Montag, 1. Juni 2020

Müggelliteratouren

Am Pfingstsonntag bei schönstem Wetter auf den Spuren des Friedrishagener Dichterkreises zum Müggelsee in schöner Begleitung gefahren, was die Preußenliteratour von Freitag zumindest personell noch fortsetzte und in die Gegenwart wie nach Berlin trug.

Mit S-Bahn und Regionalbahn ging es nach mehrfachem Umsteigen aufgrund der mal wieder Baustellen über Erkner nach Rahnsdorf, wo wir noch maskiert die Bahn verließen und in Richtung Wald aufbrachen, den großen Müggelsee zu umrunden bevor wir uns der Dichtung dort widmen wollten.

Ein wunderbarer Weg durch den Wald, mit Laternen, die, wie so vieles in der östlichen Provinz, auch wenn sie sich Berlin nennt, ihre Herkunft aus der DDR nicht verleugnen konnten, wo sie nicht an schönere vorherige Zeiten erinnert, führte kerzengerade parallel zur Straße gen Rahnsdorf, wo wir nach einem Marsch an mehr oder weniger schöne Villen im märkischen Sand vorbei, das alte Fischerdorf erreichten, wie nach kleinem Umweg die von der BVG betriebene Fährtstation.

Die Ruderfähre überquerte mit nur jeweils vier Personen die hier schmale Müggelspree und wir hatten bei ihrem Eintreffen schon überlegt, wie lange wir dort wohl noch warten müssten, bis wir schließlich an der Reihe wären, dabei aber glücklicherweise entspannt im Halbschatten auf einer Bank sitzend. Mit Monatskarte konnten wir, die nach der bloßen Ruderfähre von gegenüber eintreffende, Personenfähre maskiert nutzen. Die Zahl der Maskierten dort verhielt sich umgekehrt proportional zu Alter und Risiko der Beteiligten - will sagen, je älter desto doller und weniger vorsichtig waren die Mitfahrenden, dahingestellt, was nun normal wäre, ob mehr Vorsicht oder Nachsicht hier geboten wäre, jeweils von hinten oder vorne, was ein weites Feld der Betrachtung wohl eröffnet.

Kaum hatten wir das andere Ufer ein wenig oberhalb erreicht, nun quasi gegenüber von Entenwall und Dreibock, wie die kleinen Inselchen zwischen Müggelspree und Müggelsee ihrer Bewohner vermutlich und ihrer Form wegen genannt wurden, beschlossen wir auf guten Vorschlag meiner schönen Begleitung das Speiserestaurant mit Garten Terrasse Neu Helgoland zu besuchen, was schon namentlich an unserer beider norddeutsche Heimat erinnerte. Wir nahmen die Plätze nach Neigung ein, sie lieber gut eingecremt in der Sonne, ich bevorzugte weder eingecremt noch mit so geschlossen, gelocktem Haupthaar versehen, den Schattenplatz, ihr gegenüber, auch wenn dieser schon inhaltlich natürlich einer an der Sonne war.

Platziert wurden wir, nachdem wir Namen und Telefonnummer als Corona-Abwehrmaßnahme beim nicht maskierten Empfangskomitee hinter dem spürbaren antifaschistischen Schutzwall schriftlich hinterlassen hatten, von einer Dame in den besten Jahren mit blondierter Frisur und am Hals sichtbar schwarzer Unterwäsche, die allerdings die Neugierde auf weitere Nachforschungen diesbezüglich in überschaubaren Grenzen hielt. Die Terrasse war gut gefüllt mit Bootsausflüglern, privilegierten Stammkunden und sonstigem Publikum der östlichen Randbezirke, was manche wohl bildungsferner aber zumindest nicht unbedingt bürgerlich nennen würde, was sich relativ gut dressiert verhielt, ohne dass ich sie des korrekten Corona-Abstandes wegen genauer ins Auge nehmen konnte.

Kaum saßen wir, kam die Bedienung und fragte, was wir trinken sollten, worauf wir im anfängerhaften Leichtsinn - wir waren ja das erste mal an dieser Seite der Müggelspree gelandet und hatten auch noch keinen der berüchtigten Tanztees im Neu-Helgoland besucht, zu dem viele der mittelgroßen oder gernegroßen der Schlagerbranche wohl aufspielen, wie wir bei unserem Abgang an einschlägigen Plakaten erkennen konnten, die den Eingang dekorierten aber wir zwei waren ja quasi von hinten gekommen, also vom Fähranleger aus, was die Unwissenheit vielleicht entschuldigen kann - den Bedienenden zunächst um die Karte baten. Die Quittung war, wir erhielten unsere Soljanka umgehend und das mitbestellte Radler, nachdem wir die Suppe bis zum letzten ausgelöffelt hatten, den schon Flüssigkeitsmangel auszugleichen. Zumindest konnte keiner sagen, wir wären nicht vorher gefragt worden und so nahmen wir die bei solch ungewöhnlichem Bestellverhalten wohl übliche Trennkost gelassen hin und gossen das mit Limonade verdünnte endlich Bier auf die im Bauch ruhende Suppe. Dafür waren wir im wilden Osten, saßen direkt auf der Terrasse am Seeufer und bekamen noch kostenlos den Charme der untergegangenen DDR mitgeliefert, machten also quasi auch eine Zeitreise.

Am Seeufer entlang ging es durch den Wald, der nur von einem kleinen Sandstrand unterbrochen wurde, auf dem sich kleinstädtisches Publikum der de facto immer noch Großstadt Berlin, zu der dieser See samt Umgebung gehört, seiner Art entsprechend sonnte. Es ist nicht nur durch viele Natur eine völlig andere Welt als Prenzlauer Berg oder Mitte, Bäume gibt es ja bei uns auch, zumindest den einen oder anderen, vor allem unterscheiden sich die Menschen, ihre Kleider und ihr Gebaren völlig vom sich gern für großstädtisch haltenden gen Zentrum. Landbevölkerung eben, vielfach auch übergewichtig, mit bunter Tinte teilweise entstellt oder aus ihrer Sicht vermutlich verziert, Kinder heißen vielfach Kevin und werden so auch laut gerufen, was dem ganzen eine eher akulturelle Atmosphäre gibt und daran erinnert, dass diese Menschen in ihrem Kulturkonsum auf die Angebote des privaten Fernsehens meist beschränkt sind, so viele Bücher wie Donald Trump in ihrem spannenden Leben lasen und die Zahl der auf ihren Bauch bereits gekommenen Biere gerne vor sich her tragen.

Aber dieses ostzonale Publikum, was den arroganten Großstädtern eher peinlich erscheint, tauchte nur wenige male geballt auf, am aufgeschütteten Strand, an einer Anlegestelle vor Plattenbauten mit lärmenden Buden wie vor und nach dem Spreetunnel - ansonsten war die Natur wirklich schön, es zeigten sich auch gelegentlich eher großstädtisch kultiviert wirkende Menschen, an romantischen Buchten mit schicken Fahrrädern, was für den Anblick der Landbevölkerung, die hier eben heimisch ist, trotz wunderschöner Umgebung oder vielleicht auch wegen, wieder entschädigte, vor allem war meine schöne Begleitung in jeder Hinsicht so ein Kontrapunkt zu den Eingeborenen, dass nichts mich nachhaltig stören konnte.

Nach Unterquerung der Spree durch den gekachelten und graffitiversifften Tunnel, der einen echten Berlin-Flair zumindest gab, kurz nach 16 km im dort Müggelpark pausiert, der erwartungsgemäß mit ähnlichem Publikum vom Stamme der östlichen Provinz begeisterte, was die Vorstellung des hier einmal Dichterkreises noch ferner liegen ließ, eher an Haialarm am Müggelsee erinnerte oder noch niedrigschwelligere eben Unterhaltung der arbeitenden Klasse. Was sich ladungsweise mit ankommenden Schiffen wieder bestätigte - aber, und das sei hier betont, nicht mißverstanden zu werden, wir wissen um die theoretisch hohe Lesekultur der DDR und das Bemühen einiger Personen auch im Arbeiter und Bauernstaat Hochkultur zu pflegen mit auch literarisch mehr als bemerkenswerten Ergebnissen, auch aus dem LSD Dreieck um den Helmholtzplatz, es gab auch die andere Seite - um den Müggelsee ist sie nur eben nicht so wirklich sichtbar, das ist das Lebensgefühl von Freizeitpark und was Goethe noch liebevoll Volkes wahren Himmel nannte.

Auf der Suche nach dem Antiquariat, mit dem das Museum des Friedrichshagener Dichterkreises verbunden ist, machten wir uns schließlich auf den Weg Richtung S-Bahn, um auch sonstige abendliche Termine der Großstadt noch entspannt erreichen zu können, auch wenn natürlich wenig je an den Müggelsee heranreichen könnte. Davor pausierten wir noch einmal wie ursprünglich geplant vor einem kleinen, für die Lage relativ feinen Bistro, das sich, sehen wir vom bestaunenswerten Umfang der Bedienung einmal ab, auch in Mitte oder angrenzenden Bergen befinden könnte, genossen Gemüse-Quiche und Apfelstrudel zu Tee mit Latte ohne Milch und Kaffee mit richtiger Milch ohne mich, direkt an der verkehrsarmen Hauptstraße.

Was hatte bekannte Dichter und Geister der Zeit wie Lou Andreas-Salome, Else Lasker-Schüler, Gerhard Hauptmann, Max Dauthendey; Knut Hamsun oder die Dehmels sich hierher verirren lassen?

Faszinierte den Kreis von Naturalisten das Provinzielle oder die schönen Häuser aus preußischen Zeiten, als sie noch im Kaiserreich dort ihren Naturalismus zu pflegen begannen, angeblich bohémehaft lebten und lebensreformerische Ziele verfolgten, also vermutlich ab 1890 wie später erst auf dem Mont Verita im Tessin, hier nahe der Müggelberge, was natürlich schon sprachlich im Vergleich etwas peinlich klingt, aber das ist halt Berlin, freie Liebe prakatizierten, was eher technisch als erotisch ist, damit aber dem meist Ergebnis der Sexsuche in Kommunen gut entspricht, oder gar nackt badeten. Der Gedanke befremdete viele dort wohl heute wie damals oder ist es eher so, dass den Autor der Gedanke freier Liebe mit diesem Publikum abstrus schien, was längst pornogeschult und nacktrasiert fast professionell vögen wird?

Zumindest hatten wir am anderen Ufer noch einen Fotografen gesehen, der im Halbschatten einer beschilften Bucht mitten im Wald der Müggelseeküste eine nackte Nymphe mit Arschgeweih, wie es unter brandenburgischen weiblichen Eingeborenen weiter verbreitet ist, als je schön war, zu fotografieren versuchte, ein zumindest entfernt kulturelles Ereignis wohl, auch wenn noch am anderen Ufer von Friedrichshagen. Den Kurven und Rundungen nach aus knapp 15m Entfernung oberflächlich geurteilt, kein gänzlich unästhetischer Anblick, trotz der tintesken Entstellung, aber wer wollte sich in vollkommener Natur und in Begleitung einer Dame mit solchen Oberflächlichkeiten bemalter Mädchen beschäftigen? 

Zumindest zeigte die als Natur schöne Umgebung, dass sich in ihr auch ästhetische Reize auf vielerlei Art entfalten konnten, was ja schon irgendwie nett ist, im tieferen Sinne der Bedeutung. Im übrigen hat der Autor genug nackte junge Damen gesehen und ohne jedes Talent dafür selbst fotografiert, als dass er hier pausiert hätte und die inhaltlich wertvolleren Bestandteile der Welt dafür noch eimal vernachlässigen würde, zumal immer noch in Gegenwart einer Dame, sich solches ohnehin ohne Worte verbietet.. So zog auch dieses einzige kleine kulturelle Ereignis spurlos vorbei.

Das Antiquariat fand sich, am Pfingstsonntag natürlich geschlossen, in einer Parallelstraße der Friedrichshagener Flaniermeile, gleiches galt für das daran angebundene Museum - zumindest hat sich der Dichter davor von einer seiner Musen, der zugleich schönen Dame seiner Begleitung, fotografieren lassen, die in der provinziellen Umgebung völlig konkurrenzlos blieb, und die fraglichen Schilder als kulturellen Mehrwert abgelichtet und auf den heimischen Berg gebracht, der über Umwege noch vor 20 h wieder erreicht wurde. Vielleicht gibt es eines Tages, etwa nach dem Besuch des Museums, noch mehr zu diesem Dichterkreis voll prominenter Schreiberlinge zu erzählen, falls es gute Gründe gibt, sich wieder in die östliche Provinz, mit schöner Landschaft, die seltsam genug, noch Berlin ist, zu verirren. Bis dahin war es da an Kultur aus und Literatour in südlicher Provinz des Hauptdorfs

jens tuengerthal 31.5.20

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