Mittwoch, 24. Juni 2020

Blutreinheit

Gibt es reineres Blut und woher kommt diese Idee, die manche Menschen bis heute umtreibt?

Die Abgrenzung von anderen zur Verhinderung der Durchmischung kam über die Religionen auf und wurde zuerst in einem religiösen Zusammenhang verstanden. Das Christentum mit seiner Unterscheidung von gutem und bösem Blut, also dem der Opfer und Heiligen, gegenüber dem natürlichen Blut oder dem Regelblut, was mit der als unrein verstandenen weiblichen Sexualität in Verbindung gebracht wurde, legte die Basis für das, was im 19. Jahrhundert dann zu einem vermeintlich biologischen Rassismus wurde, der meinte Menschen nach dem Blut ihrer Abstammung unterscheiden zu können und dabei noch Aberglaube und Natur leichtfertig mischte, um so bestimmte Gruppen aus der Gemeinschaft der Guten zu verbannen, wie zugleich auch Rassismus zu begründen, der dann die Sklaverei rechtfertigte, weil bestimmte Gruppen minderwertig wären. Seinen Gipfel fand diese wirre Lehre ohne jede vernünftige wissenschaftliche Basis, auch wenn sie sich gern den ideologischen Anschein gab, in der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt keine menschlichen Rassen und die unterstellten Unterscheidungen im Wesen und Charakter danach sind ideologischer Aberglaube. Ob wir dabei als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommen, wie viel im Charakter Prägung und was Veranlagung ist, wäre eine andere Frage, die hier zu stellen, zu weit führte, bei der Suche nach den Gründen der Idee vom reinen Blut nicht weiterführt.

Die erste Unterscheidung kam schon im Laterankonzil von 1215 auf, das die Juden zur Kennzeichnung durch eine Kleiderordnung verpflichtete, um so die Vermischung zu verhindern. Es gab Judenviertel in den Städten und Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden auf unterschiedliche Weise aufgefordert, sich öffentlich zu kennzeichnen. Dazu dienten Judenhüte, Sterne und andere Zeichen. Mit Blut wurde es erst nach der sogenannten Befreiung Spaniens, der Reconquista, welche nach dem Sieg über die Muslime und deren Vertreibung aus Spanien 1492, auch die Vertreibung der dortigen Juden brachte.

Die jüdischen Bewohner Spaniens, die schon mit den Römern nach Spanien gekommen waren und länger dort lebten als die sich auf die Goten oder andere Vorfahren berufenden vorgeblich reinen Spanier, wurden nach dem Sieg von Grenada im Januar 1492, vor die Wahl gestellt, ob sie zum Christentum konvertieren oder das Land verlassen wollten und über 100.000 Juden verließen damals Spanien. Gegen die Konvertiten aber entwickelte sich ein großes Mißtrauen in Spanien, was schließlich zum Erlass der Statuten über die Reinheit des Blutes führte, nach denen, wer keine über mehrere Generationen reichende christliche Abstammung aufweisen konnte, von allen öffentlichen Ämtern und Privilegien ausgeschlossen war.

Infolge emigrierten auch die Vorfahren von Michel de Montaigne nach Frankreich und konnten sich dort ohne weitere Verfolgung erfolgreich etablieren, mit Michels Großvater so reich werden, dass sie ein Rittergut erwerben konnten wie einen Titel, der zur Steuerfreiheit führte. Aus dieser Familie wurden Teile Hugenotten und andere blieben wie Montaigne katholisch. Montaigne konnte in Frankreich Ämter bekleiden etwa als Bürgermeister von Bordeaux - auffällig aber ist die große Toleranz des Michel de Montaigne nicht nur gegenüber Andersgläubigen sondern auch bei Eingeborenen aus den Kolonien, die er als Menschen behandelt wissen wollte. So empfahl er mehr von ihnen zu lernen, als sich irgend überlegen zu dünken. Ob sich hier der Geist des toleranteren maurischen Spaniens seiner Vorfahren noch zeigte oder die Vernunft eines Menschen der im Geist der Renaissance erzogen wurde, der viele Texte römischer und griechischer Dichter las, mag ich nicht entscheiden, vermutlich spielt beides eine Rolle. Es war zumindest ungewöhnlich für die Zeit der Glaubenskriege und so gab Michel als Berater der Könige auch ein wenig den Nathan, dem es eher auf das ankam, was Menschen, egal welchen Glaubens, taten, als welchen Ring sie trugen aber dieser Ausflug in die Renaissance führt ein wenig weg vom Thema, soll nur zeigen, wie ein großer Geist, der nur ein Jahrhundert nach der Reconquista seine großen Werke schrieb, schon erkannte, worauf es im Miteinander der Menschen ankam und wie absurd diese staatliche Intoleranz in Spanien war, auch schon zu ihrer Zeit für alle kritisch denkenden Menschen, was von Glaubenskämpfern selten behauptet werden kann.

Mit den Statuten über die Reinheit des Blutes wurde im Rahmen der Bildung einer neuen Nation auch die einheitliche Sprache zum Merkmal der Identifikation. Spanien erhob das kastilische zur nationalen Sprache und setzte dies, gegen Widerstand von Basken und Katalanen bis heute, durch. In Deutschland wurde diese Sprachbildung und Vereinheitlichung durch die Reformation und die Lutherbibel vorangetrieben also zu ähnlicher Zeit. Aber auch Herder setzte sich für die Reinheit der deutschen Sprache ein und Arndt definierte das deutsche Vaterland als den Ort, an dem die deutsche Zunge erklingt. Dies fand sich später in der deutschen Nationalhymne wieder, die Hoffmann von Fallersleben einst  auf Helgoland dichtete, getrieben von dem Wunsch das nach der Niederlage gegen Napoleon zerschlagene alte Reich zu reanimieren und richtete sich gegen die Kleinstaaterei auf deutschem Boden.

Der Nachweis einer reinen Blutlinie wurde in Spanien, das lange von Mauren dominiert wurde, für viele schwierig, stattdessen wurde mit vielen Generationen von Steuerfreiheit, der ein Privileg des Adels war, argumentiert oder auf die Abstammung von den Westgoten verwiesen, wie sagenhaft diese auch immer war, galten die Westgoten, nachdem sie sich vom arianischen Christentum losgesagt hatten, doch als gut katholisch, waren damit reinen Blutes. 

Gemeinsam mit dem Familiennamen, der auch über die väterliche Linie weitergegeben wurde, konnte durch das Blut, die bis dato nur geglaubte Vaterschaft, zu einem Kriterium der Reinheit werden und schuf eine Gesellschaft, in der Frauen als Gebärmaschinen dienten und zufrieden sein konnten, wenn sie diesen Job überlebten, wobei wenn nicht, dies auch kein Drama war, sofern sie ihre Bestimmung erfüllt hatten, wie manche Prediger es noch es noch bis ins letzte Jahrhundert verkündeten. Luther war da, im Gegensatz zu seiner Sicht auf die Juden oder die sich erhebenden Bauern, relativ verständnisvoll gegenüber den Frauen, was auch an der Persönlichkeit seiner starken Frau, Katharina von Bora, liegen könnte die Zisterzienserin war, bis sie zu Luther ging und die Frau an seiner Seite wurde, die oftmals auch die Lutherin genannt wurde.

Über die Generationen übergreifende Blutlinie, hatte sich die vorher nur geglaubte väterliche Linie als Basis von Erbe und Tradition durchgesetzt. Diese Tradition verändert sich in den letzten Jahren infolge der Emanzipation und entsprechende Änderungen des Namensrechts. Wie stark solche neueren Bewegungen eine Tradition prägen werden und wo diese hingeht, ist noch unklar, doch zeigt sich wieder, wie Francoise Zonabend so treffend formulierte, dass in europäischen Gesellschaften Unordnungen und Veränderungen immer von Frauen ausgehen, dahingestellt, ob es daran liegen könnte, dass Europa der Sage nach eine Frau war. Wer nun eine neue Ordnung schafft, in der sich alle gemeinsam zurechtfinden, ist noch unklar, diesen Weg weiter zu verfolgen, bleibt spannend, weil es mit dem Namen auch um den Kern einer schriftlichen Kultur und ihres Selbstverständnisses geht.

Unvorstellbar schien mir als junger Mann, den Namen meiner Frau anzunehmen, wenn ich heiraten sollte, wovon ich fest ausging. Dann habe ich bisher doch nicht geheiratet und meine Tochter trägt meinen Namen nur, weil ich gerade nicht darauf bestand, sondern es freiwillig und nachgiebig der Mutter überließ, die meinen wählte, vielleicht auch, weil sie noch den Namen ihres Ex-Mannes trug, den sie nicht unbedingt noch weitergeben wollte. Aber ich wusste, hätte ich darum gekämpft, trüge meine Tochter nicht meinen Namen und was sie mit diesem Namen eines Tages machen wird, ist ihre Entscheidung. So gaben meine Schwestern ihren Namen noch bei der Hochzeit selbstverständlich auf, wollten auch keinen Doppelnamen, was bei kurzen Namen manchmal auch das Leben einfacher machen kann.

Endlose Ketten von Doppelnamen würden sicher anstrengend, andererseits dokumentierten sie auch eine Abstammung, die immer zwei Seiten hat, warum es gut sein kann, dies auch im Namen auszudrücken. Sind wir also viel traditionsbewusster, wenn wir mit langen Namen, die neu kombiniert werden, unsere Wurzeln bei uns tragen oder muss jede Ordnung, so einfach wie möglich sein, um auf Dauer zu funktionieren und wer darf das für andere entscheiden?

Habe da keine sichere Antwort und betrachte den Prozess gerade gespannt, weil es weniger um feste Definitionen geht, als um ein Verständnis von Identität, die viele Wurzeln hat und die auch neue Wege sucht, wo sich verschiedene Kulturen begegnen. Als ich eine zeitlang mit einer Frau verlobt war, deren Eltern aus dem Ausland stammten, und die den entsprechenden väterlichen Namen trug, war es für sie selbstverständlicher als für mich, dass sie bald heiraten und meinen Namen wollte, um den ihren los zu werden, nicht mehr wie eine Ausländerin zu heißen, in eine neue Identität also nominell einzutauchen, die sie dem Pass nach wie ihre Eltern auch ohnehin hatte. Habe das damals nicht viel hinterfragt, dachte, wenn es ihr Wunsch ist, warum nicht,  fand es schön und traditionell, sehe es inzwischen aber völlig anders und frage mich eher, ob so etwas je gut gehen kann, wie sehr Identität auch mit einem Namen verbunden ist und was wir mit ihm aufgeben, ob es je gut sein kann, die eigenen Wurzeln zu kappen, es nicht ein besseres Zeichen gegen Rassismus gewesen wäre, ihren Namen anzunehmen, auch wenn das für mich wiederum schwer vorstellbar wäre aus meienr kulturellen Prägung, die damit auch zu hinterfragen ist. Dabei dahingestellt, ob die Ehe je ein gutes Mittel sein kann, einer Partnerschaft Dauer zu verleihen oder eher im Gegenteil und auch egal, vor was wer flieht, der seine Identität gegen eine andere tauschen möchte.

Die neue patrilineare Blutlinie führte auch dazu, dass im 18. Jahrhundert die Juden Familiennamen bekamen, um in den Melderegistern für die Steuerpflicht registriert zu werden, damit alles seine klare Ordnung hat. Spannend daran ist, wie eine sich in Abgrenzung zum Christentum matrilinear reformierende Kultur plötzlich in eine patrilineare Struktur gezwungen wird und damit auch den Prozeß der eigenen Emanzipation beginnt, an der auch so große Köpfe wie der Berliner Moses Mendelssohn entscheidend beteiligt waren.

Für eine Reinheit des Blutes gibt es keinen biologischen Nachweis, für Kontinuitäten der Verwandtschaft sehr wohl. Die an den väterlichen Namen geknüpfte Verwandtschaft realisierte eine männliche Erbfolge, die durch die Gewohnheiten des männlichen Ehenamens noch verstetigt wurde. Diese ist nicht an den konkreten Nachweis der Vaterschaft gebunden - sie wird in der Ehe bis heute grundsätzlich vermutet. Insofern treffen sich Glaube und Natur im deutschen Recht nach der Anscheinsvermutung, die Erben schaffen kann und damit eine vermeintliche Blutlinie auf der Grundlage von bloßen Vermutungen, die so unsolide ist wie die Behauptung reinen Blutes, allerdings vermutlich viel dazu beiträgt, den sozialen Frieden zu wahren.

Fraglich bliebe noch, was die Alternative liebender Väter etwa ist, ob sich jede Vaterschaft heute genetisch bestätigen lassen sollte, was leicht möglich ist, welchen Sinn die inzwischen modischen Gentests zur Untersuchung der erblichen Anteile haben sollen, als eine neue Rassenlehre zu etablieren, die wir gerade erst überwanden. Wissen ist gut, nur sollte die Frage erlaubt sein, wem dient welches Wissen und wer wird damit ausgegrenzt. Wann ist es gut, bestimmte Fragen mit halbem Wissen nicht zu stellen, um genau solchem Rassismus künftig vorzubeugen, da solch genetische Abstammung Prägungen vortäuscht, die nicht zu beweisen sind, solange wir nicht wissen, ob wir als unbeschriebenes Blatt oder wie weit geprägt auf die Welt kommen, ist es immer besser im Sinne der Freiheit zu vermuten, es habe keine Auswirkungen.

So hatte etwa frühere Freundin von mir, von ihrer Mutter einmal einen solchen Gentest geschenkt bekommen, um nach ihren genetischen Wurzeln forschen zu können, die sie für sich gerne im Norden oder im französischen Königshaus sah aufgrund gefühlter Verwandtschaft zu Marie-Antoinette, was mir völlig abstrus schien. Nie käme ich, auch mit Blick auf die deutsche Geschichte, auf die Idee einen solchen Test zu machen, halte dabei Nichtwissen für besser und der Freiheit zuträglicher, auch wenn ich der Überzeugung bin, es ändert eine zufällige genetische Abstammung nichts an der Neukombination der Gene durch die Zeugung mit je halbem Chromosomensatz und dieser menschlichen Freiheit, besonders in Ansehung der Gleichheit aller Menschen, möchte ich keine zufälligen biologischen Grenzen setzen, die Fanatikern eine Sortierung erleichterten, um nicht dem Aberglauben an reines Blut und Abstammung zu viel Raum einzuräumen, aber vielleicht bin ich da auch übervorsichtig und ignoriere bestimmte Faktoren für die es aber auch keinen Nachweis bis dato gibt, die mich nun ob verwirrt rassenbiologisch oder modern mit Genetik sehr an eine unangenehme Auslese erinnern, von der ich mich lieber bewusst abwende.

Freiheit ist auch eine Entscheidung, frei sein zu wollen und sich nicht der Sklaverei der Vorurteile zu unterwerfen. So wenig ich Horoskope oder Handlinien und Tarotkarten noch lese, auch wenn ich es könnte, so wenig muss ich jeder Mode folgen, sondern prüfe bevor ich etwas tue, mein Handeln lieber streng am kategorischen Imperativ und wie sehr es der Aufklärung dient, also aus selbstverschuldeter Unmündigkeit befreit und bin nach freiem Gewissen zu der Überzeugung gelangt, dass diese historische Genetik nichts anderes als eine moderne Rassenlehre ist, die indirekt auch auf das Blut abstellt und mit der ich bewusst nichts zu tun haben möchte, aber Freiheit und Mündigkeit ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss.

jens tuengerthal 24.6.20

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