Sonntag, 7. Juni 2020

Kubinkeliteratour

“... darüber, daß man statt des einen Mannes im Notfall den anderen nehmen könnte - so ungefähr wie man statt einer rosa Bluse ja auch eine hellblaue anziehen könnte - darüber bestanden zwischen ihnen keinerlei Meinungsverschiedenheiten … denn endlich waren sie doch beide Frauen …”

Mit dieser Einigkeit zwischen Frau Betty Löwenberg und ihrer Pauline, dem Kindermädchen, Mädchen für alles und bis dato Verlobten von Emil Kubinke kurz vor Ende des Romans Kubinke bringt Georg Hermann die Geschichte und das Leiden seiner Hauptperson auf den Punkt. Der gute Emil wird die Suche nach Liebe nicht überleben, so viel kann schon verraten werden, ohne ein Geheimnis auszuplaudern, schließlich deutet der Autor genau das schon im Vorwort an, aber schafft es dann über 334 Seiten in Band 414 der Anderen Bibliothek die Spannung mit viel Humor aufrecht zu halten.

Georg Hermann, der eigentlich Georg Hermann Borchardt hieß, entstammte einer bekannten jüdischen Berliner Familie. Der 1871, also im Jahr der Reichsgründung, in Berlin geborene Schriftsteller wurde 1943 im KZ Auschwitz ein Opfer des Holocaust. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Hermann ein vielgelesener und erfolgreicher Autor, der seinem großen Vorbild Theodor Fontane nacheiferte, zuerst sogar im Verlag von Fontanes Sohn verlegt wurde. Am erfolgreichsten waren seinerzeit die Romane Jettchen Gebert und Herniette Jacoby, die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und das Bild einer liberalen jüdischen Familie zeichnen. Sie erschienen in über 260 Auflagen. Nach dem Reichstagsbrand flüchtete Hermann mit seiner Familie nach Holland, seine Bücher wurden bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 von den Nazis und ihren Mitläufern in die Flammen geworfen. Nach der Besetzung Hollands durch die Wehrmacht wurde er Anfang 1943 gezwungen seinen Wohnort Hilversum, wo Liebermann einst eines seiner schönsten Bilder malte vom Landhaus seines Freundes, zu verlassen und sich nach Amsterdam zu begeben. Aus dem Durchgangslager Westerbork wurde er Mitte November nach Auschwitz deportiert, dort auf der Altenrampe aussortiert und kam wohl am 19. November 1943 in der Gaskammer ums Leben.

In seinem Roman Kubinke hat Hermann den einfachen Angestellten als tragische Figur des Romans entdeckt. In seinem Scheitern ist er Falladas »Kleinem Mann«, in seiner Fallhöhe Döblins Franz Biberkopf ähnlich, in seinen distanziert ironischen Beschreibungen der bürgerlichen Welt, lässt er an die Buddenbrooks denken, nur liebevoll von unten betrachtet, nicht als Teilnehmer von oben – doch in seiner Liebenswürdigkeit ist Kubinke beispiellos. Hermann war seinerzeit so erfolgreich wie ein Thomas Mann. Mit Kubinke hat er dem »kleinen Mann«, dem arbeitenden Träumer, der sein Herz am rechten Fleck trägt, was im Alltag nicht unbedingt nützlich ist oder stark macht, ein Denkmal geschrieben.

Das Berlin der Kaiserzeit ist die Epoche der Romane Georg Hermanns. Er lässt die Stadt wachsen, neue Kieze breiten sich aus: Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg, die zum Zeitpunkt der Romanhandlung noch nicht zu Berlin gehören. An allen Orten bemüht sich die Stadt »hochherrschaftlich« zu werden. Auch Emil Kubinke, der als Friseurgehilfe am 1. April 1908, an dem die Geschichte beginnt. die im auf und ab der Jahreszeiten nicht einmal ein Jahr später endet, aus der Provinz in die wachsende Metropole kommt und auf sein Glück hofft, kennt diese Welt nur aus der Distanz. Er selbst muss durch den Dienstboteneingang im »Gartenhaus«, wo er unter dem Dach mit seinem lebenstüchtigen Kollegen Tesch wohnt, der kräftig berlinert. Im Vorderhaus hat der Friseur Ziedorn einen florierenden Salon, verkauft sein Haarwuchsmittel »Ziedornin« und macht bei vermögenden Damen und in der Nachbarschaft wohnenden Huren gern Hausbesuche, die seine Dienste mit Naturalien vergüten, im quasi Tauschhandel, bis seine Gattin es unterbindet.

Kubinke sucht etwas schüchtern und wohl noch naiv, doch voller Engagement sein Glück – auch in der Liebe. Er erprobt es im Frühling zunächst bei Hedwig und Emma, den zwei Dienstmädchen im Haus, die eine drall, die andere schlank und beste Freundinnen, auch wenn sie teilweise um die Männer konkurrieren. Beide lassen den verwunderten Friseur abblitzen, benutzen ihn nur mangels Alternative zwischendurch. Das große Glück in der der Liebe findet er schließlich bei der rothaarigen Pauline aus der Beletage, mit der er sich im Grunewald sogar »verlobt«, schon das gemeinsame Leben samt Einrichtung und Laden plant. Doch Kubinke, arglos und nichtsahnend noch, wie so viele Männer in der Liebe immer wieder, den Autor dieser Zeilen inbegriffen, wird von den Unterhaltsforderungen seiner vorherigen Probelieben erpresst, die ihn, der nur bis zur Oberquarta das Gymnasium besuchte, das er nach dem Tod des Vaters verlassen musste, weil gebildet wirkend, für wohlhabend halten. Für das Leben in der Großstadt und dessen lockere Moralvorstellungen, ist er nicht gewappnet. Ihm legt sich wie von selbst der Strick um den Hals und so endet ein Jahr der Liebe mit Dreien, von dem ihm scheinbar nichts bleibt, hatte er doch seiner Pauline den Prozess, der ihm höchst peinlich war verschwiegen, zumal er davon ausging, dass er natürlich gewinnen würde, weil es doch schon biologisch gar nicht sein könnte, dass er ahnungslos geschwängert hätte, der nie an so etwas dachte.

»Aber endlich, endlich und zum Schluß hoffe ich doch, mir die Gunst des Lesers zu erringen. Denn – da ja in meiner Geschichte viel geliebt wird, so wird mir viel verziehen werden.«, schreibt Georg Hermann im Vorwort und dieser Kubinke und sein Unglück mit den Frauen in Berlin ist wirklich liebenswert und gerne ergänze ich noch, es ist eine Illusion zu glauben, dass nur die Damen der Großstadt so abgebrüht wären, wie es obiges Zitat nahelegt, denn sie sind doch alle Frauen, ob aus der Provinz oder aus Berlin, nur der Tonfall mag hier noch ein anderer sein.

Fragte mich bei der Lektüre mehrfach, ob ich es wirklich aushalte, ihn bis zum absehbar tragischen Ende zu lesen, mit dem der arme und so sympathische Kubinke ein Opfer seiner Ehrlichkeit und seiner Sehnsucht nach Liebe wird, die doch im Leben immer einen festen Boden braucht und so realistisch seine Träume mit Pauline waren, so lebensfern verhielt er sich in anderem und seinem tiefen Vertrauen auf die große Liebe die so oft heute kommt und morgen verschwindet, danach von nichts mehr wissen will und nur noch schaut, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringt - zumindest scheint belegt, was einfach verschwindet, kann nicht groß gewesen sein, auch wenn dies zu verstehen immer Zeit braucht.

Waren die geschwängerten Frauen die Opfer und die Männer immer nur Täter, die zurecht bestraft gehörten, verhielt sich Kubinke nur naiv und war darum nicht lebensfähig oder ist es ein Gesetz der Liebe, wie Hermann es an anderer Stelle in seinem wunderbar distanzierten Ton beschreibt, dass es die vollkommene Harmonie nie geben kann, es am besten funktioniert, wenn jeder seine Geheimnisse behält, der Traum von Liebe nur eine naive Illusion für nette Momente ist, es im Leben aber immer nur ums Überleben miteinander geht und wo dies einigermaßen harmonisch möglich ist, alle Seiten zufrieden sein sollten?

Je mehr wir von großer Liebe träumen oder sie erringen wollen, desto ferner liegt sie meist - als ich das letzte mal, Jahre bevor ich Kubinke las, den Traum von der Liebe aufgegeben hatte, mich realistisch mit der Wirklichkeit abfand und mit ihr zufrieden zu Leben versuchte, zumindest ein guter Liebhaber gewesen sein wollte, schneite plötzlich eine kleine Prinzessin in mein Leben, verzauberte mich mit dem Traum von großer Liebe im Bündnis mit ihrer mir damals nicht unbeträchtlich erscheinenden Schönheit völlig und gerne wollte ich den Unsinn wider besseren Wissens glauben, bis ich mal wieder völlig erstaunt und naiv, auch wenn mehr als doppelt so alt als Emil Kubinke je wurde, auf die Nase fiel und dem verlorenen Herz aus der unmöglichen Beziehung zu lange hinterher trauerte.

Heilsam war so gesehen die Lektüre des Romans, der mir, auch wenn über hundert Jahre früher spielend, vorführte, es hat sich nie etwas geändert - nur ist es kein Privileg allein der Frauen an die Austauschbarkeit der Männer zu glauben, auch wenn sie ihre Hingabe gern wörtlich als einmaliges Glück inszenieren, was mich immer wieder zum Glauben an die ewige Liebe verführte, sogar wenn Erfahrung das Gegenteil belegen könnte, Männer können das, wenn vernünftig und kühl genug, genauso. Wie oft gelang mir dieses selbst, wo ich emotional noch nicht zu sehr beteiligt war, wie aber setzte mich mein naives, schlechtes Gewissen unter Druck, als ich meinte mich zwischen drei Prinzessinnen einst entscheiden zu müssen, die zwar verschieden doch jede für sich wunderbar waren, von denen aber eigentlich keine die Entscheidung wollte, sondern zumindest teilweise, zufrieden mit dem waren, was war, während ich von der großen Liebe noch träumte, ohne es so zu nennen - aber wie tief ist doch dieser Traum noch in mir verwurzelt, von dem ich weiß, er tut über kurz oder lang nur weh. Bin ich emotional masochistisch veranlagt, könnte ich mich aus guten Gründen fragen.

Wäre es also, Emil Kubinke, den sympathischen kleinen Mann betrachtend, im Leben klüger und im Ergebnis attraktiver, den Traum zu beerdigen, um das Mögliche ohne zu großen emotionalen Ballast zu genießen oder lebt es sich schöner mit Träumen, auch wenn sie sich in der Realität nie erfüllen werden - vielleicht kommt eines Tages doch die eine Prinzessin, mit der ich bis ans Ende meiner Tage glücklich bleibe, was ja jeden Tag kommen kann, oder ist das Leben viel genussreicher, wenn ich mich vernünftig in das füge, was eben ist, um zu funktionieren, den emotionalen Ballast abwerfe, nicht wieder naiv zu sein, lieber kluge Kompromisse schließe, glücklich mit dem, was gerade ist.

Alle Erfahrung spricht dafür und das tragische Ende von Kubinke, der zum Werther wird, bestätigt es - denn ein Werther ist nicht attraktiv als Mann, außer für romantische Schwärmer aber nie für vernünftige, kluge Frauen, sondern ein Idiot, so literarisch schön er auch sein mag, war er mir zu vernünftigen Zeiten immer fremd, bis ich selbst einer beinah wurde, an den Traum von der großen Liebe glaubte, als wäre ich sechzehn - in der Liebe pragmatischer zu relativieren, zumindest für sich scheint vernünftig - aber wie es der Dichter dann schaffen soll, glaubwürdige Liebeslyrik vom absoluten Glück zu schreiben, bleibt unklar und so balanciere ich lächelnd noch ein wenig zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei dem Versuch das Leben dazwischen zu genießen, unsicher nach welcher Seite es am Ende geht, aber so bleibt es zumindest überraschend noch, trotz aller ewigen Wiederholung in immer gleicher Form bei den Versuchen der Begattung, die keiner so nennen würde.

Kubinke zu lesen jedenfalls lohnt sich, auch um des feinen Blicks in das Berlin der Kaiserzeit wegen, der einen historischen Horizont eröffnet, der mir erstaunlich nah vorkam - es hat sich in der Liebe und ihren Folgen eben doch nie viel geändert - bei Männern zumindest und vermutlich auch bei Frauen, aber was weiß ich schon von diesen, denk ich lächelnd und wie immer ein wenig verträumt.

jens tuengerthal 6.6.20

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