Freitag, 5. Juni 2020

Troubardourliteraturen

Wieder mit Reinhard Blomert in Adam Smiths Reise nach Frankreich aus der Anderen Bibliothek unterwegs gewesen und von Paris nach Toulouse gefahren, dabei, auf dem Hinweg noch das eine oder andere über die Gegend und ihre Kultur erfahren, die berühmt ist für ihre guten Weine - aus dem Languedoc kommen einige der besten Weine Frankreichs, die ich persönlich sogar häufig den schwereren Bordeauxs vorziehe. 

Dieser kleine historische Ausflug in den Südwesten Frankreichs, hat mich wiederum dazu verführt ein wenig über die im Buch erwähnten Katharer, ihre Kultur und vor allem über die mit ihnen in Verbindung gebrachte Kultur der Troubadoure nachzulesen, die den Auftakt der europäischen Liebeslyrik bilden und was läge einem auch Dichter näher, als auf deren Spuren zu wandeln, sich zwischen den Verweisen um sie zu verlieren,um dabei neue Welten zu entdecken vom heimischen Diwan aus, auch wenn ich noch gerne daran denke, wie ich einst 1996, nach dem 1. Staatsexamen mit der damals Liebsten auch durch diese Gegend des wunderbaren Frankreichs fuhr noch nicht ahnend, welche Spuren mir spätere Lektüre offenbaren würde.

Troubadoure oder Trobadore, wie es ursprünglich im okzitanischen hieß, sind die Dichter, Komponisten und Sänger einer besonderen Form der Lyrik, die erstmals in okzitanischer Sprache verfasst wurde, also der vor Ort in Occitanien gesprochenen, das Teile Frankreichs, Spaniens und Italiens umfasste. Sie sangen und dichteten im 12. und 13. Jahrhundert und als ihr erster großer Dichter gilt Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien. Dieser Wilhelm oder Guilhem, wie die Franzosen ihn nennen, wurde auch der doppelgesichtige Troubadour genannt, weil er einerseits feinsinnige höfische Dichtung schrieb, andererseits auch Verfasser derber, teils vulgärer und stark sexuell geprägter Lieder ist, was wieder zeigt, der gute Dichter, wie sein Nachfahre, ist am besten auf allen Gebieten zuhause und stets mit Hand und Kopf bei der Sache. Dabei brachte er erstmals das Ideal der höfischen Liebe in seine später gültige Form.

Wilhelm ist auch der Großvater von Eleonore von Aquitanien, die später zur Königin der Troubadoure wurde und sowohl Königin von Frankreich wie von England war und damit ist der Herzog auch Urgroßvater von Richard Löwenherz, den das Leben viel umtrieb, wie die Liebe, der darum auch als Troubadour-König gilt und der eine zeitlang unfreiwillig in der Pfalz als verbrachte. Eleonore ist die Enkelin der noch ehelichen Tochter einer späteren Geliebten ihres Großvaters, der für diese, die Gefährliche genannte, sogar seine Frau verstieß, was ihm reichlich Ärger mit der Kirche einbrachte. Seine Urenkelin Marie de Champagne, die der Ehe Eleonores mit Ludwig VII. entstammt, wurde auch Literatur Mäzenin und förderte an ihrem Hof die Entstehung der berühmten höfischen Romane, wo etwa die Geschichte um die Ritter der Tafelrunde erdacht wurde, welcher die abendländische Epik seit dem Hochmittelalter stark beeinflusste. Die Literatur liegt bei ihm also mit weiten Folgen in der Familie. 

Selbst gilt Wilhelm als Autor der elf Lieder eines Chansonniers, die in einer wunderbar illuminierten altprovenzalischen Liederhandschrift veröffentlicht wurden und bis heute erhalten blieben. Er führte in seinem Leben einige Kriege in wechselnden Bündnissen unter anderem gegen die Mauren und um Toulouse, das er am Ende seines Lebens dann doch verlor und war lange Zeit einer der größten Landbesitzer Frankreichs, besaß mehr als König Philipp II. etwa, riskierte für die Liebe und die Lust sein Leben und ist durch seine Dichtung wie seine derben Lieder unsterblich geworden. Ein wirklich großer Dichter, welcher der Erinnerung würdig und mit seinem Leben den idealen Stoff für einen Roman oder dessen Verfilmung mitbringt. Er wird in einer anonymen Vida als größter Dichter und Frauenverführer seiner Zeit beschrieben, der es so gut verstand zu dichten, wie die Frauen zu betrügen.

Hierbei stellt sich dem Dichter die Frage, ob der Herzog wirklich ein Betrüger war oder nicht schlicht der Minne auch Leben einhauchte, wie es sein Nachfahre Henry IV. als König von Navarra, wie später als Herrscher von Frankreich auch tat, über den gemunkelt wird, er hätte mehr Untertanen gezeugt als jeder andere König Europas. Soll die Minne nur graue Theorie im höfischen Spiel bleiben, was manche heutige Wissenschaftler schon weltfremd als religiöses Ritual umdeuten, mit dem sich die verfolgten Katharer noch in ihrem Dienst für die Jungfrau Maria äußerten, was den meisten Troubadouren vermutlich so fern lag wie Herzog Wilhelm nachweislich, der im lustvollen Leben bewies, wie sehr sich schöne Dichtung mit echter Lust vereinen lassen, dass gute Dichtung eben auch von schönen Musen lebt.

Ein Beispiel seiner freien Dichtung, die ihm heute als sicher zugeschrieben wird, sind die 11 cansons, die hier zitiert sein und die für sich sprechen:

Gefährten, ich werde ein schicklich' Lied dichten
Gefährten, ich kann nicht verhindern, dass ich mich erschrecke
Gefährten, ich habe so viele Enttäuschungen gehabt
Ich werde ein Lied über gar nichts dichten
Ich werde ein Lied dichten, da ich schläfrig bin
Ich möchte, dass alle wissen
Da sehen wir es von neuem blühen
Ich werde ein neues Lied dichten
Große Freude ergreift mich, wenn ich liebe
Mit der Milde der neuen Jahreszeit
Da mir die Lust gekommen ist, zu singen

Doch Wilhelm schämte sich auch nicht in anderen seiner derberen Lieder mit seiner Potenz zu prahlen, seine Geliebten mit Stuten zu vergleichen, die er leider nicht beide sich zusammen halten könnte, da die eine die andere nicht erträgt. Ob es die Potenz steigert oder eher schwächt mehrere wechselnde Geliebte zu haben, ist bis heute umstritten, denke wahre feinsinnige Kunst liegt in der Konzentration und über den Rest schweigt der Edelmann lieber, zumal mehrere auf einmal meist eher sportlich im Ergebnis sind denn erfüllend, wie die Erfahrung lehrt, aber vermutlich wird jede Generation diese Erfahrung wieder von neuem machen müssen und im Ausschweifen die Bestätigung suchen, bis sie entdeckt, dass nicht Vielfalt sondern Einmaligkeit dauerhaft größtes Glück bringt, was in der Beliebigkeit schnell verschwimmt.

Für die Dichtung und die Minne insbesondere aber bringen wechselnde Musen stete Inspiration und ob die Huldigung der einen und einzigen den vielen, die dies Glück nie erfahren, wirklich zusammen zu kommen, dauerhaft reizvoll erscheinen kann, ist eine andere Frage, vermute aus Erfahrung eher, es langweilt die meisten, weil die Menschen Aufregung erleben wollen und so lebt die Minne mit den immer gleichen Spielchen und ewigen Versprechen bis zum heutigen Tag fort, auch wenn sich der Wortlaut ein wenig geändert hat, die Dichtung weniger reimt als freien Ausdruck eher sucht, dem Gefühl seinen Lauf zu lassen, wird es im Kern um das gleiche gehen wie im Mittelalter auch und wie es weit vorher schon das Hohelied der Bibel voll Freude auch an der Lust besang.

Die berühmten Verse, ein Lied über gar nichts zu machen, gehören zur dunklen oder hermetischen provenzalischen Lyrik, deren Verständnis sich nicht einfach erschließt:
 
Ich werde ein Lied über rein gar nichts machen:
Weder über mich noch über andere,
Weder über die Liebe noch über die Jugend,
Noch über anderes,
Ich habe es im Schlaf gedichtet
Auf einem Pferd.

Es drückt das Lebensgefühl des freien Edelmanns aus, wie es später auch Michel de Montaigne oder vor ihm noch Cyrano de Bergerac so treffend ausdrücken konnten.

In diese Richtung noch stärker geht es in canso V. in dem er beschreibt, wie er es mit zwei Frauen treibt, wörtlich dichtet, dass er sie einundertachtundachtzig mal “gefickt habe”, bis ihm fast das Zaumzeug brach, nachdem sie ihn vorher mit einem Kater auf die Probe gestellt hatten, er aber sicher nicht sagen könne, welche Erschöpfung ihn bei Tagesanbruch befiel. 

Geheimnisvoller und dezenter dichtete er dagegen in der VII. canso in einem höfischen Lied, in dem er die Sehnsucht stärker auf die Natur überträgt:

Da wir es von neuem erblühen sehen,
Wiesen und Obstgärten ergrünen wieder,
Flüsse und Brunnen erglänzen,
Lüfte und Winde,
Ein jeder möge ich sich der Lust erfreuen
Die er genießen will.

So war Wilhelm IX. Herzog von Aquitanien ein lustvoller und geistvoller Genießer, der das Leben in seiner ganzen Schönheit zu würdigen wusste und seine Kultur damit vielfältig prägte. Finde ihn weniger doppelgesichtig als einen ganzen Menschen, der in vielen Bereichen präsent, auch der Lust Ausdruck zu geben weiß, was bis heute die hohe Kunst der Minne bleibt, denn schlicht zu vögeln, ist ein mechanischer Vorgang, den jeder nach der Natur beherrschen lernen kann, es nur so zu nennen schnell billig, aber den Sex zu einem Dienst an der Kultur zu erheben, aus ihm ihn Versform Kunst zu machen, ob ganz direkt oder lieber verborgen in höfischer Manier, zeichnet den wahren Genießer aus, der nicht nur über unbekannte Gefilde dichtet, sondern sich mit des Lebens ganzer Fülle auch in Versen gern ineinander ergießt, um so erfüllt das schöne Leben miteinander zu genießen.

Die deutsche Minnelyrik und ihre Sänger werden für gewöhnlich nicht zu den Troubadouren gezählt, während die einst Trouvère aus Nordfrankreich heute auch Troubadoure genannt werden, die durch das Comic Asterix und Obelix und den dortigen meist unglücklichen Barden Troubadix noch eine neue Berühmtheit erhielten.

Spannend war neben dem zuerst Ausflug ins Reich der frühen Dichtung, die von Lust und Liebe nur so strotzt, auch die nebenbei Beschäftigung mit den Katharern, die vor allem in Occitanien eine starke Bewegung bildeten, die bis in höchste Kreise reichte, weite Teile Europas ergriff.

Die Katharer sahen sich als Basisbewegung, die auf Armut und einfaches Leben größten Wert legen, nannten sich darum die Reinen und gelten als die größte und radikalste heterodoxe Strömung im mittelalterlichen Christentum. Wir würden sie heute antikapitalistisch nennen und erstaunlich viele Slogans der heutigen Zeit, tauchen auch schon bei dieser Bewegung im 12. bis 14. Jahrhundert auf. Manche nennen sie auch nach der südfranzösischen Stadt Albi, wo sie ihren Anfang nahmen und ein großes Zentrum hatten, Albigenser und entsprechend hieß die große gegen sie gerichtete militärische Maßnahme der Kirche auch Albigenserkreuzzug, der dazu führte, dass die Region erstmal dem französischen König unterstellt wurde, auch wenn es noch lange dauern sollte und scharfe Mittel der Inquisition brauchte, bis der Widerstand wirklich gebrochen war, die Katharer wirklich verschwanden.

Später wurde Navarra auch zu einem Zentrum der Hugenotten und ihr König Henry, wurde erst für die französische Krone katholisch, aber das ist eine andere Geschichte, die bei der Bewegung der Katharer noch keine Rolle spielte, auch wenn die Reformationsbewegung ähnliche Mängel beklagte wie die Albigenser. Diese Laien und Armutsbewegung, die auch auf den sonst von den Kirchenoberen Zehnten verzichtete, hatte sich schnell weit verbreitet und sowohl das Materielle wie die Sexualität und Fortpflanzung als Unrein zurückgewiesen, was nicht wirklich zum Stil der Troubadoure passte, warum die These einer versteckten Marienverehrung auch relativ absurd erscheint aber was findet sich im Aberglauben nicht alles und braucht keinerlei vernünftiger Begründung wie schon die gestern erwähnte seltsame Geschichte von Adam und Eva belegt.

Das antikapitalistische Element als Gegenbewegung zur beginnenden Geld und Warenwirtschaft verbunden mit einer dualistischen Bibelauslegung, die jener der Bogomilen ähnelte, begeisterte viele Menschen, die sich vor dem neuen fürchteten und einfache Antworten suchten und fanden. Die Kirche versuchte erst den friedlichen Weg der Verhandlung, in dem sie Zisterziensermönche schickten, die nach einem gemeinsamen Weg suchen sollten - als einer von diesen ermordet wurde, kam es zum Kreuzzug auf den folgend über hundert Jahre verschiedene kleiner Gefechte an Rückzugsorten geführt wurden aber auch noch einige Gläubige und Bischöfe der Katharer verbrannt wurden. Der Umgang mit Andersgläubigen war dem heutiger Islamisten nicht unähnlich.

Spannend war, dass diese Bewegung auch Frauen gleichberechtigt zum Diakonat zuließ, was Rom bis heute nicht geschafft hat, dennoch viele Menschen nicht daran hindert, dieser Sekte weiterhin hinterherzulaufen, wohl auch weil sie eine lange Tradition hat - aber es sollten sich die Atheisten nicht über das Glaubensglück der anderen äußern, solange sie niemand stören und das französische Modell des Laizismus in Europa herrschend bleibt, möge jeder nach seiner Fasson selig werden, ermahne ich mich selbst dabei ein wenig zur preußischen Toleranz. Es war eben eine mittelalterliche Sekte, die antikapitalistische Slogans, die nur noch nicht so hießen mit einer freien Spiritualität verbanden, die Frauen relativ gleichberechtigt behandelten für die Zeit, denn, auch wenn sie nicht Bischöfe werden durften, waren sie zu sakralen Handlungen fähig und spielten eine wichtige Rolle.

Heute suchen wieder dem Nationalismus nahestehende Menschen die Tradition aufleben zu lassen, die schon die Nazis begeistert hatte, was Alfred Rosenberg dazu brachte, diese als Nachfahren der Westgoten zu sehen, sie als germanische Kämpfer gegen römische Priestermacht zu Vorbildern zu ernennen. Verschiedene populär geschiebene Romane haben für ein breites Interesse an der Region gesorgt, wobei die verbliebenen Burgen und der gute Wein des Languedoc ein übriges tun, den Besuch attraktiv zu machen. Unter den Neo-Katharern gibt es eine Gruppe, die mit dieser nationalen Religion Occitaniens eine Abspaltung des Languedoc von Frankreich erreichen wollen, andere sind den Neonazis zuzurechnen, all diese Gruppen sind eher mit Vorsicht zu genießen und im heutigen Europa schwer integrierbar. Die einzige Region Europas in der noch Occitanisch eine offizielle Sprache ist, blieb bis heute Katalonien, das sich ständig von Madrid unterdrückt fühlt, aber auch das ist eine andere Geschichte, die hier zu weit führte, erwähnenswert am Ende dazu nur, dass Herzog Wilhelm IX. sein Bündnis mit dem König von Aragon für ein Bündnis mit dem Grafen von Barcelona einem Raimond Berengar III. aufkündigte - der Zusammenhalt der Bewohner dieser Region ist bis heute erhalten geblieben, erklärt den Aufstand der sich trotz vieler Zugeständnisse unterdrückt fühlenden Katalanen und Basken auf der anderen Seite - die Bewohner des ehemaligen Königreichs Navarra und der Umgebung halten sich schon lange für etwas ganz besonderes, wie dies auch die Friesen und Franken in Deutschland gerne tun, ohne dass dies hier größere Auswirkungen hätte.

Über die Tradition der Troubadoure mehr nachzudenken, mit der Kunst zu spielen, die Dichtung an die Hand gibt, um die Verführung jenseits schlichter Mechanik zu einem ästhetischen Glück zu machen, könnte im Zeitalter des virtuellen Dating einen ganz neuen Zauber entfalten und wo dieser nicht wirkt, ist alles übrige keines weiteren Gedankens wert - so lebt die Minne, wie die Kunst der Troubadoure im deutschen hieß, auch im digitalen Zeitalter fort und ist doch nie anderes gewesen als der Zauber der Worte, die uns beben lassen.

jens tuengerthal 5.6.20

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