Dienstag, 9. Juni 2020

Bauliteratouren


Mal wieder ein Essay von Joachim Fest gelesen, nach der wunderbaren Lektüre von Adam Smiths Reise nach Frankreich, der inzwischen in Paris ankam, dem natürlich Hauptziel der Reise und dort in den Salons der Aufklärung verkehrt aber dazu in den nächsten Tagen mehr, wenn ich über alle Salons, die er besuchte las - heute möchte ich den Gedanken von Fests Versuch über die Geburt der Hässlichkeit folgen, weil sie ein spannendes Bild einer Zeit im Umbruch entwerfen, auch wenn sie mittlerweile schon vor 13 Jahren veröffentlicht wurden, bleiben die Gedanken des verstorbenen Herausgebers der FAZ und klugen Essayisten spannend und wichtig.

Die Hässlichkeit wurde Fest zufolge im 19. Jahrhundert geboren mit der Industrialisierung der Kunst und fand deutlichen Ausdruck im überbordenden Wilhelminismus, wofür übrigens der Berliner Dom ein wirklich herausragendes Beispiel völlig misslungener Baukunst ist, die das Weltkulturerbe Museumsinsel empfindlich stört, die Bauten großer Architekten mit unproportioniert protziger Hässlichkeit, die nur eine Kuppel größer als der Petersdom wollte, auf plumpe Art in den Schatten stellt, wie sie dem auch sonst minderbegabten Wilhelm II. so ganz entsprach. Diesen spricht Fest nicht ausdrücklich an, lästert nur über den Wilhelminismmus, das tat dafür Franz Hessel in seinem Flaneur in Berlin, dem ich zu gerne dabei folge, weil diese Kirche der Inbegriff von geschmackloser Häßlichkeit in einem wunderbaren Ensemble ist und das Protzertum des unklaren Wilhelminismus so wunderbar ausdrückt, einer der unpassendsten Bauten Berlins ist, auch wenn der grauenvolle Alexanderplatz, der trotz viel Fassadenkitt noch immer beredter Ausdruck des totalitären und beschränkten Denken des real existierenden Sozialismus der DDR ist und eine ähnlich grau kalte Stimmung verbreitet, wie sie jenseits uniformierter Paraden vielfach herrschte.

Doch wirft Fest es dem Leser nicht so schnell an den Kopf, wie ich es hier der Überraschung wegen, die Aufmerksamkeit erringt, sogleich tat, auch wenn manche meiner Leserinnen diese Abneigung meinerseits schon kennen werden. Es kann nicht oft genug gesagt werden, wie fehl am Platz dieser Bau ist auch neben dem bald vollendeten Humboldtforum, dass die alte Schlossfassade rekonstruierte und sich damit wunderbar in das Ensemble der Insel einpasst, dahingestellt, ob es ein Armutszeugnis der neueren Architektur ist, keine Formensprache gefunden zu haben, die dort besser hinpasste, als die Rekonstruktion eines noch von klassischer Formensprache geprägten Schlosses, sie hatten ja keine Wahl und ich bin sehr froh darüber, bis auf eine Seite, die schlicht kubisch anmutet, was einseitig noch erträglich ist. Der Autor leitet es vielmehr langsam mit dem Blick auf die klassische Formensprache der Antike und das alte Handwerk her.

Seltsamerweise nimmt Fest aber die Malerei der Romantik von seinem Verdammungsurteil aus - mal einige Schinkels und Caspar David Friedrichs ausgenommen, würde ich gerade da längst den grausamen Kitschverdacht hegen, der besagt, die entsprechenden Werke seien schlicht belanglos und nett, insbesondere bei den Nazarenern fällt es mir schwer, nicht wegzusehen von diesem peinlichen Versuch von Romtouristen ihren mittelalterlichen Katholizismus zu zelebrieren, beginnt für mich in vielem schon hier die Hässlichkeit, allerdings noch vorindustriell und handwerklich - Gebrauchskunst zur Dekoration wurden sie erst einige Jahre später - geschaffen wurden sie mit Überzeugung, ob sie mir nun gefallen oder nicht und denke an Moritz von Schwind und andere, fiele mir wenig ein, was mir gefiele. Die Antiaufklärung Romantik bleibt eine peinliche Epoche in vielerlei Hinsicht.

Die letzte große und einheitliche Epoche, die alle Bereiche der Kunst erfasste, nennt Fest den Klassizismus, danach wäre alles nur noch Stückwerk geworden aber nicht mehr umfassend, so auch beim Jugendstil, der in verschiedenen Ländern auch völlig unterschiedlich benannt wurde und differente Formen entwickelte. Dieser nahm wiederum die klaren Formen der Antike auf und nannte sie vollkommen, wie auch schon die Renaissance dem Ideal dieser Zeit nachstrebte, was zumindest bis zum Biedermaier auch noch für das Kunsthandwerk gesagt werden konnte, was danach vielfältig zerfaserte, von den unsäglichen deutschtümelnden Anleihen ans Mittelalter lieber ganz zu schweigen.

Sicher gibt es noch hin und wieder Treffer im Design oder in der Architektur,  Bauten Liebeskind etwa und auch manche Versuche aus der Bauhausschule sind zu ästhetischen Klassikern geworden, doch sollte die Frage erlaubt sein, ob das Bauhaus nicht völlig überhöht wird, dessen Schuhkastenformen inzwischen die ganze Welt bedecken und meist verschandeln, weil was einmal gut und nett gedacht war, in Masse nicht wirklich besser wird, eher im Gegenteil und dagegen die Altbauten der Gründerzeit trotz kitschigem Stuck wohltuend warm dem Auge erscheinen.

Natürlich weiß ich, vor welchen Bauten von van der Velde ich aaah und oooh sagen muss und wie schick doch die Einrichtung war, die er für Harry Kessler entwarf. Als Einzelstücke im gut sanierten Altbau gerne auch das eine oder andere Bauhaus-Designer Stück aber die Einheitlichkeit der Baukastenfassaden, die ganze Viertel dieses Planeten mit schlichten geraden Linien bedecken, lassen schon am ästhetischen Sinn dieser zeitweise Schule zweifeln, der mehr Trotz als echte ästhetische Entwicklung war.

Halte noch mehr als Fest nur andeutet, das Bauhaus zumindest in der Architektur für überschätzt und finde die Orientierung an schlichten Formen der Antike oder Klassik immer vielversprechender, auch wenn sich eine Altbauwohnung mit Kamin und Stuckdecke natürlich plüschig neben der klaren Architektur einer Palladio Villa ausnimmt, die immer ästhetisches Vorbild über die Generationen bleibt, wie ein ideales Landhaus auszusehen hätte, ich aber gerne auch im Altbau mit Kamin und Stuckdecke wohnte, lieber zumindest als in den klaren Linien eines Bauhaus Kastens, auch wenn eine Wagenfeld Lampe schick aussehen kann, zöge ich immer die Bibliotheksleuchte für mich vor und scheine damit nicht mehr ein belächeltes Einzelexemplar zu sein, sondern auch die Formensprache der Architektur, so konstatiert Fest und ich neige zur vorsichtigen Zustimmung, findet wieder zu klassischen Formen zurück, statt sich in ewig wiederholten Schuhkästen darstellen zu wollen.

Ob wer seine Zeit verstehen will, zurückschauen muss, gegenwärtig noch präsent zu sein, ist eine das Essay umrahmende Floskel, die Fest aber zu dem aus meiner Sicht sehr interessanten Schluss führt, dass es vielleicht nicht mehr den radikalen Bruch mit der Vergangenheit braucht, wie so viele auch nervige Epochen der Moderne lang, die dies mit ausschweifender Hässlichkeit zelebrierte, sondern es vielmehr ein Bemühen braucht, die Erinnerung den Bedingungen der Gegenwart anzupassen, um versöhnt mit dem zu leben, was Schönheit ausmacht und was wir seit der klassischen Epoche Griechenlands kennen können, vom goldenen Schnitt bis zur klaren Form - wir müssen die Welt nicht neu erfinden sondern lieber achtsam mit der Geschichte leben, womit ich nicht meine, dass wir nun die Bausünden der Baukastenepoche und ihren rostenden Beton als Kunstwerk heilig sprechen sollten, sondern weniger Furcht vor klassischen Formen haben sollten.

jens tuengerthal 9.6.20

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