Lange nach langer Nacht mit viel Rotwein davor heute auf den Spuren des Blutes im Nahen-Osten lesend unterwegs gewesen. Zunächst mit Thomas Manns Joseph und seine Brüder, sodann mit Christina von Brauns Blutsbande über Verwandtschaft als Kulturgeschichte auch vom biblischen Palästina bis ins europäische Mittelalter und am Ende sogar bis in die Neuzeit gewandert.
Mit Thomas Manns biblischer Verwandtschaftsgeschichte, tue ich mich lesend immer noch schwer. Er schreibt mit genialem Humor, der immer wieder an überraschenden Stellen zwischen den Zeilen auftaucht, wie ich ihn bei Mann so liebe und mit der für ihn so typischen unangestrengten Eleganz, aber er imitiert eben auch den nervigen Verkündigungston der Bibel, die eben kein bloßes Geschichtswerk ist, sondern für viele Menschen bis in die Gegenwart eine Quelle von Wahrheit und Wundern, über die sich jeder vernünftige Mensch nur wundern kann, wie schon Montaigne in seinen Essays wunderbar frech bemerkt, die eben genau weil sie verwunderlich und unglaublich sind, als Wunder gelten, womit der Grad des Unsinns nicht mehr über die Glaubhaftigkeit sondern nur über die Größe des Wunders entscheidet, was einem vernünftig, kritisch denkenden Menschen nicht wirklich verständlich zu machen ist. Je unsinniger etwas scheint, desto größer sei die Präsenz Gottes darin zu sehen. Musste eben glauben oder nicht.
Die Geschichte von Esau und Jakob, wie der eine Bruder sich durch einen ziemlich miesen Trick und in Zusammenarbeit mit der Mutter auf fragwürdige Art das Recht der Erstgeburt sichert, dabei den anderen ehrlichen Jäger wie den blinden Vater Isaak schlicht betrügt, wird schön erzählt und auch wenn Mann sich konsequent an den biblischen Ton hält, bis auf kleine Bemerkungen, die den inneren Abstand aufzeigen, alles übrige fast als Glosse in der äußeren Form einer Verkündung erscheinen lässt, genügte schon die Art der Schilderung, zu zeigen, wie wenig er von dieser fragwürdigen Heiligkeit hält.
Wie geschickt andererseits mischt Thomas Mann dabei die christlich patriarchale Linie mit der jüdisch matriarchalen, in dem er letztlich die Mütter die Geschicke durch gut inszenierten Betrug wunschgemäß führen lässt, was, wären wir hier bei Christina von Braun und ihrer kulturgeschichtlichen Betrachtung auch der Verhältnisse der Geschlechter, wohl fragen ließe, ob das natürlich vernünftigere, der matriarchalen Linien der Verwandtschaft, auf das sich die Juden teilweise auch erst nach dem brutalen Einbruch der christlichen Sekte auf ihrem Gebiet einließen und das einen neuen Zusammenhalt brachte nach der rabbinischen Lehre, weil die Mutter eben immer eher sicher ist, wie es im Grundsatz mater semper certa est, seinen Ausdruck fand, während Väter, bevor es wissenschaftliche Vaterschaftstests gab, immer unsicher waren, also auf Glaube und dem symbolischen Akt der grundsätzlichen Anerkennung etwa durch Heirat nur beruhten.
Dieser Betrug mit Tierfellen und verstellter Stimme, die nicht unbemerkt bleibt, aber aufgrund gefälschter Anzeichen nicht für ausschlaggebend gehalten wird, wiederholt, was Mann schon vorher zur Zwillingsgeburt von Esau und Jakob schrieb, wo der feinere, höflichere Jakob, dem drängenden, viehischen Esau den Vortritt ließ, was sich auch in den Gestalten widerspiegelt. Wie nah der noch fast vollständig behaarte Esau hier dem Herikat aus dem Gilgamesch Epos vor seiner Rasur kommt, hat viel Größe und einen wunderbaren Humor, dem biblischen Tonfall zum Trotz. Denke dabei an die mehrwöchige Lehre bei einer Hure in die Herikat kaum Mensch geworden geht, frage mich, wie das in die Bibel integrierbar wäre, wie heilig unsere triebhafte Natur wem wäre von denen, die sie am liebsten keusch verleugneten, sich in Entsagung übten, die Gottesmutter zur Jungfrau werden ließen.
Auch wenn sich Thomas Mann hüten würde, den Vergleich mit Heinrich hierbei zu suchen, es zumindest je auszusprechen, nach dem mühsam wiederhergestellten Frieden nach dem ersten großen Krieg in dem die Bekenntnisse eines Unpolitischen, die beiden so ähnlich verschiedenen Brüder bis zum Tod der Mutter entzweiten, aber wer sieht nicht darin auch die schlichtere politische Prosa Heinrichs gegenüber der eleganten von Thomas, aber so ist eben manch symbolisches Ereignis ein typischer Spiegel der Verhältnisse, wie sie unter uns Menschen immer wieder nicht völlig unähnlich auftauchen. Mann muss nicht über seine Familie sprechen und tut es doch stets, wie vermutlich jeder, der aus einer stammt und den sie prägte, außer er möchte gern ganz anders sein, wie es Heinrich immer wieder versuchte, womit wir von Joseph inhaltlich schon fast bei den Blutsbanden der klugen Christina von Braun sind.
Vermutlich sollte ich den Josephsroman mehr wie die Ilias oder die Edda lesen, als einen alten Sagenband und dessen Wahrheitsanspruch wie bei den Reisen des Odysseus nur lächelnd betrachten. Dessen höchster Gipfel im Christentum wohl die Befruchtung Mariens und die Göttlichkeit des Menschen Jesus ist, der eins mit Gott und dem Heiligen Geist sein soll. Diese Geschichte ist keinem vernünftig denkenden Nichtchristen verständlich zu machen und auch wenn die mittelalterliche Malerei teilweise versuchte diese Beseelung mit einem Strahl ins Ohr Mariens darzustellen, weil eine Befruchtung mit Glied und Vagina ja unkeusch, vor allem unrein, nicht heliig und unbefleckt genug wäre, realistischer oder glaubwürdiger wurde es damit nicht.
Doch sind wir mit dieser ganz zentralen Erzählung auch schon bei den Fragen angekommen, mit denen sich die Blutsbande in der heutigen Lektüre auseinandersetzen. Dabei ging es um die Notwendigkeit der Enthaltsamkeit als christliches Ideal und wie dies konsequent über den Kult der Jungfräulichkeit zu geistigen Abstammungslinien führte, die schon Jesus nach dem Wortlaut der Bibel favorisierte, indem er Brüder und Schwestern alle nannte, die sich zum gleichen Vater bekennen.
Dazu führt von Braun langsam an die Entwicklung heran, warum sie so wichtig war für die von der Kirche gewollten Machtstrukturen und wieviel sie dafür änderte und viel später zur Dogmatik machte, wie eben die Jungfräulichkeit Mariens, über deren Reinheit und wie sie trotz voriger paradiesischer Erbsünde überhaupt unbefleckt sein könnte. Manche und dies blieb bis in die Gegenwart vielerorts herrschend, sehen die Frau nur als hohles Gefäß, das nur durch den ihr eingesetzten Geist gereinigt und damit geheiligt würde. Damit reinigte Jesus seine Mutter, nahm die Erbsünde von ihr und ließ sie zur heiligen Jungfrau werden.
Im Christentum entwickelte sich konsequent eine Linie der tabuisierten Sexualität, die dem Judentum noch völlig fremd war und ist, im Gegenteil gehört der vollzogene Beischlaf zu den Pflichten des Sabbat. Warum mit diesem seltsamen Menschenbild eine Sekte herrschend werden konnte, scheint immer noch sehr seltsam und wieso das in vielem ähnliche und aus den gleichen Wurzeln stammende Judentum hier einen ganz anderen Weg ging, wäre näherer Betrachtung noch wert.
Das Christentum, das den von den Juden noch erwarteten Messias schon mit dem gekreuzigten Rabbi aus dem Stamme Davids gehabt zu haben glaubt, hat manch offensichtliche Unstimmigkeiten, die keiner kritischen Betrachtung standhielten und die eben nur als Wunder geglaubt werden können oder nicht. Darum rührt die Reinheit Mariens, die von der Erbsünde durch den göttlichen Strahl, der sie wohl auch befruchtete, ob nun vaginal oder durchs Ohr, bedarf hier keiner weiteren Erörterung, es geht ja schließlich nur um Glaube nicht um ernsthafte Fragen der Naturwissenschaft, auch wenn dieser lange so gelebt wurde und teilweise von manchen noch so zelebriert wird, als seien die alten Sagen die letzten Wahrheiten, es immer noch Menschen gibt, die den biblischen Unsinn der Kreation als vermeintlich vernünftige Lehre verbreiten, die doch nur ein hartnäckiger Aberglaube ist, der sich Kreationismus nennt und an viele alte Irrwege erinnert.
Ob es heute noch klug sein kann, sich an solche Wunder zu halten, wo wir den Prozess der Zeugung genau kennen, Jesus als historische Gestalt betrachten können, die es möglicherweise gab, was immer diese mit den ihm später angedichteten Geschichten zu tun hatte, ob der hippieartige Prediger der Liebe, der nur seine Religion, das Judentum, reformieren wollte, wirklich je für Enthaltsamkeit war oder an die Jungfräulichkeit seiner leiblichen Mutter glaubte, Erfahrungen mit Sex überhaupt machte in seinen 33 Lebensjahren, mag dahinstehen, wenn wir es mit Mascha Kaleko betrachten, wie sie es in der letzten Strophe ihres Gedichtes Rezept beschreibt:
Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Es ist ein weiter Weg von der Wundergläubigkeit des Mittelalters, zur Herrschaft der Vernunft gewesen, die mit der Aufklärung spätestens, aber eigentlich schon mit der Renaissance ihren Anfang nahm - einer, der noch viele Opfer unterwegs forderte, von der Hexenverbrennung über die Macht der Inquisition, den Dreißigjährigen Krieg bis zu den religiösen Massakern unserer Tage und ganz zu schweigen von den an Moralvorstellungen zerbrochenen Leben und Lieben. Ob es angesicht all dieser Opfer noch vertretbar sein kann, den Wunderglauben als unschuldige Schrulle eben gläubiger Menschen zu betrachten, den wir klug nennen können oder uns eher dies von Kaleko so treffend bedichtete Paradoxon, die Wunder lächelnd betrachten lässt, ist eine Frage, die vielleicht weiter führt, als die Auseinandersetzungen mit Aberglaube und seinen absurden Wandlungen.
Menschen finden Trost im Glauben, er hilft ihnen, ihre Ängste zu verjagen und im absurden Alltag zu bestehen, das natürlich sinnlose Leben mit all seinen Verzweiflungen weiterzuführen, statt sich nüchtern für das Nichts zu entscheiden, wofür es vernünftig betrachtet häufig mehr Gründe geben kann, als die Unwiderruflichkeit dieser Entscheidung zu verhindern wüsste. So mag der so lange und so oft tödliche Glaube für viele die wichtigste Krücke im Alltag sein, ob sie nun beten oder ihr vermeintliches Schicksal an absurde Vorhersagen und eben Wunder knüpfen, die damit seltsam genug heilsamer sein können als die nüchterne Vernunft, die dem kritisch denkenden Menschen natürlich sagt, dass dies alles Unsinn ist, auch biblische Gestalten eben menschlich sind, wie sie Thomas Mann so treffend in all ihrem Leiden und ihrer peinlichen Neigung zum Selbstbetrug beschreibt, ihrer natürlichen Eitelkeit aber auch ihrer Fähigkeit zu verzeihen, womit wir fast schon bei der Liebe sind, die das Blut, das manche verbindet, zusammenhält.
Befrage ich mich radikalen Atheisten, der Diderot, Holbach und seinen Freunden geistig näher steht als der Bibel je, aber aus familiärer Tradition in dem absurden Verein bleibt, an was ich glaube und was mich weiterleben lässt, wäre die Antwort immer die Liebe und der Traum von der großen Liebe, die kommt um zu bleiben, auch wenn die Praxis mich längst eines besseren belehrte, selbiges eher einem Wunder gliche, als einer realistischen Erwartung zur Gestaltung der Zukunft, alle Vernunft dagegen spricht, noch einmal auf dieses gefährliche Pferd zu setzen, was mich schon so häufig in die größten Mißhelligkeiten meines Lebens brachte, sehen wir von dem einen tödlichen Fahrradunfall ab, der schlicht meiner manchmal Blindheit geschuldet war, aber geistig keine längeren Auswirkungen hatte, konnte dies Gefühl, an dessen selig machende Wirkung ich immer noch glaube, mich schon so viele Monate und Jahre meines Lebens völlig lähmen, dass kein vernünftiger Mensch dies je nachvollziehen könnte, mich immer wieder völlig unfrei machen und am Leben verzweifeln lassen, sogar mich so sehr quälen, dass die härtesten Entsagungsrituale harmlos verglichen scheinen, andererseits aber in kurzen glücklichen Momenten so viel schenken, dass ich für einen Moment erfüllter Liebe alles gäbe. So gesehen bin ich also ein unbelehrbarer Gläubiger der Liebe, auch wenn ich mir sicher bin, dass diese nur Ergebnis einer bio-chemischen und neuronalen Reaktion ist, nichts als Natur also, die uns auch beim Sex, dieser eigentlich nüchtern betrachtet, absurden gymnastischen Übung antreibt und sie für das tollste halten lässt, auch wenn ich in dieser Zeit die wunderbarsten Bücher in Ruhe lesen könnte, beschäftigte mich nicht der Wahnsinn der Liebe so lange. Nach Grundsätzen der Effektivität betrachtet wäre Onanie immer das bessere Mittel, warum sie auch vom Glauben so streng gebannt werden musste, denn ohne Wirksamkeit der Verbote und unter mit sich zufriedenen Menschen, braucht es keine absurden Wunder mehr.
Als Gläubiger halte ich zwar die Liebe für kein Wunder, dichte ihr auch keine absurde Wesenheit an, sehe sie als Teil unserer Natur, ein gut erdachtes Mittel, die Fortpflanzung, die natürlich gewollt ist, attraktiv erscheinen zu lassen, verstehe welche psychischen Elemente uns dabei motivieren und mache mich dennoch zu ihrem völligen Sklaven gerne und immer wieder, als wäre ich nicht vernünftig und lernfähig, was uns menschlichen Wesen ja sonst gerne nachgesagt wird, auch wenn die Liebe und ihre Auswirkung viele Gründe zu zweifeln geben,
Sich davon relativ fern halten, wie Kant es vorbildlich tat, der auch gleich auf das Reisen ganz verzichtete und damit zum großen Vorbild unserer Zeit wurde, wenn all die gehetzten Idioten ihr Handeln einmal vernünftig kritisch betrachteten und nicht nur Trends, Moden und dem Verhalten der anderen hinterher liefen, könnte ein gelassener Weg zum Glück sein, bei dem ich in meinem Bücherturm lesend lebte und nichts mich wirklich tangierte, wie oft schrieb ich genau das schon herbei - fraglich dabei nur, ob ein solches Sein noch meines wäre, ich damit zwar ausgeglichen aber nie erfüllt und glücklich wäre, warum ich vermutlich lieber nochmal in die tödlichen Untiefen vermeintlich großer Liebe sprünge, als vernünftig auf sie zu verzichten und mir dabei vorzugaukeln, dass ich doch mit guten Büchern und Ruhe alles hätte, was mich glücklich macht, obwohl ich genau weiß und erspüre, ohne große Gefühle bleibt wenig Leben übrig und von mir nichts und also enthalte ich mich jeden Urteils nun und künftig über albernen Glauben an Wunder oder den Wert vernünftiger moralischer Grundsätze und frage mich vielmehr, ob die konsequente Inkonsequenz vielleicht die menschlichste aller Eigenschaften ist und was sich daraus für die Zukunft und den Umgang mit Kant lernen lässt, der vom Umgang mit Liebe und Frauen praktisch keine Ahnung hatte, was manches oder für mich manchmal alles natürlich relativiert.
So hat die heutige Lektüre, wie gute Bücher es so gerne tun, mich wieder auf ziemlichen Umwegen zu mir gebracht und damit im Abwegigen ihr Ziel erreicht und auch wenn das noch nicht dauerhaft zufrieden macht, die Frage nach dem immer richtigen Weg nun offener als je ist, vor allem die nach dem was nun, hat es die Toleranz gegenüber dem Glauben gestärkt, eigene Beschränktheit offenbart und auch die praktischen Grenzen meines sonst Hausgottes Kant aufgedeckt. Um das cui bono kümmere ich mich nach der nächsten Lektüre, zufrieden wie weit ich nur auf dem Diwan nach durchzechter Nacht heute noch durch die Welt gekommen bin durch disziplinierte und neugierige Lektüre, was mehr sollte ich wollen?
jens tuengerthal 12.6.20
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