Paddelliebe
Eine Liebe, die sich am Wasser fand, verfloss, bevor sie Wirklichkeit wurde oder je eine Möglichkeit des Vollzugs fand. Damit wäre schon fast alles über meine erste Liebe zu einer Thüringerin gesagt, die sich auf den Seen und Kanälen Mecklenburgs, unweit der Müritz am Lagerfeuer fand. Ob damit schon alles zu meiner Liebe zu den Thüringerinnen gesagt wurde, wäre eine andere Frage, die erst viel später eine Antwort sucht, mittlerweile aber für mich relativ irrelevant wurde.
Damals, zwei Jahre nach der Wende, mein Abitur in der Tasche und mit meinem neuen Kanu mit meiner damals noch Freundin, die aber schon halb meinem besten Freund versprochen war oder sich ihm halb versprochen hatte, wer weiß das schon so genau, wir waren uns noch nicht so sicher, traf ich die bezaubernde, junge Schönheit, die schon einige Semester irgendwo im Osten studierte, weil sie nicht so lang für ihren Abschluss gebraucht hatte, wie ich, der zwei Ehrenrunden drehte und noch volle 13 westliche Jahre die Schulbank drückte. Sie war schlank und hatte langes brünettes Haar, war gebildet, Chefarzttochter und in einem kleinen Bad in Thüringen aufgewachsen, das einzig durch sein Bauernpanorama einige Berühmtheit erlangte.
Sie schien mir als die ideale Partnerin und ich träumte schon von Familie, was die meine wohl sagen würde, wenn ich nun in der Liebe an die Wurzeln der Familie zurückkehre, die ja gerüchteweise seit dem Jahr 1298 in Thüringen hauste und sich dort als Pfarrer und Bibliothekare einen guten Namen machte, bevor die Kriege kamen, in deren Folge Thüringen in einem anderen Land lag, das ich nicht kannte und das mir ferner als Frankreich oder Italien war, auch wenn ich als Goethe-Fan schon manches von Weimar raunen hörte, der Ururgroßvater einst Hofbibliothekar zu Gotha war. Fern war mir das Land und seine Bewohner, die bis zu vierzig Jahre unter einer sozialistischen Diktatur lebten, von der Stasi überwacht, hinter Stacheldraht in einer Art großem Gefängnis - zumindest in der Vorstellung des Wessis, der zwar seit 1990 jedes Jahr in Mecklenburg Urlaub machte, aber das war ja nun auch erst das dritte mal und viele Ossis kannte ich noch nicht, außer den Verwandten einer Verflossenen, die noch über Ungarn gekommen waren oder ihren Onkel, der noch als Uhrmachermeister in Meißen ausharrte und den ich als einen sehr feinen und gebildeten Herren kaum kennengelernt hatte.
Nun also eine Thüringerin, dachte ich und hatte die Freundin, mit der ich die nächsten Nächte noch das Zelt teilen sollte, schon fast vergessen, was ihr und unserem lange freunschaftlichen Verhältnis sicher nicht gerecht wird, aber mein Gefühl in diesem Moment auf den Punkt brachte. Eine östliche Schönheit, ohne Dauerwelle oder gefärbte Haare, belesen und schon studiert, aus guter Familie und für mich plötzlich der Traum von einer Frau, meine private Wiedervereinigung, bei der ich alles richtig machen wollte.
Anspruch und Haltung waren also schon so hoch wie nur möglich, eigentlich hätte ich ihr schon am Lagerfeuer einen vollendeten Antrag machen können, was ich aber aus oben genannten Gründen und in dem Gefühl, es könnte missverstanden werden, doch lieber unterließ. Realisierte sich hier der Traum von der Bäckerin, bei der mein damals wieder mal bester Freund und ich 1990 an Pfingsten auf dem Darß kiloweise Apfelkuchen kauften, fragte ich mich ernsthaft oder sollte ich lieber vorsichtiger sein.
Über ein Händchenhalten am Lagerfeuer und einen gehuschten Kuss ging diese Affäre in Mecklenburg nicht hinaus. Noch war ich ja formell gebunden und mit meiner wohl bald Exfreundin paddelnd unterwegs. Wir tauschten in dieser Zeit vor dem Mobiltelefon Adressen und versprachen, uns zu schreiben, sahen uns beim Abschied tief in die Augen, als sie mit ihrem Faltboot mit einigen Freundinnen und Freunden weiterzog.
Es war dieser Abend am Lagerfeuer ein für mich vielfältig bereichernder. Die Gegenwart und vermutete Gunst der Schönen war wohl das wichtigste in diesem Moment. Langfristiger aber blieben mir die Erzählungen eines anderen Paddlers hängen, der von seiner Zeit bei der NVA um die Wende 1989 berichtete. Wie sie mit scharfer Munition ausgerüstet wurden. In ständiger Alarmbereitschaft waren über Wochen, um nach Leipzig zu fahren und den Demonstrationen Einhalt zu gebieten. Er erzählte, er hätte nicht gewusst, was er hätte tun sollen, wollte eigentlich wegrennen, wusste seine Freunde dort auf der Straße, konnte sie nicht warnen, sie hatten keinen Ausgang, jeglicher Kontakt zur Außenwelt war abgeschnitten worden in dieser Alarmsituation. Wochenlang ging es so und sie warteten nur darauf, wann es losging und schmiedeten Pläne, wie sie überlaufen wollten und von ihrer Angst ,auch erschossen zu werden.
Das war kein Spiel, es war aus militärischer Sicht, zumindest erschien es dem NVA Wehrdienstleistenden so, gefährlicher, als viele ahnten, wochenlang kurz vor der Explosion, bis der Staat plötzlich überraschend in einer Implosion zerfiel. Er erzählte über die Erleichterung nach dem 9. November, wie die Disziplin zunehmend verfiel und die Zeit nur noch abgefeiert wurde in einer Armee, die sich wohl bald auflösen würde.
Diese Berichte bestätigten später Berliner Freunde, welche das Stasi Waffenlager in Weißensee besetzten, das bis oben hin mit scharfen Kriegswaffen gefüllt war, für den Kampf im Inneren, falls die Partei dies fordern sollte, wie ihnen das Blut in den Adern gefror, als sie die Keller und Garagen hinter dem alten Rathaus untersuchten und wie die dort Stasi Offiziere und Soldaten sie völlig verunsichert einfach machen ließen, als sie die Zentrale besetzten.
Meine neue Traumfrau gehörte wohl eher nicht zu den Heldinnen des Widerstands, war behütet und angepasst aufgewachsen, sie wollte ja studieren, obwohl ihr Vater Chefarzt war. Sie sagte damals nicht viel dazu und später kamen wir nicht mehr dazu ,viel darüber zu reden. Der Anteil derer, die an dem Umsturz relativ unbeteiligt waren, vorsichtig abwarteten, was geschah und es dann nahmen, wie es kam, war wohl höher als es uns die Medien mit den Bildern von den Massen auf den Demonstrationen suggerierten.
Als ich schließlich wieder nach Hause in die Nähe von Heidelberg kam, erwartete mich schon ein Brief von ihr, den ich sofort voller Überschwang beantwortete, auch wenn vermutlich drei Versionen entstanden, bis ich mit der Erklärung meiner Liebe an die östliche Prinzessin zufrieden war.
Wir telefonierten auch noch das eine oder andere mal und schrieben und in meinen Augen sehnsüchtige Briefe, verabredeten uns zum Wandern auf dem Rennsteig, wenn sie von ihrer Studienreise nach Südfrankreich zurückkäme. Freute mich darauf ,in die romantische Heimat meiner Familie zu fahren, ließ mir von ihr eine genaue Wegbeschreibung schicken, belas mich und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Aus dem Urlaub zurück ,fragte sie mich mehrmals, ob ich wirklich kommen und die weite Reise auf mich nehmen wollte. Siegessicher meinte ich, zu ihr sei kein Weg zu weit und sie kündigte mir schon an, dass ein Freund mitkäme und ihre Schwester. Vielleicht schrieb sie mir oder sagte mir in unseren wenigen Telefonaten auch schon, dass sie ihn in Frankreich kennengelernt hätte, erinnere es nicht mehr ganz genau, vermutlich war sie halb ehrlich und dachte sich nach diesem harmlosen Flirt mit dem netten Wessi nichts Böses, es war ja nichts passiert, wir hatten uns nicht mal geküsst, nur ein wenig Händchen gehalten und uns andächtig angesehen.
Trotz ihrer Bemühungen, mich von der Fahrt abzubringen, blieb ich bei meinem Entschluss, zu meiner neuen Traumfrau zu fahren, verabschiedete mich höflich und liebevoll von meiner alten Liebe, der er zu der Zeit gerade nicht so gut ging und fuhr mit meinem Wagen gen Thüringen. Sie hatte mich über Land gelotst, was zugegeben sehr gewagt war, aber irgendwann zum Ziel führte.
Sie empfing mich höflich mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange, gut, dachte ich, es braucht noch etwas Zeit, sie ist vermutlich schüchtern und es ist ja ihr Elternhaus, in das ich, der Wessi eindrang. Aber sie hatte immer noch dieses zauberhafte Lächeln und diese Art, ihre Haare zurück zu streichen, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte.
Wurde der Mutter und dann der Schwester, schließlich dem Freund vorgestellt. Einem Schwaben, dunkelhaarig, gut aussehend, mit leicht schwäbischen Akzent, aus reicher Unternehmerfamilie, sollte er irgendwann den väterlichen Betrieb übernehmen, wie ich später erfuhr.
Es dauerte lange, bis ich realisierte, was los war, dachte einen Moment darüber nach, ob das der Freund der Schwester wäre, die ja auch mit uns Wandern gehen wollte, die sehr nett war, aber äußerlich ziemlich dem Bild der Zonengaby entsprach - verwaschene Dauerwelle in blondierten Haaren und ansonsten eher unauffällig. Dann gingen wir wandern und sie fragte mich vorher nochmal, ob ich wirklich mitwollte, da dämmerte es mir langsam - ja, sie hatte mich gewarnt. Doch ich schwärmte nur von Thüringen und zurück zu den Wurzeln der Familie, träumte in Andeutungen von Liebe, an die sie nicht dachte, weil sie ja in Südfrankreich längst die gute schwäbische Partie mir vorgezogen hatte.
Der Rennsteig ist sehr schön, bei der Fahrt durch Gotha, bei der sie uns noch einiges zeigte, war ich wieder euphorisiert und erst, als ich am ersten Abend von der Schwester gefragt wurde, ob ich nicht eine Runde mit ihr spazieren gehen würde, damit die beiden endlich mal Zeit für sich hätten, fielen die letzten Scheuklappen von meinem verliebten Herz. So hatte mich die Thüringer Traumfrau also gegen den solventen Schwaben ausgetauscht, dahingestellt, ob sie sich dabei je soviel gedacht hat wie ich, scheint dieses Verhalten dort nicht völlig überraschend, wie ich erst viel später lernen sollte.
Wie ein geschlagener Hund fuhr ich allein zurück - der Schwabe blieb bei seiner Freundin, meiner vermeintlich großen Liebe, die sich eine bessere Partie geholt hatte und die Schwester, was soll ich sagen, einen Moment spielte ich mit dem Gedanken und sie war bestimmt eine bezaubernde Frau, sehen wir von den gefärbten Haaren und der Dauerwelle ab, aber sie war eben nur die kleine Schwester meiner Traumfrau, die mich nicht wollte. So enden manche großen Liebesgeschichten im Nichts, neben dem nie etwas war, eigentlich, als meine Gedanken, die ich meinte, in Worte gefasst zu haben und ich verstand die Welt nicht mehr und kroch wieder bei meiner wie ich dachte Ex an, die mich noch einmal liebevoll aufnahm und das Leben ging wider Erwarten weiter, weil nichts auch keinen wertherschen Aufwand wert wäre, es ja nicht sein konnte, dass ich mein Leben nun, kurz vor dem Studium, aufgab, nur weil ein Knabenmorgenblütentraum nicht gleich reifte - aber gespielt habe ich mit gekränktem Herzen mit dem Gedanken, wo mich dieser neureiche Schwabe aus dem Feld schlug, über den ich nicht einmal etwas Schlechtes sagen konnte, wie über sie, die nur vielleicht etwas deutlicher hätte sein können, aber vielleicht, dachte ich, war ich auch zu sehr Wessi, um die feinen Andeutungen der Ossis deuten zu können.
Erhobenen Hauptes hatte ich mich verabschiedet, um Stolz und Würde zu bewahren und der Gedanke an die Ritterlichkeit und ihre Gebote hielten mich auf dem Rückweg aufrecht, der so leicht alles hätte beenden können, was ich aus heutiger Sicht wohl bedauerte, aber damals schien mir wenig noch verlockend. Der erste Versuch der inneren Einheit und mein Herz nach Thüringen zu verlieren wie einst mein Vorbild Goethe, war also gescheitert - lassen wir uns überraschen, was das Leben nun dem geknickten Ritter bietet auf der Suche nach der nächsten großen Liebe.
Die große Liebe finden wollen, eine zur Wahren machen, bestimmte meine Suche nach Frauen schon immer, darunter schien es mir den Aufwand nicht wert und ich wollte ja auch eine Familie gründen, irgendwann, sah mich also auch auf der Suche nach Liebe in eine Tradition eingebunden, der ich genügen wollte, was die Auswahl so sehr einschränkte, wie meine Haltung zur Sache beschränkte.
Vielleicht hing der Wunsch nach der einen besonderen auch damit zusammen, dass ich nur damit die alte Liebe davor, die ich schon für die große hielt, entsprechend würdigen wollte. Fragte mich, ob viele Menschen diesen Wunsch teilten, hatte aber niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Mein einer bester Freund war ja in meine noch Freundin verliebt und wollte sie übernehmmen, da waren die Gespräche nicht ganz so offen, wie es vielleicht gut gewesen wäre. Der andere war schwul, was ich erst später erfuhr, hatte zu dem Thema eher abstrakte vernünftige Ideen, wenn auch mit viel Gefühl, würde meine Sehnsucht jedenfalls nicht verstehen.
So blieb ich mit der Sehnsucht, einsam dem Vorbild der großen Liebe der Großeltern zu entsprechen, versuchte es immer wieder anzukommen und scheiterte häufiger am Anspruch als an der Wirklichkeit, denn es waren noch manche tolle Frauen, denen ich mein ganzes Herz schenken wollte und es doch nicht konnte, weil Ideal und Wirklichkeit nie vereinbar sind, außer wir lassen uns so gehörig von der Liebe blenden, dass an ein Aufwachen nicht mehr zu denken ist.
Vielleicht ist der Trick einer dauerhaft, glücklichen Beziehung überhaupt, den Zustand der Verblendung als höhere Wahrheit zu definieren, die uns nur durch die Horizonterweiterung der Liebe zugänglich wurde. Nun, was weiß ich schon von der Liebe, nur, dass sie irgendwann auftaucht und wenn alles stimmt, sich keine Fragen mehr stellen, weil wir die Verblendung nicht mehr von der gelebten Wirklichkeit unterscheiden können, es also egal ist, was real ist. Insofern im Ergebnis die Suche erfolgreich war, haben sich der bis dahin lebenslänglich zu hohe Anspruch und die Ideale, mit denen ich mich immer mit einer riesigen Bugwelle an Gefühlserwartung in nahezu jede Beziehung stürzte, doch gelohnt. Wir sollten darum in der Liebe nicht tief stapeln.
jens tuengerthal 13.1.15
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