichts muss erledigt werden mehr
Dafür werden Gespräche fortgesetzt
Ohne dabei den Faden zu verlieren
Oder Nichtigkeiten auszutauschen
Wie es beim Wiedersehen üblich
Wenn wir uns formelhaft unterhalten
Reisen ist darum für mich nervig
Müsste entscheiden welche Bücher
Mitzunehmen sind und zu meiner
Dann Stimmung gerade passen
Was meistens dann nicht da ist
Oder ich nehme viel zu viel mit
Verstehe heute weshalb Montaigne
Sich in seinen Turm völlig zurückzog
So lasse ich mich von dem anregen
Was gerade am besten zu mir passt
Die Gedanken lesend weiter trägt
Warum Lesen und Schreiben für mich
In einem engen Zusammenhang steht
Gerne lese ich kleine Abschnitte nur
Um dann im nächsten Buch wieder
Einige Seiten zu verschlingen die
Den Gedanken Flügel zum nächsten
Verleihen was weitere Welten öffnet
Flaniere dabei lesend durch Zeiten
Wie Räume zugleich die beflügeln
Zusammenhänge mir offenbaren
Die Welt immer neu eröffnen
Manchmal fragen mich Besucher
Ob ich all die Bücher gelesen hätte
Lache dann nur und sage fast nichts
Was nahezu der Wirklichkeit entspricht
Tatsächlich lese ich wenige zu Ende
Auch um kein Ende lesend zu finden
Aber in vielen immer wieder gerne
Manche auch zum wiederholten male
So sie mir auf die eine oder andere Art
Neu oder anders interessant erscheinen
Lese etwa den Montaigne heute
Ganz anders als in den neunzigern
In denen meine Ausgabe erschien
Entdecke im Zauberberg immer neue
Bisher übersehene Details was auch
Für die Dinge der Natur von Lukrez gilt
Es ist ein Wiedersehen alter Freunde
Doch fragte mich jemand ob ich den
Lukrez oder den Montaigne kenne
Bis zum Ende verschlungen hätte
Würde ich nach dem Gefühl sagen
Nie nur ein wenig darin gelesen
Eben hier und da wie es passte
So ändert sich vermutlich nichts
Von dem was Montaigne schrieb
Aber für mich scheint es immer so
Weil ich ihn meiner Entwicklung nach
Unterschiedlich lese und dank meiner
Manchmal gnädigen Vergesslichkeit
Wie neu wieder wahrnehmen kann
Auch wenn ich ihn wie Lukrez häufig
Ohne es zu beabsichtigen zitiere wie
Durch seine Gedanken angeregt
Texte schreibe aus denen ich ihn höre
Weit unter seinem Niveau natürlich
Dazu fehlt mir die klassische Bildung
Ähnlich geht es mir auch bei Diderot
Der vielbändig hier herumsteht aber
Immer nur ausschnittsweise gelesen
So kann ich über manches reden
Was meine Gedanken gut ergänzt
Aber habe doch wenig ganz gelesen
Sondern werde im Leben mit Büchern
Mit zunehmenden Alter immer unsteter
Wollte ich früher alle Klassiker mal lesen
Habe ich solche Ziele längst aufgegeben
Bin froh wenn ich weiß wo ungefähr was
Die Gedanken ergänzendes steht
Lebe mit den Büchern und gestehe
Die wenigsten ganz gelesen zu haben
Dafür in immer mehr eingetaucht zu sein
Als beschränkter Abschnittsleser der
Nichts lesend zu erledigen hat sondern
Sich mit Büchern nur launig unterhält
Wie andere im Café plaudernd sitzen
Wo ein Gedanke zum nächsten führt
Neue Wege miteinander beschreiten
Die uns unklar wohin führen werden
So habe ich das Leben im Café nun
Gegen das im Bücherturm getauscht
Frage mich was sonst reizen sollte
Habe alles da und bin zufrieden im
Leben mit den Büchern um mich
Frage nicht mehr was mir fehlt
Habe ein Leben mit Büchern
Mehr findet sich nirgendwo

jens tuengerthal 2.8.20

Sonntag, 2. August 2020

Sexliebe

Sex und Liebe schienen mir die schönste Kombination, die denkbar und erlebbar ist und ich vertrat dies theoretisch voller Überzeugung so sehr, wie ich es praktisch lebte. Alles andere schien mir müßig und so fand ich den Sex mit Prostituierten, die wenigen male, die ich von Freunden ins Bordell eingeladen wurde, langweilig und uninteressant, weil das entscheidende Element des großen Gefühls fehlte. Unerfüllter Sex wies für mich darauf hin, dass emotional etwas nicht stimmen konnte. Manches ließ ich darum scheitern, dahingestellt, ob das vielleicht gut so war und zugleich schien mir eine sexuell erfüllte Beziehung als der Himmel auf Erden, auch wenn es natürlich nur eine, wenn auch wichtige, Nebensache in der Beziehung ist, war sie doch für mich der wichtigste Schlüssel zum Glück.

Als ich auf die Forschung zum nervus pudendus aufmerksam wurde und zu verstehen begann, dass große Teile des weiblichen Sexualorgans innerlich liegen, konzentrierte ich mich auf dieses Thema und das Wunderwerk der Natur, das sie sich mit der Klitoris und dem langen Nerv und Schwellkörper hinter ihr geschaffen hatte. Das war faszinierend, schützte aber dennoch nicht vor langer Täuschung und falschen Illusionen, denen ich mich voller Gefühl zu gerne hingab, in der Überzeugung, wo ich mit ganzem Herzen liebte, würde ich auch den großartigsten Sex erleben, was zwar emotional so schien aber körperlich schlichter Unsinn war, weil Sex und Liebe eigentlich nichts miteinander zu tun haben, es keine sexuelle Beziehung gibt.

Natürlich haben wir meistens mit jemandem Sex, mit dem wir in irgendeiner Beziehung stehen, wie immer wir diese heute auch nennen, aber über die Qualität des Sex und die Befriedigung, die dieser seiner Natur nach erstrebt, sagt dies nichts aus und damit hat es nichts zu tun. Sex kann partnerschaftlich und voller Bemühen um den anderen ablaufen, von Gefühl getragen sein und einem die Illusion geben, all dies geschähe nun aus Liebe. Tatsächlich hat das eine mit dem anderen aber nichts zu tun.

Das Streben nach Befriedigung ist ein rein egoistischer Vorgang. So es in seltenen Fällen gleichzeitig gelingt, war dies gutes timing und fühlt sich hinterher noch schöner an, hat aber mit der Nervenkontraktion, die als Gipfel des sexuellen Reizes ausgelöst wird, nichts zu tun. In diesem Moment sind wir ganz bei uns und müssen das auch sein, um Befriedigung zu finden, alles andere ist die postkoitale Illusion, die uns unsere soziale Erziehung und der Traum von Liebe eingibt. Lange gab ich mich der Illusion hin und lebte sie auch, erst durch die orgiastische Kontraktion der Frau zum Höhepunkt geführt zu werden, was nett und gemeinsam klingt aber eher ein dennoch als ein deshalb war. Beim Höhepunkt sind wir mit uns allein, kommen als kleine geile Egoisten und wenn nicht, haben wir keinen.

Darum gibt es keine sexuelle Beziehung zwischen Menschen sondern nur Menschen, die in einer sonstigen Beziehung stehen und sich zum Sex als egoistischen Vorgang, wenn er echt sein soll, zusammenfinden. Dieser ist gut, wenn er für beide befriedigend ist. Die Illusion, es wäre noch schöner, dem Partner Befriedigung zu schenken, ist eine emotionale Krücke, die nichts mit dem Sex an sich zu tun hat. Tue das aus emotionalen Gründen gerne, es ist mir eine Ehre und Freude gewesen, Frauen möglichst nachhaltig und häufig zu befriedigen, bis das Beben begann. Doch lebe ich dabei ein Gefühl aus, oder klammere mich an ein verloren geglaubtes Gefühl und habe keinen Sex, finde logisch selten oder nie Befriedigung dabei, um die es beim Sex als physischen Vorgang geht. Habe also keinen Sex per definitionem, liebe nur.

Somit habe ich von Liebe geblendet den Sex als natürlichen Vorgang emotional überlagert, meine natürlichen Bedürfnisse für die der jeweiligen sexuellen Partnerin zurückgestellt, weil ich ein guter Liebhaber sein wollte und vergaß darüber, was Sex der Natur nach ist, ließ ein Gefühl den physischen Vorgang mit erwartbaren Folgen ersetzen. Es ging mir nicht mehr darum, mich zu befriedigen, sondern Glück zu schenken. Dies bestätigt mir zumindest, das ich ein großer Liebender bin, ein guter Liebhaber wurde ich damit noch nicht, auch wenn sich selten eine beschwerte, fehlte mir der nötige Egoismus, der den Sex erst gut macht, weil er nach eigener Befriedigung sucht, die sich nur nebenbei aus nicht sexuellen Gründen noch um den Partner sorgt und wenn es zufällig passt.

Die Erkenntnis, dass Sex immer egoistisch bleibt und sein muss, wenn er funktionieren soll, hat etwas sehr befreiendes. Natürlich ist es emotional und sozial schön als emanzipierter Mann Frauen beglücken zu wollen und deren Befriedigung über die eigene zu stellen und ich fühlte mich dabei gut. So manche wusste, diese andere Art zu schätzen aber für mich wurde Sex zu einer sozialen Handlung, bei der meine Befriedigung immer uninteressanter war und deutlich gesagt, hatte ich damit eigentlich jahrelang keinen wirklichen Sex mehr, weil mich auch das wissenschaftliche Interesse am weiblichen Orgasmus, die unendliche Potenz der Frauen und anderes so sehr faszinierte, dass ich meine Befriedigung völlig zurückstellte und uninteressant fand.

Diese der Natur ferne Reaktion war praktisch natürlich kontraproduktiv und ich erinnere mich gut, wie abstrus ich es früher fand, wenn Frauen, die nicht dabei kamen, mir erzählten, es wäre ihnen nicht so wichtig, es ginge mehr um Zärtlichkeit und Nähe, wie ich daraufhin alles versuchte, dies zu ändern und ihnen zumindest auf verschiedenste Art manuell Befriedigung zu schenken, auch wenn ich frustriert war, dass dies nie zusammen gelang. Dennoch habe ich aus der idiotischen Überzeugung Sex verbunden mit Liebe sei das größte, eigentlich das gleiche gemacht, den triebhaften sexuellen Egoismus unterdrückt, um Frau Befriedigung zu schenken, was technisch relativ erfolgreich war, aber dennoch unbefriedigt ließ, impotent immer häufiger machte.

Die Betonung des Gefühls als Wertfaktor beim Sex machte es leichter, sich der Illusion hinzugeben, es sei alles gut und richtig so, dankbar zuckende Liebste im Arm, schienen den Weg zu bestätigen, der eine bloße Verkennung von Tatsachen war, in die Irre führte und mich vermutlich endgültig impotent gemacht hätte, wie Casanova im Alter klagte, würde nicht irgendwann das kritische Denken wieder einsetzen und die philosophische Lektüre half dabei.

Sex und Liebe sind zwei Dinge, die nicht vereinbar sind. Sie können gemeinsam auftreten und geben ein unvergleichlich schönes Gefühl, doch funktionieren sie nur unabhängig voneinander, wenn wir uns egoistisch um unsere Befriedigung bemühen, finden wir sie und wenn wir dabei noch aus Liebe oder auch mit schlechtem Gewissen noch an unseren Partner denken, kann es gegenseitig schön werden, was dann den Namen guter Sex erst verdient.

Die Vermischung von Liebe und Sex führt dagegen zu einer beidem abträglichen Reaktion, die nur Unzufriedenheit hinterlässt. Es ist nicht moralisch schlecht, die Dinge so zu genießen, wie sie sind. Sex als egoistischen Vorgang der nach Befriedigung strebt und Liebe als ein altruistisches Gefühl, was dem anderen gut will. Beides ist menschlich und gehört zu uns, es kommt nur auf das richtige Gleichgewicht an und alles zu seiner Zeit zuzulassen.

Spannend wäre noch, zu fragen, woher die ungesunde Vermischung kam, ob meine übertriebene Reaktion auch ein Produkt der me too Debatte ist, in der ich als Mann, der Frauen liebt und ihnen immer gut will, nicht als Egoist dastehen wollte, der sich in Frauen nur befriedigt, wie so viele meiner Geschlechtsgenossen es nach Aussage von zahlreicher meiner Liebhaberinnen bloß tun. Genau das Gegenteil war mein Ziel. Wollte Befriedigung und Glück schenken, meinen Egoismus zurückstellen, um zu zeigen, es geht auch ganz anders und ist viel schöner, was zwar eine sozial vielleicht noch anerkennenswerte Reaktion war, die von viel Gefühl getragen wurde, aber mit Sex und vor allem mit gutem Sex nichts zu tun hat.

Es gibt keine sexuelle Beziehung, Menschen tun sich nur zum Sex zusammen, weil die eigene Befriedigung so noch besser erreicht werden kann. Durch die damit teilweise verbundene Möglichkeit der Zeugung neuen Lebens und in Übereinstimmung mit der christlichen Doppelmoral wurde dem ganzen ein emotionaler Mantel umgehängt, der mit dem Vorgang an sich nichts zu tun hat, diesem eher abträglich ist, und so konsequent auch den für die meisten Frauen nach der Natur des nervus pudendus eigentlich befriedigenderen Analverkehr pönalisierte, woraus über Jahrhunderte die Mehrheit der Frauen den Sex unbefriedigt ertrug und ihre Hingabe als Ausdruck von Liebe sah. In den siebzigern wurde den Frauen dann eingeredet, es gäbe einen G-Punkt, den es physiologisch nicht gibt, es gibt nur die Stelle, an welcher der nervus pudendus bei einem geringen Prozentsatz der Frauen die Vagina, wenn angeschwollen und also erregt, berühren kann, wodurch diese beim vaginalen Verkehr Befriedigung erlangen konnten. Aber das waren immer wenige und der große Rest täuschte vor, damit ihre Begatter nicht enttäuscht waren, es so von ihnen erwartet wurde, vieles in der Sexuallität unausgesprochen bleibt und so zu seltsamem Verhalten führte.

Befreit festzustellen, selbst auf einem völligen Irrweg aus Liebe gelangt zu sein, die alles nur für die je Liebste wollte aber nicht an seine Natur und ihren Egoismus dachte, den es braucht, um zu funktionieren, sehe ich, wie wichtig es ist, unterschiedliche Dinge auch verschieden zu betrachten, nicht ungleiches miteinander zu vermengen. Sex ist dann gut, wenn er befriedigt und das erfordert eine gehörige Portion Egoismus dabei, auch wenn wir lernen uns diesen abzutrainieren, um sozial gut zu funktionieren, geliebt zu werden, hat dies langfristig nur zur Folge, dass beide irgendwie unbefriedigt bleiben und sich den Sex als natürlichen Vorgang auch sparen können, der auf die Erleichterung und Entspannung durch Befriedigung zielt.

Vermische nicht mehr Gefühl und Sex, sondern trenne es streng. Beim Sex bin ich ein nach Befriedigung strebendes Tier. Weil ich dennoch ein ganzer Mensch bin, zu dem auch seine Gefühle gehören, Frauen liebe und eine Erziehung genoss, die Frauen wert schätzt. halte ich das Tier ein wenig im Zaum oder bemühe mich zumindest auch um meine Partnerin, aber ich vermische nie wieder Gefühl und Sex, die nichts miteinander zu tun haben, auch wenn es geistige Nähe und Vertrauen erleichtern, sich auch in den Trieben fallen zu lassen.

So muss sich der Philosoph erst klar machen, was andere, ihrer Natur einfach folgend, bloß tun, weil es eben so ist, der Trieb zur Befriedigung drängt und das auch soll. Indem der egoistische Sex sein darf, wie er ist und das Gefühl dennoch bestehen darf, kann es, wenn es mal passt, guten Sex geben, alles übrige ist etwas anderes, vom Liebesdienst bis zur sozialen Dienstleistung für die Partnerin. Vielleicht wäre es leichter, mit der Natur glücklich zu werden, wenn wir sie nehmen, wie sie ist.

Bei einer meiner besonders innig geliebten Liebsten, hat es mich immer etwas enttäuscht gehabt, dass sie beim Orgasmus ganz bei sich war, nicht küsste oder umarmte, sondern sich auf mir befriedigte und völlig auf sich konzentrierte. Fand das befremdlich im Vergleich zu ihrer sonstigen emotionalen Anhänglichkeit, weil ich Liebe und Sex vermischte. Heute sage ich, sie hat es genau richtig gemacht. Sie hat sich für sich befriedigt und anders geht es ohnehin nicht, manchmal ist nur die Geilheit so groß, dass wir uns sogar beim Kommen noch der Illusion hingeben können, wir täten aus Liebe, was wir einfach aus körperlichen Bedürfnissen heraus tun. Von allem anderen zu schweigen, war zumindest diese Reaktion gut und gesund, meine Vermischung dagegen pathologisch und führte zum erwartbaren Ergebnis.

So musste ich erst fast fünfzig werden, eine wunderbare, bebende Liebhaberin haben, mit der ich keine Beziehung habe, um zu lernen, Sex ist egoistisch und hat mit Liebe nichts zu tun, was für meine Natur früher selbstverständlich war, auch wenn ich dabei, ob meines Egoismus beim Sex häufig ein schlechtes Gewissen hatte. Die Liebe macht das gemeinsame Erlebnis und Leben schön, trägt auch über verunglückten Sex mal hinweg, aber mit dem Sex an sich hat sie nichts zu tun, weil Liebe altruistisch ist, während das Streben nach Befriedigung logisch egoistisch bleibt. So hätte ich aus lauter Liebe lange beinahe meine Potenz verspielt, die sich ansonsten noch ziemlich unersättlich anfühlt, weil ich Frauen, gut tun wollte, sie liebe und ein wunderbarer Liebhaber sein wollte, der sein Bestes dafür aufgab was ein ziemlich idiotisches Geschenk wäre. 

Wie schön ist es, noch im fortgeschrittenen Alter durch philosophische Lektüre unter anderem von Michel de Montaigne und Alain de Bottons Über die Liebe wieder zu erkennen, wie gut doch die Natur eingerichtet ist und wie idiotisch es ist, sich als Mensch über sie hinwegsetzen zu wollen, was nur krank machen kann. Sex als egoistisches Streben nach Befriedigung und Liebe als altruistisches Schenken wollen, können sich gut ergänzen und zu wunderbarster Harmonie führen, ihre Vermischung ist Murks und nur Ausdruck von Impotenz, zu der sie auch führt und so ist es manchmal gut das Gute zu überwinden, um zu sich zu finden und am Ende mit allem und allen glücklicher sein zu können.

jens tuengerthal 2.8.20

Samstag, 1. August 2020

Leserinnenlust

Habe es schon lang gemerkt
Zeit darüber auch zu dichten
Lesende Frauen finde ich viel
Erotischer als alle anderen
Lief um den Platz und sah
Wieder einige mit Buch im Café
Egal was sie nun dabei lasen
Zumindest hatten sie Bücher
Was sie für mich sinnlicher
Als all die anderen machte
Die mit Telefonen nur spielen
Egal wie schön angezogen
Zog die Lektüre bei mir mehr
Natürlich heißt es noch nichts
Nur ein Buch zu halten oder
Irgendwas zu lesen dennoch
Bemerkte ich wie Leserinnen
Eine erotische Wirkung haben
Die Verbindung Frau und Buch
Auf mich sinnlicher wirkt als
An heißen Tagen wie heute
Gerne gezeigte Unterwäsche
Ist auch schön und reizvoll
Präsentieren sich genug hier
Zur Freude der Flaneure aber
Eine Leserin fesselt mich mehr
Reizt mich als solche wirklich
Macht neugierig auf die Frau
Gibt nicht nur den kurzen Kick
Sondern scheint vielversprechend
Das mag Unsinn sein wird vielen
Die zufällig gerade nicht lesen
Sicher nicht gerecht beanspruche
Dabei auch keinerlei Objektivität
Aber freue mich an lesenden Frauen
Als Flaneur im Vorübergehen
Was genügt Leben zu genießen
Mit Büchern am Platz im Sommer

jens tuengerthal 1.8.20

Pandemienie

Heute demonstrierten die Leugner
Von Corona und der Pandemie
In Berlin für ihre Freiheit die sie
Durch die Regierung gefährdet
Sehen wobei die Polizei sie nun
Am weiteren hindert und auflöst
Weil sich die Demonstranten nicht
An Hygienevorschriften hielten
Gegen die sie demonstrierten
Im Gegenteil sogar diejenigen
Die sich korrekt verhielten noch
Als Maskenträger beschimpften
Wie mit Maske runter damit zum
Illegalen Widerstand aufforderten
Asoziales Verhalten Freiheit nennen
Nun mag es welche geben unter
Den Demonstranten die wirklich
Nicht rechtsradikal waren oder
Meinten sie verteidigten die Freiheit
Weil sie nicht begriffen haben wie
Frei wir sind und was Pandemie
Die sie leugnen bedeuten kann
Als stürben nicht Hunderttausende
Aufgrund zu großem Leichtsinn
Wie in den USA derzeit sichtbar
Könne das Leben normal werden
Solange es keinen Schutz gibt
Ohne auf Extremisten einzugehen
Genügt die Lebensgefahr völlig
Diesen Unsinn zu verurteilen
Wer seine kleine Freiheit nun
Für wichtiger hält als den Schutz
Gefährdeter vor Lebensgefahr
Handelt grob fahrlässig wider
Alle Vernunft warum Mitleid nur
Den Polizisten gehört die diesen
Asozialen Widerstand auflösen
Wir achten die Meinungsfreiheit
Aber solche Narren sollten doch
Für die von ihnen verursachte Gefahr
Mindestens persönlich haften
Berlin erträgt auch diesen Unsinn
Aber besser wäre es strenger noch
Gegen diesen Widerstand vorzugehen
Der sein Vergnügen über Leben stellt
Um Verantwortung klar zu stellen
Es geht nicht um Freiheit dabei
Sondern gefährdet Leben anstatt

jens tuengerthal 1.8.20

Sagenhaftes

Lese gerade Sagen wieder
Die ganz alten Geschichten
Die vom Ursprung erzählen
Aus der bremischen Heimat
Wo ich zufällig geboren wurde
Wie aus Mecklenburg wieder
Betrachte sie viel weniger
Literarisch denn als Schüssel
Zum Denken ohne alle Zeit
Nicht als mythisches Märchen
Was sie sicher immer sind
Dafür als Dechiffrierung der
Gedanken jenseits aller Zeit
Was bleibt kommt wie war
Verorte mich als Heimatloser
In ihnen und lasse sie leben
Als wesentlich wie natürlich 
Zurück im Norden damit der
Immer ein Gefühl von Heimat
Mehr gab als jeder andere Ort
Ist es die geistige Sommerreise
Zeitgemäß nur seitenweise
Kehre ich heim und bleibe da
Um von da zu erzählen wo
Einst für mich alles anfing
Tauche in dortigen Geist ein
Kenne manches längst erzählt
Als Sagen auch der Familie
Von Großmüttern erzählt die
Selbst fast sagenhaft waren
Womit die Welten sich wieder
Am Ursprung vermischen
Wessen Schoß auch immer
Einst l'origine du monde war
Im weiten Feld der Sagen

jens tuengerthal 1.8.20

Freitag, 31. Juli 2020

Bücherzeitreisender

Wie wenig ich in die Welt muss
Die in meiner kleinen Bibliothek
Vollständig genug steht habe ich
Schon wiederholt geschrieben
Spannender aber als die nur
Räumlichen Reisen sind doch
Die Zeitreisen die ich zu gerne
Mit wenigen Schritten am Regal
Im langen Flur unternehme das
In Ausgaben und Werken viele
Jahrhunderte umspannt von vor
Der Weimarer Klassik bis in die
Gegenwart teilweise sogar auch
Wenn diese an Bedeutung oft
Vielfältig vom Markt überschätzt
Nur wenige Meter voneinander
Kann ich mit einem Griff eben
In verschiedene Epochen tauchen
Von der Antike zur Renaissance
Von der Aufklärung in die Romantik
An realen und phantasitschen Orten
Plötzlich ganz real präsent sein
Unabhängig von allen Zeiten dann
In die Sprache der Autoren eintauchen
Wozu mir als Zeitreisenden ein paar
Schritte in meinem Flur genügen
Was bin ich doch für ein glücklicher
Mensch als Leser denke ich der
Nach Laune alle Schranken eben
Seiten umblätternd überwindet
Die Welt und alle Zeit zusammen
Auf wenigen Metern schön gebunden
Ein ruhiges Paradies dem Leser

jens tuengerthal 31.7.20

Kurzschluss

Für viele Gebiete in Spanien gilt
Inzwischen wieder eine Warnung
Des Auswärtigen Amtes dort nicht
Hinzureisen der Corona-Gefahr wegen
Viele geben sich noch überrascht
Als wüssten wir nicht alle längst
Die Zahlen steigen wieder womit
Die zweite Welle begonnen hat
Als sei Urlaub wichtiger als Leben
Meinen manche dennoch aber für
Mallorca gelte es doch noch nicht
Was sogar seriöse Nachrichten
Leider öffentlich bestätigen als ob
Wir es nicht alle besser wüssten
Vom gerade letzten mal erst was
Keine halbes Jahr nun her ist
Es ist dies kein Urlaubsjahr mehr
Stattdessen wird über Testpflicht
Am Flughafen noch diskutiert
Als wüssten wir nicht aus Erfahrung
Was exponentielles Wachstum heißt
Staune ich über den Kurzschluss
Vieler sobald es um Urlaub geht
Hört scheinbar das Denken auf
Die Tourismusindustrie gibt sich
Ahnungslos dabei sollte sie längst
Erkannt haben die Zeiten sind nun
Andere und darauf sollte endlich
Angemessen statt mit Kurzschluss
Wieder weiter wie zuvor reagiert werden
Es gibt kein weiter so heute mehr
Unser Leben wird sich ändern müssen
Corona ist nicht die letzte Plage die
Sich in globaler Welt schnell verbreitet
Lernen wir langfristig endlich umdenken
Schaffen wir konstruktive Alternativen
Die Urlaub in der Ferne ersetzen
Machen langfristig gedacht endlich
Das Hierbleiben zum guten Luxus
Richten wir uns schöner dafür ein
Nehmen wir uns Zeit für bleibendes
Es könnte am Ende schöner sein
Wer langfristig denkt steigt heute
Bereits vom Tourismus um auf
Einrichtung und Luxus morgen
Besser wäre die Bundesregierung
Verpflichtete alle Urlauber nach
Flugreisen zu 2 Wochen Quarantäne
Wie verpflichtenden Tests danach
Das Risiko für andere zu minimieren
Schneller zu sein als letztes mal
Die Briten machen es uns vor
Hinterher wieder jammern wir hätten
Wochen vorher reagieren müssen
Ist genauso ein Kurzschluss nun
Lieber vorsichtiger vorher wie es
Neuseeland vorbildlich vormachte
Wagen wir doch einfach mal zuerst
Vorbildlich und klug zu reagieren
Statt zu spät mir nur Kurzschluss
Als Reaktion auf vorhersehbares
Schrieb ähnliches schon vor Wochen
Langsam reagiert die Regierung auch
Hoffe sehr es geht diesmal schneller
Weiter vorausschauend mehr Leben
Vorab zu retten statt zu riskieren
Lieben wir mehr statt zu reisen
Es könnte lustvoller werden

jens tuengerthal 31.7.20

Ausschlussunsinn

Die SPD versucht mal wieder
Thilo Sarrazin auszuschließen
Füllt damit das Sommerloch
Weil gerade nichts sonst los ist
Berichten alle aktuell darüber
Als hätte das Parteigericht hier
Rechtlich weitere Wirkung noch
Sagte nur was nicht alle längst
Wissen dass er der Partei nur
Peinlich ist sie ihn gern los wäre
Doch wird sie vor Gericht damit
Keinen Erfolg haben können
Weil die Hürden dafür hoch sind
Was Sarrazin an Meinung vertritt
Als Autor den die neue Rechte
Dafür nicht genügend danken kann
Fraglich bleibt warum die Partei sich
Auf den teuren Rechtsstreit der
Wie der Autor ankündigte folgt
Überhaupt jetzt wieder einlässt
Statt Ruhe zu geben und lieber
Antworten auf politische Fragen
Für die Zukunft wieder zu geben
Bedauerlich daran ist vor allem
Dass der SPD nichts besseres
Einfällt Aufmerksamkeit zu finden
Es wird noch Jahre weitergehen
Auch wenn ich dessen Thesen
Als rassistisch ablehne halte ich
Diese zu große Aufmerksamkeit
Für das größere Problem die so
Aus einer Mücke einen Elefanten
Macht der sich genau danach sehnt
Schlagzeilen zu bekommen die
Den Verkauf der Bücher erhöhen
Für parteiinternen Beifall vom stets
Zu lauten linken Flügel wird hier ein
Albernes Schauspiel inszeniert
Wie gut dies nicht mehr als Mitglied
Mittragen zu müssen denk ich mir

jens tuengerthal 31.7.20

Orgasmuss

Ist der Orgasmus ein muss
Seltener Zufall für manche nur
Völlig überschätzt im Alltag
Grund für viele Lügen noch
Der schönste Weg zum Glück
Nur eine Variante beim Sex
Der aus vielmehr besteht
Fragen sich wohl viele mit
Völlig verschiedenen Antworten
Zwischen Frauen und Männern
Bei denen sich viel vorgespielt
Wird um sich glücklich zu machen
Wie seine Ruhe davon zu haben
Langsam wird auch die Forschung
Zum nervus pudendus öffentlich
Die weibliche Potenz verständlich
Machte statt Mythen zu erzählen
Von G-Punkten und anderem Unsinn
Die mehr verunsicherten noch als
Echte Befriedigung je zu schenken
Uns Männer staunend bewundern lässt
Welch Wunder die Frau nach ihrer
Verehrten und geliebten Natur ist
So gibt es verschiedene Wege zum
Glück zusammen je nach jeweils
Körperlicher Anlage der Beteiligten
Die zu erforschen Glück genug wäre
Wagten wir den Weg offen zu gehen
Statt unter dem Zwang des Orgamus
Kommen meinen zu müssen was
Immer das sicherste Hindernis dafür
War sich nur ineinander zu erschöpfen
Statt einander ganz zu genießen wie
Natur es uns frei gern ermöglicht
Wohin zu gelangen aber jeder Zwang
Wie Anspruch hinderlicher ist als
Gemeinsamen Genuss je brächte
Weil es vielleicht nicht alleine darauf
Ankommt zusammen zu kommen
Zeitlicher Zufall der Koinzidenz
Aber sich beschenken zu können
Gegenseitig voller Harmonie dabei
Statt sich etwas nur vorzumachen
Was mehr nach Zwang doch klingt
Als nach Lust so wie manche gern
Die besten überall sein wollen statt
Den Augenblick zu genießen macht
Der Zwang zum Schauspiel unfrei
Wie ich es über Jahre mit der Schönsten
Die immer die Beste sein wollte dabei
Erleben musste und durfte was ich
Für das Paradies lange hielt bis die
Natur mich lehrte es war die Hölle
Von Scheinwelt und Schauspiel nur
Geboren aus virtuellen Welten allein
Was zu überwinden ein Glück wäre
Sich am Genuss miteinander freuen
Ohne Muss und Zwang ist wohl die
Schönste Form des miteinanders
Aus dem alles übrige alleine fließt
Auch über miteinander dann wohl
Befreit von jedem Glück dafür eins
Mit sich und des anderen Natur
Ist der schönste Höhepunkt erreicht
Mehr kann scheint es mir heute
Im Leben nicht erreicht werden
Orgasmus kann und muss nie

jens tuengerthal 31.7.20

Donnerstag, 30. Juli 2020

Liebeszuverlässigkeit

Was ist meine Liebesbilanz nach
Bald fünfzig Jahren die ich nun schon
Auf der Suche nach dem Glück bin
Fragte ich mich und dachte außer
An meine Tochter die wirklich ein
Kind der Liebe geworden auch
Wenn diese Liebe wie manche 
Im Nichts längst verschwand
Längst keine Wunde mehr ist
Lebt sie weiter und überlebt
So zumindest hoffe ich sehr
Weil es so in der Natur liegt
Ihren Vater auch glücklich noch
Mit irgendwie liebevoller Erinnerung
An einen Suchenden der Liebe
Der ich immer war und bleibe so
Liegt nahe dass zählt was blieb
Die Felsen in der Brandung
An denen sich die Wogen brachen
Nach allen Stürmen noch da waren
Jene Leuchttürme auch im Dunkeln
Schaute um mich und wusste nun
Komme was wolle am Ende zählt
Wer blieb und im Sturm da war
Orientierung dem Seemann gab
Alles andere verweht die Zeit
Wie die geküssten Schösse
Die allerschönsten Brüste noch
Die angebeteten Göttinnen auch
An die der Atheist nicht glaubte
Auch wenn er es lange meinte
Weil Träume so real erscheinen
Was bleibt wird zählen weiß ich
Werde nicht weiter bilanzieren
Bevor das Ende irgendwann dann
Relativ sicher sein wird weil zählt
Was zuverlässig war und blieb
Alles andere wird nicht mehr sein
Als eine Illusion der Erinnerung
Im Meer der gezählten Lieben
Weil weniger kalkulierbare Nummern
Irgendeine Bedeutung noch haben
Sondern allein was blieb da ist
Denke ich beruhigt und lasse
Die Stürme sicher im Hafen
Ohne Sorge vorbeiziehen weil
Stürme kommen und gehen
Nur was bleibt ist immer da
Auch wenn nie wirklich vielleicht
So doch zumindest als Ideal
Was zu wissen Sicherheit genug
Denn bei aller Liebe zählt doch
Am Ende nur die Zuverlässigkeit

jens tuengerthal 30.7.20

Berlinerotik

Wechsele im Augenblick gerne zwischen Jens Biskys, Berlin, Biographie einer großen Stadt und Rudolf Borchardts Weltpuff Berlin, was ein historisch wie literarisch besonderes Wechselspiel ist, was zusammen ein großes Bild der Stadt gibt. 

In beiden Büchern geht es zentral um Berlin und die besondere Erotik und Ausstrahlung dieser Stadt, der sich Bisky kulturhistorisch mit weitem Blick und möglichst undogmatisch nähert, während Borchardt sich der Stadt literarisch annimmt, sie zum Schauplatz macht, der mit dem Skandal spielt, aber mehr noch die romanhafte Autobiographie eines aus besten bürgerlichen Verhältnissen stammenden Berliners ist.

Bei Bisky habe ich das späte wilhelminische Kaiserreich, den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik und ihre Krisen bereits weitgehend hinter mir in der Lektüre und las gerade von Goebbels Aufstieg, den Hitler beauftragte die Bewegung in Berlin zu stärken, was durch ständige Randale, wiederholte Provokationen und weitere Polarisierung auch gelang. Warum der Aufstieg der NSDAP kein Zufall war, sondern strategisch geplant und wo die Demokratie dabei wie versagte. Rasant neue Aspekte bringt Bisky nun nicht und wer die deutsche Geschichte  ein wenig kennt, dem wird vieles bekannt vorkommen. Interessant dabei aber ist, wie Bisky betont, das Berlin rot war, auch wenn die Mehrheit in Preußen wie in Berlin demokratisch blieb und der Zuwachs der Radikalen sich auf bestimmte Gebiete beschränkte. Er blendet das bürgerliche Berlin und seine Opposition gegen die sogenannte Machtergreifung dabei bisher relativ stark aus, was sicherlich auch biographisch bei ihm verständlich ist, aber weder einem Joachim Fest noch einem Sebastian Haffner gerecht wird, die eines anderen belehren und wofür später nicht nur aber auch ein Dietrich Bonhoeffer stand.

Relativ neutral berichtet Bisky von dem unguten Bündnis zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten beim Generalstreik, der weiter half die Weimarer Demokratie zu unterminieren und die Verhältnisse zu destabilisieren, womit die Radikalisierung beschleunigt wurde, wie Goebbels und Thälmann ungut zusammenwirkten, nur am Rande aber ist vom bürgerlichen Leben die Rede und welche Rolle es spielte, warum die nicht unbegründete Angst vor dem sowjetischen Einfluss und dem von dort geplanten völligen Umbau der Gesellschaft, der eine Zerstörung des Bürgertums mit sich brachte, eine große Rolle beim Erstarken der NSDAP in diesem Milieu spielte, mehr dagegen von den Arbeiteraufständen im roten Wedding und dem kommunistischen Widerstand gegen die Faschisten.

Die gediegene Welt des feinen Westen, in dem das Bürgertum wohnte, wurde zwar in ihrer Entstehung thematisiert und auch bei der Eingemeindung nach Groß-Berlin aber es fehlt im Prozess der Radikalisierung der genaue Blick auf das Problem und seine Entstehung. Auf die Angst einer wohlständigen Welt, alles zu verlieren, die damals viele die Nationalsozialisten und den österreichischen Gefreiten als das kleinere Übel sehen sah, zumal über allem ja Hindenburg scheinbar wachte. Bisky thematisiert mehr die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg aber weniger, welche Gefahr die Unruhestifter waren, die eine Räterepublik wollten, gegen die Meinung der Mehrheit, er hält die Solidariserung eines Albert Einstein mit einem Aufruf der radikalen Linken kurz vor Ende der Republik für bedeutender als sich mit den Ursachen der Radikalisierung zu beschäftigen, welche die plötzliche Verbürgerung der anderen Radikalen brachte, die nach zu langen inneren Kämpfen Ruhe versprachen.

Es gibt keine Rechtfertigung für die Blindheit der Deutschen gegenüber diesem Hitler, dem viele  ohne kritisches Denken folgten, weil sie sich von der Mischung aus nationalen und sozialistischen Gedankengut faszinieren ließen aber es verkennt die Verhältnisse, wenn die auch existenzielle Angst vieler Bürger vor der roten Gefahr ausgeblendet wird, um den Verbrecher Hitler gewohnt zu inszenieren.

Wer noch Gespräche mit der älteren Generation führte - da hatte ich doppeltes Glück, mit meinen Großeltern väterlicher wie mütterlicherseits sprechen zu können, deren Verhältnis zur eigenen Geschichte meiner Generation gegenüber entspannter war, als noch mit ihren Kindern, von denen einige ihren Eltern 68 den teils nicht unberechtigten Vorwurf der Mittäterschaft oder des Schweigens gemacht hatten, ohne damit aber einen Diskurs in Gang zu bringen - konnte feststellen, wie sich deren Sicht auf die eigene Geschichte und deren Darstellung mit der Zeit veränderte. Wurde am Anfang noch gelegentlich etwas gerechtfertigt, etwa mit den Autobahnen, dem wirtschaftlichen Aufschwung, den schönen olympischen Spielen und ihre Inszenierung durch Riefenstahl, dem gekränkten Nationalstolz nach dem verlorenen Krieg und manches mehr, suchten sie später, sich rein zu waschen von der Schuld der anderen, bei Fortdauer der nationalkonservativen Überzeugung, waren irgendwann immer mehr in irgendeinem Kontakt mit dem Widerstand oder hatten zumindest ein jüdisches Ehepaar versteckt, worüber den Kindern gegenüber noch geschwiegen wurde.  Es gab einen bürgerlichen Widerstand und mehr Antipathien gegen diese billigen Parteileute, als lange bekannt war und es ist die Mitte der Gesellschaft, die entscheidend die Stabilität tragen muss, deren Radikalisierung ist der Anfang des Problems und deren nichtberücksichtigte Ängste waren die Quelle der Spaltung der Gesellschaft. Daran sollten wir heute auch denken, wenn es darum geht, wie dieses Land künftig geeint werden soll.

 Es ist sicher auch das Verdienst von Marion Dönhoff und ihrem publizistischen Wirken gewesen, dass der Widerstand eine andere Rolle bekam, sich von der angeblichen Schande und dem Verrat befreien konnte, als den ihn der mörderische Richter Freisler inszeniert hatte. Erinnere mich noch, wie mein Großvater mütterlicherseits, der sicher kein Nazi war, sogar empört aufstand, wenn sich Parteigenossen ihrer Verdienste lobten, etwa am 9. November 1938, dem vielfältigen deutschen Datum an dem auch Goebbels seinen langen Weg nach Berlin begann, was schon als gefährlich auch galt, aber merke daran auch mein eigenes Bedürfnis nach Rechtfertigung und Erklärung. Zumindest das Bedürfnis nach einer Erklärung und Rechtfertigung führt weiter als die Ignoranz oder Verharmlosung der Geschichte und so gesehen ist bei großen Teilen zumindest die Sensibilität gewachsen.

Diese bürgerliche Welt beschreibt Bisky nicht als Teilnehmer sondern als bloßer Beobachter und verkennt darum wohl entscheidende Gründe für den Absturz der Weimarer Republik, wie es bisher scheint. Natürlich kennen alle die Geschichte vom Reichstagsbrand, wer auch immer nun wirklich dahinter steckte, er war ein Geschenk für alle Radikalen und die NSDAP wusste es zu nutzen, während die Kommunisten unklar blieben, lieber die SPD anklagten und als Gefahr beschworen, als die wirkliche Gefahr zu erkennen, die auch ihre Politik verursachte, weil sie Teil des Problems waren.

Tief in dieser bürgerlichen Welt verwurzelt aber ist Rudolf Borchardt, der als junger Protagonist aus seinem auch sexuellen Leben berichtet. Da geht er mit einer seiner Geliebten, die wievielte es auch an diesem Tag ist, mag dahinstehen - und der Leser staunt über die schier unendliche Potenz dieses jungen Mannes, der allerdings auch immer wieder wahren Wundern an Frau begegnet, die alle im nächsten Superlativ die Vorgängerin und alles dagewesene übertreffen,doch schafft Borchardt diese Reihe von Steigerungen immer noch liebevoll aussehen zu lassen, gibt auch der fünften oder sechsten Frau am Tag noch das Gefühl von Einmaligkeit, die nie austauschbar ist, was in Zeiten des Online-Dating und der großen Relativität eine hohe Kunst ist, die kaum einer noch wirklich versteht. Die austauschbaren Liebhaberinnen, die ihm auch zahlreiche Briefe, Telegramme, Nachrichten oder sogar Rohrpost, die schnelle Berliner Errungenschaft, zukommen lassen, um die Einmaligkeit des geteilten Momentes zu beschwören und um das nächste Date mit diesem standfesten jungen Herren zu bitten, der alles aufbietet, jeder zu genügen, sich aber zugleich mit seinem Gewissen plagt, das ihm jeden Tag mahnt, es bis auf eine oder zwei alles zu beenden, was mäßig gelingt - im Adlon Essen, wo seine Eltern kürzlich ihre Silberhochzeit gefeiert haben und Herr Adlon ihn persönlich begrüßt, weil Borchardts natürlich im Haus bekannt sind, was so ganz nebenbei ohne alle Eitelkeit einfließt.

Es ist mir diese Welt aus vielen Erzählungen auch der Großeltern gut vertraut, die wert darauf legten, dazu zu gehören, sich das auch, wie Borchardts nur eben diese auf deutlich höherem Niveau, etwas kosten ließen. Leisten konnte sich den Luxus, wer gut erbte oder fleißig war und gut verdiente. Es ist die Welt, in der selbstverständlich mit Hummerzangen und ähnlichem Werkzeug umgegangen wird, weil es diejenigen als dazugehörig eben auch qualifiziert - es ist, auch wenn Borchardt es wohl um die Zeit schrieb, als die NSDAP in Preußen kleine Zugewinne Ende der 20er Anfang der 30er machten konnte und der Autor längst in wechselnden Renaissance Palästen in Italien lebte und dem Duce seine Dante Übersetzung widmete, aber das nur ganz nebenbei, noch die Zeit des Kaiserreichs, in dem dieser bürgerlich ausschweifende Roman spiel, die Zeit des Zauberberg, wie der losen Sitten im Kaiserreich, der manchen Freund und Berater des Hofes in schlechter Presse untergehen ließ, dem Kaiser sehr nah kam.

Borchardt der nonchalant die Sprachen je nach Diskurspartnerin zwischen englisch, französisch, lateinisch und altgriechisch wechselt, tut dies mit großer Eleganz und malt neben den sexuellen Eskapaden, die aber immer für beide Seiten würdevoll beschrieben werden, nichts pathologisch erniedrigendes haben, wie es manche meinen haben zu müssen, um sich auszuleben, fern den eigenen Ressourcen - aber wem stünde es zu über die Lust anderer zu urteilen, erlaubt ist, was gefällt - ein wunderbares Sittengemälde seiner Zeit und vor allem eines der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Werte, die eben auch immer wieder eng mit Bildung und Wohltätigkeit verbunden sind. 

Der fleißige Student, zumindest fleißig in rasendem Tempo datende junge Mann bewegt sich auf dem Niveau seiner Klasse und spielt damit, während die Eltern kurzzeitig von der Sommerfrische am Wannsee zurückkehren, wo auch Liebermanns ihr Sommerhaus hatten, eine andere wohlhabende jüdische Familie, die aber stärker städtisch sozialisiert war. Der große Maler berlinerte zu gerne und konnte dies auch, wenn er aus seinem Haus direkt neben dem Brandenburger trat, während dies im reichen Westen schon weniger üblich nur noch war. Dort bemühten sie sich zumindest um Hochdeutsch und tun es bis heute, während im alten Berlin auch die alte Mundart eher kultiviert wurde, was bis heute hörbar ist. In Dahlem oder Lichterfelde etwa berlinerte kaum noch einer, während in Prenzlauer Berg oder den ärmeren Teilen der heutigen Mitte, es kaum einer nicht tat, was sich durch starken Zuzug relativierte, dennoch gilt die Pflege des proletarischen hier als Ausweis des Angekommenseins während es im goldenen Westen das feine Hochdeutsch war.

Es berlinert bei Borchhardt mal schlichtes Volk, eine Wirtin, die er abkanzelt und die dann hinter ihm und ihr her laut aus dem Fenster schimpft. Das ist nicht immer so und geht auch anders - Liebermann und Zille waren beredte Beispiele für die Verbindung von Hochkultur und Mundart, aber aus der Sicht des gerade erst eingemeindeten reichen Großbürgertums im Westen war der Dialekt eher etwas, was belächelt wurde.

Bin auch in dieser Hochsprachenarroganz aufgewachsen, wenn auch westlicher. Bei uns wurde natürlich kein Dialekt gesprochen, sehe ich von einigen norddeutschen Wendungen ab, die ich erst viel später entdeckte, oder dem Bochumer Tonfall meiner Großmutter väterlicherseits, den ich nie als solchen erkannte, weil wir ja natürlich Hochdeutsch sprachen und bei allen Streitigkeiten wahlweise der Brockhaus oder Meyers zu Rate gezogen wurden, um sich zu beweisen, wer Recht hat. Dieser Bildungsehrgeiz des gerade erst aufgestiegenen Bürgertums, der späteren Bildungsbürger, hatte für sie den klassenmäßigen Unterschied zum einfachen Volk gemacht, auch wenn es natürlich verpönt war, so etwas laut zu sagen oder auch nur zu denken. Das Beherrschen der Volkssprache des Plattdeutschen hilft dem alten Konsul Buddenbrook noch 1848 die Menge zu beruhigen und die Situation zu deeskalieren aber selbstverständlich wurde im Haus von Konsul Buddenbrook Hochdeutsch gesprochen oder französisch mal parliert.

Es sind feine kleine Beobachtungen, die zwischen den vielen Vögeleien dieses Rudolf auftauchen, die die untergehende Welt des Bürgertums feiern und noch einmal aufleben lassen. Er beschreibt damit zeitlos ein Berlin, was Jens Bisky offensichtlich weder wahrnehmen konnte noch wollte. Natürlich berichtete dieser ein wenig über die Sing-Akademie, die 1848 Parlament wurde aber nur am Rande und nebenbei über die bürgerliche Tradition dahinter. Dagegen bewegt sich Rudolf Borchardt als eben dieser in junger Gestalt zwanglos und selbstverständlich in dieser Welt, die einen großen Teil dessen trug, was Berliner Kultur wurde und was die bürgerliche Kultur in Deutschland war, die von der Hanse bis in die Gegenwart reicht. Warum das Gorki nicht Gorki und nicht in diesem Haus bleiben sollte, weil die andere, ältere Tradition für eine demokratische und bürgerliche Stadt viel wichtiger wäre, was sich in dem von den Erben der SED zu oft mitverwalteten Gemeinwesen schwer mit Vernunft durchsetzen läßt bisher, weil Linke wie Rechte schon immer gern lauter schreien als die bürgerliche Mitte, die so auf sich aufmerksam machen muss, es doch mit Stil und dezent versucht und dieser Gesellschaft leistet Borchardt mit seinem Roman einen besseren Dienst als Bisky Berlinmit seinem wirklich netten Buch.

Aber ich verirre mich schon wieder in einem meiner Lieblingsthemen mit erwartbaren Ergebnis, was zumindest für meine Konsequenz spricht, aber nichts über deren ethischen Inhalt verrät und gibt den Rändern mehr Bedeutung ihrer Lautstärke entsprechend, als sie tatsächlich haben sollten, egal an welcher Seite. Was Borchardts Schilderungen der sexuellen Phantasien und Erlebnisse eines jungen Mannes, dessen Potenz lange vor Viagra wirklich unersättlich ist, zu einem eleganten Sittenbild der bürgerlichen Gesellschaft macht, die es in Berlin eben auch gab, im goldenen Westen, aber nicht im sich bis heute gern rauh proletarisch gebenden Osten oder der Mitte. Der Osten zerstörte während der DDR die bürgerliche Kultur, beschimpfte sie als bourgeoise und erhob sich auch intellektuell über die wichtigsten Wurzeln städtischer Kultur, die bürgerliche Gesellschaft, weil Linke lange so tun konnten, als seien sie menschlich überlegen und die bürgerliche Gesellschaft eine Verwandte des Faschismus, die nur einen Moment den proletarischen Kommunismus mehr fürchtete als die nationalen Idioten aber dies mehrheitlich auch schon bald bitter bereute, auch wenn diese Narren leider verbreitete Vorurteile geschickt zu nutzen wussten, um der deutschen hässlichste Seite zu zeigen, den blinden Gehorsam, der auch unmenschlich präzise, zuverlässig und unkritisch funktioniert, Konzentrationslager so verlässlich baute wie Autos, die immer weiter liefen, was nicht umsonst ein lange beliebter Wolfsburger Werbespruch wurde, auch wenn diese damit fast den Anschluss an die Gegenwart verpassten, aber dies auszuführen, hieße sich nun wirklich verzetteln.

Es ist schön, beide Bücher parallel zu lesen und Bisky erzählt auf eine angenehm, plaudernde Art die Geschichte Berlins mit viel Wissen und schönen Details, auch wenn ihm der interne Blick auf das bürgerliche Berlin spürbar abgeht, bemüht er sich ansonsten sichtbar um eine relativ ausgewogene Position, die hier selten und also schon ein Verdienst ist. Borchardt hat nicht den Anspruch Kulturgeschichte zu schreiben in seinem Roman, will nirgendwo gerecht und ausgewogens sein, sondern liefert ein erotisches Skandalon, das die Familie lange zu veröffentlichen verhindern wollte, weil es eben ein internes Sittenbild der bürgerlichen Gesellschaft ist und ihrer ganz persönlichen Sitten, in dem sich jede gutbürgerliche Familie erkannt fühlen kann, auch wenn es 1907 spielt, hat sich daran bis in die Gegenwart wenig geändert, aber schreibt eine vollkommene Kulturgeschichte der besseren Berliner Gesellschaft und ihrer Gewohnheiten mit feinem internen Blick, beschreibt damit, was bei Biskys Blick auf Berlin fehlt und ergänzt ihn so, macht das Bild erst vollständig, indem es die Stützen der Gesellschaft einbezieht. Wie Borchardt dies aber tut und dabei nonchalant die Sexualität, über die dort höchstens hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird, lustvoll, scheinbar in den Mittelpunkt stellt, um sie dann doch nur als skandalöse Dekoration der großbürgerlichen Kulturgeschichte zu nutzen, hat eine großartige Eleganz, die bleibt, von der wir bis heute lernen können, in der Sex immer noch meist eine eher einseitige Angelegenheit für viele mit mehr oder weniger gutem Schauspiel war, was endlich zu ändern auch eines Mannes Lebensaufgabe genug sein könnte, läge es nicht an jedem selbst, sein Erleben zu genießen.

jens tuengerthal 30.7.20