Sonntag, 17. Januar 2016

Frauenliebe 021

Ostwestliches

Sie kam in meine Klasse und war meine erste ostwestliche Begegnung in der Realität, während zuvor das Land, das unseres wurde, ein völlig unbekanntes mir war. Natürlich wusste ich, dass meine Familie aus Thüringen kam, als es noch zu Deutschland gehörte, hätte ich fast geschrieben, um das damalige Denken zu beschreiben, denn das andere Deutschland war ein anderes Land, eine fremde Welt hinter dem eisernen Zaun, der Angst machte.

Wie lebten sie dort wohl, wirklich ohne Bananen und was war dran an den neuen Leiden des jungen Werther, von denen wir von Plenzdorf gerade erst gelesen hatten als modernen Text zum Thema Sturm und Drang. Die DDR war Thema im Unterricht gewesen und von den Großeltern kannte ich Berichte - beide Großväter hatten in Jena studiert, waren in einer Turnverbindung gewesen. Jena lag unweit von Weimar, was mir durch den ollen Goethe so bekannt war wie durch Manns Lotte in Weimar und doch in einem anderen Land in einer anderen Welt lag, die unerreichbar war, nicht erstrebenswert schien, fremd blieb.

Als sie, deren Eltern über Ungarn oder Prag abgehauen waren, in meine Klasse kam, näherte sich das Ende der DDR fühlbar in den Berichten über die Demonstrationen, aber der schnelle Umsturz war noch nicht absehbar. Sie hatten in einer Diktatur gelebt, dieser widerstanden, nicht nur im gesättigten Wohlstand gehaust wie wir, deren Engagement sich nur gegen das Zuviel richtete, gegen Aufrüstung und Atomkraft, statt sich um das Zuwenig zu sorgen - es war immer alles da und irgendwie ging es immer weiter. Es gab bei ihnen eine Stasi und eine Diktatur der Partei, während wir uns nur über Strauß und Kohl aufregten und den BND nicht weiter ernst nahmen. Wir sagten öffentlich unsere Meinung und hatten dafür keine Nachteile zu befürchten, während sie mit Gefängnis rechnen mussten, wenn sie nur laut die DDR kritisierten, ins westliche Ausland reisen wollten, den Sozialismus infrage stellten.

Dagegen kam ich mir ein wenig naiv vor mit meinen Demos an der Startbahn West, in Wackersdorf oder bei Greenpeace. Wir waren relativ frei aufgewachsen, aber auch voller Zwänge und Vorurteile gegenüber dem Osten, der auch seine guten Seiten hatte für alle, die dort lebten. Es gab soziale Sicherheit und mehr Zusammenhalt, erzählte sie mir auf Nachfrage - mehr aber sprachen wir über Bücher, warum sie Heinrich Mann mehr liebte als Thomas Mann, was mir völlig unverständlich war und was ich auch auf den ideologischen Einfluss der DDR zurückführte - dachte ich zumindest, bis ich den Henry IV. las, jenes historisierende Meisterwerk aus der Feder des Bruders, der sonst nett schrieb, dem aber der große Klang eines Thomas fehlte.

Wir blieben da uneins, doch kamen wir uns näher und so lud ich sie einmal zu mir ein, nahm sie mit dem Auto mit und wir wollten einen Tee zusammen trinken. Meine Absichten waren noch etwas unklar - sie war, wenn ich mich richtig erinnere, relativ klein, dunkelhaarig und damit das Gegenteil der Walküre, die zwei Jahre älter als ich war, die längst studierte und mit der ich zu diesem Zeitpunkt noch zusammen war. Doch genoß ich bald neben der Uneinigkeit in literarischen Fragen ein schönes Gespräch über Sex, bei dem wir uns viel schneller einig waren und mit dem sie mich sehr reizte.

Im Gegensatz zu meiner Freundin hielt sie ihren Po für keine Tabuzone, hatte damit Erfahrungen noch in der DDR gesammelt und fand es ok, wenn sonst alles stimmt. Meine Erfahrung in diesem Bereich ging zu diesem Zeitpunkt gegen null, meine langjährige Beziehung mochte es nicht, nachdem es ihr erster Lover im Deflorationscluburlaub auf der griechischen Insel ungefragt einmal probiert hatte, es ihr weh tat, lehnte sie anal kategorisch ab und wollte nicht mal da angefasst werden.

Natürlich tat ich im Gespräch ganz locker erfahren, auch wenn ich sachlich wenig Ahnung noch hatte, die völlig unterschiedliche Haltung der Frauen dazu noch nicht kannte und keine Ahnung hatte, wie selten die Zahl derer ist, die dazu ein völlig entspanntes natürliches Verhältnis haben, es einfach als Verhütungsmittel nutzen und genauso genießen können. Keine Ahnung hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch vom nervus pudendus, dem Orgasmusorgan der Frau, raunen hatte ich hören vom G-Punkt, aber ob es den wirklich gab, lag noch im Dunkeln, welche Stelle entscheidend ist für den weiblichen Höhepunkt, ob es überhaupt so eine gibt oder jede anders ist, wusste ich noch nicht, ging vielmehr bravogebildet davon aus, dass es diesen G-Punkt gäbe und ich nur genug wühlen müsse, ihn zu entdecken, um dann jede Frau befriedigen zu können.

Es war ein etwas waghalsiges Balancieren zwischen keine Ahnung haben, immer heißer werden, nicht genau wissen, ob ich etwas von ihr wollte und sich als erfahrener Lover geben, der nicht zu sehr will, um interessant zu bleiben. Fragte mich immer mehr, wie ich aus dieser Situation ohne Peinlichkeit wohl herauskäme und war dabei, mich auf ihre Nachfragen hin, in immer weitere Lügen zu meiner umfangreichen sexuellen Erfahrung zu verlieren.

Zöge ich jetzt nicht die Notbremse, liefe ich Gefahr, irgendwann über meine eigenen Lügen zu stolpern, mich peinlichst zu blamieren und verlor so beinahe alle Lust, wurde wütend, auch wenn sie gerade nichts für mein Verhalten konnte, ihr entspannter Umgang mit diesem Thema und ihre ganz locker natürlichen Fragen eigentlich waren, wovon ich immer träumte, denn entspannt und genußvoll über Sex reden, ist die hohe Kunst, die wenigen je gelingt.

Als ich keinen Ausweg mehr wusste, meine Phantasie unter meiner Erregung litt, ich nicht mehr wusste, was ich noch sagen sollte, tat ich wohl das Beste, was ein Mann in dieser Situation tun kann: ich umarmte sie und küsste sie einfach, womit alle weiteren Fragen zum Thema rein physisch erstmal erledigt waren.

Wir taten endlich, worüber wir schon lange geredet hatten und es wurde wunderbar, ging aber erstaunlich schnell und auch, wenn sie nichts dazu sagte, hatte ich das Gefühl, dass dieser spontane Akt einzig meinem Vergnügen diente, denn ich hatte zwar gerade den wohl geilsten Moment beim Beischlaf erlebt, noch nie zuvor hatte ich eine Frau intensiver gefühlt als so, aber irgendwie kam ich mir schlecht dabei vor.

Paradoxerweise hatte ich mit ihr wunderbaren Sex, tat ihr gegenüber aber alles, um eine richtige Beziehung zu verhindern, von der ich bis heute nicht weiß, ob sie eine solche überhaupt je gewollt hätte. So blieb ich beim Abschied etwas peinlich berührt zurückhaltend, wir würden uns ja weiterhin zumindest in diesem Jahr jeden Tag sehen, wie sollte ich es sagen, fragte ich mich und rang mit mir, während sie es schlicht auf den Punkt brachte und danke fürs Bringen sagte, war schön, bis morgen.

Später versuchte ich noch manche dazu zu überreden, was meist entbehrlich war, da, wenn Frau es nicht will und nicht selbst genießt, das ganze nur schmerzhaft, verkrampft und peinlich wird, was ich ja vorab nicht wusste nach dem ersten mal, aber, wenn beide es entspannt genießen können, zum innigst aufregendsten Höhepunkt für beide werden kann, in dem sich eine tiefe Sehnsucht erfüllt, die Eindringen und Umschließen vereinigt.

Glücklicherweise gibt es nahezu ebensoviele Neigungen und Abneigungen auf diesem Gebiet wie Menschen, so findet sich irgendwann, was zusammengehört und auch, wenn es nur eine Stellung bei der bloß schönsten Nebensache der Welt ist, verrät die Haltung dazu viel über das Wesen dahinter. Es ist eigentlich unwichtig, ein winziges Detail, aber eben der Schlußstein in der Kuppel des Sex, die Liebe und Alltag so wunderbar harmonisch überwölben kann. So endet dankbar dieses Kapitel meiner ersten westöstlichen Begegnung noch ohne Diwan.
jens tuengerthal 16.01.16

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen