Über Schöne Literatur mit Martin Mosebach in dessen gleichnamiger Sammlung von Essays nachgedacht, was, wie bei diesem Autor nicht anders zu erwarten, schon sprachlich wunderschön war, ist auch geistig immer wieder anregend, sich daran zu reiben, auf höchstem Niveau geschrieben, lässt der bekennende konservative Bürger, der schon so gut über seine Heimat Frankfurt schrieb, den Geist in dieser Sammlung durch die Sprache schweifen.
Zunächst über Schriftstellers Deutsch, was eine real kaum existente Sprache ist, da die gesprochene sich doch sehr von der geschriebenen unterscheidet, jede Region ihre eigenen Dialekte hat, die Anfang oder Ende der Wörter schleift, Grammatik gerne auch umstellt, mit dem vielfach missbrauchten Dativ, den Genitiv ersetzt und andere in der Hochsprache seltsam klingende Wendungen im Alltag gebraucht. Dabei hat lokale Sprache auch etwas von Heimat und immer wieder gibt und gab es auch Versuche die Mundarten zu Dichtung und Literatur werden zu lassen, tauchen sie auch in der großen Literatur, wie etwa den Buddenbrooks gesprochen als deutliche Unterschiede, wie als Ausdruck des Wesens immer wieder auf, die unsere unterschiedlichen Regionen besser beschreiben oft als die genaueste Skizzierung der Landschaft, weil sie auch den Klang, die Musik von Bergen, Meer oder hügeliger Mitte mit sich bringt.
Als in Bremen geborener, der in Frankfurt aufwuchs, wie Mosebach, der dort aber blieb, in Heidelberg Abitur machte und studierte, um schließlich 2000 in Berlin zu landen und weniger aus Leidenschaft zunächst als den Umständen geschuldet, auch wenn diese von Leidenschaft ausgelöst worden waren, blieb ich bis heute dort und habe mir diese vielen Dörfer inzwischen erlaufen, in denen auch teilweise noch ein sehr derber Dialekt gesprochen wird, ohne sie Heimat nennen zu wollen.
Was ist überhaupt die Heimat des Dichters?
Mit dieser Frage über das äußere und innere Exil von Nabokov über Thomas Mann bis zu Goethe in Rom, denkt Mosebach gewohnt klug über die Heimat in der Sprache nach. Kann der Dichter, wie etwa Thomas Mann im Doktor Faustus, den er in Kalifornien schrieb, erst im Exil zu höchster Form finden, wie auch Goethe die Verse für die in Prosa längst vollendete Iphigenie erst in Rom wieder dichten konnte. Dass Goethe dann für den zweiten Teil des Faust das innere Exil wählte, ihn in seinem Schreibtisch einschloss und zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichte, weil er keinem mehr zutraute, diese Höhen mit zu besteigen, ist ein wunderbares Beispiel für die Verlorenheit mancher Dichter auch vor Ort.
Würde Mosebach hier schon widersprechen, weil Mann im Zauberberg zu höchster Form fand und alles danach eher Versuche in der Kunst sind aber das ist ein weites Feld und wohl eine Frage des Geschmacks, wie einige, wie Mann auch selbst, meinen, er hätte im Josephs-Roman die höchste Form erreicht, was zwar insofern stimmt als er hoch künstlerisch und konsequent hier die Sprache der Bibel imitiert und variiert aber dafür, was ihn groß machte, die ironische Distanz mit der er spielerisch betrachtete, verloren gibt. Darüber kann sich trefflich gestritten werden, doch fehlt mir der Zugang zu dieser Sprachwelt ein wenig, finde ich das prophetische darin häufig eher bemüht als gelungen. Mann imitiert großartig und schafft damit einen großen Roman in biblischer Sprache, was künstlerisch sicher ein Meisterstück ist, auf das er zu recht stolz war, was aber literarisch wenig lohnend mir erscheint, weil sich die Mann groß machende Sprache des norddeutschen Bürgers hier hinter der, die wir aus der Übersetzung Luthers kennen, der an das, was er übersetzte auch noch glaubte, versteckt, was beiden weniger gut steht als der eigene Ausdruck.
War Mann dann am besten, wenn er über Menschen aus seiner Heimat schrieb, auch wenn es diese in die ihnen eigentlich fremden Berge verschlug?
Die Buddenbrooks und der Zauberberg sprechen deutlich dafür. Doch ist die Frage auch jenseits von Mann sehr spannend, wie Mosebach am Beispiel Nabokovs erläutert, dessen frühe Berliner Romane, noch in russisch geschrieben, eine ganz andere Welt noch im Mittelpunkt hatten als die späteren, unterscheiden sich die amerikanischen noch weit mehr von den frühen russischen Werken.
Hatte da einer seine Heimat auch innerlich verloren und wer war er noch hinter den Figuren, die sich von einer Lolita oder Ada verführen ließen?
Kam Nabokov vielleicht wirklich in der neuen Welt an, in der Sex immer ein Thema ist, auch wenn tabuisiert oder vielleicht gerade darum, die sich um andere Wesen dreht als die russische Welt und steht die Berliner Zeit irgendwo dazwischen - halb schon Osten mit großer russischer Gemeinschaft dort, selbst schon weit im Osten gelegen, umgeben vom weiten Nichts der Mark, die vielfach an die große russische Ebene erinnert?
Frage mich manchmal, wo meine Heimat eigentlich am ehesten ist. Warum ich mich Norddeutschland im allgemeinen und Bremen inniger verbunden fühlte, obwohl ich nur ein Jahr dort lebte, als allen anderen Regionen des Landes, so schön sie sein mögen, so gut der Wein von dort auch ist, dennoch nicht dort leben aber sehr gerne darüber schreiben möchte - vielleicht auch nur darüber schreiben kann, weil ich nicht dort bin und es nur von Ferne betrachten in Berlin Prenzlauer Berg, diesem nirgendwo voll Zugezogener, die noch von der alten Heimat erzählen, die ich nie hatte.
Habe ein Elternhaus und hatte die Häuser der Großeltern, die mit Festen und Erinnerungen verbunden sind, mit Ritualen, die mich prägten und zu dem werden ließen, was ich bin, fest in der bürgerlichen Kultur verankert, fern dem Arbeitermillieu und das Landleben auch eher belächelnd, zwischen Büchern aufgewachsen, von ihnen geprägt, in ihnen, wie etwa den Buddenbrooks, dem Zauberberg, den Essays von Montaigne aber auch in denen Mosebachs, wie ich gerade wieder merkte, am ehesten Zuhause. So ist Heimat für mich gedruckt, sind Bücher mein Leben, egal wo die kleine Bibliothek nun zufällig stände, auch wenn ich bisher keine Neigung mehr verspüre unnötig den Ort zu wechseln, da ich genug im Leben umgezogen bin, lieber in meiner Heimat bleibe, um die Geschichten zu finden, die es zu erzählen gilt.
Wohne nun zwanzig Jahre in Berlin, der Ort, an dem ich am längsten lebe, in dem meine Tochter erwachsen wurde, ich großen Lieben und manch wunderbaren Frauen begegnen durfte, durch den ich mittlerweile viele tausend Kilometer gelaufen bin, aber Heimat ist mir diese Stadt nicht. Werde nie den hiesigen Dialekt sprechen und wie warm wird es mir immer ums Herz, wenn ich den bremischen Klang höre, Menschen wie meine Mutter sagen höre, es rechnet, wenn es regnet. Sie ist ein guter Ort zu leben, der sich schnell verändert, in dem die Menschen wechseln, es manches zu beobachten gibt aber eben eine große Stadt, die zusammengewürfelt wurde, aus vielen Dörfern besteht, in deren einen ich eben wohne, auch wenn ich mich mit Charlottenburg genauso verbunden fühlen könnte oder Mitte oder der Stralau, völlig gleich eigentlich.
Dachte immer in meiner Familie würde reines Hochdeutsch gesprochen von beiden Seiten, bis mir irgendwann auffiel, dass die Großmutter väterlicherseits klar den Dialekt ihrer Bochumer Heimat sprach, wenn sie etwa ihren Mann Vadder nannte und ähnliche Redewendungen. Die mütterliche Linie dagegen, sprachlich mehr von meiner Großmutter geprägt, die auch am meisten redete und in Hannover sprechen lernte, ist ziemlich hochdeutsch, hat aber auch einige bremische und so typisch norddeutsche Klangfärbungen angenommen, warum mir vielleicht der Bremer Ton immer so vertraut und sympathisch ist, ohne weitere Prüfung ob dies eine reale Grundlage hätte. Vom Gefühl her mag ich diese Bremer einfach, auch wenn es vermutlich genug praktische Gegenbeispiele gäbe, schaute ich nur genau hin, geht mein Herz bei diesem Ton ganz schnell auf, während süddeutsche Dialekte manche Hürde nehmen müssen, ich aber seltsam vertraut wiederum auf bestimmte bayerische Töne oder schwäbisch reagiere, ohne dort je gelebt zu haben oder leben zu wollen.
So haben Martin Mosebachs exzellente Essays, die seinen feinen, klugen Geist zeigen, auch wenn er sich einen Reaktionär nennt, was mich mit zunehmenden Alter immer weniger stört und vielleicht auch aus dessen Bewunderung für Nicola Gomez Davila verständlich ist, mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat gebracht und was es für mich ausmacht. Es ist wohl der Ort, an dem ich geboren wurde, aber am kürzesten lebte, an das ich keine aktive Erinnerung habe, außer von späteren Besuchen bei den Großeltern, dessen Geschichten mir aber vertraut sind wie die eigene, warum ich in den Buddenbrooks vermutlich gleich so ein seltsames Gefühl von Heimat hatte, auch wenn ich bis heute das Buddenbrookhaus noch nicht besucht habe, obwohl ich mehrfach in Lübeck war und mich dort sehr wohl fühlte.
Heimat scheint ein seltsamer Ort zu sein, kein fester, an dem ich lebe, keiner zu dem ich ständig hin muss, sondern es ist ein Gefühl und eine Lebenshaltung und ich denke dabei etwa an den Club zu Bremen, in dem mein Großvater regelmäßig seine runden Geburtstage feierte, unter dem Schütting, gegenüber dem Rathaus vor dem der Roland steht, den ich immer begrüßen muss, wenn ich mal dort bin. Es ist diese gediegene Atmosphäre einer anderen Zeit, die ich eher aus den Erzählungen meiner Großmutter kenne, als sie je erlebt zu haben und es mag auch in Berlin, etwa in Charlottenburg teilweise noch eine solche Welt geben, aber es lebt sich auch ganz gut als Beobachter fern dieser Welt, von der ich nicht mal weiß, ob sie noch existiert oder die Tradition ausstarb, um das zu beschreiben, was ich Heimat nenne, wie Thomas Mann die Buddenbrooks in München und Rom schrieb,
Heimat habe ich nur im Kopf, auch wenn die kleine Bibliothek mein Zuhause ist, was sie ausmacht, ist eine Welt in Gedanken, in die ich nicht mal mehr reisen muss, um da zu sein und vielleicht ist das der für mich spannendste Schluss aus der Lektüre von Mosebach, endlich weiß ich wo Heimat ist - in meinem Kopf, wenn ich anfange, davon zu erzählen.
jens tuengerthal 16.6.20
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