Freitag, 25. September 2020

Bibelflirt

Einige male klagte ich schon
Wie sehr der biblische Ton in
Joseph und seine Brüder nervt
Warum ich immer mal wieder
In der Lektüre pausiere dafür
Den vielfältigen auch erotischen
Weltpuff Berlin gerne vorziehe
In dem Vielfalt alles relativiert
Doch heute in ruhiger Minute
Wieder einige Kapitel gelesen
Darin wie Jakob Rahel begegnet
Sich auf den ersten Blick verliebt
Weiß die oder keine für immer
Mit ihrem Vater alles aushandelt
Als Verwandter zu ihnen zieht
Und war völlig begeistert davon
Wie Mann es dem Ton zum Trotz
Schafft einen erotischen Moment
Inmitten wüster Gegend zu kreieren
In der die vor Hitze vibrierende Luft
Vom Beben des Gefühls erschüttert
Eine rührende Liebesgeschichte erzählt
Fast bekam ich schon feuchte Augen
Dabei konsequent im biblischen bleibt
Den alten jüdischen Familiensagen
Deren Tonfall er gekonnt imitierend
Aber dennoch die zeitliche Brücke
Mit Leichtigkeit überwindet womit
Die Beteiligten gegenwärtig scheinen
Sich seit vielen tausend Jahren nie
Etwas zwischen Mann und Frau
Im ewigen alten Spiel geändert hat
Die Entstehung der Liebe aus der
Spontanen Begegnung gewürzt mit
Den bis heute üblichen Zutaten
Von bewusstem Abstand als Spiel
Von Zurückweisung und Anziehung
Was uns so emotional abhängig
Vom ersten Blick an macht und so
Auch hier wo der über zwanzigjährige
Jakob die zwölfjährige Rahel erblickt
Ihre schielende große Schwester beim
Später gemeinsamen Essen übersieht
Hässlich findet weil er sich in dieses
Zauberhafte junge Ding verschossen hat
Ist auch wenn im gravitätischen biblischen
Ton wieder daherkommend so zärtlich
Schön dass sich mein Herz ganz weit
Dem Gedanken der Liebe öffnete auch
Wenn mir vernünftigerweise gerade
Nichts ferner liegt als solche Abenteuer
Im emotionalen Bereich nach den letzten
Erfahrungen mit diesen Katastrophen
Aber es scheint doch die Natur eine
Sehnsucht in uns gepflanzt zu haben
Die Thomas Mann in dieser Szene mit
Seinem üblich leicht ironischen Ton zum
Klingen bringt und ich spürte wie mein
Herz vor diesem Traum höher schlug
Den ich vernünftig arrangiert doch längst
Aufgegeben zu haben meinte und so
Wirkt große Literatur auch dort wo
Unser Verstand es nie zulassen würde
Als Geschichte der Familien ist die Bibel
Eben immer auch eine ganz große
Liebesgeschichte die Mann spürbar
Macht und so zu Leben erweckt was
Der pathetische Ton fast schon erstickt
Aber um so ferner etwas liegt desto näher
Kann es uns kommen und berühren
Was ich bei der heutigen Lektüre spürte
Während ich innerlich noch den Kopf
Darüber schüttelte was Jakob denn
Mit diesem jungen Ding wollen kann
Von viel Erfahrung und Vernunft dabei
Geführt machte Mann spürbar wie sehr
Die Liebe ihre Gründe auch trotz des
Tones und der Ironie im Kleinen findet
Was dem der es nicht spürt wohl ewig
Unbeschreiblich bleiben wird und so
Eine geheime Welt wieder öffnete
Die ich aus Erfahrung lieber vergaß
So spürte ich schmerzvoll doch schön
Das sehnsüchtige Herz schlagen
Ohne zu wissen was es wollen könnte
Ist es voriger Beschlussfassung zum Trotz
Noch immer da und macht sich bemerkbar
Wo es durch große Literatur dazu angeregt
Wieder wirklich schlagen darf und denke
Solang die Liebe literarisch bleibt ist sie
Zumindest real relativ ungefährlich

jens tuengerthal 25.9.20

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen