Sonntag, 2. August 2020

Sexliebe

Sex und Liebe schienen mir die schönste Kombination, die denkbar und erlebbar ist und ich vertrat dies theoretisch voller Überzeugung so sehr, wie ich es praktisch lebte. Alles andere schien mir müßig und so fand ich den Sex mit Prostituierten, die wenigen male, die ich von Freunden ins Bordell eingeladen wurde, langweilig und uninteressant, weil das entscheidende Element des großen Gefühls fehlte. Unerfüllter Sex wies für mich darauf hin, dass emotional etwas nicht stimmen konnte. Manches ließ ich darum scheitern, dahingestellt, ob das vielleicht gut so war und zugleich schien mir eine sexuell erfüllte Beziehung als der Himmel auf Erden, auch wenn es natürlich nur eine, wenn auch wichtige, Nebensache in der Beziehung ist, war sie doch für mich der wichtigste Schlüssel zum Glück.

Als ich auf die Forschung zum nervus pudendus aufmerksam wurde und zu verstehen begann, dass große Teile des weiblichen Sexualorgans innerlich liegen, konzentrierte ich mich auf dieses Thema und das Wunderwerk der Natur, das sie sich mit der Klitoris und dem langen Nerv und Schwellkörper hinter ihr geschaffen hatte. Das war faszinierend, schützte aber dennoch nicht vor langer Täuschung und falschen Illusionen, denen ich mich voller Gefühl zu gerne hingab, in der Überzeugung, wo ich mit ganzem Herzen liebte, würde ich auch den großartigsten Sex erleben, was zwar emotional so schien aber körperlich schlichter Unsinn war, weil Sex und Liebe eigentlich nichts miteinander zu tun haben, es keine sexuelle Beziehung gibt.

Natürlich haben wir meistens mit jemandem Sex, mit dem wir in irgendeiner Beziehung stehen, wie immer wir diese heute auch nennen, aber über die Qualität des Sex und die Befriedigung, die dieser seiner Natur nach erstrebt, sagt dies nichts aus und damit hat es nichts zu tun. Sex kann partnerschaftlich und voller Bemühen um den anderen ablaufen, von Gefühl getragen sein und einem die Illusion geben, all dies geschähe nun aus Liebe. Tatsächlich hat das eine mit dem anderen aber nichts zu tun.

Das Streben nach Befriedigung ist ein rein egoistischer Vorgang. So es in seltenen Fällen gleichzeitig gelingt, war dies gutes timing und fühlt sich hinterher noch schöner an, hat aber mit der Nervenkontraktion, die als Gipfel des sexuellen Reizes ausgelöst wird, nichts zu tun. In diesem Moment sind wir ganz bei uns und müssen das auch sein, um Befriedigung zu finden, alles andere ist die postkoitale Illusion, die uns unsere soziale Erziehung und der Traum von Liebe eingibt. Lange gab ich mich der Illusion hin und lebte sie auch, erst durch die orgiastische Kontraktion der Frau zum Höhepunkt geführt zu werden, was nett und gemeinsam klingt aber eher ein dennoch als ein deshalb war. Beim Höhepunkt sind wir mit uns allein, kommen als kleine geile Egoisten und wenn nicht, haben wir keinen.

Darum gibt es keine sexuelle Beziehung zwischen Menschen sondern nur Menschen, die in einer sonstigen Beziehung stehen und sich zum Sex als egoistischen Vorgang, wenn er echt sein soll, zusammenfinden. Dieser ist gut, wenn er für beide befriedigend ist. Die Illusion, es wäre noch schöner, dem Partner Befriedigung zu schenken, ist eine emotionale Krücke, die nichts mit dem Sex an sich zu tun hat. Tue das aus emotionalen Gründen gerne, es ist mir eine Ehre und Freude gewesen, Frauen möglichst nachhaltig und häufig zu befriedigen, bis das Beben begann. Doch lebe ich dabei ein Gefühl aus, oder klammere mich an ein verloren geglaubtes Gefühl und habe keinen Sex, finde logisch selten oder nie Befriedigung dabei, um die es beim Sex als physischen Vorgang geht. Habe also keinen Sex per definitionem, liebe nur.

Somit habe ich von Liebe geblendet den Sex als natürlichen Vorgang emotional überlagert, meine natürlichen Bedürfnisse für die der jeweiligen sexuellen Partnerin zurückgestellt, weil ich ein guter Liebhaber sein wollte und vergaß darüber, was Sex der Natur nach ist, ließ ein Gefühl den physischen Vorgang mit erwartbaren Folgen ersetzen. Es ging mir nicht mehr darum, mich zu befriedigen, sondern Glück zu schenken. Dies bestätigt mir zumindest, das ich ein großer Liebender bin, ein guter Liebhaber wurde ich damit noch nicht, auch wenn sich selten eine beschwerte, fehlte mir der nötige Egoismus, der den Sex erst gut macht, weil er nach eigener Befriedigung sucht, die sich nur nebenbei aus nicht sexuellen Gründen noch um den Partner sorgt und wenn es zufällig passt.

Die Erkenntnis, dass Sex immer egoistisch bleibt und sein muss, wenn er funktionieren soll, hat etwas sehr befreiendes. Natürlich ist es emotional und sozial schön als emanzipierter Mann Frauen beglücken zu wollen und deren Befriedigung über die eigene zu stellen und ich fühlte mich dabei gut. So manche wusste, diese andere Art zu schätzen aber für mich wurde Sex zu einer sozialen Handlung, bei der meine Befriedigung immer uninteressanter war und deutlich gesagt, hatte ich damit eigentlich jahrelang keinen wirklichen Sex mehr, weil mich auch das wissenschaftliche Interesse am weiblichen Orgasmus, die unendliche Potenz der Frauen und anderes so sehr faszinierte, dass ich meine Befriedigung völlig zurückstellte und uninteressant fand.

Diese der Natur ferne Reaktion war praktisch natürlich kontraproduktiv und ich erinnere mich gut, wie abstrus ich es früher fand, wenn Frauen, die nicht dabei kamen, mir erzählten, es wäre ihnen nicht so wichtig, es ginge mehr um Zärtlichkeit und Nähe, wie ich daraufhin alles versuchte, dies zu ändern und ihnen zumindest auf verschiedenste Art manuell Befriedigung zu schenken, auch wenn ich frustriert war, dass dies nie zusammen gelang. Dennoch habe ich aus der idiotischen Überzeugung Sex verbunden mit Liebe sei das größte, eigentlich das gleiche gemacht, den triebhaften sexuellen Egoismus unterdrückt, um Frau Befriedigung zu schenken, was technisch relativ erfolgreich war, aber dennoch unbefriedigt ließ, impotent immer häufiger machte.

Die Betonung des Gefühls als Wertfaktor beim Sex machte es leichter, sich der Illusion hinzugeben, es sei alles gut und richtig so, dankbar zuckende Liebste im Arm, schienen den Weg zu bestätigen, der eine bloße Verkennung von Tatsachen war, in die Irre führte und mich vermutlich endgültig impotent gemacht hätte, wie Casanova im Alter klagte, würde nicht irgendwann das kritische Denken wieder einsetzen und die philosophische Lektüre half dabei.

Sex und Liebe sind zwei Dinge, die nicht vereinbar sind. Sie können gemeinsam auftreten und geben ein unvergleichlich schönes Gefühl, doch funktionieren sie nur unabhängig voneinander, wenn wir uns egoistisch um unsere Befriedigung bemühen, finden wir sie und wenn wir dabei noch aus Liebe oder auch mit schlechtem Gewissen noch an unseren Partner denken, kann es gegenseitig schön werden, was dann den Namen guter Sex erst verdient.

Die Vermischung von Liebe und Sex führt dagegen zu einer beidem abträglichen Reaktion, die nur Unzufriedenheit hinterlässt. Es ist nicht moralisch schlecht, die Dinge so zu genießen, wie sie sind. Sex als egoistischen Vorgang der nach Befriedigung strebt und Liebe als ein altruistisches Gefühl, was dem anderen gut will. Beides ist menschlich und gehört zu uns, es kommt nur auf das richtige Gleichgewicht an und alles zu seiner Zeit zuzulassen.

Spannend wäre noch, zu fragen, woher die ungesunde Vermischung kam, ob meine übertriebene Reaktion auch ein Produkt der me too Debatte ist, in der ich als Mann, der Frauen liebt und ihnen immer gut will, nicht als Egoist dastehen wollte, der sich in Frauen nur befriedigt, wie so viele meiner Geschlechtsgenossen es nach Aussage von zahlreicher meiner Liebhaberinnen bloß tun. Genau das Gegenteil war mein Ziel. Wollte Befriedigung und Glück schenken, meinen Egoismus zurückstellen, um zu zeigen, es geht auch ganz anders und ist viel schöner, was zwar eine sozial vielleicht noch anerkennenswerte Reaktion war, die von viel Gefühl getragen wurde, aber mit Sex und vor allem mit gutem Sex nichts zu tun hat.

Es gibt keine sexuelle Beziehung, Menschen tun sich nur zum Sex zusammen, weil die eigene Befriedigung so noch besser erreicht werden kann. Durch die damit teilweise verbundene Möglichkeit der Zeugung neuen Lebens und in Übereinstimmung mit der christlichen Doppelmoral wurde dem ganzen ein emotionaler Mantel umgehängt, der mit dem Vorgang an sich nichts zu tun hat, diesem eher abträglich ist, und so konsequent auch den für die meisten Frauen nach der Natur des nervus pudendus eigentlich befriedigenderen Analverkehr pönalisierte, woraus über Jahrhunderte die Mehrheit der Frauen den Sex unbefriedigt ertrug und ihre Hingabe als Ausdruck von Liebe sah. In den siebzigern wurde den Frauen dann eingeredet, es gäbe einen G-Punkt, den es physiologisch nicht gibt, es gibt nur die Stelle, an welcher der nervus pudendus bei einem geringen Prozentsatz der Frauen die Vagina, wenn angeschwollen und also erregt, berühren kann, wodurch diese beim vaginalen Verkehr Befriedigung erlangen konnten. Aber das waren immer wenige und der große Rest täuschte vor, damit ihre Begatter nicht enttäuscht waren, es so von ihnen erwartet wurde, vieles in der Sexuallität unausgesprochen bleibt und so zu seltsamem Verhalten führte.

Befreit festzustellen, selbst auf einem völligen Irrweg aus Liebe gelangt zu sein, die alles nur für die je Liebste wollte aber nicht an seine Natur und ihren Egoismus dachte, den es braucht, um zu funktionieren, sehe ich, wie wichtig es ist, unterschiedliche Dinge auch verschieden zu betrachten, nicht ungleiches miteinander zu vermengen. Sex ist dann gut, wenn er befriedigt und das erfordert eine gehörige Portion Egoismus dabei, auch wenn wir lernen uns diesen abzutrainieren, um sozial gut zu funktionieren, geliebt zu werden, hat dies langfristig nur zur Folge, dass beide irgendwie unbefriedigt bleiben und sich den Sex als natürlichen Vorgang auch sparen können, der auf die Erleichterung und Entspannung durch Befriedigung zielt.

Vermische nicht mehr Gefühl und Sex, sondern trenne es streng. Beim Sex bin ich ein nach Befriedigung strebendes Tier. Weil ich dennoch ein ganzer Mensch bin, zu dem auch seine Gefühle gehören, Frauen liebe und eine Erziehung genoss, die Frauen wert schätzt. halte ich das Tier ein wenig im Zaum oder bemühe mich zumindest auch um meine Partnerin, aber ich vermische nie wieder Gefühl und Sex, die nichts miteinander zu tun haben, auch wenn es geistige Nähe und Vertrauen erleichtern, sich auch in den Trieben fallen zu lassen.

So muss sich der Philosoph erst klar machen, was andere, ihrer Natur einfach folgend, bloß tun, weil es eben so ist, der Trieb zur Befriedigung drängt und das auch soll. Indem der egoistische Sex sein darf, wie er ist und das Gefühl dennoch bestehen darf, kann es, wenn es mal passt, guten Sex geben, alles übrige ist etwas anderes, vom Liebesdienst bis zur sozialen Dienstleistung für die Partnerin. Vielleicht wäre es leichter, mit der Natur glücklich zu werden, wenn wir sie nehmen, wie sie ist.

Bei einer meiner besonders innig geliebten Liebsten, hat es mich immer etwas enttäuscht gehabt, dass sie beim Orgasmus ganz bei sich war, nicht küsste oder umarmte, sondern sich auf mir befriedigte und völlig auf sich konzentrierte. Fand das befremdlich im Vergleich zu ihrer sonstigen emotionalen Anhänglichkeit, weil ich Liebe und Sex vermischte. Heute sage ich, sie hat es genau richtig gemacht. Sie hat sich für sich befriedigt und anders geht es ohnehin nicht, manchmal ist nur die Geilheit so groß, dass wir uns sogar beim Kommen noch der Illusion hingeben können, wir täten aus Liebe, was wir einfach aus körperlichen Bedürfnissen heraus tun. Von allem anderen zu schweigen, war zumindest diese Reaktion gut und gesund, meine Vermischung dagegen pathologisch und führte zum erwartbaren Ergebnis.

So musste ich erst fast fünfzig werden, eine wunderbare, bebende Liebhaberin haben, mit der ich keine Beziehung habe, um zu lernen, Sex ist egoistisch und hat mit Liebe nichts zu tun, was für meine Natur früher selbstverständlich war, auch wenn ich dabei, ob meines Egoismus beim Sex häufig ein schlechtes Gewissen hatte. Die Liebe macht das gemeinsame Erlebnis und Leben schön, trägt auch über verunglückten Sex mal hinweg, aber mit dem Sex an sich hat sie nichts zu tun, weil Liebe altruistisch ist, während das Streben nach Befriedigung logisch egoistisch bleibt. So hätte ich aus lauter Liebe lange beinahe meine Potenz verspielt, die sich ansonsten noch ziemlich unersättlich anfühlt, weil ich Frauen, gut tun wollte, sie liebe und ein wunderbarer Liebhaber sein wollte, der sein Bestes dafür aufgab was ein ziemlich idiotisches Geschenk wäre. 

Wie schön ist es, noch im fortgeschrittenen Alter durch philosophische Lektüre unter anderem von Michel de Montaigne und Alain de Bottons Über die Liebe wieder zu erkennen, wie gut doch die Natur eingerichtet ist und wie idiotisch es ist, sich als Mensch über sie hinwegsetzen zu wollen, was nur krank machen kann. Sex als egoistisches Streben nach Befriedigung und Liebe als altruistisches Schenken wollen, können sich gut ergänzen und zu wunderbarster Harmonie führen, ihre Vermischung ist Murks und nur Ausdruck von Impotenz, zu der sie auch führt und so ist es manchmal gut das Gute zu überwinden, um zu sich zu finden und am Ende mit allem und allen glücklicher sein zu können.

jens tuengerthal 2.8.20

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