Montag, 29. November 2021

Lesergefühl

Lesergefühl

Wie lese ich Bücher und nehme so
Wahr was in ihnen steckt dachte ich
Heute bei der Lektüre von Keyserling
Immer wieder bei der von Benjamin
Auch beim Vorlesen des Zauberbergs
Gerade wieder voller Liebe dabei
Merke wie es sich plötzlich verändert
Worte eine andere Bedeutung haben
Als Eduard v. Keyserlings Vater starb
Er dazu nach wildem Studentenleben
Ins heimatliche Schloss fährt um noch
Letzte Worte unter vier Augen mit ihm
Zu wechseln vor denen er sich fürchtete
Nach der Strafe wegen seiner Prügelei
Völlig betrunken im Bordell worüber der
Vater nur verständnisvoll lachen konnte
Wie vor dem Geständnis neuer Schulden
Was er nonchalant weglächelte zwischen
Zwei Hustenanfällen die ihn dann bald
Das Leben nahmen las ich es anders
Als vor zehn Jahren noch nachdem ich
Den eigenen Vater schon reanimieren
Durfte durch kräftige Schläge aufs Herz
Der Tod der über achtzig Jahre Eltern
Zwar hoffentlich noch fern liegt aber
Irgendwie doch spürbar näher rückt
Als Teil unserer eben immer Natur
Sie schon ihre Dinge ordnen auch
Hat sich meine Wahrnehmung dieser
Lektüre vollständig verwandelt sogar
Wenn der Tod mir schon früh nah kam
Weiß nicht wie viele Patienten ich seit
Dem 18. Lebensjahr auch sterbend
Bis zum Ende begleitet habe was an
Toten aus Straßen und Gräben einst
Schon geborgen wurde doch bleibt
Das Ende der anderen auch für die
Eigene Wahrnehmung fremder als
Der Tod der eigenen Eltern wie das
Eigenes immer näher daran rücken
Auf dem Weg der Natur auch wenn
Dieser mich noch immer nichts angeht
So ging mir dieses Gespräch unter
Männern das Klaus Modick sehr
Einfühlsam schilderte was mich an
Gespräche mit meinem Großvater
Vor seinem Tod Anfang der neunziger
Auch erinnerte auch wenn der Alte
Graf von Keyserling in Kurland
Ein Gutsherr und damit Landwirt
Seinen begabten Sohn nie verstand
Näher als je zuvor weil auch ich dies
Jahr wieder überlege ob ich es wage
Die Eltern an Weihnachten zu besuchen
Nicht ihr Leben unnötig zu riskieren
Was seltsam anders das Leben macht
Es geht um Gefühle des miteinanders
Die verpasste Nähe wie die Suche
Nach dem was bleibt die mich auch
Als Autor ständig umtreibt auf der
Suche nach der verlorenen Zeit
Lächelnd Proust dazu zitierend
Den ich heute auch anders lese
Als vor 28 Jahre als ich mit la
Recherche begann die eben ihre
Zeit braucht wie Thomas Manns
Joseph und seine Brüder der über
35 Jahre im Regal auf mich warteten
Bis ich es lieben lernte als eines
Der genialsten wie ironischsten Bücher
Das ich je gelesen habe weil er die
Biblische Welt so menschlich neu
Komponierte im gleichen Ton der
Alten Schriften dort menschelt so
Wachse ich mit Büchern aber spüre
Auch wie deren Wahrnehmung sich
Mit den Jahren weiter verändert wie
Ein Rilke zwar lyrisch genial bleibt
Aber in immer mehr fragwürdig wird
Auf menschlicher Ebene dagegen
Ohne an Genie zu verlieren was aber
Den Wert dieses Worts relativiert
Hesse etwa las ich mit 17 bis 19 noch
Relativ begeistert doch schien mir
Immer mehr nett oder fragwürdig ohne
Bleibenden literarischen Wert von
Seiner meist schlechten Poesie lieber
Ganz zu schweigen wie ich Marquez
Sehr früh mit Begeisterung noch las
Heute eher ganz nett nur finde in
Südamerikanischer Männlichkeit die
Sich auf sich zuerst konzentriert wie
Bei aller Freude am phantastischen
Realismus ein wenig eher langweilt
Oder Meister Montaigne dessen so
Großartige Essays ich teilweise nun
Zum wiederholten male lesen weil
Sein Geist so umfassend schön ist
Manches sich mir erst jetzt erschließt
Aber bevor ich mit Beispielen nun ins
Unendliche der Bibliothek mich verliere
Enden diese Verse um mehr Zeit zum
Lesen noch zu finden im schönsten
Lesemonat November der doch die
Innenwelten glänzen lässt in seinem
Feuchten Berliner grau ohne eine
Perspektive im Nebel als Bücher

jens tuengerthal 29.11.21

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