Donnerstag, 10. September 2020

Transelternnatur

Ändert sich die Natur der Eltern durch ihre Rolle?

Neue Studien belegen, dass sich der Teil des Gehirns, der bei Frauen für die Sorge für die Kinder zuständig ist, auch bei Männern in dieser Rolle entsprechend verändert. Die Studie wurde zuerst bei homosexuellen Paaren durchgeführt, bei denen ein Partner die Mutterrolle übernahm. Die Entwicklung entsprach der bei Frauen und die entsprechenden Regionen im Gehirn wurden neurologisch aktiviert. Die jeweilige kulturelle Aufgabe kann also eine biologische Veränderung im Gehirn bewirken. 

Das Gehirn ist nicht festgelegt sondern ein flexibles Organ, das sich den Bedingungen seiner Umwelt erstaunlich schnell anpassen kann. Wie neuere neurologische Studien auch an Schlaganfall und Schädelhirntrauma Patienten zeigen, können andere Regionen des Gehirns die Funktion des beschädigten Bereichs vollständig übernehmen. So ist das Gehirn und damit die menschliche Natur also nicht einfach festgeschrieben, sondern wird durch soziale Prozesse und die Übernahme von Aufgaben verändert.

Was für die Funktionsübernahme nach einem Schlaganfall oder sonstigem Hirnschaden gilt, wird auch für andere Bereiche der kontinuierlichen Nutzung gelten. So wird die Übernahme neuer sozialer Funktionen bestimmte Bereiche stärken und mehr Anforderungen dahingehend entwickeln lassen. Ob aufgrund dieser Anforderungen gleichzeitig die traditionell männlichen Bereiche, die vielfach durch Testosteron gesteuert und befeuert wurden, abnehmen und das ein Schaden wäre, ist eine andere Frage.

Innerhalb weniger Jahre hat sich das gesellschaftliche Verständnis der Vaterrolle hierzulande verändert. Während ich zu Beginn meiner Vaterschaft noch meist der einzige Vater auf dem Spielplatz war, ist es heute ein Selbstverständnis in breiten Schichten geworden, dass sich die Aufgaben geteilt werden und Väter sich in früher typisch mütterlichen Aufgaben üben. Es ist davon auszugehen, dass dieses veränderte Selbstverständnis auch zu einer Veränderung im Gehirn der engagierten Väter führt, die damit neue Bereiche aktivieren, die vorher jahrhundertelang in der patriarchal dominierten Gesellschaft brachlagen.

Dieses neue Selbstverständnis der Männer zeigt sich auch in traditionell strukturierten Unternehmen immer mehr, wo es normal wird, dass Väter ihre Elternzeit nehmen oder nicht Vollzeit arbeiten, um gemeinsam die elterlichen Aufgaben mit ihrer Partnerin wahrzunehmen. Es konnte dabei bisher nicht nachgewiesen werden, dass dies zu einer verstärkten Impotenz der so tätigen Männer geführt hätte. Dagegen wurde verstärkt eine Kompromissbereitschaft und Kooperationsfähigkeit auch auf Seiten der Väter wahrgenommen, die also durch ihre Rolle eine höhere auch beruflich wichtige Sozialkompetenz entwickelten.

Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich junge Frauen auch bewusst ihre Partner nach deren Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahme der Vaterrolle aussuchen. Während früher ein hohes Einkommen und die mit ihm verbundenen Statussymbole als Vorteil auf dem Heiratsmarkt galten, ist heute väterliche Erfahrung und Sozialkompetenz, also die Aktivierung auch anderer Bereiche des Gehirns wichtiger geworden. Eine Familie zu gründen und erfolgreich, im Sinne von langfristig und glücklich, darin zu leben, erfordert heute andere Fähigkeiten als noch in meiner Jugend und Männer tun gut daran, ihr Hirn in diesem Bereich zu aktivieren, wenn sie auf dem Partnermarkt nachhaltig erfolgreich sein wollen.

Damit zeigt sich auch, dass, was bei Gender-Studies sonst als bemüht verspottet wurde, eine neurologische Grundlage hat und die Veränderung der sozialen Bedingungen dazu geführt hat, dass erfolgreich eine Familie eher gründen kann, wer diese soziale Qualitäten mitbringt, die im Hirn trainierbar sind. Die Idee transparentaler Elternschaft, bei der beide abwechselnd alle Aufgaben übernehmen und dies auch können, die noch vor einer Generation undenkbar war und von Teilen der Gesellschaft nachwievor als unnatürlich bezeichnet wird, warum die Diskussion zum Thema immer noch zu Konflikten führt, heute bereits immer größere Normalität erreicht.

Habe es selbst gelebt, wenn auch mit zuerst inneren Widerständen, weil ich mich in der Mutterrolle in meiner Männlichkeit beschränkt sah, warum ich Aufgaben wie das Putzen mit besonderem Widerwillen nur hinter mich brachte, als es noch neu und ich ein Sonderling dabei war, der vermutlich Testosteron getrieben auch gerne seine Männlichkeit unter Beweis stellen wollte, so lächerlich fernliegend diese Versuche teilweise waren. Sehe es bei meinem Schwager, der auch die Rolle des Hausmanns übernahm und sie vermutlich noch besser ausfüllt als ich es damals konnte, der noch das Gefühl hatte als ältester Sohn der Familie doch zu einer höheren Aufgabe geweiht zu sein. Als könnte es in einer Familie eine wichtigere Rolle geben, denn die Mutterrolle, die für den Fortbestand, den Zusammenhalt und das Aufwachsen der Kinder sorgt aber als in einem patrilinearen System geprägter ältester Sohn, lag mir eine solche Betrachtung noch völlig fern.

Die Lektüre von Christina von Brauns Blutbande hat mich insoweit deutlich weiter gebracht und mein Verständnis für die Austauschbarkeit der Rollen und den Wert der jeweiligen Aufgaben erhöht, was für eine Zeit schon meinen Alltag prägte. Kann dazu aber von mir sagen, wie fern mich diesem emanzipierten Selbstverständnis, was ich über Jahre lebte, wiederum die Beziehung zu einer jungen Frau gebracht hat, die vom Elternhaus aus noch stärker von der balkanischen Kultur geprägt war, den Feminismus lächerlich fand und die Typen, die Mutterrollen übernahmen eher lächerlich machte, selbst keine Kinder wollte. Zwar hat die Beziehung zu einer fünfundzwanzig Jahre jüngeren Frau mein Denken und mein Selbstverständnis nicht grundlegend mehr verändern können, aber die dort stärker geforderten testosteron basierten Teile des Gehirns, bewirkten eine gewisse Verwirrung und Veränderung, die ich lange nicht verstand, weil vorher weniger genutzte Areale neu aktiviert wurden und ich mich selbst fragen musste, welche Rolle ich neben einer hochintelligenten aber anders sozialisierten Frau spielen sollte, was zu erwartbaren Konflikten führte, die am Ende nicht lösbar waren. So gesehen ist die Rückkehr zur erlernten Position als engagierter Vater auch infolge der Lektüre der Blutsbande, eine sehr positive Wirkung der Lektüre, die vielleicht sogar brachliegende Hirnareale wieder aktivieren könnte.

Deutlich aber zeigt es, wie stark auch geringe kulturelle Unterschiede sich auf das Miteinander und die Verständigung auswirken können und wie sehr auch soziale Kontakte unser Gehirn und seine Funktionsfähigkeit beeinflussen, weil wir, was wir nicht mehr benutzen auch schnell deaktivieren, während uns wesensmäßig fremde Muster anderer Kulturen zu unlösbaren Konflikten führen können, die wir froh sein können, überwunden zu haben. Das Ideal hoher Flexibilität bei der Übernahme von Aufgaben, die nicht mehr mit der anderen Natur verbunden werden, ist eher fähig, gemeinsame Wege zu gehen, als die Kompromisslosigkeit alter Strukturen, die logisch mit kollidierenden Erwartungen zu Konflikten führen musste. So hat die Beschäftigung mit der Kulturgeschichte der Familie, wie sie Christina von Braun in ihren Blutsbanden erzählt, meinen Horizont nicht nur erweitert, sondern sogar geholfen typische innere Konflikte zu erkennen und zu lösen, die mich schon lange begleiteten und mich ex post mit der vorigen Rolle nicht nur zu versöhnen, sondern mich stolz darin als einen, wenn auch etwas widerwilligen, Vorreiter zu sehen, der schon einmal die künftig wichtigen Areale im Hirn aktivieren konnte.

Spannend ist am Ende dieses Buches, von dem nur noch das Resümé auf mich wartet, wie sehr die klassische Unterscheidung von Biologie und Kultur verfließt und beide sich gegenseitig beeinflussen. Es gibt keine feste Natur und Biologie, sondern auch diese wird durch Veränderungen in unserem Denken verändert. Es stehen uns spannende Zeiten bevor.

jens tuengerthal 10.9.10

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